Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, die Wortfolge „wobei die Haftung der Spielbankleitung der Höhe nach mit der Differenz zwischen dem nach Verlusten das Existenzminimum unterschreitenden Nettoeinkommen des Spielers unter Berücksichtigung seines liquidierbaren Vermögens einerseits und dem Existenzminimum andererseits abschließend beschränkt ist; höchstens beträgt der Ersatz das konkrete Existenzminimum“ im 6. Satz des § 25 Abs 3 Glücksspielgesetz (GSpG) idF BGBl I 2005/105 als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit der Fortführung des Rekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.
Text
Begründung
Der Kläger lebt in Südtirol und ist italienischer Staatsbürger. Er hat bis Februar 2008 im Spielcasino der Beklagten gespielt. Seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse wurden von der Beklagten zu keiner Zeit überprüft oder hinterfragt.
Mit seiner am 21. 2. 2008 eingebrachten Klage begehrt er die Bezahlung von 360.000 EUR sA. Er habe in der Zeit vom 13. 3. 2005 bis 14. 2. 2008 zwei bis dreimal pro Woche die Casinos der Beklagten in Innsbruck und Seefeld besucht und hauptsächlich Roulette gespielt. Bei diesem Spiel hätten die Leute der Beklagten mitzuwirken und daher einen guten Überblick über die Verluste eines Spielers. Teilweise habe er an einzelnen Abenden mit bis zu 30.000 EUR gespielt, die er gelegentlich auch an einem Spielabend verloren habe. Trotz dieser hohen Einsätze und der Häufigkeit und Intensität seiner Spielteilnahme habe die Beklagte ihn niemals über seine Einkommens- oder Vermögensverhältnisse befragt oder eine Bonitätsauskunft eingeholt. Sie vertrete nämlich die Auffassung, dass der Spielerschutz des § 25 Abs 3 GSpG nur für österreichische Staatsbürger gelte. Diese Rechtsansicht widerspreche allerdings seit dem Beitritt Österreichs zur EU Gemeinschaftsrecht und sei diskriminierend.
Der Kläger verdiene ca 2.500 EUR pro Monat und habe für seine Ehegattin und drei Kinder zu sorgen. Die Beklagte habe durch ihr Verhalten gegen Schutz- und Sorgfaltspflichten des § 25 Abs 3 GSpG verstoßen und damit den geltend gemachten Schaden kausal verursacht und verschuldet. Wäre sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen, hätte sie den Kläger spätestens ab 1. 3. 2005 sperren und von jeglichem Spiel in ihren Casinos ausschließen müssen. Dann wären die nachfolgenden, dem Klagebegehren entsprechenden Verluste, deren exakte Höhe mathematisch nicht genau bestimmbar sei, nicht eingetreten.
Die Beklagte erhob den Einwand der Präklusion. Wegen Ablaufs der sechsmonatigen Präklusivfrist seien die Ansprüche des Klägers, die vor dem 21. 8. 2007 gelegen seien, verfristet. Im Übrigen sei das Klagebegehren abzuweisen, weil der Kläger italienischer Staatsbürger und § 25 Abs 3 GSpG auf ihn nicht anzuwenden sei. Stünde diese Bestimmung mit EU-Recht in Widerspruch, sei es Sache des Gesetzgebers und nicht der Beklagten die EU-Konformität des Gesetzes herzustellen. Als privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft könne sie nicht dem Staat zugerechnet werden, weil an ihr ausschießlich private, physische und juristische Personen beteiligt seien und dem Staat kein bestimmender gesellschaftsrechtlicher Einfluss zustehe. Die Beklagte habe in Ausübung der ihr übertragenen Konzession alle geltenden gesetzlichen Vorschriften, insbesondere das Glückspielgesetz, und die im Konzessionsbescheid erteilten Auflagen eingehalten. Im Übrigen sei ihr Handeln weder rechtswidrig noch schuldhaft gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Eine allfällige gemeinschaftsrechtliche Bedenklichkeit des § 25 Abs 3 GSpG in der hier anzuwendenden Fassung sei der Beklagten als Betreiberin des vom Kläger aufgesuchten Spielcasinos weder in Bezug auf Art 12 noch im Hinblick auf Art 49 EGV zuzurechnen. Da auch die Aufsichtsbehörde die Meinung vertreten habe, dass die Schutzbestimmung auf Ausländer nicht anzuwenden sei, könne der Beklagten auch kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten unterstellt werden, vielmehr sei ihre Rechtsansicht vertretbar gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Zwar sei strittig, inwieweit gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen Drittwirkung zukomme, der Kläger könne sich aber auf das Diskriminierungsverbot berufen, auch wenn dem eine positive österreichische Rechtsnorm entgegenstehe. Die Beklagte habe sich als Spielbankmonopolbetreiberin über die einschlägigen - auch europarechtlichen - Normen, insbesondere das Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV, informieren und erkennen müssen, dass die Einschränkung ihrer Sorgfaltsgebote gemäß § 25 Abs 3 GSpG ausschließlich auf Inländer dagegen verstoße. Es seien daher Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers, seinem Spielverhalten und zur Höhe seiner Verluste nötig.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshofs ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art 12 EGV im Verhältnis zwischen einem Privaten und der ein Monopol ausübenden Beklagten keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorliege, ebenso wenig zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des Ersatzanspruchs nach § 25 Abs 3 GSpG idF des BGBl I Nr 105/205 auf das Existenzminimum.
