OGH 11Os116/11k

OGH11Os116/11k17.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Seifaldin N***** und Houssein C***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten N***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 10. Mai 2011, GZ 27 Hv 167/10k-143, sowie dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, sowie des Angeklagten N***** und seines Verteidigers Dr. Ortner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der in den Schuldsprüchen I./A./7./, B./19./, 28./, 29./, 35./, 36./ und 40./ betreffend Seifaldin N***** und I./A./7./, C./1./ und 4./ betreffend Houssein C***** festgestellten Taten unter § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (insoweit ersatzlos) und im Schuldspruch II./ im Umfang der den Schuldsprüchen I./A./ und B./ (betreffend Seifaldin N*****) und I./A./ und C./ (betreffend Houssein C*****) zugrunde liegenden Suchtgiftmengen und demzufolge in den beide Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen samt den Beschlüssen nach § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO sowie in der Seifaldin N***** betreffenden Entscheidung nach § 20 Abs 1 Z 1 StGB aufgehoben und im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs II./ sowie der bezeichneten Sanktionen die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit seiner auf die aufgehobenen Urteilsteile bezogenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie seiner Beschwerde gegen den ihn betreffenden Widerrufsbeschluss wird der Angeklagte N***** auf die Kassationen verwiesen.

Die darüber hinausgehende Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Dem Angeklagten N***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Seifaldin N***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen - vgl US 18) des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (I./A./ und B./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (I./A./7./, B./19./, 28./, 29./, 35./, 36./ und 40./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (II./) sowie Houssein C***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen - vgl US 18) des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I./A./ und C./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (I./A./7./, C./1./ und 4./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (II./) und des Vergehens des (versuchten) Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach haben - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant - zu größtenteils nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten ab Oktober 2007 bis zu ihrer Festnahme am 22. September 2010 (hinsichtlich Seifaldin N***** mit Ausnahme seiner Zeit in Haft von 24. Dezember 2008 bis 29. Juli 2009) im Raum Innsbruck

I./ anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge durch den - fast ausschließlich gewinnorientierten - Verkauf von unerhobenen, die Grenzmenge (§ 28b SMG) aber jedenfalls mehrfach übersteigenden Mengen Cannabis und Kokain - nämlich hinsichtlich N***** insgesamt etwa 3.089 Gramm Cannabisharz mit einem durchschnittlichen THC-Gehalt von zumindest 5 % und insgesamt rund 70 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 15 % und hinsichtlich C***** insgesamt etwa 2.583 Gramm Cannabisharz mit einem durchschnittlichen THC-Gehalt von zumindest 5 % und 1 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 15 % - an im Ersturteil namentlich genannte Abnehmer und weitere, namentlich nicht bekannte Drogenkonsumenten im Zuge unzähliger Teilgeschäfte überlassen, wobei beide Angeklagten gewerbsmäßig handelten und Seifaldin N***** bereits einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war, weiters in den bei den Schuldsprüchen nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG genannten Fällen Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht, aber selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährigen waren, und zwar:

A./1./ bis 7./ Seifaldin N***** und Houssein C***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

B./1./ bis 56./ Seifaldin N***** als Alleintäter

C./1./ bis 37./ Houssein C***** als Alleintäter

II./ vorschriftswidrig Suchtgift erworben und besessen, und zwar „Seifaldin N***** unerhobene, zumindest aber die zu Punkt I./A./ und B./ angeführten Mengen Cannabisharz und Kokain durch Kauf von Jaouad El O***** (zumindest 500 Gramm Cannabisharz zum Preis von 3.500 Euro) sowie weiteren unbekannten Lieferanten und anschließenden Besitz, und Houssein C***** unerhobene, zumindest aber die zu Punkt I./A./ und C./ angeführten Mengen Cannabisharz und Kokain durch Ankauf von Jaouad El O***** (zumindest 600 Gramm Cannabisharz zum Preis von 2.350 Euro), Nouredin K***** (zumindest 600 Gramm Cannabisharz zum Preis von 1.770 Euro) sowie weiteren unbekannten Lieferanten und anschließenden Besitz“; ...

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten N*****; der Angeklagte C***** hat auf Rechtsmittel verzichtet.

Rechtliche Beurteilung

Die die Schuldsprüche I./B./52./, 53./ und 54./ betreffende, konkrete Tatzeiträume vermissende Verfahrensrüge (Z 3) macht nicht deutlich, aus welchem Grund hiedurch die notwendige Individualisierung der Taten betroffen sei (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 290 mwN). Daraus resultierende Zweifel streiten im Übrigen ohnedies zu Gunsten eines allenfalls neuerlich Verurteilten für die Missachtung des ne bis in idem-Verbots (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 268). Die Zeiten der Haft des Beschwerdeführers nahmen die Erstrichter von den Schuldsprüchen überdies ohnehin aus (US 2; vgl auch US 17).

Die Mängelrüge (Z 5) und die Tatsachenrüge (Z 5a) sprechen keine entscheidenden Tatsachen an, weil selbst unter der spekulativen Annahme des Wegfalls einer verhandelten Menge von 568 Gramm Cannabisharz (entspricht 28,3 Gramm Reinsubstanz THC) und von 60 Gramm Kokain (entspricht 9 Gramm Reinsubstanz) die rechtliche Entscheidung, welche strafbare Handlung begründet werde, nicht beeinflusst wird (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399), zumal das Schöffengericht die den Schuldsprüchen I./A./ und I./B./ zugrunde liegenden Taten, die eine gleichartige Verbrechensmenge (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 291; RIS-Justiz RS0119552, RS0116736) bilden, ohnedies bloß als „das“ (ie eine) Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (vgl hiezu Fabrizy, Suchtmittelrecht § 28a Rz 2) qualifiziert hat.

