OGH 5Ob75/10f

OGH5Ob75/10f31.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin I***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Andreas Fehringer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. Bernhard H*****, 2. Alexander S*****, 3. M***** KEG, *****, 4. Werner K*****, 5. Peter K*****, 6. Roland G*****, 7. Ilija S*****, 8. Zahid Ghani C*****, 9. Josa M*****, 10. Tamara B*****, 11. Danijela C*****, 12. Mario S*****, 13. DI Markus W*****, 14. Günther S*****, 15. Novica S*****, 16. Mica S*****, beide *****, 17. Nebojsa R*****, 18. Joze K*****, 19. Markus B*****, 20. Mag. Benno Florian K*****, 21. Liesl F*****, 22. Mag. Anton M*****, und 23. Mag. Elisabeth M*****, beide *****, 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner vertreten durch Nemetz & Nemetz Rechtsanwalts-KG in Wien, wegen §§ 24 Abs 6, 52 Abs 1 Z 4 WEG 2002, über den ordentlichen Revisionsrekurs der 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. September 2009, GZ 39 R 184/09m-18, mit dem infolge Rekurses der 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 12. Februar 2009, GZ 14 Msch 3/08i-11, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner sind schuldig, der Antragstellerin die mit 559,44 EUR (darin 93,24 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Parteien sind Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** GB ***** (Liegenschaftsadresse *****). Die Antragstellerin ist überdies Verwalterin der Liegenschaft.

Im Mai/Juni 2008 wurde ein Umlaufbeschlussverfahren mit dem Ziel eingeleitet, den Verwaltungsvertrag mit der Antragstellerin zum 31. 12. 2008 aufzukündigen und ab 1. 1. 2009 die N*****KG mit der Verwaltung zu betrauen. Die Mehrheit der Wohnungseigentümer unterfertigte die per Post versendeten, teilweise im Rahmen von Hausbegehungen auch persönlich übergebenen Umlaufbeschlussformulare und stimmte für den Vorschlag. Am 24. 7. 2008 erfolgte per Hausanschlag die Bekanntgabe des Umlaufbeschlusses, der den einzelnen Wohnungseigentümern mit Begleitschreiben auch zugestellt wurde. Die Antragstellerin war in das Umlaufbeschlussverfahren nicht eingebunden; bei ihr ging der Umlaufbeschluss samt Begleitschreiben erst am 30. 7. 2008 ein.

Die Antragstellerin begehrte mit ihrem Sachantrag, den auf Aufkündigung ihres Verwaltungsvertrags zum 31. 12. 2008 und Bestellung der N*****KG zur Verwalterin ab 1. 1. 2009 gerichteten Umlaufbeschluss der Wohnungseigentümer (gemeint: Eigentümergemeinschaft) für rechtsunwirksam zu erklären, weil ihr im Umlaufbeschlussverfahren das rechtliche Gehör verweigert worden sei.

Die 1., 3., 4. und 14. Antragsgegner beantragten Antragsabweisung und brachten vor, die Antragstellerin sei jedenfalls innerhalb der Kündigungsfrist von der Beschlussfassung verständigt worden und von dieser ohnehin gemäß § 24 Abs 3 WEG 2002 ausgeschlossen gewesen.

