OGH 8ObA34/11z

OGH8ObA34/11z25.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Franz Kisling als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T***** S*****, vertreten durch Plankel Mayrhofer & Partner, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Kraft & Winternitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Stufenklage gemäß Art XLII EGZPO (Streitwert 21.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2011, GZ 7 Ra 115/10y-13, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 17. Juni 2010, GZ 19 Cga 20/10i-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war vom 14. 3. 1999 bis 31. 12. 2008 auf Basis eines Agentenvertrags für die Beklagte selbständig tätig und vermittelte Wertpapier- und Finanzdienstleistungen. Im zugrunde liegenden Zeitraum (2008) fungierte er als Wirtschaftsberater. Die „Vergütungsordnung“ war integrierender Bestandteil des Agentenvertrags. Danach haben die Agenten, denen der Status als Wirtschaftsberater zukommt, Anspruch auf eine näher konkretisierte Mandanten-Bonifikation. Die Vergütungsordnung (Pkt VII) sowie die Details zur Mandanten-Bonifikations-Berechnung (Pkt 5) enthalten dazu folgende wesentlichen Bestimmungen:

„VII.2 Die Mandanten-Bonifikation gebührt denjenigen Agenten, die laut Vergütungsstufen- und Karriereplan bis zum letzten Tag des [...]-Produktionsjahres zum Wirtschaftsberater befördert wurden und zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Auszahlung (im darauf folgenden Jahr) in einem ungekündigten Vertragsverhältnis [zur Beklagten] stehen.

5.1 Die für das betreffende Geschäftsjahr [Kalenderjahr] zu errechnende Mandanten-Bonifikation wird bis längstens 31. August des Folgejahres zur Auszahlung fällig.“

Der Kläger kündigte mit Schreiben vom 26. 9. 2008 das Vertragsverhältnis zum 31. 12. 2008 auf. Die Mandanten-Bonifikation für das Jahr 2008 erhielt er nicht ausbezahlt.

Mit der vorliegenden Stufenklage begehrte der Kläger Rechnungslegung über die ihm zustehende Mandanten-Bonifikation für das Jahr 2008 sowie die Zahlung des sich daraus ergebenden Guthabensbetrags. Im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beklagte habe er umsatzabhängige Vermittlungsprovisionen erzielt. Da er als Wirtschaftsberater fungiert habe, gebühre ihm nach Pkt VII der Vergütungsordnung die sogenannte Mandanten-Bonifikation. Die vereinbarte Auszahlungsvoraussetzung, dass sich das Vertragsverhältnis zu den jeweiligen Auszahlungszeitpunkten in einem ungekündigten Zustand befinden müsse, sei sittenwidrig.

Die Beklagte entgegnete, dass es sich bei der Mandanten-Bonifikation um eine freiwillige Sonderzahlung handle. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch für das Jahr 2008 sei nach den Bestimmungen der Vergütungsordnung überdies nicht entstanden, weil das Vertragsverhältnis zum Stichtag 31. 8. 2009 nicht mehr aufrecht gewesen sei. Die klare Regelung betreffend die Bedingungen der Bonifikation sei weder grob benachteiligend noch sonst sittenwidrig. Die Bonifikation solle es der Beklagten ermöglichen, ihre Agenten möglichst lange an das Unternehmen zu binden. Mit einer herkömmlichen Provision habe diese Leistung nichts zu tun.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da auf das Rechtsverhältnis des Klägers die Bestimmungen des Angestelltengesetzes nicht zur Anwendung gelangten, könne er sich auf die zu §§ 10 f AngG ergangene Judikatur nicht berufen. Die vertragliche Bestimmung über das Auszahlungserfordernis des ungekündigten Vertragsverhältnisses sei mangels grober Äquivalenzstörung auch nicht nach § 879 ABGB sittenwidrig. Die beabsichtigte Bindung des Agenten an die Beklagte und die damit verbundene Erschwerung der Kündigungsmöglichkeit sei legitim.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Abgesehen davon, dass es grundsätzlich den legitimen wirtschaftlichen Interessen jedes Unternehmers entspreche, Gewinn aus Leistungen der Mitarbeiter zu ziehen, dürfe der von der Beklagten erhobene Einwand, dass mit der Bonifikation auch die Betriebstreue belohnt werden solle, nicht außer Acht gelassen werden. Anhaltspunkte für eine Schädigungsabsicht der Beklagten oder ein krasses Missverhältnis iSd § 879 ABGB seien nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen sei zudem, dass das arbeitsrechtliche Schutzprinzip nicht zum Tragen komme und auch keine Kündigung durch die Beklagte vorliege. Im Übrigen mache auch im Arbeitsrecht nicht jede Ungleichheit der beiderseitigen Leistungen einen Vertrag sittenwidrig. Vielmehr sei im kollektivvertragsfreien Raum die Vereinbarung eines unangemessenen Entgelts grundsätzlich gültig. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Zulässigkeit der in Rede stehenden Vertragsklausel höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle und die Bedeutung der Rechtsfrage aufgrund der Vielzahl der bei Gericht anhängigen Verfahren über den Einzelfall hinausreiche.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, mit der er eine Stattgebung des Rechnungslegungsbegehrens anstrebt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung der Vorinstanzen mit der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Einklang steht. Dementsprechend ist sie im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Zur Rechtswirksamkeit einer vergleichbaren Stichtagsregelung hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in der ebenfalls einen Agentenvertrag mit der Beklagten betreffenden Entscheidung 9 ObA 107/10s ausgesprochen, dass eine Regelung, die den Anspruch des Agenten auf Auszahlung eines Bonus für das vorangegangene Jahr an ein aufrechtes Vertragsverhältnis zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr bindet, sittenwidrig und daher unzulässig ist. Mit den Entscheidungen 8 ObA 62/10s und 8 ObA 85/10y wurde dieses Ergebnis bestätigt. Das Sittenwidrigkeitsurteil besteht darin, dass aufgrund der beanstandeten Vereinbarung bereits verdientes Entgelt im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder wegfällt und der Handelsvertreter damit erheblich in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt wird, das Vertragsverhältnis zu beenden.

