OGH 15Os116/11i

OGH15Os116/11i21.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer in der Medienrechtssache der Antragstellerin F***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen § 7a Abs 1 MedienG, AZ 113 Hv 51/09m des Landesgerichts für Strafsachen Wien über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2010, AZ 18 Bs 358/09t, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Vertreters der Antragstellerin, Mag. Lattacher sowie des Vertreters der Antragsgegnerin, Mag. Zechbauer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin F***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH, AZ 113 Hv 51/09m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2010, AZ 18 Bs 358/09t (ON 18 des Hv-Akts), § 7a Abs 1 Z 1 und 2 Z 1 erster Fall MedienG.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin F***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wurde die Antragsgegnerin mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Juli 2009, GZ 113 Hv 51/09m-10, zur Zahlung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG in Höhe von 1.000 Euro (sowie gemäß § 8a Abs 1 MedienG iVm § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Verfahrenskosten) verurteilt, weil durch die in der periodischen Druckschrift „Heute“ vom 11. November 2008 auf Seite 10 erfolgte Veröffentlichung mit der Überschrift „Gebürtiger Tunesier konnte Trennung nicht überwinden - Ex-Gattin (50) vor den Augen der Kinder mit Beil attackiert - Täter vor Gericht“ und dem weiteren Text „Wegen versuchten Mordes stand am Montag Taoufik B. (47) vor dem Landesgericht. Er hatte am 24. März Ex-Gattin Faouzia B. (50) in ihrer Wohnung in der ***** mit einem Beil lebensgefährlich verletzt - vor den Kindern (11, 15, 18). Vor Gericht sagte er, er könne sich nicht erinnern. Der Prozess wurde vertagt.“ in einem Medium Angaben veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität der Antragstellerin zu führen, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden ist, wobei dadurch schutzwürdige Interessen der Antragstellerin verletzt wurden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an diesen Angaben bestanden hat.

Nach den Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der hier in Rede stehenden Veröffentlichung (US 4 f) wurde aus Sicht des konkret angesprochenen Leserkreises darüber berichtet, dass die (dadurch von vielen, jedenfalls mehr als zehn nicht unmittelbar informierten Personen identifizierbare) Antragstellerin einem von ihrem geschiedenen Ehegatten, einem gebürtigen Tunesier, wegen von ihm nicht überwundener Trennung verübten Mordversuch zum Opfer gefallen sei, er sie nämlich vor den Augen der gemeinsamen Kinder in ihrer Wohnung mit einem Beil angegriffen und sie lebensgefährlich verletzt habe. Am Tag vor der Berichterstattung habe deshalb „eine Gerichtsverhandlung wegen versuchten Mordes“ gegen den Ex-Gatten vor dem Landesgericht stattgefunden, die vertagt worden sei.

In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht den Tatbestand des § 7a Abs 1 Z 1 MedienG als verwirklicht an, weil die (identifizierende) Veröffentlichung geeignet sei, einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich der Antragstellerin herbeizuführen, und solcherart deren schutzwürdige Interessen verletzt wurden (§ 7a Abs 2 Z 1 erster Fall MedienG), ohne dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben iSd § 7a Abs 1 MedienG ersichtlich sei. Denn der Bericht über eine schwere Gewalttat eines (damaligen) Ehegatten gegen den anderen in der gemeinsamen Wohnung vor den gemeinsamen Kindern betreffe den höchstpersönlichen Lebensbereich der Antragstellerin, nämlich ihr Leben in und mit der Familie, wobei es für die Anspruchstatbestandsvariante nach § 7a Abs 2 Z 1 erster Fall MedienG mit Blick auf eine demnach hinreichende abstrakte Gefährdung und mangels geforderter Bloßstellung der Betroffenen genüge, dass sich die Veröffentlichung auf diesen beziehe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 18. Jänner 2010, AZ 18 Bs 358/09t (ON 18 des Hv-Akts), Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache dahin, dass der Antrag der Antragstellerin auf Zuerkennung einer Entschädigung abgewiesen wurde.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass durch die Veröffentlichung schutzwürdige Interessen der Antragstellerin gemäß § 7a Abs 2 Z 1 erster Fall MedienG (wiewohl demnach in Betreff des - vom Erstgericht angenommenen - höchstpersönlichen Lebensbereichs bereits jede abstrakte Gefährdung anspruchsbegründend sei) nicht verletzt worden wären. Denn für die vorliegende Fragestellung, ob ein Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich - vorliegend das Leben in der Familie - vorliege, sei wesentlich, ob die inkriminierte Berichterstattung das Leben in der Familie in einer ausufernden Art oder in einer Weise aufarbeite, die über die bloße Notwendigkeit der Verständlichmachung der Tat für den angesprochenen Leserkreis hinausgehe. Da sich die gegenständliche Kriminalberichterstattung auf die Schilderung der wesentlichen Tatkomponenten beschränke, könne „in Anbetracht der konkreten Situation des Opfers“ noch von keinem Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich gesprochen werden. Ein solcher setze nämlich ein gewisses Mindestmaß an Intensität der Veröffentlichung und deren Auswirkungen voraus, durch die sich das Opfer im besonderen Maß einer das Familienleben tatsächlich ausbreitenden Berichterstattung ausgesetzt sehe. Lasse bereits die gebotene Kürze des beanstandeten Artikels es fraglich erscheinen, ob solcherart schon ein höchstpersönlicher Lebensbereich iSd §§ 7, 7a Abs 2 Z 1 MedienG beschrieben werde, so könne von einem eine gewisse Intensität erfordernden Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich der Familie vorliegend jedenfalls noch keine Rede sein.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Der Entschädigungsanspruch nach § 7a Abs 1 Z 1 MedienG setzt voraus, dass durch eine identifizierende Berichterstattung über eine Person, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden ist, schutzwürdige Interessen derselben verletzt werden, ohne dass wegen näher bezeichneter spezifischer Sachzusammenhänge ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Gemäß § 7a Abs 2 Z 1 MedienG werden schutzwürdige Interessen des Opfers einer gerichtlich strafbaren Handlung jedenfalls verletzt, wenn die Veröffentlichung geeignet ist, einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich (erster Fall) oder eine Bloßstellung (zweiter Fall) des Opfers herbeizuführen.

