OGH 3Ob175/11y

OGH3Ob175/11y12.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S***** und 2. M*****, beide *****, beide vertreten durch Estermann & Partner KEG in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Z***** KG, *****, vertreten durch Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 93.045,10 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. Juli 2011, GZ 2 R 59/11f-106, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 30. Jänner 2011, GZ 4 Cg 94/06i-102, teilweise als Teilurteil bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die beklagte Partei, Generalunternehmerin für die Errichtung eines Kleinkraftwerks, erteilte an Professionisten Subunternehmeraufträge, darunter - in Bezug auf Schlosserarbeiten - an die Kläger. Im Werkvertrag (Auftragsbestätigung vom 21. Juni 2005) verpflichteten sich die Kläger zur Lieferung diverser Anlagenteile in mehreren Etappen bis Dezember 2005. Der pauschale Fixpreis von 561.000 EUR sollte aufgrund von vier Teilrechnungen und einer Schlussrechnung gezahlt werden. Laut Auftragsbestätigung (Beilage A = 1) leisten die Kläger der beklagten Partei Garantie für ihr Gewerk bzw auf Teilleistungen auf die Dauer von 24 Monaten ab formeller Schlussabnahme laut gesetzlicher Gewährleistung. Die Kläger verpflichteten sich, eine Haftrücklassgarantie in Höhe von 48.000 EUR bis zum 23. Dezember 2007 für die Terminerfüllung und Leistungsgarantie vorzulegen. In der schriftlichen Auftragsbestätigung (der beklagten Partei) wurde unter anderem die Geltung der Allgemeinen Lieferbedingungen der Maschinen- und Stahlbauindustrie Österreichs festgehalten. Darin ist unter Punkt 9. („Zahlung“) Folgendes bestimmt:

„9.2 Der Käufer ist nicht berechtigt, Zahlungen wegen Gewährleistungsansprüchen oder sonstigen vom Verkäufer nicht anerkannten Gegenansprüchen zurückzuhalten.

9.3 Ist der Käufer mit einer vereinbarten Zahlung oder sonstigen Leistung in Verzug, so kann der Verkäufer entweder auf Erfüllung des Vertrages bestehen und

a) die Erfüllung seiner eigenen Verpflichtungen bis zur Begleichung der rückständigen Zahlungen oder sonstigen Leistungen aufschieben,

b) eine angemessene Verlängerung der Lieferfrist in Anspruch nehmen

c) den ganzen noch offenen Kaufpreis fällig stellen

d) sofern auf Seiten des Käufers kein Entlastungsgrund im Sinne des Art 14 vorliegt, ab Fälligkeit Verzugszinsen in der Höhe von 7,5 % über den jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank verrechnen oder unter Einräumung einer angemessenen Nachfrist den Rücktritt vom Vertrag erklären.“

Im Zuge des Baufortschritts kam es zu einer Verschiebung des vereinbarten Beginns der Turbinenmontage vom 12. September 2005 auf den 6. Dezember 2005 und des Inbetriebnahmetermins vom 23. September 2005 auf den 16. Dezember 2005.

Von den gelegten Teilrechnungen der Kläger wurde die erste Teilrechnung bezahlt. Da die zweite und dritte Teilrechnung über den Rechnungsbetrag von jeweils 150.000 EUR von der beklagten Partei nicht bezahlt wurden, unterblieb vorerst die Auslieferung der Turbine durch die Kläger. Die beklagte Partei rief mit 4. September 2006 die Haftrücklassgarantie ab.

Die Kläger begehrten nach Ausdehnung und Einschränkung zuletzt Zahlung von 93.045,10 EUR sA an ausständigem Werklohn. Sie hätten den Auftrag vollständig und ordnungsgemäß erfüllt. Die beklagte Partei habe das Werk vorbehaltlos ohne Geltendmachung von Mängeln übernommen. Nachdem die beklagte Partei Gegenforderungen eingewendet hatte, brachten die Kläger in der Tagsatzung vom 12. Juli 2010 (ON 96) ergänzend vor, dass mit Punkt 9.2 der Lieferbedingungen de facto ein Kompensationsausschluss vereinbart worden sei, weshalb die von der beklagten Partei erhobenen, im Übrigen unbegründeten Einwendungen auch aus diesem Grund ins Leere gingen. Die Beklagte replizierte, dass die Klausel „gröblich benachteiligend bzw sittenwidrig“ sei.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit 93.045,10 EUR als zu Recht bestehend, wies die Aufrechnungseinrede der beklagten Partei ab und sprach den Klägern - von der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens abgesehen - den geltend gemachten Betrag zur Gänze zu. Aufgrund des Punktes 9.2 der Lieferbedingungen sei eine Aufrechnung der Ansprüche der beklagten Partei mit den Werklohnansprüchen der Kläger mittels Kompensationseinwendung nicht zulässig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und bestätigte den Zuspruch an die Kläger im Umfang von 45.387,20 EUR (unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 2.041,90 EUR samt Zinsen sowie eines weiteren Zinsenbegehrens) mit Teilurteil, wies die auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützte Aufrechnungseinwendung der beklagten Partei ab und hob im Übrigen das erstinstanzliche Urteil zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch das Erstgericht auf. Weder Revision noch Rekurs wurden für zulässig erklärt.

In der Berufung der Kläger auf den Aufrechnungsausschluss sah es keine Sittenwidrigkeit (die entsprechenden Rechtsmittelausführungen verstießen gegen das Neuerungsverbot), ebenso wenig in der Vereinbarung des Kompensationsausschlusses selbst. Die Rechtsrüge der beklagten Partei sei allerdings in Bezug auf den von ihr in Anspruch genommenen Haftrücklass berechtigt, weil sich die beklagte Partei aufgrund der ausdrücklichen (Garantie-)Vereinbarung in der Auftragsbestätigung (Beilage A = 1) zur Minderung des Werklohns nur auf Gewährleistung, nicht auch auf Schadenersatz berufen könne. Demgegenüber stehe der Geltendmachung von Schadenersatzforderungen der beklagten Partei als Gegenforderung der Aufrechnungsausschluss entgegen, weil die Garantieerklärung eng und förmlich auszulegen sei. Zu den behaupteten Mängeln an der Steuerungssoftware und zu den Kosten des Transports des Generators und der Dammtafel sowie zum Anstrich der Wehrklappe sei das Verfahren ergänzungsbedürftig.

In ihrer außerordentlichen Revision gegen das Teilurteil macht die beklagte Partei zur Zulässigkeit geltend, dass das Berufungsgericht die Frage der Sittenwidrigkeit nicht bzw falsch beurteilt habe. Bei richtiger Interpretation hätte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass kein Verstoß gegen das Neuerungsverbot vorliege und die Berufung auf den Aufrechnungsausschluss sittenwidrig sei.

Ferner wird im Rechtsmittel gerügt, dass das Berufungsgericht die im Zusammenhang mit dem Schaden am Turbinenlager entstandenen Kosten zu Unrecht als Schadenersatz- und nicht als Gewährleistungsansprüche qualifiziert habe. Darüber hinaus habe das Berufungsgericht übersehen, dass es sich bei der von den Klägern anerkannten Gegenforderung von 8.178,70 EUR nur um einen Nettobetrag gehandelt habe, weshalb sie zu Recht noch die Umsatzsteuer in Höhe von 1.635,74 EUR geltend machen könne.

Da Gläubigerverzug nur eintreten könne, wenn der Schuldner seine Leistung auch anbiete, sei das Berufungsgericht unrichtig davon ausgegangen, dass die Verschiebung des Beginns der Turbinenmontage und die Verschiebung des Inbetriebnahmetermins nicht von den Klägern zu vertreten sei. Infolge Sittenwidrigkeit des Aufrechnungsausschlusses hätte das Berufungsgericht daher die Schadenersatzzahlungen für die Nichterzeugung von Strom und die den Mitarbeitern der beklagten Partei ausgezahlten Prämien als berechtigte Gegenforderungen werten müssen.

Den von den Klägern in der Berufungsbeantwortung gerügten Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der Editierbarkeit der Steuerungssoftware habe das Berufungsgericht zu Unrecht für zutreffend befunden und das Ersturteil daher insofern zu Unrecht aufgehoben. Vielmehr hätte das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Erstgericht in Bezug auf die mangelnde Editierbarkeit der Software getroffene Feststellung zugrunde legen müssen.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts sei auch aktenwidrig, weil es bei Erledigung der Feststellungsrüge unrichtig davon ausgegangen sei, dass die beklagte Partei die Kosten der angeschafften Software nur mit 41.124 EUR beziffert habe. Tatsächlich habe sie mit Schriftsatz vom 30. Juni 2008 die Kosten mit 51.285,29 EUR bekannt gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) aufgezeigt.

1. Zur Frage der Sittenwidrigkeit infolge verspäteter Berufung auf den Aufrechnungsausschluss:

Gegen die Berufung der Kläger auf Punkt 9.2 der Lieferbedingungen hat die beklagte Partei laut dem Protokoll der Tagsatzung vom 12. Juli 2010 (ON 96) - abgesehen von der Frage, ob diese AGB Vertragsinhalt geworden sind - nur eingewendet, dass die Klausel gröblich benachteiligend und sittenwidrig sei. Ob ein Rechtsmittelvorbringen als Neuerung zu qualifizieren ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft - abgesehen von einer (hier nicht zu erkennenden) krassen Fehlbeurteilung - keine erhebliche Rechtsfrage auf (RIS-Justiz RS0042828). Die Bewertung des Berufungsvorbringens, wonach die Geltendmachung des Aufrechnungsausschlusses deshalb sittenwidrig sei, weil dies erst in der letzten Tagsatzung unmittelbar vor Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt sei, als unzulässige Neuerung ist unter Bedachtnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen durchaus vertretbar.

