OGH 3Ob208/11a

OGH3Ob208/11a14.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Robert Kugler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 24. August 2011, GZ 4 R 273/11t-103, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Ferlach vom 29. April 2011, GZ 1 C 752/07z-92, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Streitteile sind österreichische Staatsangehörige. Sie haben am 23. Dezember 1987 die Ehe geschlossen, der keine Kinder entstammen. Im Jahr 2001 nahm der aus Ägypten stammende Beklagte eine außereheliche Beziehung auf. Nach der Geburt des dieser Beziehung entstammenden Kindes am 26. Juni 2002 gestand der Beklagte der Klägerin die Beziehung. Die Klägerin veranlasste, dass der Beklagte und seine Freundin eine Erklärung unterschrieben, wonach der Beklagte keine wie immer gearteten Ansprüche in Bezug auf seinen Sohn stellen und keinen Kontakt zu ihm und der Mutter suchen werde; diese erklärte sich bereit, keine Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber dem Beklagten zu stellen und den Kontaktabbruch zu akzeptieren. Ab 2002 hatte der Beklagte keinen Kontakt mehr zu seiner Freundin und dem gemeinsamen Sohn.

Das Geständnis stellte für den Beklagten eine sehr belastende Situation dar und war der Auslöser für eine psychische Erkrankung, die aber nicht durch ein bewusst gesteuertes Vorgehen der Klägerin herbeigeführt wurde. Er war wegen der Erkrankung in den darauffolgenden Jahren immer wieder in stationärer Krankenhausbehandlung.

Das eheliche Zusammenleben war geprägt von der dominanten Stellung der Klägerin, die sich etwa auch über den sunnitischen Glauben des Beklagten abschätzig äußerte. Im April 2006 regte die Klägerin die Bestellung eines Sachwalters für den Beklagten an. Im August 2007 zog der Beklagte aus der gemeinsamen Ehewohnung aus und nahm wieder das Verhältnis zu der Geliebten auf. Die Klägerin, die bis Ende 2007 ein Geschäft geführt hatte, zeigte er (wegen Steuerhinterziehung) beim Finanzamt und (wegen Einbruchsdiebstahls) bei der Staatsanwaltschaft an.

Die Klägerin begehrt mit der am 14. November 2007 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten, in eventu wegen Geisteskrankheit.

Das Erstgericht schied die Ehe der Parteien aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Die Zerrüttung sei objektiv „zumindest“ im Zeitpunkt des Auszuges des Beklagten aus der Ehewohnung eingetreten. Beide Ehepartner hätten Eheverfehlungen begangen. Die Klägerin habe dem Beklagten keine Möglichkeit gegeben, seine Interessen durchzusetzen, außerdem habe sie sich über seine Religion belustigt und süffisant geäußert. Dem Beklagten seien die Verletzung der ehelichen Treuepflicht durch die ehewidrige Beziehung, das Verlassen der Ehewohnung und die Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft und beim Finanzamt vorzuwerfen. Das überwiegende Zerrüttungsverschulden des Beklagten beruhe vor allem auf der ehewidrigen Beziehung, die die Klägerin nicht verziehen habe.

Über Berufung des Beklagten, der lediglich den Verschuldensausspruch bekämpfte, änderte das Berufungsgericht den Verschuldensausspruch - ohne Auseinandersetzung mit der Tatsachenrüge des Beklagten - dahin ab, dass das überwiegende Verschulden der Klägerin zugewiesen wurde. Diese habe dem Beklagten den Ehebruch verziehen, wie aus ihrer Aussage unmissverständlich hervorgehe. Außerdem sei dieser Scheidungsgrund iSd § 57 Abs 1 EheG „verjährt“. Die weiteren Scheidungsgründe habe der Beklagte erst nach der Zerrüttung der Ehe gesetzt, weshalb sie irrelevant seien. Durch ihr unterdrückendes und beherrschendes, die Persönlichkeit des Partners nicht respektierendes Verhalten habe die Klägerin die Zerrüttung der Ehe herbeigeführt. Demgegenüber treffe den Beklagten nur ein geringfügiges Mitverschulden.

Die Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zugelassen.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils berechtigt.

1. Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen und welchen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls, die - von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen - nicht als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO anzusehen ist (RIS-Justiz RS0118125; RS0119414). Ein überwiegendes Verschulden ist auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057821; RS0057858).

2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Eheverfehlungen des Beklagten gegenüber den festgestellten gravierenden Eheverfehlungen der Klägerin deutlich in den Hintergrund treten, steht mit diesen Grundsätzen nicht in Einklang.

2.1. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Ausspruch der Scheidung aus dem Verschulden des Beklagten in Rechtskraft erwachsen ist. Damit steht fest, dass dem Beklagten eine schwere Eheverfehlung anzulasten ist, durch die eine tiefgreifende und unheilbare Zerrüttung der Ehe herbeigeführt wurde (§ 49 EheG). Er kann daher im weiteren Verfahren über die Verschuldensfrage weder bestreiten, eine solche Eheverfehlung begangen zu haben, noch geltend machen, dass das Recht der Klägerin, wegen dieses Verhaltens die Scheidung zu begehren, gemäß § 57 Abs 1 EheG verfristet sei (RIS-Justiz RS0056846 [T10]).

2.2. Mit seiner Ansicht, dass die Klägerin dem Beklagten seinen Ehebruch verziehen habe und dieser überdies als Scheidungsgrund verfristet sei, weiters dass die anderen vom Beklagten gesetzten Scheidungsgründe für eine Zerrüttung der Ehe nicht mehr kausal gewesen seien, setzt sich das Berufungsgericht darüber hinweg, dass schon aufgrund des rechtskräftigen Scheidungsausspruchs von einer schweren, zur Auflösung nach § 49 EheG berechtigenden Eheverfehlung des Beklagten auszugehen ist.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, den Beklagten treffe nur ein Verschulden, das eben im Hinblick auf die Rechtskraft des Scheidungsausspruchs sozusagen nur mehr oder weniger fiktiv zu beachten, das aber jedenfalls nur gering zu gewichten sei, kann auf der Grundlage der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht geteilt werden. Damit wird nämlich auf das dem Beklagten vorzuwerfende ehewidrige Verhalten nicht entsprechend Rücksicht genommen. Die Annahme einer Verzeihung findet in den erstgerichtlichen Feststellungen keine Deckung. Abgesehen davon könnten auch verjährte und verziehene Eheverfehlungen in die Verschuldensabwägung einbezogen werden (RIS-Justiz RS0057209 [T2]). Auch Eheverfehlungen nach Eintritt der Zerrüttung der Ehe können dann von Bedeutung sein, wenn sie der verletzte Ehegatte bei verständiger Würdigung noch als zerrüttend empfinden durfte oder eine Vertiefung der Zerrüttung durch diese Verfehlungen nicht ausgeschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0057338 [T7]). In Hinblick darauf ist der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin grob verfehlt und durch die Feststellungen nicht gedeckt.

2.3. Eine abschließende Beurteilung ist im derzeitigen Stadium nicht möglich, weil das Berufungsgericht - ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht - die Tatsachenrüge des Beklagten nicht erledigt hat; dies ist im fortgesetzten Verfahren nachzuholen.

3. In diesem Sinn ist das angefochtene Berufungsurteil zur neuerlichen Entscheidung aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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