Das Erstgericht gab dem Sachantrag - auf der Grundlage des eingangs zusammengefassten Sachverhalts - statt und erklärte demnach den von der Antragstellerin bekämpften Umlaufbeschluss für rechtsunwirksam. Die Wirksamkeit eines Umlaufbeschlusses setze voraus, dass sämtlichen Mit- und Wohnungseigentümern im Vorfeld Gelegenheit zur Äußerung geboten werde, widrigenfalls die Beschlussfassung mangelhaft sei. Ein solcher Mangel liege hier vor, weil die Antragstellerin in das Umlaufbeschlussverfahren nicht eingebunden gewesen sei. An der Kausalität dieses Mangels sei ebenfalls nicht zu zweifeln, weil ein Diskussionsbeitrag der Antragstellerin zur fraglichen Kündigung ihres Verwaltungsvertrags nicht a priori als bedeutungslos zu werten sei. Eine Heilung des Mangels durch Zustellung des bereits gefassten Beschlusses komme nicht in Betracht. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Antragstellerin insoweit kein Anhörungsrecht zustehe, als sie vom Stimmrecht über die Aufkündigung ihres Verwaltungsvertrags ausgeschlossen sei, so stehe der Antragstellerin jedenfalls ein Stimmrecht betreffend die Bestellung eines neuen Verwalters zu. Da Abberufung und Neubestellung des Verwalters formal einen Beschluss dargestellt hätten, sei dieser jedenfalls unwirksam.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner nicht Folge. Zwischen Stimm- und Anhörungsrecht bestehe eine untrennbare Wechselbeziehung. Die Antragstellerin könne sich - entgegen der Ansicht des Erstgerichts - insoweit nicht erfolgreich auf ihr Anhörungsrecht berufen, als ihr bei der Entscheidung über die Aufkündigung ihres Verwaltungsvertrags kein Stimmrecht zustehe. Zutreffend habe aber das Erstgericht erkannt, dass der Umlaufbeschluss insgesamt eine Einheit bildete und daher mangels Beteiligung der Antragstellerin vor Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses mangelhaft zustandegekommen sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR nicht übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zu klären gewesen sei. Diesen Ausspruch änderte das Rekursgericht über Zulassungsvorstellung der 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner dahin ab, dass es den ordentlichen Revisionsrekurs doch für zulässig erklärte, weil es mit seiner Rechtsansicht, wonach ein einheitlicher Beschluss nicht in Teilbeschlüsse zerlegt werden könne, von höchstgerichtlicher Rechtsprechung (5 Ob 164/07i) abgewichen sei.

Gegen den Sachbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Abweisung des von der Antragstellerin erhobenen Sachantrags. Hilfsweise stellen die 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner auch einen Aufhebungsantrag.

Die Antragstellerin erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Revisionsrekurs der 1., 2., 3., 4., 9., 14., 19., 20., 21., 22. und 23. Antragsgegner nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber - im Ergebnis - nicht berechtigt.

1. Zwei selbstständige Beschlüsse (Beschlussteile):

Zur Einheitlichkeit des Beschlussgegenstands und zum (allfälligen) Stimmrechtsausschluss im Zusammenhang mit einem Beschluss auf „Verwalterumbestellung“ (Kündigung des bisherigen und Bestellung eines neuen Verwalters) hat der Oberste Gerichtshof bereits in den Entscheidungen 5 Ob 246/03t (= wobl 2004/76, 307 [Call] = MietSlg 55.487/32 = immolex 2005/21, 54 [Vonkilch]), 5 Ob 286/06d (= wobl 2007/100, 252 [Call] = immolex 2007/130, 244), 5 Ob 164/07i (= wobl 2008/72, 223 [Call] = MietSlg 59.442/24 = immolex 2008/81, 186) und 5 Ob 93/08z (= immolex 2009/46, 118 [Maier-Hülle] = wobl 2009/67, 194 = JBl 2009, 323) Stellung genommen. Die beiden Entscheidungen 5 Ob 246/03t und 5 Ob 286/06d (dominanter Wohnungseigentümer) betrafen jeweils Fallkonstellationen, in denen der vom fraglichen Stimmrechtsausschluss betroffene Wohnungseigentümer (nach Kündigung des bisherigen Verwalters) zum neuen Verwalter bestellt werden sollte. In diesen Fällen ging der erkennende Senat in 5 Ob 246/03t implizit und in 5 Ob 286/06d ausdrücklich von einem einheitlichen Beschlussgegenstand und folglich vom Stimmrechtsausschluss des betreffenden Wohnungseigentümers hinsichtlich beider Beschlussteile (Kündigung und Neubestellung des Verwalters) aus. In den Entscheidungen 5 Ob 164/07i und 5 Ob 93/08z ging es demgegenüber um die umgekehrte Konstellation, nämlich um die Verwalterkündigung eines (Minderheits-)Wohnungseigentümers und die Bestellung eines anderen (dritten) Verwalters. In diesen Fällen nahm der erkennende Senat - unter dem Gesichtspunkt des Stimmrechtsausschlusses - zwei selbstständige Beschlüsse („Beschlussteile“/“Teilbeschlüsse“) an. Der selbst (nur) von der Kündigung unmittelbar betroffene Wohnungseigentümer, hier also die Antragstellerin war von der Abstimmung über diese Frage, nicht aber von jener über die Bestellung des neuen Verwalters ausgeschlossen. Diese letztgenannte Konstellation zweier selbstständiger Beschlüsse (Beschlussteile) liegt - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - auch hier vor.

