Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung
Der am 9. 1. 1959 geborene Kläger hat im Jahr 2002 die Meisterprüfung als Tischler abgelegt. Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (dem 1. 4. 2010) liegen 41 Beitragsmonate, davon 13 Monate als Tischler in der Montage und 28 Monate als Tischler in der Produktion, und 44 Beitragsmonate als Werksarbeiter/Produktionsarbeiter. Werksarbeiter/Produktionsarbeiter sind zumeist ungelernte Arbeitskräfte, die nach kurzer Einarbeitungszeit zum Zweck der Roh- oder Endfertigung verschiedene Maschinen und Automaten bedienen, die zuvor von Facharbeitern eingestellt wurden. Der Beruf eines Werksarbeiters/Produktionsarbeiters erfordert keine speziellen Fachkenntnisse.
Aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls ist der Kläger nicht mehr in der Lage, den Beruf eines Tischlers oder Werksarbeiters/Produktionsarbeiters auszufüllen. Es ist ihm aber noch die Ausübung einer Tätigkeit als Kontrollarbeiter oder Sortierer in der Elektroindustrie möglich.
Mit Bescheid vom 19. 5. 2010 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 16. 3. 2010 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.
In seiner dagegen erhobenen Klage brachte der Kläger vor, er habe neben den 41 Versicherungsmonaten als Tischler nach dem ASVG noch 41 weitere Versicherungsmonate als Tischler nach dem GSVG erworben. Seinem Rechtsstandpunkt nach habe er deshalb die Tätigkeit als Tischler in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag weitaus überwiegend ausgeübt, sodass ihm in diesem Beruf Berufsschutz zukomme.
Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung; der Kläger sei nicht als invalid nach § 255 ASVG anzusehen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich ging es davon aus, dass der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend als unqualifizierter Werksarbeiter tätig gewesen sei, weshalb seine Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei. Er sei auf die Tätigkeiten eines Kontrollarbeiters oder Sortierers in der Elektroindustrie verweisbar.
In seiner Berufung machte der Kläger geltend, das Erstgericht habe es unterlassen, Feststellungen zu den von ihm erworbenen 41 Beitragsmonaten als selbstständiger Tischler nach dem GSVG zu treffen. Diese wären jedoch bei der Ermittlung der überwiegenden Berufstätigkeit mit zu berücksichtigen, sodass ein sekundärer Feststellungsmangel vorliege. Rechtlich ergebe sich aus der begehrten ergänzenden Feststellung, dass er innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend (82 Beitragsmonate) in seinem erlernten Beruf als Tischler beschäftigt war.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Rechtlich ging es davon aus, dass die Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit als Tischler nach dem GSVG nicht als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung iSd § 255 Abs 2 ASVG anzusehen seien. § 251a Abs 8 Z 1 ASVG normiere zwar, dass alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so zu behandeln seien, als ob sie bei ihm erworben wären, diese Regelung gelte jedoch nicht für die Frage des Berufsschutzes, sondern nur für die Wartezeit und die Bemessung der Leistungen.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
Der Revisionswerber nimmt den Standpunkt ein, weil nach dem GSVG versicherte (selbstständige) Tätigkeiten für die Erfüllung der in § 255 Abs 4 ASVG normierten Voraussetzung „einer Tätigkeit“ berücksichtigt würden, sei auch der in § 255 Abs 2 ASVG enthaltene Tätigkeitsbegriff in dieser Weise auszulegen. Die im Hinblick auf § 255 Abs 4 ASVG gebrauchte Argumentation der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes müsste auch für den Bereich des Berufsschutzes gelten. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Beitragsmonate innerhalb ein und derselben Tätigkeit (etwa als Tischler) aufgrund der gerade gegebenen Arbeitsmarktsituation im Rahmen einer unselbstständigen und im Rahmen einer selbstständigen Beschäftigung erworben worden seien. Die nach Ansicht der Vorinstanzen dennoch gebotene Differenzierung, führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung. Der Berufsschutz werde verwehrt, obwohl dieser lediglich auf den Erwerb qualifizierter Kenntnisse und Fähigkeiten sowie die nachfolgende Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit abstelle und nicht auf inhaltliche Merkmale der Ausübung. Ein inhaltlicher Unterschied zwischen Versicherungszeiten nach dem ASVG und dem GSVG bestehe nicht. Die Auslegung des § 251a ASVG durch das Berufungsgericht widerspreche dem klaren Gesetzeswortlaut.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen:
1. Der vom Kläger nach § 255 Abs 2 ASVG (idF vor der Änderung durch BGBl I 2010/11) geltend gemachte Berufsschutz würde erfordern, dass er überwiegend in dem erlernten Beruf als Tischler tätig war. Als „überwiegend“ nach § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG (in der vorgenannten Fassung) gelten erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob die Tätigkeit als Tischler in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG in der Zeit vom 1. 4. 1995 bis 1. 4. 2010 ausgeübt wurde.
2. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass in Fragen des Berufsschutzes Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit nach dem GSVG nicht als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung iSd § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG (in der vorgenannten Fassung) angesehen werden können, weil in dieser Gesetzesstelle - anders als in § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43 - ausdrücklich nur auf erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten abgestellt wird, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz (also dem ASVG) ausgeübt wurden (10 ObS 17/11i; 10 ObS 156/07z, SSV-NF 21/90 jeweils mwN). Die Tätigkeit des Klägers als selbstständiger Tischler kann daher bei der Prüfung der Frage des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG (in der vorerwähnten Fassung) nicht Berücksichtigung finden. Nach der eindeutigen Gesetzeslage zählen nur Beitragsmonate, die nach dem ASVG erworben wurden, mag dies auch der Revisionswerber im Hinblick auf die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt als unbillig erachten. Nur für den - im vorliegenden Fall nicht gegebenen - Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG ist es ohne Bedeutung, in welchem Versicherungszweig dadurch im Rahmenzeitraum Versicherungszeiten begründet wurden und ist es nicht erforderlich, dass die Tätigkeit ausschließlich als unselbstständig Beschäftigter ausgeübt wurde (10 ObS 4/05v, SSV-NF 19/22).
Gegen eine Differenzierung in den Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 Abs 2 und Abs 4 ASVG betreffend die Berücksichtigung bzw Nichtberücksichtigung von Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach dem GSVG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl auch RIS-Justiz RS0054049 zu den unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen nach § 255 Abs 1 und 3 ASVG).
3. Ist ein Versicherter der Pensionsversicherung nach dem ASVG zugehörig, so hat der leistungszuständige Versicherungsträger die Bestimmungen des ASVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass Beitragsmonate nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz und nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz als Beitragsmonate nach dem ASVG gelten (§ 251a Abs 8 Z 1 ASVG). Das Wesen dieser Regelung liegt darin, dass alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so behandelt werden, als ob sie bei ihm erworben worden wären (RIS-Justiz RS0085037). Das Berufungsgericht folgt auch der ständigen Rechtsprechung, wonach diese Regelung jedoch nicht für die Frage des Berufsschutzes (§ 255 ASVG), sondern nur für die Wartezeit und die Bemessung von Leistungen gilt (RIS-Justiz RS0085042; siehe auch oben Pkt 1.).
Die außerordentliche Revision ist daher unzulässig.
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