Gegen diese Entscheidung richten sich sowohl der Rekurs des Klägers als auch jener der Beklagten. Der Kläger regt an, ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich § 25 Abs 3 GSpG idF BGBl I 2005/105 einzuleiten.
Rechtliche Beurteilung
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
I. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung:
1. Die nunmehr angefochtene Gesetzesbestimmung wurde mit dem Ausspielungsbesteuerungsänderungsgesetz (ABÄG) BGBl I 2005/105 eingeführt. Dieses Bundesgesetz wurde am 26. 8. 2005 kundgemacht. Da zur angefochtenen Gesetzesbestimmung eine ausdrückliche Übergangsregelung nicht besteht, ist sie gemäß § 59 Abs 1 B-VG mit Ablauf des Kundmachungstags, somit mit Beginn des 27. 8. 2005, in Kraft getreten. Sie ist im vorliegenden Fall - jedenfalls auf nach ihrem Inkrafttreten eingetretene Verluste - anzuwenden (2 Ob 90/08m mwN). Mit ihrer Anwendung ginge eine Einschränkung der Verpflichtung zum Ersatz des eingetretenen Schadens einher, die ohne ihre Anwendung nicht anzunehmen wäre.
2. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist weiters, dass Art 12 EGV (nunmehr Art 18 AEUV) im fraglichen Zeitraum auch von der Beklagten unmittelbar anwendbar war.
Neben der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten verpflichtet diese Bestimmung auch jene natürlichen und juristischen Personen, „deren Handeln den Staaten zugerechnet wird“. Dies betrifft insbesondere beliehene und in Pflicht genommene Rechtsträger; die Zurechnungskriterien beziehen sich im Wesentlichen aber auch auf jene in Art 86 EGV (nunmehr Art 106 AEUV) bezeichneten Rechtssubjekte, die wegen ihrer besonderen Befugnisse und ihrer spezifischen Beziehung zum Mitgliedstaat von Privatpersonen unterschieden sind und bei den staatlichen Organen gewisse Ingerenzrechte zustehen. Die darin angesprochenen öffentlichen Unternehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten sind zur unmittelbaren Anwendung des allgemeinen Diskriminierungsverbots angehalten (Pernice/Wernicke in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union Art 86 EGV Rz 14, 52).