2. Beschluss auf Kündigung der bisherigen Verwalterin:

2.1. Wie bereits zu 1. angesprochen, begründet (hier nur) die Kündigung der Antragstellerin einen Anwendungsfall des § 24 Abs 3 WEG 2002 (vgl RIS-Justiz RS0118455), der bei der Abstimmung (nur) über diese Frage zum Ausschluss der Antragstellerin vom Stimmrecht führt.

2.2. In den Entscheidungen 5 Ob 146/01h (= MietSlg 53.518/26) und 5 Ob 315/03i (= MietSlg 56.549) hat der erkennende Senat eine untrennbare Wechselbeziehung zwischen Stimm- und Anhörungsrecht angenommen und die Ansicht vertreten, dass sich der nicht stimmberechtigte Wohnungseigentümer nicht auf die Verletzung des eigenen Anhörungsrechts berufen könne (abl Löcker in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 24 Abs 3 WEG 2002 Rz 38).

2.3. Die zu Punkt 2.2. wiedergegebene Rechtsansicht von der vermeintlich untrennbaren Verknüpfung von Stimm- und Anhörungsrecht ist freilich nicht zwingend. Zunächst verlangt schon § 24 Abs 1 WEG 2002 für das wirksame Zustandekommen eines Beschlusses ganz allgemein und ohne spezifische Einschränkungen etwa für den Fall des Stimmrechtsausschlusses, dass zuvor allen Wohnungseigentümern Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Schon zur seinerzeitigen Einführung der Kollisionsregelung des - dem nunmehrigen § 24 Abs 3 WEG 2002 entsprechenden - § 13b Abs 1a WEG 1975 durch die WRN 1999, BGBl I 1999/147, hieß es im AB (2056 BlgNR 20. GP 8), der Ausschluss des Wohnungseigentümers von der Abstimmung bedeute keineswegs, dass dieser auch von der Teilnahme an der Versammlung, die zur Beschlussfassung einberufen werde, ausgeschlossen sei (idS auch Illedits, Das Wohnungseigentum³, Rz 541).

Dirnbacher (Das Wohnungseigentumsgesetz idF der Wohnrechtsnovelle 2006, 226) führt aus, dass der Ausschluss vom Stimmrecht nicht gleichzusetzen sei mit dem Ausschluss von der Willensbildung der Eigentümergemeinschaft. An der Beratung bzw Diskussion über den beabsichtigten Beschlussgegenstand nehme der Wohnungseigentümer sehr wohl teil, auch wenn er in der Folge vom Stimmrecht ausgeschlossen sei.

Auch Würth (Die Wohnrechtsnovelle 1999 - kritisch betrachtet [Teil II - Wohnungseigentumsrecht], wobl 2000, 133 [135]) vertritt, dass der Stimmrechtsausschluss nichts daran ändere, dass der betreffende Wohnungseigentümer von der beabsichtigten Beschlussfassung zu verständigen sei und an der Diskussion in einer allfälligen Wohnungseigentümerversammlung teilnehmen könne - andernfalls läge ein Fehler in der Beschlussfassung vor.

