OGH 6Nc20/08f

OGH6Nc20/08f17.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** V*****, vertreten durch Specht Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Limited, ***** Jersey, *****, wegen Feststellung der Nichtigkeit und Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, über den Antrag der klagenden Partei auf Ordination des Handelsgerichts Wien in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:0060NC00020.08F.1217.000

 

Spruch:

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

 

Begründung:

 

Der Kläger begehrt mit seiner beim Handelsgericht Wien eingebrachten Klage die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise die Nichtigerklärung von in der außerordentlichen „Hauptversammlung" der Beklagten vom 16. 7. 2008 in St. Helier, Jersey, gefassten Beschlüssen. Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts brachte er vor, die Beklagte sei eine Public Limited Liability Company nach dem Recht der Kanalinsel Jersey mit einem Nominalkapital von 450 Mio EUR. Der statutarische und registermäßige Sitz der Gesellschaft befinde sich auf dieser Kanalinsel in St. Helier. An diesem Ort gebe es jedoch weder Büroräumlichkeiten noch Angestellte der Beklagten. Die Hauptverwaltung der Beklagten werde tatsächlich vielmehr von Wien aus geführt. Das Handelsgericht Wien sei gemäß § 197 Abs 1 AktG und § 75 JN örtlich zuständig. Eine Gerichtsstandsvereinbarung bestehe nicht.

Das Erstgericht wies die Klage und den damit verbundenen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung „mangels inländischer Gerichtsbarkeit" sofort zurück. Jersey sei nicht vom räumlichen Geltungsbereich der EuGVVO und auch nicht vom räumlichen Geltungsbereich des LGVÜ umfasst. Die Frage der Jurisdiktionsgewalt österreichischer Gerichte sei daher ausschließlich nach autonomem österreichischem Recht zu beurteilen. § 27a JN normiere als Voraussetzung für die inländische Gerichtsbarkeit das Bestehen der örtlichen Zuständigkeit österreichischer Gerichte. Gemäß §§ 197, 201 AktG sei zur Entscheidung über die Anfechtungsklage von Hauptversammlungsbeschlüssen der für den Sitz der Gesellschaft zuständige, zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen berufene Gerichtshof erster Instanz ausschließlich zuständig. Sitz der Gesellschaft iSd § 197 AktG sei ausschließlich der registrierte Firmensitz. Selbst wenn man § 75 JN zur Interpretation des Begriffs „Sitz" in § 197 AktG heranziehe, gehe der registrierte Sitz immer dem Ort der Verwaltungstätigkeit vor. Auf die überwiegende Verwaltung komme es gerade nur in Ermangelung eines eingetragenen Firmenbuchsitzes an. Der Kläger berufe sich auf keinen anderen zuständigkeitsbegründenden Tatbestand. Ein solcher sei auch nicht ersichtlich oder gerichtsbekannt.

Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger Rekurs mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Klage und der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen werden.

Gleichzeitig mit dem Rekurs beantragte der Kläger die Ordination des Handelsgerichts Wien. Der Kläger sei österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Wien. Er sei als österreichischer Staatsbürger grundsätzlich nicht berechtigt, in Jersey Verfahrenshilfe in Anspruch zu nehmen. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass einem Ausländer ausnahmsweise Verfahrenshilfe für eine komplexe gesellschaftsrechtliche Prozessführung gewährt würde. Es sei auch damit zu rechnen, dass auf Antrag der beklagten Partei dem Kläger eine aktorische Kaution von zumindest 100.000 GBP auferlegt werden würde. Grob geschätzt betrügen die Anwaltskosten für das Verfahren erster Instanz 70.000 GBP. Der Kläger, der in Österreich nicht auf Verfahrenshilfe angewiesen wäre, sei nicht in der Lage, die enormen Kosten eines Verfahrens in Jersey zu tragen. Daher sei ihm dort die Prozessführung nicht zumutbar. Es sei auch zu beachten, dass die gesellschaftsrechtliche Struktur der beklagten Partei für Investoren unter dem Gesichtspunkt der Rechtsverfolgung extrem nachteilig sei. So sei den Inhabern von Zertifikaten, die entsprechende Aktien repräsentierten, nach dem Recht von Jersey aber den Aktien nicht vollkommen gleichgestellt seien, gleich zu Beginn der Hauptversammlung am 16. 7. 2008 in Jersey mitgeteilt worden, dass sie an und für sich nicht das Recht hätten, Fragen zu stellen.