Nach - in der zukünftigen Entscheidung noch näher auszuführender - Ansicht des Obersten Gerichtshofs erfüllt die Beklagte diese Kriterien. Nach § 21 Abs 4 GSpG dürfen für Spielbanken (somit Casinos) in Österreich bis zu 12 Konzessionen vergeben werden, derzeit hat alle 12 Konzessionen die Beklagte inne. Dazu kommt eine im Vergleich zum gewöhnlichen Wirtschaftstreibenden stark ausgeprägte Aufsicht durch den Bundesminister für Finanzen (§ 26 Abs 2 und § 31 Abs 2 GSpG) sowie der Umstand, dass alle wesentlichen Betriebsabläufe (auch etwa der Preis für Eintrittskarten und die besondere Art der Kontrollpflicht für Besucher gemäß § 25 GSpG aF) ausdrücklich im Konzessionsbescheid vorgegeben sind (Strejcek/Bresich GSpG, § 25 Rz 71). Wenn die Beklagte daher meint, ihr komme keine quasi-autonome Rechtsetzungsbefugnis zu, verkennt sie, dass diese nach dem Verständnis des EuGH (vgl Rs 155/73 - Sacchi) lediglich bei „echten“ Privaten eine Rolle spielt, die Beklagte jedoch ein Unternehmen iSd Art 86 EGV ist. Die Beklagte hätte daher den Kläger trotz seiner nichtösterreichischen Staatsangehörigkeit und entgegen dem Wortlaut des § 25 Abs 3 GSpG aF in dessen Sinne zu schützen gehabt, weil Art 12 EGV unmittelbar anwendbar ist und innerstaatlichem Recht, das Unionsbürger unsachlich benachteiligt, vorgeht (EuGH C-274/96 - Bickel und Franz; EuGH C-234/99 - Nygard; VfGH VfSlg 14.886).
Art 12 EGV räumt Unionsbürgern ein subjektives Recht ein, das vor innerstaatlichen Gerichten durchsetzbar ist (EuGH C-186/87 - Cowan).
II. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken:
1. Beim Ersatzanspruch des Spielteilnehmers wegen erlittener Verluste gemäß § 25 Abs 3 GSpG handelt es sich um einen Schadenersatzanspruch aus Verschulden, der nach dem 8. Satz des § 25 Abs 3 GSpG nur bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Sorgfaltsverstoß eintritt und darüber hinaus nach dem letzten Satz dieser Bestimmung alle Ansprüche des Spielteilnehmers gegenüber der Spielbank im Zusammenhang mit der Gültigkeit des Spielvertrags oder mit Verlusten aus dem Spiel abschließend regelt.
Dass im vorliegenden Fall der Spielvertrag des Klägers mit der Beklagten ungültig gewesen wäre, zB zufolge Geschäftsunfähigkeit, behauptet nicht einmal der Kläger, sodass die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung mangels Präjudizialität nicht zu prüfen ist.
2. Betragsmäßige Haftungsbegrenzungen sind im Privatrecht im Bereich der Gefährdungshaftung geläufig (vgl zB §§ 15 und 16 EKHG, § 151 LFG). Eine gesetzliche betragsmäßige Beschränkung der Haftung aus Verschulden - sei es bei Vertragsverletzungen, sei es bei Verletzung von Schutzgesetzen - besteht dagegen grundsätzlich nicht. In den Fällen der Gefährdungshaftung sind darüber hinaus die absoluten Haftungshöchstbeträge von beträchtlicher Höhe.
3. Die Einschränkung der Haftung in § 25 Abs 3 GSpG auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz und darüber hinaus betragsmäßig auf das Existenzminimum bevorzugt den Konzessionsnehmer nach diesem Gesetz gegenüber allen übrigen Schädigern, die Schutzgesetze verletzen. Dies widerspricht dem in Art 7 B-VG normierten Gleichheitsgrundsatz.
4. Eine Differenzierung wäre nur bei sachlicher Rechtfertigung zulässig. Dafür werden in der Literatur folgende Argumente ins Treffen geführt:
4.1. Eine solche Ersatzpflicht bzw ein derartiges Schutzgesetz müsse überhaupt nicht vorgesehen sein, weshalb ein Geschädigter, der nach § 25 Abs 3 GSpG immerhin das Existenzminimum an Ersatz erhalte, immer noch besser gestellt sei, als ein Geschädigter ohne diese gesetzliche Bestimmung.
Dieses Argument ist in europarechtlicher Hinsicht fragwürdig und in verfassungsrechtlicher bedenklich.
4.2. Das Glücksspielmonopol und das darauf basierende Spielbankenkonzessionssystem widerstreitet prinzipiell der europarechtlichen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Der EuGH sieht nationale Restriktionen der europarechtlichen Grundfreiheiten nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses als gerechtfertigt an. Solche zwingende Gründe sind im Bereich des Glücksspiels der Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Bekämpfung der Spielsucht. Hingegen zählt die Verhinderung von Steuermindereinnahmen nicht dazu. Ein Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ist daher um so weniger gerechtfertigt, je mehr fiskalische und je weniger zwingende Gründe des Allgemeininteresses mit der nationalen Regelung verwirklicht werden sollen (Strejcek/Bresich aaO § 3, Rz 46 und 53 f mwN, insb EuGH C-6/01 - Anomar, wonach eine Behinderung für den freien Dienstleistungsverkehr durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls - vor allem des Verbraucherschutzes - gerechtfertigt werden kann, und EuGH C-338/04 - Placanica).
