OGH 10Ob65/11y

OGH10Ob65/11y30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Ralph S*****, geboren am ***** und der mj Nina S*****, geboren am *****, vertreten durch die Mutter D*****, diese vertreten durch Dr. Gabriele Vana-Kowarzik und Mag. Michaela Schmotzer, Rechtsanwältinnen in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. April 2011, GZ 45 R 42/11a-15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 25. November 2010, GZ 5 Pu 251/09x-8 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der mj Ralph und mj Nina ist geschieden. Im Scheidungsvergleich vom 12. 11. 2009 vereinbarten die Eltern, dass die Kinder in gemeinsamer Obsorge der Eltern bleiben und der überwiegende Aufenthalt künftig bei der Mutter sein werde. Über den Kindesunterhalt trafen die Eltern im Scheidungsvergleich folgende Vereinbarung:

Der Kindesvater T***** verpflichtet sich, zum Unterhalt der beiden mj Kinder Nina und Ralf einen monatlichen Unterhaltsbetrag von jeweils 1.250 EUR, beginnend mit 1. 11. 2009 zu bezahlen, wobei diesbezüglich ausdrücklich festgehalten wird, dass es sich bei diesem Unterhaltsbetrag um einen deutlich erhöhten und über den gesetzlichen Rahmen liegenden Unterhaltsbetrag handelt, demnach der Kindesvater auf freiwilliger Basis bis auf weiteres einen über den gesetzlichen Rahmen liegenden Unterhaltsbetrag für die beiden mj Kinder zu zahlen bereit ist. Dabei bleibt aber ausdrücklich das Recht des Kindesvaters auf jederzeitige Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs auf das gesetzliche Maß aufrecht. Zwischen den Parteien gilt daher ausdrücklich als vereinbart, dass der erhöhte Unterhaltsbetrag auf freiwilliger Basis erfolgt und der Kindesvater jederzeit berechtigt ist, eine Herabsetzung bzw Anpassung des monatlichen Unterhaltsbetrages auf das gesetzliche Ausmaß zu begehren und zu beantragen. Diese Unterhaltsvereinbarung hindert demnach nicht eine Herabsetzung des Unterhaltsbetrages auf das gesetzliche Ausmaß.“

Am 9. 7. 2010 beantragte der Vater, die Unterhaltsbeiträge für beide Kinder jeweils auf die Höhe des zweieinhalbfachen Regelbedarfs, somit monatlich auf 727,50 EUR für Ralph und auf 665 EUR für Nina herabzusetzen. Er nehme das im Scheidungsvergleich vorbehaltene Recht auf jederzeitige Herabsetzung der Unterhaltszahlungen auf das gesetzliche Ausmaß in Anspruch, sei aber freiwillig bereit, für jedes Kind nicht nur den zweifachen, sondern den zweieinhalbfachen Regelbedarf zu leisten.

Die Mutter wendete namens der Kinder ein, dass diese eine Privatschule bzw einen Privatkindergarten besuchten und hohe Kosten für weitere Ausbildungen und diverse Freizeitaktivitäten (Tanz-, Musik-, Mal,- Englischkurse etc) anfielen. Der mj Ralph stehe außerdem in Behandlung einer Kinderpsychologin. Auch mit Unterhaltsbeträgen im Ausmaß des zweieinhalbfachen Regelbedarfs wären die auflaufenden Kosten nicht mehr abzudecken.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsbeiträge ab 1. 8. 2010 antragsgemäß auf monatlich 727,50 EUR für Ralph und auf 665 EUR für Nina herab und trug dem Vater auf, die Unterhaltsbeiträge zu Handen der Mutter und gesetzlichen Vertreterin zu leisten. Der Wille der Parteien sei darauf gerichtet gewesen, eine Unterhaltsbemessung losgelöst von den üblichen Vergleichsgrundsätzen zu ermöglichen.

In ihrem Rekurs machten die (durch die Mutter vertretenen) Kinder geltend, zufolge des Verzichts der Mutter auf einen Großteil der ehelichen Ersparnisse habe der Vater mündlich zugesichert, auf einen Herabsetzungsantrag zu verzichten. Der Scheidungsvergleich sei deshalb so auszulegen, dass ein Herabsetzungsantrag nur bei geänderten Verhältnissen gestellt werden dürfe. Eine andere Auslegung widerspräche Treu und Glauben. Infolge des unverändert hohen Einkommens des Vaters seien geänderte Verhältnisse nicht vorgelegen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kinder nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Auslegung der im Scheidungsvergleich enthaltenen Vereinbarung sowie zur Frage, ob diese Vereinbarung sittenwidrig sei, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, infolge der dreimaligen Erwähnung der Freiwilligkeit und der jederzeitigen Berechtigung zur Stellung eines Herabsetzungsantrags sei die Vereinbarung nur so auszulegen, dass dem Vater das Recht zukomme, die Neufestlegung der Unterhaltsbeiträge auch ohne Änderung der Verhältnisse und losgelöst von den Vergleichsgrundsätzen zu begehren. Eine andere Auslegung entspräche nicht der erkennbaren Absicht der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs. Es sei aber die Rechtsfrage zu beurteilen, ob die Vereinbarung wirksam getroffen werden konnte, weil übergebührliche Lockerungen der Vertragstreue im allgemeinen unter dem Verdikt der Sittenwidrigkeit iSd § 879 ABGB stünden. Im vorliegenden Fall sei jedoch trotz jederzeitiger Abdingbarkeit keine Sittenwidrigkeit gegeben, weil den Kindern der Anspruch auf Unterhalt im gesetzlichen Ausmaß gewahrt bleibe. Das Rekursvorbringen, die Mutter habe aufgrund der Zusicherung eines höheren Kindesunterhalts auf Ansprüche bei der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens verzichtet, verstoße gegen das Neuerungsverbot.

