OGH 6Ob210/09i

OGH6Ob210/09i14.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache des am 22. Februar 2008 verstorbenen W***** B*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs der Substitutionskuratorin Dr. Brigitte Birnbaum, Rechtsanwältin, 1030 Wien, Beatrixgasse 3, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7. August 2009, GZ 45 R 339/09z-33, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. März 2009, GZ 80 A 16/08t-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rechtsmittelwerberin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der am 22. 2. 2008 verstorbene Erblasser hat in seinem Testament vom 27. 12. 1997 seine Ehefrau zur Universalerbin eingesetzt und eine Substitution auf den Überrest zu Gunsten seiner beiden Kinder bzw deren leiblichen Nachkommen angeordnet.

Der erblasserische Sohn hat sechs (davon vier minderjährige), die erblasserische Tochter zwei (volljährige) Kinder. Die beiden Kinder des Erblassers verzichteten auf Pflichtteilsansprüche und erklärten die Substitution auf den Überrest nicht anzunehmen.

Mit Beschluss vom 26. 1. 2009 bestellte das Erstgericht die Rechtsmittelwerberin zur Substitutionskuratorin für die noch nicht geborenen Nachkommen der beiden Kinder des Erblassers.

Mit Beschluss vom 24. 3. 2009 hat das Erstgericht die Verlassenschaft zur Gänze der Witwe, die aufgrund der letztwilligen Verfügung vom 27. 12. 1997 die unbedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass abgegeben hatte, mit der Beschränkung der fideikommissarischen Substitution auf den Überrest zu Gunsten der leiblichen Nachkommen der beiden Kinder des Erblassers zu gleichen Teilen gemäß Testament vom 27. 12. 1997 eingeantwortet, bestätigt, dass aufgrund des Ergebnisses der Verlassenschaftsabhandlung die Einverleibung des Eigentumsrechts ob der dem Erblasser gehörigen, mit Wohnungseigentum verbundenen Liegenschaftsanteilen für die Witwe vorgenommen werden kann, die Gebühren des Gerichtskommissärs mit 2.010 EUR bestimmt und deren Bezahlung der erbantrittserklärten Erbin aufgetragen.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von der Substitutionskuratorin erhobenen Rekurs nicht Folge. Gemäß § 165 Abs 1 AußStrG sei ein Inventar unter anderem dann zu errichten, soweit auf eine Nacherbschaft Bedacht zu nehmen sei oder soweit eine dazu berechtigte Person oder der Verlassenschaftskurator dies beantrage. § 167 Abs 2 AußStrG ordne an, dass unbewegliche Sachen grundsätzlich mit ihrem dreifachen Einheitswert, beantrage dies aber eine Partei oder sei es im Interesse eines Pflegebefohlenen erforderlich, nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz zu bewerten seien. Im Hinblick auf die angeordnete Nacherbschaft sei ein Inventar zu errichten gewesen. Ein Antrag auf Bewertung der Eigentumswohnung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz sei dem Erstgericht zum Zeitpunkt der Entscheidungsfällung nicht vorgelegen. Seien minderjährige Erben vorhanden, habe eine Schätzung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz nicht automatisch zu erfolgen. Vielmehr sei die - amtswegige - Anordnung einer solchen Schätzung unbeweglicher Güter wegen des damit verbundenen Kostenaufwands nur dann berechtigt, wenn die Interessen von Pflichtteilsberechtigten oder anderen Dritten (Nacherben) zu wahren seien. Dieser in der Rechtsprechung zum Außerstreitgesetz 1854 vertretene Grundgedanke komme auch in § 167 Abs 2 AußStrG zum Ausdruck. Ein solches Interesse ergebe sich nicht aus dem Akteninhalt und werde von der Rechtsmittelwerberin auch nicht dargetan. Die Eigentumswohnung als Nachlassbestandteil sei ausreichend bestimmt. Ihre Schätzung im jetzigen Zeitpunkt wäre nur unter einem hohen Kostenaufwand möglich, ohne dass sich durch eine über das Verlassenschaftsverfahren hinaus nicht verbindliche Schätzung eine für die von der Rechtsmittelwerberin vertretenen Personen eintretende Verbesserung ihrer Rechtsstellung ergeben würde. Eine im Interesse Ungeborener gelegene Schätzung im Zug des Verlassenschaftsverfahrens wäre nur dann angezeigt, wenn die Eigentumswohnung noch vor Einantwortung veräußert oder sonstwie verwertet werden würde. Dies sei jedoch nach der Aktenlage nicht der Fall. Eine Schätzung der Liegenschaft im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens sei daher im Interesse der von der Rechtsmittelwerberin vertretenen Personen nicht geboten.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob eine Liegenschaftsbewertung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz in Fällen einer Substitution auf den Überrest zu Gunsten Ungeborener von Amts wegen anzuordnen sei, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs der Substitutionskuratorin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass es einer Bewertung des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts nicht bedurfte, weil dieses den ordentlichen Revisionsrekurs ohnehin für zulässig erklärte (§ 59 Abs 2 AußStrG; 6 Ob 155/06x SZ 2006/126; Fucik/Kloiber, AußStrG § 59 Rz 4); es kommt vielmehr lediglich darauf an, ob eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG vorliegt (6 Ob 155/06x SZ 2006/126 mwN).

Die Rechtsmittelwerberin vertritt weiter den Standpunkt, dass § 167 Abs 2 AußStrG zwingend erfordere, unbewegliche Sachen nicht mit dem dreifachen Einheitswert in das Inventar aufzunehmen, sondern nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz zu bewerten, wenn Pflegebefohlene vorhanden seien. Eine Ausnahme sei nur dann gegeben, wenn das Interesse Pflegebefohlener an der Schätzung aufgrund der Umstände des Einzelfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließbar sei. Dem Gesetzeswortlaut könne nicht entnommen werden, ob den „Interessen der Pflegebefohlenen" ein konkretes Szenario zu Grunde liegen müsse oder nicht. Da die Interessenwahrnehmung für Minderjährige regelmäßig auch unbekannte, künftige, aber mögliche Ereignisse zu berücksichtigen habe, sei kein Grund ersichtlich, warum im Anlassfall von diesen Maximen abgewichen werden solle. Das Charakteristikum einer Substitution auf den Überrest bestehe darin, dass es dem Erben freistehe, über das Verlassenschaftsgut zu verfügen, insbesondere zu verkaufen. Dem Rekursgericht sei zwar beizupflichten, dass ein derartiges Szenario aus dem Akt derzeit nicht ersichtlich sei. Dies sei jedoch ohne Bedeutung. Im Fall des Verkaufs und einer Vermengung des Verkaufserlös mit dem übrigen Vermögen des Erben werde die Feststellung, was der Überrest sei, schwierig. Es sei aber um so schwieriger, wenn nicht einmal bekannt sei, von welchem „Ausgangswert" der Substitutionsbegünstigte ausgehen könne.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 167 Abs 2 AußStrG sind in das Inventar aufgenommene (§§ 165, 166 AußStrG) unbewegliche Sachen grundsätzlich mit ihrem dreifachen Einheitswert, beantragt dies aber eine Partei oder ist es im Interesse eines Pflegebefohlenen erforderlich, nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz zu bewerten. Schon aufgrund des Wortlauts der Bestimmung ist die Ansicht unzutreffend, dass bei jeder Beteiligung Pflegebefohlener an einem Verlassenschaftsverfahren eine Schätzung unbeweglicher Sachen nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz stattzufinden habe. Der Gesetzestext stellt in diesem Fall eben auf die Erforderlichkeit der Bewertung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz ab und ordnet sie nicht zwingend an.

§ 167 Abs 2 AußStrG fasst inhaltlich unverändert § 102 Abs 2 AußStrG 1854 idF BGBl 1992/150 und § 102 Abs 3 AußStrG 1854 idF BGBl I 2001/131 zusammen (vgl Bittner in Rechberger, AußStrG § 167 Rz 1). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 102 Abs 2 AußStrG 1854 idF BGBl 1992/150, der den Schutz Pflegebefohlener ausdrücklich als wichtigsten besonderen Grund für die amtswegige Ermittlung des Werts unbeweglicher Sachen nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz benennt, ist auch im Verlassenschaftsverfahren das Wohl minderjähriger Erben zu berücksichtigen, gegen das die Anordnung einer gerichtlichen Schätzung unbeweglicher Sachen unter enormem Kostenaufwand verstößt (10 Ob 521/95; vgl RIS-Justiz RS0099272, RS0007895).

Zufolge der inhaltlichen Entsprechung des § 102 Abs 2 AußStrG 1854 idF BGBl 1992/150 mit dem zweiten Halbsatz des § 167 Abs 2 AußStrG ist diese Rechtsprechung zur Auslegung dieser Bestimmung heranzuziehen.

Den Erwägungen des Rekursgerichts, dass nach dem Stand des Verlassenschaftsverfahrens eine Schätzung der Eigentumswohnung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz im Interesse Pflegebefohlener nicht erforderlich ist, setzt die Rechtsmittelwerberin nichts Stichhaltiges entgegen. Bei der nicht besonders geregelten, aber zulässigen Substitution auf den Überrest erhält der Nacherbe von der Erbschaft nur, was beim Eintritt des Nacherbfalls übrig ist (6 Ob 136/07d mwN). Der Vorerbe kann über das Substitutionsgut zwar unter Lebenden, nicht aber von Todes wegen frei, also ohne Zustimmung der Nacherben bzw eines Substitutionskurators oder substitutionsbehördliche Genehmigung verfügen (6 Ob 136/07d mwN). Er kann Nachlassstücke auch verschenken (6 Ob 136/07d mwN). Zwar gilt auch bei einer Substitution auf den Überrest dinglich wirkende Surrogation, sodass durch rechtsgeschäftliche Aufopferung von Gegenständen des Substitutionsnachlasses Erworbenes, insbesondere ein Verkaufserlös, in die Substitutionsmasse fällt (6 Ob 136/07d mwN). Für die Feststellung eines allfälligen Verkaufserlöses der Eigentumswohnung ist ihre Bewertung nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz ohne Bedeutung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG.

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