Im Glücksspielsektor ist der EuGH bereit, das Konzessionssystem zu akzeptieren, sofern es als taugliches und verhältnismäßiges Instrument gestaltet ist, die Gefahren des Glücksspiels einzudämmen. Die Verfolgung ordnungspolitischer Ziele, zu denen auch der Schutz der Spieler zählt, und das Ausmaß des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit durch das Glücksspielmonopol lassen sich gemeinschaftsrechtlich als „kommunizierende Gefäße“ begreifen (Vonkilch, Rückforderung von Glücksspielverlusten nach dem „Ausspielungsbesteuerungsänderungsgesetz“ - Rien ne va plus? ÖJZ 2006, 487, 492 FN 21 mit Verweis auf EuGH C-275/92 - Schindler, C-124/97 - Läärä und C-67/98 - Zenatti). In dem Maß, in dem der Gesetzgeber die ordnungspolitischen Komponenten des GSpG reduziert, nimmt die gemeinschaftsrechtliche Legitimation des Glücksspielmonopols ab.
Ob der österreichische Gesetzgeber daher tatsächlich frei ist, von einem Spielerschutz iSd § 25 Abs 3 GSpG abzusehen, ist europarechtlich zumindest fraglich.
Selbst Vonkilch, der auch als Privatgutachter der Beklagten tätig ist, spricht aaO 491 von einer „doch sehr weitgehenden Beschränkung“ der Haftung bzw davon, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen jenes Gestaltungsspielraums gehalten „haben dürfte“, der ihm von der Verfassungsrechtsordnung vorgegeben werde. So „dürfte“ es seines Erachtens verfassungsrechtlich nicht geboten sein, gesetzlich irgendeinen Ersatz für Spielverluste vorzusehen.
Nach Wilhelm, Casino Royale vs Commission (oder umgekehrt), ecolex 2007, 313 zählen zu den Gefahren des Glücksspiels insbesondere auch jene überhöhter Ausgaben (C-243/01 - Gambelli), wobei Ausgaben schon als überhöht anzusehen sind, wenn sie für den Spieler „schädliche persönliche Folgen haben können“ (C-275/92 - Schindler). Dies trifft aber nicht erst zu, wenn der Spieler nicht einmal mehr das Existenzminimum zur Verfügung hat. Die österreichische Regelung genügt daher nach Wilhelm, aaO, diesen Anforderungen deshalb nicht, weil hier für den Konzessionär ein privilegierendes Sonderprivatrecht im Verhältnis zu den Haftungsgrundsätzen aller anderen Schädiger geschaffen wird.
4.3. Innerstaatlich mag der Gesetzgeber zwar nicht gezwungen sein, eine bestimmte Regelung zu treffen oder bestimmte Sachverhalte einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. Das bedeutet aber nicht, dass, wenn er sich dennoch dazu entschließt, dies in willkürlicher, dem Gleichheitssatz oder sonstigen Verfassungsgarantien widersprechender Weise erfolgen darf. Auch der Gesetzgeber ist - unter Berücksichtigung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums - durch den Gleichheitssatz dazu verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen, sodass nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zulässig sind (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts Rz 1357 S 648 ff; vgl zum konkreten Problem auch Weber, Glücksspiel und Spielsucht: Die Novellierung des § 25 GSpG im Spannungsfeld von fiskalpolitischen Interessen und Konsumentenschutz, in FS Wimmer 693, 699).
Dies hat der Gesetzgeber auch in anderem Zusammenhang erkannt und zB im Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz 2005 unter Bezug auf den EGMR dargelegt (618 der BlgNR 22. GP AT 3), dass zwar kein Recht auf Entschädigung nach der Einstellung eines Strafverfahrens oder dessen Beendigung durch Freispruch bestehe, für den Fall der Einräumung solcher Ansprüche aber die allgemeinen Anforderungen, dort konkret jene der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 MRK, zu beachten seien.