2. Zur Frage der Sittenwidrigkeit des Aufrechnungsausschlusses:

Das Berufungsgericht hat sich zutreffend mit dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit der Klausel auseinandergesetzt: Nach ständiger Rechtsprechung verstößt die Vereinbarung eines Kompensationsausschlusses nicht gegen die guten Sitten, weil der beklagten Partei die abgesonderte Geltendmachung der Gegenansprüche im Klageweg oder Widerklageweg offen bleibt (RIS-Justiz RS0018102 [T10]).

3. Aufrechnungsausschluss, Schadenersatz- und Gewährleistungsansprüche:

Das Spannungsverhältnis zwischen dem Inhalt des Punktes 9.2 der Lieferbedingungen und der ausdrücklichen Gewährleistungszusage in der Auftragsbestätigung vom 21. Juni 2005 (Beilage A = 1) löst das Berufungsgericht durch Auslegung im Einzelfall in durchaus vertretbarer Weise, in dem es den Kompensationausschluss auf Schadenersatzforderungen beschränkte.

Ob eine Gegenforderung als Gewährleistungsanspruch oder Schadenersatzanspruch geltend gemacht wurde, richtet sich nach dem bezughabenden erstinstanzlichen Vorbringen der beklagten Partei (RIS-Justiz RS0037610). Die Auslegung dieses Vorbringens durch das Berufungsgericht dahin, dass die beklagte Partei betreffend die im Zusammenhang mit dem Turbinenlager entstandenen Kosten nur einen Schadenersatzanspruch geltend gemacht habe (siehe das jeweils in Richtung Schadenersatz gehende Vorbringen im Schriftsatz ON 7 auf der letzten Seite sowie im Schriftsatz ON 20, Seite 2), ist durchaus vertretbar.

4. Behebungsaufwand für mangelhafte Elektroinstallationen:

Diesbezüglich hat die beklagte Partei im Schriftsatz ON 10 (I/89) unter Hinweis auf die Beilage 41 einen Betrag von 6.809,90 EUR als Gegenforderung geltend gemacht. Dieser Betrag entspricht (unter Berücksichtigung von „Prozenten“) dem Bruttobetrag der zweiten als Beilage 41 bezeichneten Rechnung. Auch die zweite als Beilage 41 vorgelegte Rechnung ist in der Aufstellung der Gegenforderungen im Schriftsatz ON 10 (I/89) mit dem Bruttobetrag von 4.718,50 EUR enthalten. Die nämlichen Beträge sind in der weiteren Aufstellung der beklagten Partei im Schriftsatz ON 20 (I/135), wo die entsprechenden Forderungen als Gegenforderung aus dem Titel des Schadenersatzes eingewendet werden.

In der Streitverhandlung vom 12. Dezember 2008 (ON 66) hat die beklagte Partei die Gegenforderung von 6.809,90 EUR brutto auf den Betrag von 3.972,45 EUR netto = 4.766,94 EUR brutto reduziert. Die weitere Gegenforderung wurde von 4.718,50 EUR brutto auf 3.145,66 EUR netto = 3.774,55 EUR brutto reduziert (II/109). Die Summe der beiden Nettobeträge ergibt 7.118,11 EUR, die Summe der beiden Bruttobeträge 8.541,49 EUR.

Daraufhin haben die Kläger in ihrem Schriftsatz ON 69 die eingeschränkte Kompensandoforderung im Hinblick auf das Gutachten eines vom Gericht beigezogenen Sachverständigen „im Betrag von EUR 8.178,70 anerkannt“ und das Klagebegehren um eben diesen Betrag von 8.178,70 EUR eingeschränkt. Im Schriftsatz ON 83 hat die beklagte Partei darauf hingewiesen, dass sie ihre Kompensandoforderungen jeweils inklusive Umsatzsteuer geltend gemacht habe; der offene Restbetrag liege - unter Einbeziehung der Rechnung Beilage 57 über 1.272,70 EUR - bei 9.814,19 EUR, weshalb von den Klägern klarzustellen sei, welchen Betrag sie nicht anerkennen. Die Frage wurde in weiterer Folge im erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr erörtert. Dies war auch nicht notwendig, weil die beklagte Partei die entsprechende Gegenforderung als Schadenersatzforderung geltend gemacht hat, die dem Aufrechnungsausschluss unterliegt, wie auch das Berufungsgericht dargelegt hat (Seite 15 des Berufungsurteils = II/589).

5. Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

Soweit sich die beklagte Partei gegen die Bejahung des von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmangels richtet, wendet sie sich unzulässigerweise gegen den mangels gesetzten Rechtskraftvorbehalts unbekämpfbaren aufhebenden Teil der berufungsgerichtlichen Entscheidung (RIS-Justiz RS0043946).

6. Aktenwidrigkeit:

Richtig ist, dass die beklagte Partei die Kosten der ersatzweise angeschafften Steuerungssoftware mit 51.285,19 EUR beziffert hat (I/549). Auch diese Position betrifft aber nicht das Teilurteil des Berufungsgerichts, sondern die von der Aufhebung erfassten Ansprüche.

7. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist daher die Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.

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