OGH 7Ob199/10f

OGH7Ob199/10f22.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** M*****, vertreten durch Mag. Heimo Lindner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei W***** AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. August 2010, GZ 2 R 33/10a‑10, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 9. Dezember 2009, GZ 1 Cg 189/09y‑6, infolge Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 978,84 EUR (darin enthalten 163,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eine Arbeitskollegin der Klägerin führte am 4. 12. 2007 in der Lagerhalle der gemeinsamen Arbeitgeberin Arbeiten mit einem Elektrohubstapler durch. Als sie unter zwei Hochregalen durch fuhr, touchierte der Hubmast des Elektrohubstaplers den unteren Regalboden. Dadurch fiel ein 29,5 kg schwerer Karton aus einer Höhe von 4,5 m auf die Klägerin, die eine Trümmerfraktur des zwölften Brustwirbels mit Lähmungen beider Beine und schwere Verletzungen im Lungenbereich erlitt.

Die Klägerin war zum Unfallszeitpunkt bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Der Versicherungsvertrag enthielt unter anderem auch „Schadenersatz‑Rechtsschutz für den Privat‑ und Berufsbereich“. Art 9.2.3. der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003) lautet:

„Der Versicherer hat das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts‑ und Beweislage zum Ergebnis, dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Die Klägerin forderte den Fachverband der Versicherungsunternehmen Österreichs (im Folgenden Fachverband) auf, ihr gemäß § 6 Verkehrsopfer‑Entschädigungsgesetz (VOEG) 2007 den durch den Unfall erlittenen Schaden zu ersetzen. Da der Fachverband eine Haftung ablehnte, ersuchte die Klägerin die Beklagte, ihr für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Fachverband Rechtsschutzdeckung zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies ab, weil keine Aussicht bestehe, gegen den Fachverband durchzudringen.

Die Klägerin begehrte daraufhin mit der Klage die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten im Umfang des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrags für den Schadensfall vom 4. 12. 2007. Später erhob sie ein Eventualbegehren dahin, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr aufgrund und im Umfang des Rechtsschutzversicherungsvertrags für den Schadensfall vom 4. 12. 2007 die Kostenhaftung für eine Klage gegen den Fachverband zu gewähren. Dieser hafte gemäß § 6 VOEG für ihre Ansprüche. Der Unfall sei durch ein Fahrzeug im Sinn des § 6 Abs 1 Z 1 VOEG iVm § 1 Abs 2 lit b KFG (Transportkarren) verursacht worden. Bei dem Elektrohubstapler handle es sich um ein Kraftfahrzeug, das nach seiner Bauart und Ausrüstung ausschließlich oder vorwiegend zur Beförderung von Gütern sowie in erster Linie zur Verwendung innerhalb von Betriebsanlagen bestimmt sei. Die Entschädigungspflicht des Fachverbands für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge setze nicht deren Verwendung auf Straßen mit öffentlichem Verkehr voraus.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie habe nicht Deckung schlechthin, sondern die Kostenhaftung für eine Klage gegen den Fachverband gemäß Art 9.2.3. ARB 2003 abgelehnt. Eine solche Klage müsste erfolglos bleiben, weil der den Unfall verursacht habende Elektrohubstapler kein in § 6 Abs 1 VOEG genanntes Fahrzeug im Sinn des § 1 Abs 2 lit a, b und d KFG sei und der Fachverband daher nicht zu haften habe.

