OGH 13Os114/09b

OGH13Os114/09b17.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Walter P***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Staatsanwaltschaft und der Privatbeteiligten Bianca T***** und Niklas T***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 12. März 2009, GZ 34 Hv 65/08h-72, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Mag. Holzleitner, der Vertreterin der Privatbeteiligten Bianca T***** und Niklas T*****, Mag. Barbara Steiner sowie der Verteidigerin Mag. Sonja Scheed zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf an Bianca P***** begangener Taten (I und insoweit auch III) aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Übrigen und die Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Privatbeteiligten werden verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Walter P***** von der Anklage freigesprochen (§ 259 Z 3 StPO), er habe

I/ zwischen Ende 1997 und Juni 1998 in F***** eine unmündige Person, nämlich die am 17. März 1992 geborene Bianca P*****, „auf andere Weise als durch Beischlaf mehrfach zur Unzucht missbraucht“, indem er sie am Vaginalbereich abgriff und sie veranlasste, mit ihrer Hand seinen Penis zu umfassen, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung zur Folge hatten, nämlich eine posttraumatische Belastungs- und Anpassungsstörung mit Körperschemastörung und repetitiven Mustern von selbstschädigendem Verhalten mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung;

II/ von Mitte 2003 bis Dezember 2005 in S***** außer dem Fall des § 206 StGB (gemeint: wiederholt, vgl ON 28 S 6) eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person, nämlich an dem am 7. Juli 1997 geborenen Niklas P*****, vorgenommen, indem er diesen unter der Kleidung am Penis abgriff;

III/ von Ende 1997 bis Juni 1998 und von Mitte 2003 bis Dezember 2005 in F***** und S***** durch die zu I/ und II/ beschriebenen Taten mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich mit seinem am 7. Juli 1997 geborenen Sohn Niklas P*****, sowie mit seinem minderjährigen Stiefkind, nämlich mit der am 17. März 1992 geborenen Bianca P*****, geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von einer solchen Person an sich vornehmen lassen.

Die Staatsanwaltschaft hatte diese Taten mit Anklageschrift vom 23. April 2008 als (jeweils mehrere) Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I Nr 1998/153 (I) und nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I Nr 1998/153 (II) sowie Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I Nr 2006/56 (III) inkriminiert (ON 28).

Nach Ansicht des Schöffengerichts war weder festzustellen, dass der Angeklagte die minderjährige Bianca P***** an deren Vaginalbereich abgegriffen oder sie veranlasst habe, mit ihrer Hand seinen Penis zu umfassen (I und insoweit auch III), noch zu konstatieren, dass er seinen minderjährigen Sohn Niklas unter der Kleidung am Penis abgegriffen habe (II und insoweit auch III; US 6, 16).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wenden sich Nichtigkeitsbeschwerden der Privatbeteiligten Bianca T***** und Niklas T***** (in gemeinsamer Ausführung) aus Z 4 und der Staatsanwaltschaft aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO.

Aus Z 4 kritisieren alle Beschwerdeführer die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 15. Jänner 2009 von ihnen gestellten Antrags auf Vernehmung der Zeugen Dr. N. M***** und Ines S*****, die Privatbeteiligten außerdem die Ablehnung ihres Antrags auf Vernehmung der Zeugen Petra K***** und DDr. Leonhard T***** (S 155, 159 f/III).

Die Zeugen sollten bekunden, dass

- „im Zuge der nunmehrigen Therapie die minderjährige Bianca keine Anhaltspunkte dafür gegeben hat, dass ihre Tatschilderungen nicht erlebnisfundiert gewesen wären, und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ihre Wahrnehmungen induziert wären oder unwahr oder von dritter Seite vorgegeben sind oder zwar reale Gegebenheiten zum Gegenstand haben, diese aber auf den Angeklagten letztlich übertragen werden“ (S 155, 159/III), weiters, worauf nur die Anträge der Privatbeteiligten abzielten (S 161/III), dass

- die beim Akt befindlichen Aufzeichnungen und Zeichnungen der Bianca T***** von ihr während ihres Aufenthalts in der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg gemacht wurden und

- sie „die Handlungskomplikation auch dort beschrieben hat“.