4.4. Soweit zur sachlichen Rechtfertigung auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs, insbesondere auf 1 Ob 214/98x = SZ 72/4, verwiesen wird, wonach der Zweck des GSpG darin liege, die Gefahren existenzgefährdenden pathologischen Glücksspiels einzudämmen (vgl Vonkilch aaO, 492), ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof in keiner einzigen Entscheidung eine derartige (enge) Aussage getroffen hat. Vielmehr wurde mit der Entscheidung 1 Ob 214/98x erstmals § 25 Abs 3 GSpG 1989 beurteilt, als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB anerkannt und ausgesprochen, dass es sich dabei um eine besondere Form des Verbraucherschutzes handle, mit der insbesondere die Gefahren existenzgefährdenden (pathologischen) Glücksspiels eingedämmt werden sollten und weiters darauf hingewiesen, dass das Glücksspielgesetz nicht bloß den Schutz öffentlicher Interessen bezwecke, sondern zumindest auch den Schutz der (Vermögens-)Interessen des einzelnen Spielers mitverfolge. Auch in 1 Ob 175/02w wurde insbesondere auf die Gefahren existenzgefährdenden Glücksspiels hingewiesen und ausdrücklich dargelegt, dass mit dieser Vorschrift ein Spieler, der unter Nachweis seiner Identität in der Spielbank Zutritt finde, dagegen geschützt sei, dass seine wirtschaftlichen und damit auch seine sozialen und familiären Grundlagen zerstört werden (ebenso 1 Ob 52/04k, 3 Ob 37/04v, 8 Ob 134/04w). Auch der Entscheidung 2 Ob 136/06y ist zu entnehmen, dass der Oberste Gerichtshof „existenzbedrohend“ nicht im Sinne der Existenzminimumverordnung oder der Regelungen der Exekutionsordnung zum Existenzminimum, sondern allgemeiner im Sinne einer Störung der wirtschaftlichen, sozialen und familiären Grundlagen gesehen hat. Eine Beschränkung nur auf die Gefährdung des konkreten Existenzminimums wurde keineswegs zum Ausdruck gebracht.
4.5. Mag auch die Sorgfaltspflicht des Spielcasinobetreibers nach § 25 Abs 3 GSpG erst dann einsetzen, wenn begründete Annahme besteht, dass aufgrund der Häufigkeit und Intensität der Teilnahme am Spiel das Existenzminimum des Spielers gefährdet sein könnte, ist es deshalb noch lange nicht sachlich gerechtfertigt, auch die Höhe des Ersatzes bei Verstoß gegen die ohnehin erst spät einsetzende Sorgfaltspflicht mit dem Existenzminimum zu beschränken. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Situation eine Sorgfaltspflicht einsetzt, ist streng von jener zu trennen, in welcher Höhe Ersatz für den Fall ihrer Verletzung zu leisten ist.
4.6. Als historisch-systematisches Argument führt Vonkilch aaO, 493 an, dass der Gesetzgeber seit jeher bei Spielverlusten Anlass zum Tätigwerden erst bei existenzbedrohendem Ausmaß gesehen habe und verweist dabei auf die frühere Entmündigungsordnung (EntmO). Voraussetzung der Anwendbarkeit sei es gewesen, dass der Betroffene sich oder seine Familie der Gefahr des Notstands preisgab, während der Gesetzgeber ansonsten das „Durchbringen“ des Vermögens auf Kosten der Familienmitglieder hingenommen habe. Seit der Aufhebung der EntmO enthalte sich der Gesetzgeber überhaupt einer Intervention, wenn Menschen ihre ökonomischen Ressourcen vernichteten.
Die EntmO regelte aber, wie ihr Name bereits sagt, die Einschränkung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen, also einen tiefen Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte, der naturgemäß nur in besonders gravierenden Fällen erfolgen sollte. Keineswegs wurden in ihr schadenersatzrechtliche Haftungserleichterungen solcher Personen, die von der Verschwendungssucht der betroffenen Personen „profitierten“, geregelt.
