OGH 4Nc15/11k

OGH4Nc15/11k1.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der beim Landesgericht Salzburg zu 2 Cg 91/11y anhängigen Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, wider die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ägidius Horvatits Rechtsanwalts KEG, Salzburg, Ginzkeyplatz 10/2, wegen 242.312,22 EUR sA, über den Delegierungsantrag der klagenden Partei gemäß § 31 Abs 2 JN folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache wird anstelle des Landesgerichts Salzburg das Landesgericht Wiener Neustadt bestimmt.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Äußerung zum Delegierungsantrag der klagenden Partei selbst zu tragen.

Text

Begründung

Beim Landesgericht Salzburg ist - nach Stattgebung einer Unzuständigkeitseinrede der Beklagten - zu 2 Cg 91/11y ein Verfahren anhängig, in dem die Klägerin mit Sitz in Salzburg unter Bezugnahme auf ihre Niederlassung im Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt die Beklagte mit Sitz in Oberösterreich mittels am 23. 5. 2011 zunächst beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebrachter Klage auf Schadenersatz in Anspruch nimmt.

Unstrittig ist, dass die Klägerin ein - später von ihr geleastes - Spezialfahrzeug von der Beklagten mit einem Kran ausstatten ließ, wobei für diesen Werkvertrag die AGB der Klägerin mit Gerichtsstand Salzburg vereinbart wurden. Zur Durchführung einer Mängelbehebung durch Verbesserung brachte die Klägerin das Fahrzeug nach der Montage des Krans zu einer Betriebsstätte der Beklagten im Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt, wo das Fahrzeug nach Übergabe an die Beklagte gestohlen wurde.

Nach dem Standpunkt der Klägerin hat die Beklagte das ihr zur Durchführung von Gewährleistungsarbeiten übergebene Fahrzeug auffallend sorglos behandelt und nicht ausreichend gegen Diebstahl verwahrt, wodurch es zum Schadensfall habe kommen können. Der Schaden berechne sich aus dem von der Leasinggeberin verrechneten Leasingentgelt zuzüglich gestohlenem Zubehör und Kosten der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs samt Zubehör und Bedienpersonal.

Die Beklagte bestreitet jedes Verschulden am Diebstahl des Fahrzeugs und hat PV sowie Vernehmung eines an ihrem Sitz zu ladenden Zeugen beantragt. Das Verfahren befindet sich im Stadium vor der mündlichen Streitverhandlung.

Mit Schriftsatz vom 30. 6. 2011 (ON 8) beantragte die Klägerin, der Oberste Gerichtshof möge die Rechtssache aus Zweckmäßigkeitsgründen gemäß § 31 JN zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt delegieren. Aufgrund der Bestreitung der Beklagten werde die Klägerin beantragen, vier Mitarbeiter der Klägerin unter der Adresse ihrer Niederlassung in Niederösterreich als Zeugen zu laden, die Wahrnehmungen zum Vertragsverhältnis und den örtlichen Gegebenheiten an der Betriebsstätte der Beklagten in Niederösterreich gemacht hätten, sowie einen Ortsaugenschein an der Betriebsstätte der Beklagten durchzuführen. Damit erweise sich eine Delegation aus Gründen als zweckmäßig, auf die die Klägerin bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung nicht Bedacht nehmen habe können.

Die Beklagte sprach sich gegen eine Delegierung aus. Es gehe nur um die Rechtsfrage, ob die Beklagte ein Verschulden am Diebstahl des Fahrzeugs treffe; darüber könne das Landesgericht Salzburg ebenso gut entscheiden wie das Landesgericht Wiener Neustadt. Die Geschäftsleitung der Beklagten müsse aus der Nähe von Salzburg zum Erstgericht zureisen. Die Durchführung eines Ortsaugenscheins sei entbehrlich, weil die Örtlichkeit auch durch Fotografien dokumentiert werden könne.

Das Erstgericht sprach sich für eine Delegierung aus; der Sachverhalt habe sich zur Gänze im Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt zugetragen, wo auch ein Ortsaugenschein durchzuführen sein werde; die Beklagte habe ihren allgemeinen Gerichtsstand nicht in Salzburg.

Rechtliche Beurteilung

Der Delegierungsantrag ist berechtigt.

1. Nach § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung ist zweckmäßig, wenn die Zuständigkeitsübertragung an das andere Gericht zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, zu einer Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit oder zu einer wesentlichen Verbilligung des Rechtsstreits beitragen kann. Dies ist ua dann der Fall, wenn das Beweisverfahren oder der maßgebliche Teil desselben vor dem erkennenden Gericht durchgeführt werden kann, weil die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bedeutsamer erscheint als die Einhaltung der örtlichen Zuständigkeitsordnung (RIS-Justiz RS0046333 [T3]). Zweckmäßigkeitsgründe in diesem Sinn bilden der Wohnort der Parteien und der zu vernehmenden Zeugen oder die Lage des Augenscheinsgegenstands (RIS-Justiz RS0046540; RS0053169 [T12]).

2.1. Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung ist eine Delegation aus Zweckmäßigkeitsgründen dann, wenn die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts durch Parteienvereinbarung begründet wurde, grundsätzlich ausgeschlossen, weil sie dem Zweck der Parteienvereinbarung widerspricht. Nur wenn nachträglich wesentliche, für die Zweckmäßigkeit der Delegierung sprechende Umstände eintreten, auf die die Parteien bei Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht Bedacht nehmen konnten, wird eine Delegation als zulässig angesehen (RIS-Justiz RS0046198 [T18, T20]).

2.2. Gegenstand des Rechtsstreits sind keine Hauptleistungsansprüche aufgrund jenes Werkvertrags zwischen den Parteien, anlässlich dessen Abschlusses die Gerichtsstandsvereinbarung erfolgt ist; nur solche Streitigkeiten haben Vertragsparteien jedoch im Regelfall vor Augen, wenn sie eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen. Dass das zur Gewährleistungsreparatur übergebene Fahrzeug beim Werkunternehmer gestohlen wird, ist ein Umstand im Sinne der zuvor angeführten Rechtsprechung, der bei Verfahren betreffend daraus abgeleiteten Schadenersatzansprüchen eine Delegation aus Zweckmäßigkeit trotz vorangegangener Gerichtsstandsvereinbarung möglich macht.

3. Die Rechtssache weist mit Ausnahme des Sitzes des Rechtsvertreters der Beklagten keinen Bezug zu Salzburg auf. Die von der Klägerin angekündigten Beweisanträge (Ortsaugenschein; Einvernahme mehrerer Zeugen aus dem Sprengel des Landesgerichts Wiener Neustadt) lassen eine Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit und eine wesentliche Verbilligung des Rechtsstreits bei Stattgebung des Delegierungsantrags erwarten. Unter diesen Umständen erweist sich der Delegierungsantrag trotz bestehender Gerichtsstandsvereinbarung als berechtigt.

4. Da die Beklagte im Zwischenstreit um die Delegierung (4 Nd 501/98) unterlegen ist, hat sie die von ihr verzeichneten Kosten ihrer (ablehnenden) Äußerung selbst zu tragen (8 Nc 6/04f).

Stichworte