Das Schöffengericht lehnte die Beweisaufnahme mit der Begründung ab, dass die beantragten Zeugen keine eigenen Wahrnehmungen zu den Tathandlungen gemacht haben, sondern nur darüber Angaben machen können, was Bianca P***** (nunmehr T*****) ihnen gegenüber angegeben hat (S 163/III; US 16).

Durch die Abweisung des Antrags wurden mit Blick darauf Verteidigungsrechte nicht geschmälert, dass die Tatrichter das zweite Beweisthema ohnedies als erwiesen ansahen (S 163/III, US 17; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342) und den Zeugen, was die übrigen Themen betrifft, Wertungen abverlangt werden sollten, nämlich darüber, ob ihrer Ansicht nach Anhaltspunkte der bezeichneten Art auszuschließen seien und ob in Schriftstücken und Zeichnungen, die Bianca T***** angefertigt hatte, inkriminierte Handlungen des Angeklagten zum Ausdruck kommen. Gegenstand des Zeugenbeweises sind aber nicht Schlussfolgerungen oder sonstige Meinungen der Befragten, sondern allein ihre sinnlichen Wahrnehmungen von Tatsachen (§ 154 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0097540; Kirchbacher, WK-StPO § 247 Rz 5; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 352).

Das Vorbringen aus Z 4 geht demnach fehl.

Zutreffend zeigt jedoch die Mängelrüge der Staatsanwaltschaft eine Unvollständigkeit der Urteilsgründe auf (Z 5 zweiter Fall), welche die Freisprüche des Angeklagten vom Vorwurf an Bianca P***** begangener Taten betrifft (I und insoweit auch III).

Die Tatrichter konstatierten zwar, dass bei der Genannten im Jahr 2006 anlässlich ihres Klinikaufenthalts eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (US 6). Bei der erwähnten Negativfeststellung betreffend Bianca P*****, wonach sie nicht überzeugt waren, dass der Angeklagte die Minderjährige im Vaginalbereich abgegriffen oder sie veranlasst habe, mit ihrer Hand seinen Penis zu umfassen, unterließen sie jede Auseinandersetzung mit diesem im Gutachten des Sachverständigen Dr. Egon B***** (S 253/III) aufgezeigten Beweisergebnis. Eine diesbezügliche Erörterung war jedoch angesichts dessen geboten, dass der Sachverständige ausgeführt hatte, die genannte Symptomatik sei im Rahmen der Erhebung von biografischen Belastungsstörungen keinem Alternativereignis zuordenbar. Die posttraumatische Belastungsstörung sei mit einem alternativen Geschehen nicht erklärbar, sie könne nicht „aus sich selber kommen“ (S 253 und 261/III).

Weil die Tatrichter dieses in der Beschwerde der Staatsanwaltschaft hervorgehobene Beweisergebnis nicht in den Kreis ihrer Erwägungen zur gerügten Negativfeststellung einbezogen, ist die diesbezügliche Beweiswürdigung auf Nichtigkeit nach Z 5 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO begründende Weise unvollständig geblieben (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421).

Daher war nur der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wie aus dem Spruch ersichtlich teilweise Folge zu geben.

Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang gibt die der Anklageschrift (ON 28) zu deren Punkt I anhaftende Unstimmigkeit von Formulierung des Tenors einerseits (nach der Stammfassung des § 207 StGB, BGBl 1974/60) und Bezeichnung der strafbaren Handlungen andererseits (§ 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I Nr 1998/153) Anlass zum Hinweis, dass für den Fall eines diesbezüglichen Schuldspruchs auf die gemäß § 61 StGB maßgebende Fassung des § 207 StGB zu achten sein wird.

Angemerkt sei angesichts des Anklagepunkts I zudem: Wenn mehrere gleichartige sexuelle Übergriffe nach § 207 StGB für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) ursächlich geworden sind, darf die Erfolgsqualifikation nur bei einer dieser Taten angelastet werden (RIS-Justiz RS0120828).

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