OGH 3Ob221/11p

OGH3Ob221/11p14.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der G*****, geboren am ***** 1920, *****, über den Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Dr. M*****, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. September 2011, GZ 44 R 293/11f-147, womit der Rekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 25. März 2011, GZ 30 P 41/10a-131, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. Jänner 2010 (ON 34) wurde RA Dr. K***** vom Erstgericht zum Sachwalter für die am ***** 1920 geborene und derzeit in einem Pflegeheim betreute Betroffene bestellt und mit der Besorgung folgender Angelegenheiten betraut:

- finanzielle Angelegenheiten, Einkommens- und Vermögensverwaltung;

- Vertretung vor Gerichten, Ämtern und Behörden sowie privaten Vertragspartnern

- Einwilligung zu medizinischen Heilbehandlungen

- Bestimmung des Aufenthaltsorts.

Die Betroffene hatte Rechtsanwältin Dr. M***** am 11. Jänner 2010 eine umfassende Vertretungsvollmacht - keine Vorsorgevollmacht (§§ 284 f ABGB) - erteilt (Beilage zu ON 140). Der Sachwalter der Betroffenen hat die Vollmacht am 14. September 2010 und am 17. Jänner 2011 widerrufen.

Mit Schriftsatz vom 19. Jänner 2011 (bei ON 123) beantragte die „bevollmächtigte Rechtsanwältin namens der Betroffenen die Umbestellung des Sachwalters. Dieser gehe auf Anregungen der bevollmächtigten Vertreterin der Betroffenen grundsätzlich inhaltlich nicht ein, sondern reagiere darauf stereotyp und reflexartig lediglich mit einer Vollmachtskündigung „aus anwaltlicher Vorsicht“; er verfüge offensichtlich nicht über ausreichende personelle Ressourcen, um sich fristgerecht um eine Verbesserung der persönlichen Lebenssituation der Betroffenen kümmern zu können und lasse schließlich höchstgerichtliche Entscheidungen außer Acht.

Mit Beschluss vom 25. März 2011 (ON 131) wies das Erstgericht den Antrag der einschreitenden Rechtsanwältin auf Umbestellung des Sachwalters zurück. Es traf folgende Feststellungen:

Seit einigen Wochen ist die Betroffene nicht mehr fähig, sich verbal auszudrücken; ihr Gesundheitszustand hat sich verschlechtert. Sie wirkt nicht mehr orientiert, verhält sich interesselos und apathisch. Sie nimmt ihre Umgebung nicht mehr wahr und ist nicht in der Lage, auf Fragen zu antworten. Die Betroffene ist nicht mehr gehfähig und muss gefüttert werden. Aufgrund … steht fest, dass die Betroffene aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht mehr in der Lage wäre, eine Vollmacht zu erteilen.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, dass zwar eine von einer betroffenen Person zuvor wirksam erteilte Bevollmächtigung auch nach Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses weiter wirksam bleibe, aber vom bestellten Sachwalter jederzeit widerrufen werden könne. Dies müsse umso mehr gelten, wenn die betroffene Person aktuell nicht mehr fähig sei, eine Vollmacht zu erteilen oder zu widerrufen. Im Hinblick auf das Wohl der betroffenen Person - etwa wegen anfallender Honorarnoten - sei der durch den Sachwalter ausgesprochene Vollmachtswiderruf auch gerechtfertigt gewesen. Da der Einschreiterin keine Parteistellung zukomme, sei der Antrag zurückzuweisen. Soweit der Umbestellungsantrag als entsprechende Anregung zum gerichtlichen Tätigwerden zu verstehen sei, komme eine Umbestellung nicht in Frage, weil das Wohl der Betroffenen einen solchen Schritt nicht erfordere (dies wird vom Erstgericht inhaltlich näher begründet).

Den von der Rechtsanwältin namens der Betroffenen erhobenen Rekurs (ON 138) wies das Rekursgericht zurück (ON 147). Eine von der betroffenen Person wirksam erteilte Bevollmächtigung könne von ihrem Sachwalter jederzeit widerrufen werden; andernfalls könnte ein in der Vergangenheit wirksam bevollmächtigter Rechtsvertreter nach Verlust der Geschäfts- und Äußerungsfähigkeit des Vollmachtgebers überhaupt nicht mehr wirksam abberufen werden. Angesichts des vom Sachwalter erklärten Vollmachtswiderrufs vermöge die bevollmächtigte Rechtsanwältin nicht mehr wirksam im Namen der Betroffenen einzuschreiten. Da dritten Personen im Sachwalterschaftsverfahren kein Rechtsmittelrecht zukomme, sei der im Namen der Betroffenen erhobene, jedoch vollmachtslose Rekurs der ehemaligen Rechtsvertreterin zurückzuweisen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof in seinen nach dem Vollmachtswiderruf vom 14. September 2010 ergangenen Entscheidungen 3 Ob 230/10k und 3 Ob 81/11z im Namen der Betroffenen erhobene Rechtsmittel inhaltlich erledigt habe, sodass ein Spannungsverhältnis zur Entscheidung 7 Ob 152/07i bestehe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der von der Rechtsanwältin namens der Betroffenen erhobene Revisionsrekurs, in dem der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache dem Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluss stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Sachwalter beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Im Revisionsrekurs wird zusammengefasst geltend gemacht, dass die von der betroffenen Person erteilte Vollmacht grundsätzlich wirksam sei; sie erlösche auch nicht durch eine nachträglich eintretende Handlungsunfähigkeit. Ein Widerruf setze voraus, dass diese Maßnahme dem Wohl der betroffenen Person diene. Angesichts des Umstands, dass der Sachwalter die Wunschermittlungspflicht verletze und auch sonst gegen das Wohl der betroffenen Person handle, sei es notwendig, dass eine bevollmächtigte Person die Wünsche der Betroffenen betreffend ihre Personensorge durchsetze; andernfalls würde auch das Recht der betroffenen Person auf rechtliches Gehör verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

