Spruch:
Die Durchführung der Hauptverhandlung am 23. Juni 2009 und die Urteilsfällung am selben Tag in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Senat verletzen das Gesetz in § 32 Abs 1 letzter Satz StPO.
Das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 23. Juni 2009, GZ 27 Hv 29/09i-64, sowie der unter einem gefasste Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsichten und auf Verlängerung einer Probezeit werden zur Gänze aufgehoben und die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte Kazim K***** und die Staatsanwaltschaft auf die Urteils- und Beschlussaufhebung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten jeweils mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels, im Einzelnen Kazim K***** (zu A/I, II und III) und Sezal Ö***** (zu A/I) nach § 28a Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, Yasine D***** nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG (B/I), Hamid H***** (zu B/I und II) und Mohamed R***** (zu B/III und C) nach § 28a Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall SMG (Mohamed R***** zu C auch nach 12 dritter Fall StGB), weiters Kazim K*****, Sezal Ö*****, Yasine D***** und Hamid H***** jeweils des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG (D), Kazim K***** und Sezal Ö***** zudem jeweils Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, und zwar Kazim K***** nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (E/I/1) und nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (E/I/2/a und b) und Sezal Ö***** nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG (A/IV) und nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (E/II), Kazim K***** weiters des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 (G/I) sowie der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (F/I), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (F/II) und der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB (G/II) und Mohamed R***** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (richtig: zu H) schuldig erkannt und dafür unter Vorhaftanrechnung zu Freiheitsstrafen sowie Sezal Ö***** zur Zahlung eines Geldbetrags in Höhe der dadurch eingetretenen Bereicherung (§ 20 Abs 1 StGB) und Kazim K***** zur Zahlung von Schmerzengeld an den Privatbeteiligten Sevim K***** verurteilt. Unter einem wurde sichergestelltes Suchtgift eingezogen (§ 34 SMG iVm § 26 StGB) und der Beschluss auf Widerruf von den Angeklagten Kazim K***** und Hamid H***** gewährten bedingten Strafnachsichten und in Betreff des Angeklagten Yasine D***** auf Absehen vom Widerruf einer ihm gewährten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit gefasst.
Gegen dieses Urteil richten sich die (nicht ausgeführte) Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Kazim K***** und die (nur diesen Angeklagten betreffende) Berufung der Staatsanwaltschaft, gegen den Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht die implizierte (§ 498 Abs 3 StPO) Beschwerde des Erstgenannten.
Die Hauptverhandlung wurde am 23. Juni 2009 durchgeführt, das Urteil am selben Tag verkündet (ON 63), wobei das erkennende Gericht aus zwei Richtern und zwei Schöffen zusammengesetzt war (ON 63 S 1).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht diese Gerichtsbesetzung mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Mit dem Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem Richter und zwei Schöffen besteht, womit das Erstgericht nicht gehörig besetzt war (Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9; zur gegenteiligen, im Erlass des BMJ vom 17. Juni 2009 über die Änderungen des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II3/09, JABl 2009/15, geäußerten Rechtsansicht vgl für alle: 13 Os 115/09z, 13 Os 125/09w).
Da fallbezogen die in Rede stehende Rechtsfrage nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 63) nicht erörtert worden ist, in diesem speziellen Fall selbst rechtskundigen Verteidigern die erforderliche Kenntnis der wahren prozessualen Rechtslage nicht einfach unterstellt werden kann (vgl dazu erneut 13 Os 115/09z, 13 Os 125/09w), zumal die erste klarstellende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs erst am 17. November 2009 gefällt wurde (14 Os 130/09p, 141/09f), ist nicht davon auszugehen, dass die Verteidiger die Rüge des Besetzungsmangels (§ 281 Abs 1 Z 1 StPO) bewusst unterlassen haben (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 133).
Mit Blick auf die Bestimmung des § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof daher veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
Der Angeklagte Kazim K***** und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Rechtsmitteln auf die Kassation der damit angefochtenen Entscheidungen zu verweisen.
Um im nunmehr erforderlichen zweiten Rechtsgang mögliche Fehler hintanzuhalten, sei festgehalten:
1. Vorweg ist klarzustellen, dass sich zu einer Subsumtionseinheit nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG nur gleichartige Verbrechen zusammenfassen lassen, also solche desselben Tatbildes, wie etwa Überlassen an andere, nicht aber solche verschiedener Tatbilder, wie etwa Aus- und Einfuhr einerseits und Überlassen an andere andererseits (RIS-Justiz RS0117464 [insbes T2 und T18]).
Zum - Kazim K***** und Sezal Ö***** betreffenden - Faktenkomplex A ging das Schöffengericht in den Entscheidungsgründen nur hinsichtlich der Aus- und Einfuhr vom Übersteigen des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) aus, während demgegenüber ausdrücklich festgestellt wurde, dass die Angeklagten bloß einen Teil des geschmuggelten Suchtgifts anderen überließen, und zwar Kazim K***** „jedenfalls mehr als 300 Gramm Cannabis mit einem Reinheitsgehalt von mehr als 20 Gramm Reinsubstanz THC“ (also zwar eine die - bei THC 20 Gramm betragende - Grenzmenge, nicht aber deren Fünfundzwanzigfaches übersteigende Menge) teils an Sezal Ö***** (nämlich 50 Gramm Cannabis als Belohnung für jede gemeinsam durchgeführte Schmuggelfahrt [US 30 f]) übergab, teils überwiegend gewinnbringend an weitere unbekannte Abnehmer verkaufte und Sezal Ö***** „zumindest 200 Gramm“ Cannabis durch den gewinnbringenden Verkauf an unbekannte Abnehmer in Verkehr setzte (US 19 f), womit sich die in Ansehung beider Angeklagter vorgenommene rechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts auch als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/I, A/II und A/III) als verfehlt erweist.
