OGH 1Ob188/09t

OGH1Ob188/09t17.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, Salzburg, Engelbert Weiß-Weg 10, vertreten durch Dr. Raimund Danner, Mag. Albert H. Reiterer und Dr. Walter Brandl, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Harald R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang A. Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 46.379,90 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 10.960 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2009, GZ 13 R 102/09d-66, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 1. April 2009, GZ 18 Cg 99/06w-62, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung, die im Zuspruch von 4.500 EUR sA sowie in der Abweisung von 30.919,90 EUR sA und des Zinsenmehrbegehrens in Rechtskraft erwachsen ist, wird dahin abgeändert, dass das Urteil insgesamt lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 15.460 EUR samt 5,93 % Zinsen seit 5. 4. 2006 zu zahlen.

Das Mehrbegehren von 30.919,90 EUR samt 5,93 % Zinsen seit 5. 4. 2006 und das Zinsenmehrbegehren werden abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.913,75 EUR (darin enthalten 584,07 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist zum Ersatz von zwei Dritteln der Gerichtsgebühr für die Berufungen der Beklagten verpflichtet (§ 70 Satz 2 ZPO).

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war seit 21. 10. 2004 einziger handelsrechtlicher Geschäftsführer einer im Dezember 2005 in Konkurs verfallenen GmbH, die ab November 2004 gegenüber der Klägerin mit fälligen Sozialversicherungsbeiträgen in Verzug geriet. Auf Wunsch des Beklagten, der versuchen wollte, das Unternehmen zu retten, schlossen die Klägerin und die GmbH im Juni 2005 eine Ratenvereinbarung, mit der sich die GmbH verpflichtete, einen Beitragsrückstand von 20.817,61 EUR ab 1. 7. 2005 in monatlichen Raten á 2.500 EUR abzustatten. In diesem Zusammenhang unterzeichnete der Beklagte am 17. 5. 2005 einen Bürgschaftsvertrag, mit dem er die Haftung als Bürge und Zahler für die bereits fälligen und künftig fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge übernahm. Dieser Bürgschaftsvertrag enthielt die ausdrückliche Erklärung des Beklagten, zahlungsfähig zu sein.

Im Revisionsverfahren ist nur das Ausmaß der Mäßigung im Sinn des § 25d KSchG strittig, nicht aber die Anwendungsvoraussetzung dieser Norm, soweit es die Stellung des Beklagten als Konsument und Interzedent (§ 25c KSchG) betrifft.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung des (nach Leistung der Konkursquote offenen) Beitragsrückstands von 46.379,90 EUR sA.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht sprach nur den nach § 25d KSchG gemäßigten Betrag von 4.500 EUR sA zu. Für die Klägerin sei erkennbar gewesen, dass der Beklagte mit dem festgestellten Monatsnettoeinkommen (700 EUR zuzüglich Sachbezügen [Firmenwohnung und Firmenauto]) nicht im Stande gewesen wäre, seiner Zahlungsverpflichtung nachzukommen. Die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von etwa einem Zehntel der aushaftenden Klagsforderung sei zumutbar. Mit diesem Betrag werde jene Leistung, welche die Klägerin aus dem Konkurs der GmbH erhalten habe, etwa verdoppelt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Abweisung von weiteren 10.960 EUR samt 5,93 % Zinsen seit 5. 4. 2006 gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

I. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung nicht wegen des 30.000 EUR nicht übersteigenden Revisionsinteresses unzulässig. Die Zulässigkeit der Revision bestimmt sich nach dem Wert des Entscheidungsgegenstands über den das Berufungsgericht entschieden hat (§ 502 Abs 2 bis 4 ZPO), nicht nach dem Revisionsinteresse. Der Streitwert im Berufungsverfahren betrug hier 46.379,90 EUR.