Löcker (Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 24 Abs 3 WEG 2002 Rz 38) betont, dass das Anhörungsrecht nicht zuletzt den Einfluss auf die Meinungsbildung bezwecke, und insofern vom Stimmrecht unabhängig sei. Diese Ansicht harmoniert mit dem allgemeinen Grundsatz, dass allen Mit- und Wohnungseigentümern - auch jenen mit einer voraussichtlich chancenlosen Gegenposition - Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist, was nicht zuletzt - im Vorfeld vor der eigentlichen Abstimmung - die Werbung für den eigenen Standpunkt ermöglicht (vgl 5 Ob 118/02t = immolex 2003, 78 = wobl 2004/39, 150 [Vonkilch] = MietSlg 54.462; 5 Ob 113/08s = wobl 2009/17, 42 [Kramer]).

Den zuvor dargestellten Überlegungen im Ergebnis folgend hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung 5 Ob 138/05p (= immolex 2005/129, 311 [Prader] = wobl 2006/61, 156 [Call] = MietSlg 57.497) ausgesprochen, dass selbst der vom Stimmrecht Ausgeschlossene Gelegenheit zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung haben muss. Dem ist weiterhin - unter Ablehnung der in 5 Ob 146/01h und 5 Ob 315/03i (oben 2.2.) vertretenen gegenteiligen Ansicht von der untrennbaren Wechselbeziehung zwischen Stimm- und Anhörungsrecht - zu folgen und daher im Sinne von Würth (aaO) ein Fehler in der Beschlussfassung betreffend die Kündigung der Antragstellerin deshalb anzunehmen, weil ihr vor Anschlag des Beschlusses keine Gelegenheit zur Äußerung geboten worden war.

Die von den Rechtsmittelwerbern ins Treffen geführte, erst nach diesem Zeitpunkt erfolgte Verständigung der - praktisch vor vollendete Tatsachen gestellten - Antragstellerin vermag den zuvor erfolgten Entzug der Äußerungsmöglichkeit nicht zu sanieren (vgl nochmals 5 Ob 118/02t), löste doch der Anschlag des Beschlusses im Haus den Rechtsschein einer bereits abgeschlossenen Beschlussfassung (zur Bedeutung der Bekanntgabe des Beschlussfassungsergebnisses vgl auch 5 Ob 231/09w mwN) und die Anfechtungsfrist nach § 24 Abs 6 WEG 2002 aus (vgl 5 Ob 133/07f = immolex 2007/168, 340 = wobl 2008/64, 180 [Call]; RIS-Justiz RS0109645).

Damit ist der Beschluss auf Kündigung der Antragstellerin als bisherige Verwalterin mangelhaft erfolgt.

3. Beschluss auf Bestellung der neuen Verwalterin:

Der Beschluss auf Bestellung der neuen Verwalterin stellte in der hier gegebenen Fallkonstellation - wie schon oben zu Punkt 1. begründet - einen selbstständigen Beschluss (Beschlussteil) dar. Die Antragstellerin war von der Abstimmung über diese Frage nicht iSd § 24 Abs 3 WEG 2002 ausgeschlossen. Sie war aber nicht in das Umlaufbeschlussverfahren eingebunden, sodass ihr Äußerungs- und Stimmrecht entzogen worden war. Auch insoweit gilt - wie oben zu 2.3. dargestellt -, dass dieser Mangel des Umlaufbeschlussverfahrens nicht durch die Verständigung der Antragstellerin nach Anschlag des Beschlusses im Haus saniert werden konnte.

Im Ergebnis ist daher die Beschlussfassung über beide selbstständigen Beschlussgegenstände mangelhaft erfolgt, weshalb die Vorinstanzen beide Beschlüsse - im Ergebnis - zu Recht für rechtsunwirksam erkannt haben. Der Revisionsrekurs muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG (iVm § 52 Abs 2 WEG 2002). Die unterlegenen Rechtsmittelwerber haben der Antragstellerin die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen. Die Bemessungsgrundlage beträgt 2.500 EUR (§ 10 Z 3 lit b sublit bb RATG).

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