4.7. Zum Argument, es seien die Konsequenzen des Ersatzes an „Spielsüchtige“ zu bedenken (Vonkilch aaO, 493 f; Strejcek/Bresich, Glücksspielgesetz § 25 Rz 20 f), ist darauf zu verweisen, dass die „Würdigkeit“ eines Geschädigten im System des österreichischen Schadenersatzrechts grundsätzlich weder eine Voraussetzung noch eine Denkkategorie darstellt, ebenso wenig Prognosen bzw Unterstellungen zur Frage, was der Geschädigte mit einem ihm zugesprochenen Schadenersatzbetrag machen würde.
Im Übrigen können solche Überlegungen keine sachliche Rechtfertigung für die Einschränkung der Höhe des Schadenersatzes im mit der angefochtenen Bestimmung erfolgten Ausmaß darstellen.
Das Argument der „Belohnung“ war auch Thema der im Stenografischen Protokoll des NR, 22. GP S 236 f wiedergegebenen 116. Sitzung: Die Auslegung der Bestimmung als Schutznorm durch den Obersten Gerichtshof ermögliche dem „pathogenen“ Spieler die Selbstschädigung. Gewinne er, erhalte er den Gewinn in voller Höhe ausbezahlt, verliere er, wisse er, dass die Spielbankleitung seinen Verlust nur ersetze, wenn er übermäßig verliere. Er werde also dazu motiviert, riskant zu spielen, um hoch zu verlieren, damit ihm der Verlust ersetzt werde. Diese Rechtsprechung sei in Spielerkreisen im Detail bekannt. Im Ergebnis werde das Fehlverhalten des Spielers belohnt und nicht mit abschreckenden Konsequenzen belegt.
Dem ist entgegenzuhalten, dass derartige Spieler nach der Anordnung des Gesetzes selbst von der Spielbankleitung vom Spiel auszuschließen sind. Dass dies nach Leistung der Schadenersatzzahlung anders zu halten wäre und daher der „pathogene“ Spieler Gelegenheit bekäme, dort weiter zu spielen, ist nicht nachvollziehbar.
Dass aber gesperrte „pathogene“ Spieler grundsätzlich dafür anfällig sind, sich andere Spielmöglichkeiten - sei es im Ausland, sei es bei verbotenem Spiel - zu suchen, ist eine Folge der Sperre solcher Spieler an sich und nicht der Schadenersatzleistung nach Verletzung dieser Verpflichtung.
Auch die erwähnten parlamentarischen Materialien verweisen darauf, dass die ordnungspolitische Verantwortung der Spielbankleitung nicht aufgeweicht werden soll und Spieler dort zu schützen seien, wo sie dies existentiell benötigen. Es wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass es zu keiner Gefährdung der eigenen wirtschaftlichen Existenz oder dazu kommen dürfe, dass Unterhaltspflichten nicht erfüllt werden könnten. Durch die Beschränkung des Ersatzes auf das Existenzminimum nach der Exekutionsordnung wird aber eine derartige Gefährdung der Unterhaltspflicht vielfach die zwangsläufige Folge sein. Bedenkt man, dass „pathogene“ Spieler häufig nicht nur ihr eigenes Einkommen ihrer Spielsucht opfern, sondern darüber hinaus Schulden eingehen - vgl nur im vorliegenden Fall das Vorbringen des Klägers, er habe rund 400.000 EUR von seinem Dienstgeber veruntreut, um seine Spielsucht zu finanzieren - wird klar, dass eine Beschränkung des Ersatzes auf das Existenzminimum letztlich entweder dazu führt, dass dem Spieler und seinen unterhaltsberechtigten Familienmitgliedern „auf ewig“ nur das Existenzminimum bleibt, oder er den Ausweg einer Entschuldung - in Österreich zB eines Schuldenregulierungsverfahrens - sucht. Gerade in diesem Fall würden aber auch rückständige Unterhaltspflichten bis auf die auszuzahlende Quote gekürzt und blieben daher den Berechtigten vorenthalten.
4.9. Dass dem Glücksspielgesetz schon bisher (nur) die Sicherung des Existenzminimums immanent gewesen wäre, ist nicht richtig:
Die im GSpG 1962 im § 24 enthaltene Schutzklausel schloss Personen vom Spiel aus, sofern sie nicht glaubhaft machten, dass durch ihre Beteiligung am Spiel eine wirtschaftliche oder soziale Gefährdung ihrer Angehörigen oder der von ihnen in wirtschaftlicher Abhängigkeit stehenden Personen oder eine Schädigung ihrer Arbeitgeber nicht zu erwarten war.