II. Das in § 25d KSchG geregelte richterliche Mäßigungsrecht setzt nach Abs 1 leg cit voraus, dass ein Missverhältnis zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Interzedenten vorliegt und die für das Missverhältnis verantwortlichen Umstände für den Gläubiger auch erkennbar waren. Dabei kommt es auf die Umstände zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit an (6 Ob 156/03i mwN; 8 Ob 61/05m). Das Vorbringen des für die Erkennbarkeit des Missverhältnisses beweispflichtigen (6 Ob 156/03i) Beklagten beschränkte sich auf den Hinweis, dass er sorgepflichtig für zwei Töchter und derzeit ohne Einkommen sei, die Klägerin die die Vermögenslage des Beklagten nicht überprüft habe und ihr die schlechte Wirtschaftslage des Beklagten und „dessen Firmen" bekannt gegeben worden sei. Konkrete Zahlen zu seinen damaligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die im Vergleich zur übernommenen Zahlungsverpflichtung Anhaltspunkte für ein Missverhältnis zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Bürgen liefern könnten, nannte er nicht. Sein Vorbringen zu seiner, der Klägerin bekannten schlechten wirtschaftlichen Lage steht außerdem im Widerspruch zu seiner Erklärung im Bürgschaftsvertrag, zahlungsfähig zu sein. Es ist sohin zu bezweifeln, dass das Vorbringen des Beklagten zur Kenntnis bzw Erkennbarkeit des Missverhältnisses zwischen Zahlungspflicht und Leistungsfähigkeit des Bürgen ausreichend war, was die grundsätzliche Voraussetzung einer Mäßigung nach § 25d Abs 1 KSchG gewesen wäre (6 Ob 156/03i; 8 Ob 61/05m).

Die Klägerin akzeptiert aber grundsätzlich eine Mäßigung nach § 25d KSchG (und zwar um zwei Drittel des Rückstands) und sieht lediglich in der Mäßigung um mehr als 90 % eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Tatsächlich berücksichtigt die Entscheidung des Berufungsgerichts die Interessenlage der Klägerin im Vergleich zu jener des Beklagten keinesfalls ausreichend. Es war der Beklagte, der das Unternehmen trotz der - ihm wohl selbst bekannten - schlechten wirtschaftlichen Lage fortführen wollte und deshalb eine Ratenvereinbarung mit der Klägerin anstrebte. Diese mit der GmbH und Beitragsschuldnerin geschlossene Ratenvereinbarung nützte ihm insoweit, als (zunächst) durch die Fortführung des Unternehmens seine Existenzgrundlage erhalten bleiben konnte (vgl 8 Ob 100/03v). Ein Geschäftsführer einer GmbH sollte in der Lage sein, die Erfolgschancen des Projekts „Unternehmensfortführung und Einhaltung einer Ratenvereinbarung" abzuschätzen, und nicht wider besseres Wissen erklären, eine übernommene Bürgschaftsverpflichtung grundsätzlich erfüllen zu können. Das Interesse der Klägerin, als Art Gegenleistung für die Ratenvereinbarung eine Haftung des handelsrechtlichen Geschäftsführers als Bürgen zu begründen, der schließlich die nicht erfolgte Erfüllung der Beitragsverpflichtungen zu verantworten hatte, ist legitim und damit zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen (vgl Krejci in Rummel, ABGB³ § 25d KSchG Rz 7). Bei der wechselseitigen Interessenabwägung ist eine Mäßigung des Rückstands um zwei Drittel, was einer Zahlungsverpflichtung von 15.460 EUR entspricht, sachgerecht (6 Ob 117/00z). In diesem Sinn ist die angefochtene Entscheidung abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 43 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Im Verfahren erster und zweiter Instanz ist die Klägerin letztlich zu einem Drittel erfolgreich gewesen, weshalb sie dem Beklagten ein Drittel seiner Kosten zu ersetzen hat. Im Revisionsverfahren war sie zur Gänze erfolgreich und hat daher Anspruch auf einen 100%igen Ersatz ihrer Kosten. Nicht zu honorieren sind die Schriftsätze des Beklagten vom 8. 3. 2006, 8. 5. 2007, 16. 5. 2007, 7. 8. 2007, 25. 10. 2007, 17. 1. 2008, 7. 10. 2008 und 14. 10. 2008, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig waren. Da der mit der Berufung im ersten Rechtsgang verbundene Verfahrenshilfeantrag bewilligt wurde und der Beklagten Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genießt, ist die für die Berufung verzeichnete Pauschalgebühr nicht zu ersetzen.

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