Der höchstpersönliche Lebensbereich einer Person umfasst solche Angelegenheiten, deren Kenntnisnahme durch Außenstehende die persönliche Integrität in besonderem Maß berührt. Dazu gehört vor allem auch - neben der Gesundheitssphäre, dem Sexualleben oder Kontakten mit engsten Vertrauten - das Leben in der Familie. Die konkrete Gestaltung der Beziehung von Ehegatten zueinander ist ebenso wie deren - mitunter konfliktbeladene - Kommunikation im häuslichen Bereich dem engsten Kernbereich der Privatsphäre und demgemäß dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzuordnen (15 Os 5/09p = RIS-Justiz RS0122148 [T7]; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7 Rz 9; Rami in WK² § 7 MedienG Rz 4, jeweils mwN).

Daraus folgt, dass der hier in Rede stehende Bericht über einen durch die bevorstehende Trennung motivierten Mordanschlag des Ehegatten gegen die Antragstellerin in der Ehewohnung vor den Augen der gemeinsamen (minderjährigen) Kinder - der Rechtsansicht des Berufungsgerichts zuwider - ohne weiteres Angelegenheiten des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Antragstellerin betrifft.

Die Anspruchstatbestandsvariante des § 7a Abs 2 Z 1 erster Fall MedienG erfordert entgegen dem Rechtsstandpunkt des Oberlandesgerichts weder einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich noch gar eine „gewisse“ Intensität desselben. Denn die in Rede stehende Bestimmung stellt bloß auf die Eignung der Veröffentlichung ab, einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich herbeizuführen, sodass nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (vom Berufungsgericht zwar abstrakt angeführt, nicht aber fallbezogen berücksichtigt) bereits jede abstrakte Gefährdung anspruchsbegründend ist (RIS-Justiz RS0090000; Brandstetter/Schmid, MedienG² § 7a Rz 22; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7a Rz 18; Rami in WK² § 7a MedienG Rz 18). Schutzwürdige Interessen des Opfers einer gerichtlich strafbaren Handlung werden daher gemäß § 7a Abs 2 Z 1 erster Fall MedienG bereits dann verletzt, wenn in einer Veröffentlichung über Angelegenheiten des höchstpersönlichen Lebensbereichs berichtet wird, die Veröffentlichung sich solcherart auf den höchstpersönlichen Lebensbereich bezieht (vgl Rami in WK² § 7a Rz 18). Auch einer - über die durch die mediale Indiskretion bewirkte Aufdeckung (vgl RIS-Justiz RS0124514 [T5]) hinausgehenden - Bloßstellung des Opfers bedarf es nicht, weil sonst die Anspruchstatbestandsvariante des § 7a Abs 2 Z 1 zweiter Fall MedienG (Eignung, eine Bloßstellung des Opfers herbeizuführen) überflüssig wäre (vgl Berka in: Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7a Rz 18).

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht hat somit (entgegen der zutreffenden Rechtsansicht des Landesgerichts für Strafsachen Wien) das Vorliegen schutzwürdiger Interessen iSd § 7a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 Z 1 erster Fall MedienG - freilich zum Vorteil der Antragsgegnerin als Medieninhaberin (§ 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG; § 292 letzter Satz StPO) - zu Unrecht verneint.

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