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisisonsrekurs enthält den Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Herabsetzungsantrag des Vaters abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Vater die Zurückweisung des Revisionsrekurses unter Hinweis darauf, dass der Revisionsrekurs von der Mutter im eigenen Namen eingebracht worden sei und nur die Kinder und nicht die Mutter zur Erhebung eines Rechtsmittels im Unterhaltsverfahren legitimiert wären. In eventu wird beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben und die Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz zu bestätigen.

Inhaltlich wird im Revisionsrekurs im Wesentlichen vorgebracht, dass die Vorinstanzen jene Auswirkungen nicht ausreichend berücksichtigt hätten, die mit einem grundlosen und ohne jede Vorankündigung möglichen Abweichen von der Unterhaltsvereinbarung für die Mutter und die Kinder verbunden seien. Wenngleich die Mutter nicht damit habe rechnen können, dauernd einen höheren Unterhaltsbeitrag für die Minderjährigen zur Verfügung zu haben, sei sie infolge der plötzlichen Verringerung des Unterhaltsbeitrags um insgesamt 1.108 EUR nunmehr selbst mit Kosten für die aufwändige Ausbildung und Förderung der beiden Kinder belastet und sei nicht mehr in der Lage, den Kindern eine Ausbildung im bisherigen Umfang zu ermöglichen. Der Schul- und Kindergartenbesuch bedürfe ebenso wie der Besuch der diversen Kurse langfristiger Anmeldung und Planung. Es habe für sie keine zeitliche Möglichkeit bestanden, die Ausbildung und Freizeitgestaltung der Kinder neu zu organisieren. Daraus ergebe sich die Sittenwidrigkeit des jederzeitigen und grundlosen Abgehens von der Unterhaltsvereinbarung.

1. Vorerst ist dazu festzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Die Mutter, die die Kinder überwiegend betreut, ist im bisherigen Verfahren über den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters (erkennbar) im Namen der Kinder als deren Vertreterin aufgetreten. Auf dem Deckblatt des Revisionsrekurses bezeichnet sie sich jedoch erstmals selbst als „Antragsgegnerin“ und den Vater als „Antragsteller“. Dass es sich dabei um einen bloßen Irrtum handelt, lässt sich aus der oben wiedergegebenen Begründung des Revisionsrekurses nicht mit Sicherheit entnehmen, enthält der Revisionsrekurs doch (auch) Vorbringen, mit dem die Mutter ein (vermeintlich) eigenes subjektives Recht geltend machen will. Der Unterhaltsanspruch steht aber immer dem Kind zu; nur dieses ist zur Antragstellung berechtigt. Die Mutter, die das Kind überwiegend betreut, kann den Unterhaltsanspruch daher nicht im eigenen Namen geltend machen (RIS-Justiz RS0079248). Sie hat im Verfahren über den Kindesunterhalt im eigenen Namen keine Parteistellung und keinen Anspruch auf eine Entscheidung des Gerichts. Daraus folgt weiters, dass sie nicht rechtsmittellegitimiert ist (10 Ob 60/07g). Soweit der Revisionsrekurs von der Mutter im eigenen Namen erhoben wurde, ist er deshalb schon mangels Rechtsmittellegitimation zurückzuweisen.

2. Soweit sich aus dem Inhalt des Revisionsrekurses ergibt, dass die Mutter dieses Rechtsmittel zugleich auch namens der Kinder geltend macht, ist dazu Stellung zu nehmen wie folgt:

Gemäß § 71 Abs 1 AußStrG ist der Oberste Gerichtshof an einen Zulassungsausspruch nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht gebunden; gemäß § 71 Abs 3 AußStrG kann sich die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

2.1. Die sogenannte „Umstandsklausel“ gilt nicht nur für gerichtliche Entscheidungen, sondern auch für Unterhaltsvergleiche (6 Ob 120/03w; 1 Ob 550/94 mwN). Diese ist nicht anzuwenden, wenn die Parteien in ausdrücklicher und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf eine Änderung der Unterhaltsvereinbarung auch für den Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse verzichtet haben (10 Ob 77/97i). Das von den Vorinstanzen erzielte Auslegungsergebnis, ein derartiger Verzicht liege nicht vor, weil dem Vater nach dem erkennbaren Parteiwillen der Herabsetzungsantrag auch ohne Änderung der maßgeblichen Umstände jederzeit offen stehen sollte, wird im Revisionsrekurs nicht mehr in Frage gestellt. Der Oberste Gerichtshof hat daher auf die Auslegung der Unterhaltsvereinbarung nicht mehr einzugehen.

2.2. Erstmals im Revisionsrekurs bringen die Kinder in Entgegnung zu den überschießenden Überlegungen des Rekursgerichts vor, der Unterhaltsherabsetzungsantrag sei gestellt worden, ohne dass eine „Vorbereitungszeit“ zur Neuorganisation ihrer Ausbildung und Freizeitgestaltung zur Verfügung gestanden sei, aus welchem Grund die Vereinbarung sittenwidrig sei. In erster Instanz wurden aber keine Tatsachen geltend gemacht, aus denen sich rechtlich auf die Geltendmachung der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung schließen ließe. Insbesondere haben die Kinder sich nicht darauf berufen, keine ausreichend lange Zeitspanne zur Verfügung zu haben, sich auf die neue Lage einzustellen. Leiten sie im Revisionsrekurs aber aus diesem Umstand eine gröbliche Benachteiligung ab, verstößt dies gegen das Neuerungsverbot (SZ 72/78). Die im Revisionsrekurs dazu vorgebrachten Tatsachen sind nicht von der in § 66 Abs 2 AußStrG genannten Eigenschaft.

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