OGH 15Os91/11p

OGH15Os91/11p17.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann L***** und Silvana H***** wegen Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23. Februar 2011, GZ 16 Hv 75/09s-115, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Johann L***** und Silvana H***** der Verbrechen des (richtig:) schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (I.1.; Silvana H***** als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB), der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I.2.) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (ergänze: Johann L***** nach Z 2, Silvana H***** nach Z 1; I.3.) und Johann L***** weiters der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 (II.) schuldig erkannt.

Danach haben

I. „Johann L***** und Silvana H*****, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken, teils Johann L***** alleine, zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im jeweils angeführten Zeitraum zwischen 1994 und 10. März 2001 in W***** und G***** mit der am 11. März 1983 geborenen Cornelia F***** in wiederholten Angriffen

1. von 1994 bis 10. März 1997 den außerehelichen Beischlaf unternommen bzw zu unternehmen versucht, wobei Silvana H***** zur Tatausführung von Johann L***** beitrug, indem sie Cornelia F***** durch Androhung von Konsequenzen dazu brachte, den durch Johann L***** zu vollziehenden Beischlaf zu dulden und so die Tatausführungen erst ermöglichte,

2. von 1994 bis 10. März 1997 auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, um sich geschlechtlich zu erregen, indem Johann L***** sie mit seinem Finger vaginal penetrierte und sowohl Johann L***** als auch Silvana H***** den Oralverkehr bei der Genannten durchführten bzw von ihr an sich selbst durchführen ließen, und

3. im Zeitraum 1994 bis 10. März 2001 durch die unter Punkt I.1. und I.2. angeführten Tathandlungen die bis dahin minderjährige, deren Aufsicht unterstehende Cornelia F***** unter Ausnützung ihrer Stellung zur Unzucht missbraucht, um sich geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen.

II. Johann L***** zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Jahr 1997, 1999 und 2000 bis 2003 in mehrfachen Angriffen in W***** und G***** Cornelia F***** mit Gewalt, indem er sie an den Handgelenken oder Schultern packte und ins Bett drückte, zur Duldung des Beischlafs genötigt.“

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die - gesondert ausgeführten, im Wesentlichen jedoch gleichlautenden - auf die Gründe der Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten. Den beiden Rechtsmitteln kommt keine Berechtigung zu.

Eine Verletzung von Verteidigungsrechten (Z 4) erblicken die Beschwerdeführer in der Abweisung des - zuletzt - in der Hauptverhandlung vom 23. Februar 2011 gestellten Beweisantrags auf Einholung eines Gutachtens aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie zum Beweis dafür, dass die Zeugin Cornelia F***** bei den im gegenständlichen Verfahren von ihr dargestellten Tathandlungen fabuliert habe (ON 114 S 3 f).

Dabei übersieht jedoch der Angeklagte L*****, dass weder er selbst noch sein Verteidiger einen entsprechenden Beweisantrag gestellt oder sich dem oben angeführten Antrag der Angeklagten H***** angeschlossen hat, sodass es ihm schon an einer formellen Voraussetzung zur Geltendmachung des angeführten Nichtigkeitsgrundes fehlt.

Durch die Abweisung des Beweisbegehrens wurden aber auch Verteidigungsrechte der Angeklagten H***** nicht beeinträchtigt.

Ein aussagepsychologisches Gutachten ist nur dann geboten, wenn durch Beweisergebnisse belegte Anhaltspunkte für eine nicht realitätsorientierte Aussage, insbesondere etwa für eine Beeinflussung des Aussageverhaltens von Unmündigen oder psychisch kranken Personen vorliegen. Die Beschwerdeführerin unterließ jedoch eine gebotene Konkretisierung ihres Beweisbegehrens, aus welchem Grund sich aus dem beigeschafften Akt AZ 6 Vr 3692/92 des Landesgerichts für Strafsachen Graz ergeben sollte, dass die Zeugin die in diesem Verfahren dargestellten Erlebnisse in ihren Aussagen im gegenständlichen Verfahren projeziert habe und diese somit nicht den Tatsachen entsprechen sollen (vgl RIS-Justiz RS0120634 [T3]; RS0097733 [T5]).

Auf die in der Beschwerde darüber hinaus vorgebrachten, im Beweisantrag nicht enthaltenen Argumente ist nicht weiter einzugehen, bildet doch allein das in der Hauptverhandlung gestellte Begehren den Gegenstand der Entscheidung des Schöffengerichts, dessen Berechtigung der Oberste Gerichtshof daher stets auf den Antragszeitpunkt bezogen überprüft (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325; RIS-Justiz RS0099618).

Da ein Zeuge nicht verpflichtet ist, sich im Zuge einer Begutachtung durch einen Sachverständigen einer körperlichen Untersuchung zu unterziehen oder sonst an der Befundaufnahme mitzuwirken, wäre die Antragstellerin im Übrigen verpflichtet gewesen darzulegen, warum anzunehmen ist, dass sich Cornelia F***** dazu bereit finden würde (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

Die Mängelrügen (Z 5) vermögen einen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes nicht aufzuzeigen.

Das Erstgericht hat zu den einzelnen Taten des Schuldspruchs I. die Deliktszeiträume jeweils konkret bezeichnet. Weshalb die im Einleitungssatz erfolgte Anführung eines Zeitraums (zwischen 1994 und 10. März 2001), in welchem die einzelnen Schuldspruchfakten liegen, dazu im Widerspruch stehen sollte, vermag die Beschwerde nicht nachvollziehbar darzutun (Z 5 dritter Fall).

Im Übrigen ergibt sich aus den - allein maßgeblichen - Urteilsgründen, dass die zu I.1. und 2. geschilderten Tathandlungen bis Anfang des Jahres 2003 fortgesetzt wurden (US 7), sodass auch bezüglich des Deliktszeitraums zu I.3. (1994 bis 10. März 2001) des Schuldspruchs (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses) ein Widerspruch nicht vorliegt.

Ob das Tatopfer zumindest bis 6. September 1996 noch Jungfrau war, betrifft keine entscheidende Tatsache, weil der Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB bereits mit dem „Unternehmen“ des Beischlafs vollendet ist. Es genügt daher bereits ein - äußerlicher - Kontakt der Geschlechtsteile von Täter und Opfer. Eine vollständige Penetration ist demnach nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0095114, RS0116410; Philipp in WK2 § 206 Rz 10). Für den Schuldspruch I.1. (Tatzeitraum bis 10. März 1997) ist es demnach unerheblich, ob der erste tatsächlich vollzogene Beischlaf allenfalls erst nach dem 6. September 1996 erfolgte, weil sich dadurch insgesamt am Schuldspruch nichts ändern würde.

Eine gesonderte Erörterung der im Akt erliegenden Kopie einer Karteikarte der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. Gudrun Lo***** (ON 43/S 5 bis 9), die den Eintrag „6.9.1996, Vigro int“ enthält, war demnach nicht erforderlich.

Im Übrigen ist den Urteilsgründen zweifelsfrei zu entnehmen (Z 5 erster Fall), dass die zu I.1. und 2. angeführten Tathandlungen vor dem 10. März 1997, also vor Vollendung des 14. Lebensjahres des Tatopfers, erfolgten (US 4 f).

Auch mit ihren Tatsachenrügen (Z 5a) versuchen die beiden Angeklagten unter Hinweis auf die oben angeführte Karteikarte der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und den daraus ersichtlichen Umstand, dass das Tatopfer bis 6. September 1996 Jungfrau war, die die Schuldsprüche I.1. und 2. betreffenden Urteilsannahmen in Frage zu stellen. Es gelingt ihnen damit jedoch nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der konstatierten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Soweit die beiden Angeklagten ein Aufklärungsdefizit behaupten, weil die genannte Ärztin nicht vernommen wurde, legen sie nicht dar, aus welchem Grund sie (im zweiten Rechtsgang) an einer darauf abzielenden Antragstellung gehindert gewesen wären (RIS-Justiz RS0115823).

Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt ihr Ziel.

Der eine Undeutlichkeit im Sinn eines Mangels an Feststellungen monierenden Rüge (der Sache nach auch Z 5 erster Fall) ist zu erwidern, dass eine solche nur dann gegeben ist, wenn nicht sowohl für den Beschwerdeführer als auch das Rechtsmittelgericht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde. Entscheidend sind aber nur jene Tatumstände, welche den Ausschlag dafür geben, ob und welche strafbaren Handlungen durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren die Angeklagten schuldig befunden worden sind, begründet werden (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO). Die exakten Tatzeiten der einzelnen Angriffe - von den Beschwerdeführern als dem Urteil nicht entnehmbar gerügt - fallen nicht darunter.

Davon zu unterscheiden sind einer hinreichenden Individualisierung der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Taten entgegenstehende Undeutlichkeiten, die aus Z 3 anfechtbar sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 13).

Kann die Individualisierung - wie hier - bloß in Form einer Zusammenfassung gleichartiger, pauschal individualisierter Taten (sogenannte gleichartige Verbrechensmenge; zum Begriff: Ratz, WK-StPO §281 Rz 291) erfolgen, ist dies aber weder unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 3 (vgl Lendl, WK-StPO § 260 Rz 24) noch unter jenem der Z 9 lit a zu beanstanden. Inwiefern insbesondere der genaue Zeitpunkt der Begehung einzelner Taten im angegebenen Zeitraum von entscheidender Bedeutung (siehe dazu RIS-Justiz RS0098557) sein sollte, geht aus dem Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht hervor, zumal - wie oben bereits ausgeführt - dem Urteil zweifelsfrei zu entnehmen ist, dass die den Angeklagten unter I. angelasteten Tathandlungen vor Vollendung des 14. Lebensjahres (I.1. und 2.) bzw vor Erreichen der Volljährigkeit (I.3.) des Tatopfers begangen wurden.

Die Tathandlungen des Erstangeklagten sowie die Beitragshandlungen der Zweitangeklagten zum Schuldspruch I.1. sind - entgegen dem Beschwerdevorbringen - ausreichend detailliert auf US 4 f beschrieben; die von den Angeklagten vermissten Feststellungen zur subjektiven Tatseite finden sich auf US 5 bis 8. Eine Absicht, sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, verlangen die vorliegenden Tatvarianten nicht, sodass auch entsprechende Feststellungen nicht erforderlich sind.

Soweit die Beschwerdeführer unter Hinweis auf das Ergebnis der frauenärztlichen Untersuchung vom 6. September 1996 die Feststellung fordern, dass ein Geschlechtsverkehr des Erstangeklagten mit dem Tatopfer bis zu diesem Zeitpunkt auszuschließen wäre, legen sie nicht dar, weshalb diese Konstatierungen für die Subsumtionsfrage von entscheidender Bedeutung sein sollten.

Der in der Subsumtionsrüge (Z 10) erhobene Einwand, im Hinblick auf das Fehlen einer zeitlichen Zuordnung der einzelnen Tathandlungen zum jeweiligen Alter des Tatopfers könne den Angeklagten (gemeint offenbar zum Schuldspruch I.1.) lediglich das Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB angelastet werden, orientiert sich nicht am festgestellten Urteilssachverhalt (US 4 f) und verfehlt somit die gesetzlichen Anfechtungskriterien.

Mit ihren Sanktionsrügen (Z 11) fordern die Angeklagten den Entfall einzelner Erschwerungsgründe und die Annahme weiterer Milderungsgründe, machen damit aber lediglich Berufungsgründe geltend (RIS-Justiz RS0099911).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Auf die vom Verfahrenshilfeverteidiger ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde (ON 120) war keine Rücksicht zu nehmen, weil dessen Vertretungsbefugnis mit dem Einschreiten des bevollmächtigten Verteidigers (ON 119) erloschen ist (§ 62 Abs 4 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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