OGH 11Os128/10y

OGH11Os128/10y19.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian K***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 13. Juli 2010, GZ 38 Hv 65/10s-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian K***** des Verbrechens des (versuchten) sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 StGB (1) und des Vergehens des (versuchten) Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 15, 212 Abs 1 Z 1 (richtig: Z 2 - in diesem Sinne US 10; zur rechtlichen Gleichwertigkeit vgl Philipp in WK² § 212 Rz 2) StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in den Jahren 2007/2008 in M*****

1) außer dem Fall des § 206 Abs 1 StGB eine geschlechtliche Handlung an dem am 8. Juli 1997 geborenen und somit unmündigen F***** H***** vorzunehmen versucht, indem er seine Hand unter dessen Unterhose schob, mit der Hand über dessen Leistengegend in Richtung dessen Penis fuhr und so versuchte, diesen zu berühren;

2) durch die zu Pkt 1 dargestellte Tat mit einer unmündigen Person, welche seiner Aufsicht unterstand, nämlich dem am 8. Juli 1997 geborenen F***** H***** unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesem eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 3 und Z 9 lit b StPO.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO durch Übergehen der Verwahrung des Verteidigers gegen die Verlesung der Angaben des Opfers vor der Sicherheitsbehörde (vgl ON 21 S 11). Der Beschwerdeführer lässt jedoch außer Acht, dass der Zeuge F***** H***** nach seiner Vernehmung durch die Polizei (ON 2 S 11 ff) kontradiktorisch (§ 165 StPO) - unter Einbeziehung seiner gesamten früheren Aussage - vernommen wurde und er dabei erklärte, in der Hauptverhandlung von seiner „Aussagebefreiung“ nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO Gebrauch machen zu wollen (ON 12 S 3).

Hatten aber die Beteiligten Gelegenheit, an einer gerichtlichen Vernehmung eines die Aussage berechtigt verweigernden Zeugen teilzunehmen (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO), dürfen nicht nur dieses Protokoll über die Zeugenvernehmung verlesen werden, sondern auch alle anderen (vorangehenden) gerichtlichen und sonstigen amtlichen Protokolle sowie amtlichen Schriftstücke und technischen Aufzeichnungen über die Vernehmung dieses Zeugen, auch wenn (damals) noch keine Möglichkeit bestand, sich daran zu beteiligen. Es genügt, wenn bei der späteren Vernehmung, die vorangehenden Aussagen und Protokolle mit dem Zeugen erörtert werden konnten (13 Os 113/94, SSt 62/25, RIS-Justiz RS0098173; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 95).

Die umfangreichen Ausführungen der Rechtsrüge (Z 9 lit b), die die Anwendung des § 16 StGB anstreben, weil dem Rechtsmittelwerber „die Ausführungshandlung, nämlich mit der Hand den Penis des mj F***** H***** zu berühren, möglich gewesen wäre“, entfernen sich von den gerade in diesem Punkt entgegenstehenden Sachverhaltsannahmen der Tatrichter: Diese stellten nämlich fest, dass es dem Angeklagten nicht mehr möglich war, seine Hand tatplangemäß zum Penis des Opfers weiter zu führen und er von seinem Vorhaben Abstand nehmen musste, weil sich der Bub auf den Bauch drehte (US 6). Die abstrakte Argumentation zur Freiwilligkeit eines Rücktritts vom Versuch verfehlt somit den gesetzlich vorgesehenen Bezugspunkt und entzieht sich daher einer Erledigung iSd §§ 285c Abs 2, 286 ff StPO. Der Vollständigkeit halber (§ 290 Abs 1 Satz 2 erster Fall StPO) sei daran erinnert, dass freiwilliger Rücktritt bei einem erfolglosen Versuch ausscheidet (RIS-Justiz RS0090338; 14 Os 41/02, SSt 64/90).

Zur Nichtanwendung des § 43a „Abs 1“ (gemeint: Abs 3) StGB durch das Erstgericht bleibt anzumerken, dass entgegen der im Urteil erkennbar vertretenen Meinung (US 11) die Strafaussprüche zweier Urteile auch bei Anwendung von § 31 StGB selbständig bleiben und - etwa für die Anwendung teilbedingter Strafnachsicht - getrennt zu betrachten sind (RIS-Justiz RS0090683; 15 Os 132/98 mwN; Fabrizy, StGB10 § 31 Rz 13; Ratz in WK² § 31 Rz 7). Die Nichtigkeit des erstgerichtlichen Strafausspruchs (§ 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO, vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 677, 691, 724) bedurfte allerdings fallbezogen mangels erkennbaren Nachteils für den Angeklagten keines amtswegigen Aufgreifens, verweigerten doch die Tatrichter die Rechtswohltat des § 43a Abs 3 StGB überdies aus als unübersteiglich eingeschätzten generalpräventiven Gründen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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