Das Erstgericht gab dem Eventualbegehren, das das Hauptbegehren nur konkretisiere, statt. Es stellte noch fest, dass der Elektrohubstapler aufgrund seiner Bauart und Ausrüstung zur Beförderung von Gütern bestimmt sei, maximal einen Steh‑/Sitzplatz aufweise und sich somit nicht zum Transport von Menschen eigne; weiters, dass ein solches Gerät überwiegend in einem Betriebsgelände verwendet werde, da es nur eine sehr geringe Geschwindigkeit erreiche.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, beim Elektrohubstapler handle es sich um einen Transportkarren im Sinn des § 1 Abs 2 lit b KFG iVm § 2 Abs 1 Z 19 KFG. Das Fahrzeug besitze keine Straßenzulassung, dürfe eine Straße nur queren und auf einer öffentlichen Straße nur kürzere Wegstrecken zurücklegen. In der Entscheidung 8 ObA 179/98a habe der Oberste Gerichtshof einen Seitenstapler als Transportkarren im Sinn des § 2 Z 19 KFG qualifiziert. Ein solches Gerät unterscheide sich von einem Elektrohubstapler nur in der Antriebskraft und darin, dass die Hubgabeln seitlich montiert seien. Verkehrsopfer, die durch ein Kraftfahrzeug oder durch ein nicht versicherungspflichtiges Fahrzeug (§ 6 VOEG) geschädigt worden seien, könnten gegen den Fachverband Entschädigungsansprüche geltend machen. § 6 VOEG sei anzuwenden, da ein Fahrzeug im Sinn des § 1 Abs 2 lit b KFG vorliege. Die Entschädigungspflicht des Fachverbands für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge setze deren Verwendung auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht voraus. Dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass Opfer, die bei einem Unfall auf einem Betriebsgelände verletzt worden seien, nicht geschützt sein sollten. Die Klagsführung gegen den Fachverband könne daher nicht schon von vornherein als aussichtslos betrachtet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung mit der Maßgabe, dass es feststellte, die Beklagte habe der Klägerin aufgrund und im Umfang des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrags für den Schadensfall vom 4. 12. 2007 für die Klagsführung gegen den Fachverband Deckungsschutz zu gewähren. Der von der Beklagten behauptete Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO sei nicht gegeben; entgegen der Ansicht der Beklagten könne von einer mangelnden Überprüfbarkeit des Ersturteils nicht gesprochen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei bei der Erfolgsaussichtsprüfung im Sinn des Art 9.2. ARB 2003 kein strenger Maßstab anzulegen. Die im Rechtsschutzversicherungsbereich vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ bestehe, habe sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. Nach dieser Bestimmung sei einer Partei die Verfahrenshilfe bei Vorliegen auch der anderen Voraussetzungen zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheine. Nach herrschender Meinung sei eine Prozessführung offenbar aussichtslos, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs‑ oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden könne, wie insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genüge. Das Erstgericht habe die maßgeblichen Rechtsfragen, insbesondere die Frage, ob es sich beim Elektrohubstapler um einen Transportkarren im Sinn des § 1 Abs 2 lit b KFG iVm § 2 Abs 1 Z 19 KFG handle, ausreichend erörtert. Die von ihm getroffenen Feststellungen reichten für die Beantwortung dieser Frage aus. Der in Rede stehende Hubstapler sei ein Transportkarren im Sinn des § 2 Abs 1 Z 19 KFG. Wie bei dem in der Entscheidung 8 ObA 179/98a beurteilten Seitenstapler handle es sich um ein kleines, für die Verwendung innerhalb des Betriebsgeländes konzipiertes Transportfahrzeug, somit um ein Fahrzeug, das durch technisch frei gemachte Energie angetrieben werde und nicht an Gleise gebunden sei. Zwar sei ein Kraftfahrzeug nach der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 1 KFG „zur Verwendung auf Straßen bestimmt oder (wird) auf Straßen verwendet“. Dies schließe aber nicht aus, dass es wie im Fall eines Transportkarrens nach § 2 Abs 1 Z 19 KFG in erster Linie zur Verwendung innerhalb von Betriebsanlagen bestimmt sei. Da einer Klage gegen den Fachverband Erfolgsaussichten daher nicht abgesprochen werden könnten, habe die Beklagte der Klägerin Kostendeckung für dieses beabsichtigte Verfahren zu gewähren.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige; weiters, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob ein Elektrohubstapler einen Transportkarren im Sinn des § 2 Abs 1 Z 19 KFG darstelle.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision der Beklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Hilfsweise wird beantragt, das Berufungsurteil sogleich im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Klägerin stellt in der Revisionsbeantwortung den Antrag, das Rechtsmittel ihrer Prozessgegnerin entweder zurück‑ oder abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat die zur Erfolgsaussichtsprüfung im Sinn des Art 9.2.3. ARB 2003 in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grund‑ und Rechtssätze zutreffend wiedergegeben (s insbesondere RIS‑Justiz RS0081929 und RS0117144); darauf kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Im vorliegenden Prozess ist allein strittig, ob eine Haftung des Fachverbands im Sinn dieser Grundsätze als so zweifelhaft anzusehen ist, dass die von der Klägerin beabsichtigte Klage gegen den Fachverband als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Nach § 6 Abs 1 Z 1 VOEG hat der Fachverband Entschädigung für Personen‑ und Sachschäden zu leisten, die im Inland durch ein Fahrzeug im Sinn des (ua) § 1 Abs 2 lit b KFG 1967 verursacht wurden, wozu auch sogenannte Transportkarren zählen. Während die Vorinstanzen und die Klägerin der Meinung sind, der im vorliegenden Fall den Unfall herbeiführende Elektrohubstapler stelle einen Transportkarren und damit ein Fahrzeug im Sinn des § 1 Abs 2 lit b KFG dar, vertritt die Revisionswerberin die Ansicht, diese Frage könne anhand der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beantwortet werden. Dazu müsste geklärt werden, wie der Hubstapler konkret verwendet worden sei. Während der in der von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 8 ObA 179/98a beurteilte Seitenstapler regelmäßig auch auf öffentlichen Straßen eingesetzt worden sei, stehe dies für den Elektrohubstapler im vorliegenden Fall nicht fest. Es sei das Verfahren daher noch dahin ergänzungsbedürftig, dass der konkrete Verwendungszweck auch im vorliegenden Fall festgestellt werden müsse.

Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden: Nach der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 19 KFG gilt als Transportkarren ein Kraftfahrzeug, das nach seiner Bauart und Ausrüstung ausschließlich oder vorwiegend zur Beförderung von Gütern sowie in erster Linie zur Verwendung innerhalb von Betriebsanlagen bestimmt ist. Demnach kommt es entgegen der Ansicht der Revisionswerberin darauf, ob der Elektrohubstapler etwa ausschließlich auf dem Betriebsgelände eingesetzt wurde oder damit auch kürzere Fahrten auf öffentlichen Straßen unternommen wurden (wie dies in 8 ObA 179/98a beim Seitenstapler der Fall war) nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob der Elektrostapler „nach seiner Bauart und Ausrüstung“ zumindest vorwiegend zur Beförderung von Gütern bestimmt war und vor allem, ob er innerhalb der Betriebsanlage der Arbeitgeberin der Klägerin verwendet werden sollte. Dies ist nach den Feststellungen des Erstgerichts zu bejahen. Danach wies der Elektrohubstapler maximal einen Steh‑/Sitzplatz auf und war daher nicht zum Transport von Menschen geeignet, sondern zur Beförderung von Gütern bestimmt. Weiters steht fest, dass ein solches Gerät überwiegend in einem Betriebsgelände verwendet wird, da es nur eine sehr geringe Geschwindigkeit erreicht. Nach diesen Feststellungen ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht offenbar aussichtslos.

Unter diesen Umständen haben die Vorinstanzen die Erfolgsaussichten einer von der Klägerin gegen den Fachverband beabsichtigten Klage zutreffend beurteilt und die Berechtigung der Deckungsablehnung durch die Beklagte nach Art 9.2.3. ARB 2003 ohne Rechtsirrtum verneint. Die Formulierung des Deckungsanspruchs stellt im Revisionsverfahren keinen Streitpunkt mehr dar.

Die Revision muss erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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