1. Eine von der betroffenen Person zuvor wirksam erteilte Vollmacht bleibt zwar auch nach Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses weiter wirksam (siehe RIS-Justiz RS0019873), kann aber nach der Rechtsprechung vom bestellten Sachwalter jederzeit widerrufen werden (4 Ob 586/88; 7 Ob 152/07i).

Im gegenständlichen Fall hat der Sachwalter in seinem Schriftsatz vom 14. September 2010 (ON 99) das Rekursgericht davon informiert, dass er zwei von der betroffenen Person erteilte Bevollmächtigungen mit Schreiben vom 14. September 2010 widerrufen habe. In einer weiteren Eingabe an das Rekursgericht vom 20. Jänner 2011 (vor ON 127) wies der Sachwalter erneut darauf hin, dass er mit einem (beigelegten) Schreiben vom 17. Jänner 2011 an RA Dr. M***** „jedenfalls - aus advokatorischer Vorsicht - eine allenfalls erteilte Vollmacht durch die betroffene Person als deren Sachwalter hiermit nochmals ausdrücklich“ aufkündige.

2. In den bisherigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs spielte die Frage des Widerrufs der aufrechten Vollmacht der für die Betroffenen einschreitenden Rechtsanwältin keine Rolle.

2.1. In der Entscheidung 3 Ob 230/10k vom 14. Dezember 2010 hat der Oberste Gerichtshof darauf verwiesen, dass sich die Betroffene nach dem Antrittsbericht des (damals einstweiligen) Sachwalters (ON 28) verbal gut äußern und ihren Willen kundtun könne, wenn auch mit der Einschränkung, dass sich das täglich ändern könne. Die Rechtsanwältin hatte mit Eingabe vom 12. Jänner 2010 angezeigt, dass die Betroffene ihr am 11. Jänner 2010, also drei Tage vor dem Antrittsbericht des einstweiligen Sachwalters, Vertretungsvollmacht erteilt habe. Im außerordentlichen Revisionsrekurs (ON 108) schilderte sie, dass ihr die Betroffene am 11. Jänner 2010 anlässlich deren Besuchs in der Kanzlei nach einem langen Gespräch den klaren Auftrag zur Übernahme des Mandats erteilt habe. Die Betreuerin der Betroffenen habe am 24. März 2010 angegeben, dass diese nicht dement sei und noch genau wisse, was sie wolle (ON 39). Das Erstgericht hat darüber hinaus im Namen der Betroffenen eingebrachte Eingaben der Rechtsanwältin inhaltlich behandelt (siehe ON 33, 61, 66, 71 und 78) und hatte offensichtlich keine Bedenken bezüglich einer offenkundigen Unfähigkeit einer Mandatserteilung. Der spätere Vollmachtswiderruf vom 14. September 2010 (ON 99) war in diesem Verfahren kein Thema (die angefochtene Rekursentscheidung erging am selben Tag). Der Oberste Gerichtshof bejahte eine Einsichtsfähigkeit der Pflegebefohlenen zur Vollmachtserteilung und trug dem Rekursgericht eine meritorische Entscheidung über den Rekurs gegen die Abweisung ua des Antrags auf Erteilung von Weisungen an den Sachwalter betreffend Ausflüge der Pflegebefohlenen auf.

2.2. Auch im zweiten Rechtsgang zu 3 Ob 81/11z war der Vollmachtswiderruf kein Thema. Das Rekursgericht behandelte in seinem Beschluss vom 22. Februar 2011, AZ 44 R 434/10i (ON 127) das Rechtsmittel der durch die Rechtsanwältin vertretenen Betroffenen - in Kenntnis des Vollmachtswiderrufs - inhaltlich und ließ damals den Revisionsrekurs nicht zu.

2.3. Inhaltlich lagen den zitierten Vorentscheidungen Sachanträge auf die Person der Pflegebefohlenen betreffende Maßnahmen in Kollision zum Standpunkt des bestellten Sachwalters zu Grunde. Nach ständiger Judikatur zur Rechtslage vor dem SWRÄG 2006 (§ 273a Abs 3 ABGB) bezieht sich die Vertretungsbefugnis des Sachwalters nicht auf das Pflegschaftsverfahren, in dem zwischen widerstreitenden Begehren des Sachwalters und des Betroffenen zu entscheiden ist (RIS-Justiz RS0053067). Dies gilt aber auch nach nunmehr geltender Rechtslage (4 Ob 100/09y). Mit dem Widerruf einer Bevollmächtigung könnte der Sachwalter gegen ihn gerichtete Sachanträge ins Leere laufen lassen.