Mit Beschluss vom 2. 10. 2008 stellte das Rekursgericht den Akt dem Erstgericht zur Vorlage des Ordinationsantrags an den Obersten Gerichtshof zurück. Es sprach aus, die Entscheidung über den Rekurs werde bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den Ordinationsantrag vorbehalten. Solange die inländische Gerichtsbarkeit noch nicht rechtskräftig verneint sei, könne ein Ordinationsantrag gestellt werden. An eine die inländische Gerichtsbarkeit rechtskräftig verneinende Entscheidung sei der Oberste Gerichtshof im Ordinationsverfahren gebunden. Solange über einen Ordinationsantrag noch nicht entschieden sei, könne wohl die Unzuständigkeit des in der Hauptsache angerufenen Gerichts ausgesprochen werden und sei auch eine die inländische Gerichtsbarkeit bejahende Entscheidung möglich. Unzulässig sei hingegen eine die inländische Gerichtsbarkeit verneinende Entscheidung, weil dies ein Vorgriff auf die alleinige Kompetenz des Obersten Gerichtshofs wäre, über die Frage der inländischen Gerichtsbarkeit im Rahmen der Prüfung der Ordinationsvoraussetzungen als Vorfrage zu entscheiden. Die - mit der Zurückweisung der Klage wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit implizit erfolgte - Verneinung der örtlichen Zuständigkeit durch das Erstgericht bekämpfe der Rekurs nicht. Insoweit sei der angefochtene Beschluss daher in Rechtskraft erwachsen. Eine die inländische Gerichtsbarkeit bejahende Entscheidung des Rekursgerichts käme angesichts fehlenden Vorbringens zu den Voraussetzungen einer Ordination gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN in der Klage nicht in Betracht. Angesichts des nun gestellten Ordinationsantrags könne derzeit die inländische Gerichtsbarkeit vom Rekursgericht aber auch nicht verneint werden.

Das Erstgericht legt nunmehr den Ordinationsantrag des Klägers dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Der ausschließlich auf § 28 Abs 1 Z 2 JN gestützte Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.

Gemäß § 28 Abs 1 Z 2 JN setzt eine Ordination nach dieser Gesetzesstelle voraus, dass der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.

Diese Bestimmung soll die Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (2 Ob 32/08g; 10 Nc 19/05h; Matscher in Fasching² § 28 JN Rz 40). Gemäß § 28 Abs 4 zweiter Satz JN hat der Kläger in streitigen bürgerlichen Rechtssachen diese Voraussetzungen zu behaupten und zu bescheinigen.

Das Naheverhältnis des Klägers zum Inland folgt aus seiner österreichischen Staatsbürgerschaft. Die Unmöglichkeit einer Rechtsverfolgung in Jersey behauptet er nicht. Die Unzumutbarkeit einer Rechtsverfolgung in Jersey ist nach den Behauptungen im Ordinationsantrag nicht zu bejahen.

Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in Lehre und Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozessführung im Ausland eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder die Prozessführung im Ausland äußerst kostspielig wäre (2 Ob 32/08g; RIS‑Justiz RS0046148; Mayr in Rechberger, ZPO³ § 28 JN Rz 4 mwN).

Der Kläger stützt die Unzumutbarkeit der gerichtlichen Bekämpfung von Beschlüssen der „Hauptversammlung" der beklagten Partei in Jersey nur auf deren hohen Kosten. Nach der Rechtsprechung ist das Prozesskostenargument nur in (extremen) Ausnahmefällen geeignet, einen Ordinationsantrag zu begründen: Die Kostenfrage stellt sich nämlich bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers (8 Ob 26/06b; RIS‑Justiz RS0046420 [T1 und T2]). Der Anlassfall ist kein Ausnahmefall, der die Ordination rechtfertigen könnte:

Mit dem Erwerb von Zertifikaten der nach dem Recht von Jersey errichteten beklagten Partei, die dort ihren statutarischen Sitz hat und registriert ist, hat der Kläger das Risiko in Kauf genommen, dort gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten über die Gültigkeit von Organbeschlüssen der beklagten Partei austragen zu müssen. Dies unterscheidet sich erheblich von dem Sachverhalt, aufgrund dessen der 2. Senat des Obersten Gerichtshofs in den Entscheidungen 2 Nc 11/04x und 2 Nc 13/04s aufgrund des Prozesskostenarguments die Unzumutbarkeit einer Rechtsverfolgung in Japan bejahte. Dort ging es um die Geltendmachung von deliktischen Schadenersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall in Japan. Dass die Zertifikate nach dem Recht von Jersey den Aktien nicht vollkommen gleichgestellt sind, wie der Kläger behauptet, ist kein Gesichtspunkt, der für die Frage der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung erheblich wäre. Dass sich das Rechtssystem Jerseys von jenem Österreichs unterscheidet, vermag eine Ordination nicht zu begründen. Der Kläger behauptet auch nicht, dass das Recht von Jersey einen Prozesskostenersatz nicht vorsieht.

Der Ordinationsantrag war daher abzuweisen.

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