Selbst wenn denkbar ist, dass in Betreff des Erstgenannten die irrige Zusammenfassung sämtlicher strafbarer Handlungen (nämlich jener nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG einerseits und jener nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG andererseits) zu einem einzigen „Verbrechen nach § 28 Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG“ („zu A/I, II, III“) der Sache nach je einen Schuldspruch dieses Angeklagten wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (hinsichtlich des Schmuggels von Suchtgift) und eines Verbrechens nach § 28 Abs 1 fünfter Fall SMG (wegen des Überlassens an andere) zum Ausdruck bringen sollte, vermögen die Feststellungen die Subsumtion unter die letztgenannte Bestimmung nicht zu tragen. Die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite beziehen sich nämlich ausdrücklich nur auf die Ein- und Ausfuhr (US 19 f), während Feststellungen dazu fehlen, ob Kazim K***** auch mit dem Vorsatz handelte, eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Suchtgiftquantität in Verkehr zu setzen. Dazu kommt, dass bei Erreichen der von § 28a SMG vorausgesetzten Suchtgiftmengen nur durch die Zusammenrechnung der Mengen aus mehreren Einzeltaten die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von vornherein vom Vorsatz umfasst sein müssen (RIS-Justiz RS0112225), wozu die angefochtene Entscheidung in Bezug auf die Überlassung an andere ebenfalls keine Aussage trifft.
Letztlich wird im zweiten Rechtsgang im Fall insoweit neuerlicher Verurteilung darauf zu achten sein, inwieweit bei den im Urteil genannten achtmaligen unter Beiziehung des Mitangeklagten Sezal Ö***** unternommenen Schmuggelfahrten an den über die Grenzen transportierten Suchtgiften durchgehend ein Mitgewahrsam seitens dieses präsumptiven Komplizen bestand. Bejahendenfalls wäre dann die Übernahme des transportierten Suchtgifts in Österreich durch den am Schmuggel Beteiligten nicht zusätzlich noch als Überlassen im Sinn des § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0115882).
Der festgestellte gewerbsmäßige Verkauf von zumindest 200 Gramm Cannabis durch Sezal Ö***** wurde zudem - für sich betrachtet rechtsrichtig - zusätzlich als Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG beurteilt (A/IV), wodurch die Annahme begründet scheint, dass in seinem Fall die Anführung auch des fünften Falls des § 28a Abs 1 SMG im Schuldspruch A/I bloß irrig erfolgte.
Sollten die Tatrichter im zweiten Rechtsgang allerdings zur Überzeugung gelangen, dass die beiden Angeklagten den Rest des geschmuggelten Suchtgifts, zu dessen Verbleib in der angefochtenen Entscheidung keinerlei Feststellungen getroffen wurden, mit entsprechendem Vorsatz tatsächlich anderen (allenfalls ihren Auftraggebern, vgl US 18) überlassen haben, hätte - bei Vorliegen sogenannten Additionsvorsatzes - ein gesonderter Schuldspruch wegen des gewerbsmäßigen Verkaufs einer Teilmenge an Dritte nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG zu unterbleiben (RIS-Justiz RS0117464).
2. Feststellungen zur subjektiven Tatseite im oben aufgezeigten Sinn fehlen auch zu den - die Angeklagten Hamid H***** und Mohamed R***** betreffenden - Schuldsprüchen B/II und B/III wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG.
3. Den Feststellungen zu den Schuldsprüchen E/I und E/II zufolge haben Kazim K***** und Sezal Ö***** für die von ihnen durchgeführten, von den Schuldsprüchen A/I und A/II umfassten Schmuggelfahrten unbekannte Mengen an Cannabis und Kokain als Belohnung für ihre Fahrtendienste erhalten, „somit auch besessen“ und - Sezal Ö***** - „davon konsumiert“ (US 23 f). Ob die Tatrichter von Besitz zum ausschließlichem persönlichen Gebrauch ausgingen, in welchem Fall den Angeklagten die Privilegierung des § 27 Abs 2 SMG zugute käme, geht aus der angefochtenen Entscheidung nicht hervor.
5. Weil der Urteilsspruch ein Referat der festgestellten entscheidenden Tatsachen zu enthalten hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 266, 282), werden im zweiten Rechtsgang letztlich auch im Urteilstenor zu sämtlichen Schuldsprüchen die in den Entscheidungsgründen konstatierten Mindestmengen des tataktuellen Suchtgifts bezogen auf die Reinsubstanz des Wirkstoffs anzuführen sein (RIS-Justiz RS0117435 [insbes T8]).
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