2.4. Solange die betroffene Person in der Lage ist, die Tragweite der Bevollmächtigung abzuschätzen, ist eine inhaltliche Behandlung schon unter dem Gesichtspunkt geboten, dass sie die Vollmacht jederzeit wieder erteilen („reaktivieren“) könnte, sodass es zu einem - zu vermeidenden - „Pingpong“ zwischen Vollmachtserteilung und Vollmachtswiderruf käme.

3. Aus der inhaltlichen Behandlung von Eingaben in der Vergangenheit kann aber kein Schluss daraus gezogen werden, dass die Vollmacht nunmehr noch aufrecht ist; die Frage der Wirksamkeit des Vollmachtswiderrufs bildet das Kernthema des erstinstanzlichen Beschlusses und des Rechtsmittelverfahrens. Wie erwähnt hat bereits das Erstgericht in seinem Beschluss vom 25. März 2011 (ON 131) den Antrag der einschreitenden Rechtsanwältin auf Umbestellung des Sachwalters im Hinblick auf die Wirksamkeit des Vollmachtswiderrufs zurückgewiesen, wobei in den Vordergrund gerückt wurde, dass die Betroffene aktuell nicht mehr fähig sei, eine Vollmacht zu erteilen oder zu widerrufen. Das Rekursgericht hat das dagegen - namens der betroffenen Person - erhobene Rechtsmittel nicht inhaltlich in Richtung der Wirksamkeit des Vollmachtswiderrufs geprüft, sondern mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Rechtsanwältin nicht mehr wirksam im Namen der Betroffenen im Verfahren aufzutreten vermöge.

4. Wird eine Eingabe der Einschreiterin vom Gericht wegen fehlender Vollmacht zurückgewiesen und die Entscheidung von ihr mit einem von ihr (namens der Partei) eingebrachten Rechtsmittel bekämpft, ist sie im Streit um die Vertretungsbefugnis als vertretungsbefugt zu behandeln (2 Ob 60/02s = RIS-Justiz RS0108949 [T1]; Zib in Fasching/Konecny 2 [2002] § 37 ZPO Rz 6). Wird die Vertreterstellung vom Rekursgericht daraufhin bejaht, ist das von der Bevollmächtigten namens der Partei eingebrachte Rechtsmittel sachlich zu erledigen; wird eine solche Stellung dagegen verneint, ist eben das Rechtsmittel - so wie hier im Verfahren zweiter Instanz - zurückzuweisen (1 Ob 362/97k = SZ 70/246; vgl auch Böhm, Entscheidungsanmerkung zu 6 Ob 569/82, JBl 1983, 210 [212]; Fucik in Rechberger, ZPO3 § 6 Rz 1).

5. Nunmehr ergibt sich aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen deutlich, dass die Betroffene jetzt nicht mehr in der Lage ist, wirksam Vollmacht zu erteilen („... Sie wirkt nicht mehr orientiert, verhält sich interesselos und apathisch ...“); ein Vollmachtswiderruf durch den Sachwalter kann nach dem aktuellen Zustand der Betroffenen nicht mehr zu dem bereits erwähnten „Ping-Pong“ zwischen Vollmachtswiderruf und Vollmachtserteilung führen.

6. Es stellt sich nun die Frage, ob der Widerruf der der Einschreiterin erteilten Vollmacht wirksam geworden ist.

6.1. Barth/Ganner (in Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts2 54) bejahen grundsätzlich die Befugnis des Sachwalters, eine von der betroffenen Person erteilte Vollmacht zu widerrufen und nehmen eine entsprechende Pflicht an, wenn der Bevollmächtigte durch sein Verhalten das Wohl des Betroffenen gefährdet. Eine Widerrufsbefugnis entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0019873 [T1]).

6.2. Dem nunmehrigen Rechtsmittelverfahren liegt ein Antrag auf Umbestellung des Sachwalters zugrunde. Die Frage der Wirksamkeit der Vollmachtserteilung bildet also nicht die Hauptfrage des Verfahrens. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Rekursgericht über das Vorliegen der Vertretungsmacht als Verfahrensvoraussetzung abgesprochen. Ob im Verfahren vom Gericht ein Vollmachtsverhältnis (aufgrund einer von der betroffenen Person erteilten Bevollmächtigung) anzuerkennen ist oder nicht, betrifft das Außenverhältnis. Diese Frage kann nicht davon abhängen, ob beim Vollmachtswiderruf das Wohl der betroffenen Person entsprechend berücksichtigt wurde oder nicht. Vielmehr ist der vom Sachwalter ausgesprochene Vollmachtswiderruf bei der Beurteilung der Verfahrensvoraussetzung als wirksam anzunehmen.

7. Im Hinblick auf die Wirksamkeit des Vollmachtswiderrufs ist dem Rechtsmittel ein Erfolg zu versagen.

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