OGH 13Os99/11z

OGH13Os99/11z13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Oktober 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Strafsache gegen Elke I***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Elke I***** und Thomas F***** sowie die Berufung der Privatbeteiligten V***** mbH gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22. November 2010, GZ 7 Hv 49/10b-34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen sowie demzufolge auch in den Strafaussprüchen, im Kostenausspruch und in der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche nach § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten und die Privatbeteiligte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthält, wurden Elke I***** und Thomas F***** jeweils des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben Elke I***** am 28. April 2006 in einem Fall und Thomas F***** vom 13. April 2006 bis zum 29. Juni 2007 in sieben Fällen in Fürstenfeld als Bedienstete der Zulassungsstelle der U***** AG, sohin als Beamte, mit dem Vorsatz, dadurch „den Staat an seinem konkreten Recht auf Zulassung von Kraftfahrzeugen zum öffentlichen Verkehr zu schädigen“, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich Kfz-Anmeldungen einschließlich der Ausfolgung von Kfz-Kennzeichentafeln, vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie „entgegen der Voraussetzungen des § 37 KFG“ die Zulassung von durch Walter S***** veruntreuten Pkws vornahmen, obwohl dieser die jeweiligen Typenscheine nicht vorlegte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten sind im Recht.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt im Ergebnis zutreffend auf, dass die tatrichterlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite die Subsumtion als Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt (§ 302 Abs 1 StGB) nicht tragen.

§ 302 Abs 1 StGB verlangt (ua), dass der Täter mit dem Vorsatz handelt, einen anderen an seinen Rechten zu schädigen. Steht dabei - wie hier - ein öffentliches Recht in Rede, ist es nach ständiger Judikatur und dem überwiegenden Teil der Lehre erforderlich, dass sich der Schädigungsvorsatz darauf bezieht, jenen Zweck zu beeinträchtigen, den der Staat mit der Erlassung der jeweiligen Vorschrift erreichen will (SSt 49/48, RIS-Justiz RS0096141, RS0096270, RS0096604; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 302 Rz 51; Leukauf/Steininger StGB³ § 302 RN 37; Zagler, SbgK § 302 Rz 116). Soweit ein Teil der Lehre diesbezüglich einwendet, diese Sicht führe dazu, dass in Bezug auf öffentliche Rechte jeder wissentliche Befugnismissbrauch mit Schädigungsvorsatz erfolge, weil hinter jeder Rechtsvorschrift ein Zweck stehe (Bertel in WK² § 302 Rz 93; Kienapfel/Schmoller, StudB BT III² § 302 Rz 59), wird übersehen, dass nicht auf das objektive Verhältnis zwischen der verletzten Ordnungsvorschrift und deren Zweck, sondern auf die subjektive Tatseite abzustellen ist. Die Differenzierung wird im gegenständlichen Fall deutlich:

Während die angefochtene Entscheidung zum wissentlichen Befugnismissbrauch hinreichende Konstatierungen enthält (US 16), fehlt für die Annahme, die Angeklagten hätten überdies mit dem Vorsatz gehandelt, einen der Zwecke der verletzten Ordnungsvorschrift (§ 37 KFG) zu beeinträchtigen, die Feststellungsbasis. Das Erstgericht lastet den Angeklagten an, Kfz-Zulassungen vorgenommen zu haben, obwohl die Typenscheine nicht vorgelegt worden sind (US 15, 16), legt aber nicht dar, welchen durch § 37 KFG geschützten Zweck sie dadurch (zumindest bedingt vorsätzlich) vereiteln wollten.

Soweit die Tatrichter diesbezüglich das Recht des Staates, Fahrzeuge ausschließlich auf den „rechtmäßigen Besitzer“ (§ 37 Abs 2 erstes Erfordernis KFG) zuzulassen, ansprechen, stellen die Konstatierungen zu den fehlenden Typenscheinen keine taugliche Basis dar, weil solche Dokumente nicht geeignet sind, die in Bezug auf das betreffende Fahrzeug bestehenden zivilrechtlichen Verhältnisse nachzuweisen (RIS-Justiz RS0011135). Dies folgt schon aus § 37 Abs 2 KFG, der den Typenschein neben dem Glaubhaftmachen des rechtmäßigen Besitzes (§ 37 Abs 2 erstes Erfordernis KFG) als Genehmigungsnachweis bei der erstmaligen Zulassung (§ 37 Abs 2 lit a KFG) anführt. Feststellungen dahin, dass der Vorsatz der Angeklagten darauf gerichtet gewesen wäre, den Staat in seinem Recht auf Zulassung nur solcher Fahrzeuge, die eine entsprechende Typengenehmigung aufweisen, zu schädigen, enthält die angefochtene Entscheidung aber nicht.

Da somit die tatrichterlichen Konstatierungen die Schuldsprüche nicht tragen, waren diese schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO).

Mit Blick darauf, dass Walter S***** nach den - der Aktenlage entsprechenden - Feststellungen des Erstgerichts die gegenständlichen Fahrzeuge für Kunden angemeldet hat, wird im zweiten Rechtsgang zunächst festzustellen sein, ob und gegebenenfalls wodurch dieser glaubhaft gemacht hat, dass er jeweils als Bevollmächtigter des rechtmäßigen Besitzers eingeschritten ist. Insoweit kommen beispielsweise Kaufverträge in Verbindung mit entsprechenden Vollmachten in Betracht.

Darüber hinaus wird festzustellen sein, ob Walter S***** (bei erstmaliger Zulassung) den Genehmigungsnachweis oder (bei neuerlicher Zulassung) das bei der letzten Zulassung hergestellte Fahrzeug-Genehmigungsdokument vorgelegt hat (§ 37 Abs 2 lit a KFG).

Sollten die Tatrichter zur Auffassung gelangen, dass § 37 Abs 2 erstes Erfordernis oder Abs 2 lit a KFG verletzt worden ist, werden Konstatierungen darüber zu treffen sein, ob eine Beeinträchtigung des jeweiligen Bestimmungszwecks vom (zumindest bedingten) Vorsatz der Angeklagten umfasst war.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten und die Privatbeteiligte auf die Kassation der Strafaussprüche sowie des nach § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO gefällten Adhäsionserkenntnisses zu verweisen. Auch eine Verweisung nach § 366 Abs 2 StPO wird nämlich bei erfolgreich bekämpftem Schuldspruch beseitigt, und zwar - wie im Fall des § 366 Abs 1 StPO (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 288 Rz 10) - auch ohne Anfechtung durch den Privatbeteiligten (SSt 12/44, RIS-Justiz RS0100493, RS0101303; verfehlt: RIS-Justiz RS0097028, RS0100510; zum Verschlechterungsverbot zuletzt: Birklbauer, WK-StPO § 16 Rz 23 ff, 46 ff).

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