Nach Pkt 5.1 der Details zur Mandanten-Bonifikations-Berechnung ist die Bonifikation für das jeweilige Kalenderjahr zu berechnen. Daraus folgt, dass der Anspruch auf die Bonifikation spätestens mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahrs entsteht. Mit dem durch Pkt VII.2 der Vergütungsordnung angedrohten erheblichen Entgeltverlust, mit dem selbst Ansprüche für das schon abgelaufene Kalenderjahr nachträglich aberkannt werden sollen, ist eine erhebliche Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Agenten verbunden, das Vertragsverhältnis zur Beklagten aufzulösen. Bei der dadurch beabsichtigten Bindung des Agenten an die Beklagte handelt es sich um eine unsachliche Knebelung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Mandanten-Bonifikation als Provision oder als anderes Entgelt iSd § 8 Abs 1 HVertrG qualifiziert wird. Der Kläger weist auch zutreffend darauf hin, dass die in Rede stehende Regelung Unklarheiten aufweist, zumal das Erfordernis des ungekündigten Vertragsverhältnisses an die Fälligkeit der Auszahlung geknüpft ist, die „bis längstens 31. 8. des Folgejahres“ eintritt. Dem Kläger ist auch darin zuzustimmen, dass der Hinweis des Berufungsgerichts auf den Verlust des Ausgleichsanspruchs nach § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG für die hier zu beurteilende Rechtsfrage ohne Bedeutung bleibt.

Zufolge Sittenwidrigkeit steht die von der Beklagten ins Treffen geführte vertragliche Regelung des Pkt VII.2 der Vergütungsordnung iVm Pkt 5.1 der Details zur Mandanten-Bonifikations-Berechnung der vom Kläger geltend gemachten Mandanten-Bonifikation nicht entgegen. Der Anspruch ist daher im Grundsatz zu bejahen.

2.1 Zweck der Rechnungslegungspflicht ist es, den Berechtigten in die Lage zu versetzen, Leistungsansprüche gegen den Rechnungslegungspflichtigen festzustellen und geltend zu machen (RIS-Justiz RS0106851; RS0034907). Zu Gunsten eines Handelsvertreters oder provisionsberechtigten Vermittlers ist der Anspruch auf Rechnungslegung anerkannt (RIS-Justiz RS0035140). Inhalt und Umfang der Rechnungslegung richten sich nach dem Verkehrsüblichen bzw nach der im Einzelfall getroffenen Vereinbarung (Konecny in Fasching/Konecny² Art XLII EGZPO Rz 27 und 37). Die Rechnungslegung muss detailliert sein und kann sich nicht nur in der bloßen Angabe von Endziffern oder in der Überlassung von Belegen erschöpfen. Der Rechnungslegungspflichtige kann auch zur Eidesleistung verhalten werden. Dabei handelt es sich jedoch um ein fakultatives Begehren, weshalb der Berechtigte davon auch Abstand nehmen kann (Konecny aaO Rz 98 und 118).

2.2 Das vom Kläger formulierte Begehren bezieht sich nur allgemein auf die Pflicht zur „Rechnungslegung über die ihm zustehende Mandanten-Bonifikation 2008“. Auf die Vertragsgrundlage und die konkreten Abrechnungsmodalitäten wird darin nicht Bezug genommen. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung muss die Frage der ausreichenden Bestimmtheit des Rechnungslegungsbegehrens mit dem Kläger erörtert werden (vgl zum Begehren etwa 8 ObA 62/10s). Über das Rechnungslegungsbegehren kann daher noch nicht entschieden werden.

3. Da aufgrund des Erörterungsbedarfs auch über das Rechnungslegungsbegehren noch nicht entschieden werden kann, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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