OGH 8ObS9/11y

OGH8ObS9/11y29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R***** N*****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, *****, wegen Insolvenz-Entgelt (3.657,90 EUR netto sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 2011, GZ 9 Rs 21/11s-13, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Den in der Berufung geltend gemachten Verfahrensmangel, den der Kläger in der Unterlassung der Einvernahme von ihm angebotener Zeugen zur Frage der Organisation der Großbaustelle erblickte, hat das Berufungsgericht verneint. Behauptete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht nicht als solche beurteilt wurden, können in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0106371; RS0042963).

2. Ausgehend von den Feststellungen war die nicht identifizierbare Person, die sich im September 2008 gegenüber dem Kläger als neuer „Chef“ vorgestellt hat, nicht der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin, sondern nach dem Eindruck des Erstgerichts ein „Vermittler im Baugewerbe“, der für dubiose Bauunternehmen Arbeitnehmer vermittelte. Eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung dieser Person durch den Geschäftsführer oder ein sonstiges vertretungsbefugtes Organ der nicht operativen Gemeinschuldnerin, die von den Vorinstanzen als Schein- bzw Sozialbetrugsfirma qualifiziert wurde, konnte nicht festgestellt werden. Die Beurteilung, dass auch die Voraussetzungen für eine Anscheinsvollmacht schon mangels eines der Gemeinschuldnerin zurechenbaren Rechtsscheins nicht gegeben seien, erweist sich als nicht korrekturbedürftig. Anscheinsvollmacht darf nach der Rechtsprechung nur dann angenommen werden, wenn aus dem Verhalten des Vertretenen der Schluss abgeleitet werden kann, er habe dem Handelnden Vollmacht erteilt. Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen bzw eines vertretungsbefugten Organs auszugehen. Der auf diese Weise gesetzte, dem Vertretenen zurechenbare äußere Tatbestand muss das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht rechtfertigen. Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls einer strengen Überprüfung zu unterziehen (RIS-Justiz RS0020331; RS0020145; RS0019609). Selbst die erlaubte Verwendung von Geschäftspapieren oder eines Firmenstempels stellt für sich allein nach der Rechtsprechung keinen eindeutigen Hinweis auf das Vorhandensein von Vertretungsmacht dar (9 Ob 61/03s). Das Gleiche gilt etwa für die Verwendung von Visitenkarten oder von technischen Einrichtungen, wie etwa eines Faxgeräts.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, bei der Aushändigung einer Abschrift der Anmeldung zur Sozialversicherung handle es sich ebenso wie etwa bei der Übergabe einer Lohnabrechnung oder einer Visitenkarte um keine tauglichen Zurechnungselemente, die die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass vom Vertretenen (hier Gemeinschuldnerin) ein Rechtsschein für die Vertretungsbefugnis ausgehe, steht mit den dargelegten Grundsätzen im Einklang. Das Argument, der Kläger habe aufgrund der Überwachung der Großbaustelle durch die Generalunternehmerin darauf vertrauen dürfen, dass nur Firmen mit ordnungsgemäßer Unternehmensstruktur tätig würden, ist ebenfalls nicht geeignet, einen der Gemeinschuldnerin zurechenbaren äußeren Tatbestand für eine auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags gerichtete organschaftliche oder rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht des handelnden Dritten zu begründen.

3. Da in Ansehung der „nicht identifizierbaren Person“ weder vom Vorliegen einer organschaftlichen Vertretungsbefugnis noch einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung und auch nicht von einer Anscheinsvollmacht seitens der Gemeinschuldnerin ausgegangen werden kann, ist die Beurteilung, dass der Kläger nicht Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin gewesen sei, nicht korrekturbedürftig.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte