OGH 12Os183/09t (12Os190/09x)

OGH12Os183/09t (12Os190/09x)18.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jauk als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. A***** D***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 30. Juni 2009, GZ 9 Hv 13/08f-31, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss nach §§ 50, 51 StGB und über die von der Generalprokuratur gegen die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Tobler zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Durchführung der Hauptverhandlung am 23. und 30. Juni 2009 und die Urteilsfällung am 30. Juni 2009 im Verfahren AZ 9 Hv 13/08f des Landesgerichts Eisenstadt in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Senat verletzen das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter SatzStPO.

Das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 30. Juni 2009, GZ 9 Hv 13/08f-31, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Umfang der Schuldsprüche, demzufolge im Strafausspruch und in der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche gemäß §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1 StPO sowie im Umfang des Beschlusses nach §§ 50, 51 StGB aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen Mag. A***** D*****, AZ 9 Hv 13/08f des Landesgerichts Eisenstadt, führte am 23. Juni und am 30. Juni 2009 ein Schöffensenat bestehend aus zwei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern die Hauptverhandlung durch und fällte am 30. Juni 2009 ein auch Entscheidungen über Privatbeteiligtenansprüche enthaltendes Urteil, mit dem der Angeklagte der Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (1./) und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt wurde. Danach hat er zwischen Anfang Mai und 17. August 2008 in Großhöflein und Eisenstadt R***** G*****

1./ durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung bzw einer Unterlassung zu nötigen versucht, indem er

a./ sollte er ausgewiesen oder eingesperrt werden, komme er wieder und dann seien sie alle weg, dann fließe Blut und er werde sie so vergewaltigen, dass sie daran sterben werde, zur Unterlassung der Anzeigeerstattung;

b./ wenn er sie mit einem anderen Mann sehe, werde er beide abknallen, zur Unterlassung einer Beziehung zu einem anderen Mann;

2./ außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er die Tür zur Toilette aufdrückte, sich trotz ihrer Gegenwehr Zutritt zur Toilette verschaffte, ihre nackten Oberschenkel erfasste und küsste und mit seiner Hand an ihre Scheide fassen wollte, was ihm nur aufgrund ihrer heftigen Gegenwehr nicht gelang.

Der Angeklagte wurde gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme „auf das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt, 7 Hv 72/07s-20, iVm dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien, 20 Bs 245/08p," zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Zudem fasste dieser Schöffensenat den Beschluss auf Erteilung der Weisung, sich von R***** G***** fernzuhalten.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung und damit implizierter (§ 498 Abs 3 StPO) Beschwerde angefochten.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Hauptverhandlung am 23. und 30. Juni 2009 und die Urteilsfällung am 30. Juni 2009 im Verfahren AZ 9 Hv 13/08f des Landesgerichts Eisenstadt in einem weiterhin mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Senat steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang. Mit dem am 17. Juni 2009 kundgemachten und am 1. Juni 2009 - somit rückwirkend (§ 514 Abs 5 erster Satz StPO) - in Kraft getretenen Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem (Berufs-)Richter und zwei Schöffen besteht. Durch die Mitwirkung einer zweiten Berufsrichterin an der Hauptverhandlung am 23. und 30. Juni 2009 und an der Urteilsfällung am 30. Juni 2009 wurde daher das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter SatzStPO iVm Art 6 Abs 1 MRK und Art 83 Abs 2 B-VG verletzt (vgl Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9).

Die gegenteilige, im Erlass des BMJ vom 17. Juni 2009 über die Änderungen des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II3/09, JABl 2009/15, geäußerte Rechtsansicht, wonach für die Änderung der Senatszusammensetzung bei den Landesgerichten als Schöffengerichten „vom Grundsatz der perpetuatio fori auszugehen" und demnach das Strafverfahren in der Besetzung zu führen sei, die im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gesetzlich vorgesehen gewesen ist, vermengt Gerichtsbesetzung mit Gerichtszuständigkeit (eingehend dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111-115).

Es bleibt anzumerken, dass es sich bei einem solcherart „überbesetzten" Schöffengericht nicht um einen „höherqualifizierten" Spruchkörper (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 115) handelt. Vielmehr entschied ein Richterkollegium in einer Zusammensetzung, welche das Gesetz im Verhandlungszeitpunkt nicht mehr vorsah. Demgemäß liegt auch eine Verletzung des im Art 6 Abs 1 MRK („… und zwar von einem … auf Gesetz beruhenden Gericht …") verankerten Grundrechts auf ein faires Verfahren vor (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 § 24 Rz 27 ff, insbesondere Rz 30). Der Angeklagte wurde daher auch in seinem verfassungsmäßig gewährleistetem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) beeinträchtigt.

Zur nicht gehörigen Gerichtsbesetzung und der gemäß § 281 Abs 1 Z 1 StPO statuierten Rügepflicht wird auf die Ausführungen in 13 Os 139/09d, 13 Os 145/09m sowie 13 Os 115/09z, 13 Os 125/09w verwiesen. Da durch die Mitwirkung der beisitzenden Berufsrichterin ein für den Angeklagten nachteiliger Einfluss auf die der Abstimmung über die Schuld- und Straffrage vorangegangene Willensbildung im Senat nicht auszuschließen ist (vgl RIS-Justiz RS0100599; 9 Os 11/87) und kein Hinweis vorliegt, wonach der Beschwerdeführer diesen Besetzungsmangel bewusst in Kauf genommen hätte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Entscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen.

Demnach war das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 30. Juni 2009, GZ 9 Hv 13/08f-31, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Umfang der Schuldsprüche, demzufolge im Strafausspruch und in der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche gemäß §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1 StPO sowie im Umfang des Beschlusses nach §§ 50, 51 StGB aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung und Beschwerde war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die Bedachtnahme auf ein Urteil gemäß § 31 StGB nur dann möglich ist, wenn die im nachfolgenden Verfahren abzuurteilende Tat bereits im früheren Verfahren abgeurteilt hätte werden können und damit eine gemeinsame Verfahrensführung in erster Instanz möglich gewesen wäre (vgl Ratz in WK2 § 31 Rz 2).

Das am 17. April 2008 gefällte Urteil des Landesgerichts Eisenstadt, AZ 7 Hv 72/07s-20, erfüllt diese Kriterien nicht, mag auch das dazugehörige Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Wien, AZ 20 Bs 245/08p, erst am 14. Oktober ergangen sein.

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