Auch die ursprüngliche Fassung des GSpG 1989 sah in § 25 Abs 3 lediglich den - gänzlichen oder teilweisen - Ausschluss vom Spiel bei begründeten Anhaltspunkten dafür vor, dass die jeweiligen Vermögens- oder Einkommensverhältnisse die Teilnahme am Spiel nicht oder nur im beschränkten Ausmaß gestatteten.
Beide Fälle bieten für eine Beschränkung auf die Gefährdung des Existenzminimums keinerlei Anhaltspunkt.
Nur am Rande sei darauf verwiesen, dass die Änderung des § 25 Abs 3 GSpG idF des ABÄG im einleitenden Initiativantrag nicht enthalten war. Erst in einer Sitzung des Finanzausschusses wurde die Formulierung im Wege eines Abänderungsantrags zur Abstimmung gestellt. Eine inhaltliche Debatte darüber fand nicht statt. Die Bestimmung wurde erst in zweiter und dritter Lesung mehrheitlich beschlossen (vgl Weber in FS Wimmer, aaO, 695).
5. Mag daher auch eine inhaltlich stärker determinierte Regelung wie in der angefochtenen Bestimmung grundsätzlich im Sinne des Rechtsstaatlichkeitsprinzips sein, ist eine sachliche Rechtfertigung für die nunmehr getroffene - geringe - Schutzintensität nicht ersichtlich (vgl Weber aaO, 702 f).
Bedenkt man, dass Spielbankenbetreiber auch insofern schadenersatzrechtlich privilegiert sind, als sie ohnehin nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz haften, ergibt sich, dass die Beschränkung auf die Haftung nur bis zur Höhe des Existenzminimums auch bei gröbster Fahrlässigkeit ja sogar bei Vorsatz zum Tragen kommt. Damit wird die schadenersatzrechtliche Position des Spielers weit über das im bürgerlichen Recht geltende übliche Maß hinaus verkürzt.
Der im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu findende rechtliche Ausgleich zwischen dem Spielerschutz und fiskalpolitischen Interessen ist damit nicht gewahrt. Zwar schreibt das Gesetz hinreichende Sorgfaltspflichten für den Spielbankenbetreiber vor, ihre Verletzung wird aber im Unterschied zu anderen Haftpflichtigen schadenersatzrechtlich nur geringfügig geahndet und daher kein Anreiz geschaffen, große Sorgfalt anzuwenden. Damit wird auch der Grundsatz der Effektivität der Regelung verlassen, der wiederum in gemeinschaftsrechtlicher Sicht eine Rechtfertigung für die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten darstellt.
6. Auch besteht ein großer Unterschied in der Haftungsintensität zwischen Spielverlusten und anderen Schäden, die den Spieler im Zuge eines Spielcasinobesuchs ereilen können.
Stürzt er etwa in den Räumlichkeiten des Spielcasinos, gebührt ihm bei Verschulden des Casinopersonals Schadenersatz ohne jegliche Beschränkung. Verliert dagegen der Spieler, der aufgrund grober Fahrlässigkeit des Casinopersonals am Spiel teilnimmt, sein gesamtes Vermögen und hätte dieser Schaden durch entsprechende Sorgfalt vermieden werden können, steht ihm ein Ersatz nur in Höhe des Existenzminimums zu - obwohl sein Schaden sich noch dazu in einer entsprechenden Einnahme des Haftpflichtigen widerspiegelt.
Die Einführung einer derart niedrigen Haftungsgrenze verstößt gegen das Sachlichkeitsgebot und verleitet auch dazu, die Verhaltensregelungen, die zu Gunsten suchtkranker Spieler im Gesetz aufgestellt wurden, zu unterlaufen (vgl dazu Weber aaO, 704 f).
7. Aus all diesen Erwägungen hegt der Oberste Gerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Regelung in § 25 Abs 3 GSpG. Der Verfassungsgerichtshof hat zwar in seinem Erkenntnis vom 25. 9. 2008, G 162/07, solche Bedenken nicht erkennen lassen, er hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich auf die Erörterung der (damals) aufgeworfenen Fragen (6-Monats-Frist) zu beschränken hatte.
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