Im bisher erörterten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - zu verwerfen.

Aus deren Anlass musste sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugen, dass das Gesetz zum Nachteil der Angeklagten mehrfach unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster und zweiter Fall StPO):

Das Erstgericht subsumierte die den Schuldsprüchen I./A./7./, B./19./, 28./, 29./, 35./, 36./ und 40./ betreffend Seifaldin N***** und I./A./7./, C./1./ und 4./ betreffend Houssein C***** zugrunde liegenden Taten (auch) als Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG.

Verantwortet ein Täter (infolge eines von vornherein bestehenden Willens [§ 5 Abs 1 StGB] auf kontinuierliche Begehung einer als Suchtgifthandel inkriminierten Tatmodalität und eines daran geknüpften Additionsvorsatzes; US 18) aber die selbständige Qualifikation des § 28a Abs 1 SMG, so liegt bei einem kontinuierlichen Überlassen ab Überschreiten der Grenzmenge zufolge Spezialität keine die Qualifikation des § 27 Abs 4 Z 1 SMG auslösende strafbare Handlung nach § 27 Abs 1 (oder Abs 2) SMG mehr vor (12 Os 52/11f; 11 Os 117/08b; 12 Os 99/09i zur Privilegierung des § 27 Abs 2 SMG).

Die Angeklagten haben daher durch die ihnen zu den Schuldsprüchen I./A./ und B./ (betreffend N*****) und I./A./ und C./ (betreffend C*****) zur Last liegenden Taten ausschließlich die Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (N*****) bzw § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (C*****) begangen. Die - wie bereits erwähnt - trotz mehrfacher (US 2, 18), auch vom Vorsatz der Angeklagten umfasster (neuerlich US 18) Überschreitung der Grenzmenge (§ 28b SMG; Fabrizy, Suchtmittelrecht § 28a Rz 2) erfolgte Annahme bloß eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG durch das Erstgericht gereicht den Angeklagten zum Vorteil und muss demzufolge dahin stehen. Die nichtigen (Z 10) Schuldsprüche nach § 27 Abs 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG waren jedoch ersatzlos zu beseitigen.

Weiters stellte das Schöffengericht zu II./ fest, dass die Angeklagten Suchtgift, nämlich N***** Cannabisprodukte und Kokain und C***** Haschisch konsumierten und die „dort“ (im Punkt II./) genannten Suchtgiftmengen (somit „zumindest“ die zu Punkt I./A./ und B./ bzw I./A./ und C./ angeführten Mengen Cannabis und Kokain) bis zur Weitergabe bzw Konsumation besaßen (US 17). Hinsichtlich der bereits vom Schuldspruchpunkt I./ erfassten Suchtgiftmengen ist auszuführen, dass § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG - wie hier - bei einem an den Erwerb und Besitz anschließenden, mit von vornherein bestehendem Additionsvorsatz vorgenommenem Überlassen derselben Substanz an andere nach Überschreiten der Grenzmenge und damit ab Tatbestandsmäßigkeit im Sinn des § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG subsidiär zum bereits verwirklichten Verbrechen des Suchtgifthandels ist (RIS-Justiz RS0126213; jüngst 13 Os 45/11h).

Lediglich der Erwerb und Besitz (zwecks Konsumation) einer darüber hinausgehenden Suchtgiftmenge könnte den Tatbestand des § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG erfüllen - bei ausschließlich zum eigenen persönlichen Gebrauch erfolgter Tatbegehung käme den Angeklagten die Privilegierung des § 27 Abs 2 SMG zugute (12 Os 39/10t; 11 Os 134/10f ua).

Die tatrichterlichen Entscheidungsgründe lassen indes selbst im Zusammenhalt mit dem Urteilstenor nicht erkennen, auf welche Suchtgiftquanten sich die Schuldsprüche II./ beziehen und waren diese somit als nichtig (Z 9 lit a) zu kassieren sowie Verfahrenserneuerung aufzutragen (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO). Daraus resultiert überdies die Aufhebung der beide Angeklagten betreffenden Sanktionsaussprüche.

Nichtig und daher zu kassieren ist letztlich der den Angeklagten N***** betreffende Ausspruch nach § 20 Abs 1 Z 1 StGB (Z 11 erster Fall), weil dem Ersturteil die dafür notwendigen Entscheidungsgrundlagen nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind (US 18: Weitergabe von 3.089 g Cannabisharz und 70 g Kokain, Gewinnspanne „von 1,- bis 3,-“ Euro pro Gramm Cannabis; US 14, 28: abgeschöpfter Betrag 6.700,- Euro; vgl neuerlich 13 Os 45/11h).

Zum im zweiten Rechtsgang anzustellenden Günstigkeitsvergleich der in Rede stehenden vermögensrechtlichen Anordnung sei auf die eingehenden Ausführungen dazu in 11 Os 83/11g verwiesen. Die rein zivilrechtliche Sicht des Begriffs „unrechtmäßige Bereicherung“ durch den Angeklagten greift angesichts des Wortlauts von § 20 Abs 1 Z 1 StGB idF vor dem sKP BGBl I 2010/108 zu kurz (vgl Fuchs/Tipold in WK² § 20 [aF] Rz 21, 24, 53; Fabrizy, StGB10 § 20 Rz 2).

Ein Eingehen auf das Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) betreffend die subjektive Tatseite zum Alter der Suchtgiftabnehmer bei den Schuldsprüchen I./A./7./, B./19./, 28./, 29./, 35./, 36./ und 40./ erübrigte sich ebenso wie auf jenes der Sanktionsrüge (Z 11).

Berufung und Beschwerde des Angeklagten N***** waren auf die Kassation der damit bekämpften Aussprüche zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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