OGH 15Os117/09h

OGH15Os117/09h14.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Oktober 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Walcher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Miroslava Tsvetanova T***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Miroslava Tsvetanova T*****, Yulia Tsvetanova Y***** und Valentina D***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 28. April 2009, GZ 13 Hv 122/08x-492, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch rechtskräftige Teilfreisprüche enthaltenden - Urteil wurden Miroslava Tsvetanova T*****, Yulia Tsvetanova Y***** und Valentina D***** der Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB (A./), der Vergehen der Zuhälterei nach § 216 Abs 1, 2 und 3 StGB (B./, [D***** nur zu B./I./]), des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1, 2 und 3 StGB (C./), des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 iVm § 12 zweiter Fall StGB (E./) und des Verbrechens der schweren Erpressung nach § 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB (F./) schuldig erkannt.

Danach haben sie in Wien, Graz, Sofia (Bulgarien), Varna (Bulgarien) und an anderen Orten

A./ nachgenannte Personen, mögen sie teilweise auch bereits der Prostitution nachgegangen sein, mit dem Vorsatz, dass sie in einem anderen Staat, als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, der Prostitution nachgehen, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Tatbegehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, der Prostitution in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zugeführt und sie hiefür angeworben, und zwar Miroslava T*****, Valentina D***** und Yulia Y***** und andere Personen im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter durch arbeitsteiliges Vorgehen, indem sie die nachangeführten Prostituierten in Bulgarien teils für die Prostitution in Österreich rekrutierten, teils aufgrund des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses nach Österreich „versendeten", die Bustickets von Sofia nach Wien und Graz besorgten, die Prostituierten in Wien abholten, in die Bordelle „R*****" und „S*****" nach Graz brachten und dafür Sorge trugen, dass sie in das jeweilige Bordell unmittelbar nach ihrer Ankunft eingegliedert und ihnen dort Unterkunft zur Ausübung der Prostitution gegen die Abnahme eines großen Teils des „Schandlohns" und der Provisionen für Getränke gewährt wurden, sowie die Verpflegung und das kontinuierliche Bereitstellen von Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution gewährleisteten, und zwar

1./ im Herbst/Winter 2003 Tania M***** sowie eine Person mit dem Spitznamen „Cveti";

2./ Anfang 2004 Marina P*****;

3./ Anfang 2004 Stanimira N*****;

4./ im Jahr 2004 Elka S*****;

5./ im Jahr 2004 Tsvetelina Ml*****;

B./ zu nachgenannten Zeitpunkten mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, teils als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (Punkte I./ und II./) nachgenannte Personen ausgenützt, ausgebeutet, sie teils eingeschüchtert, ihnen die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorgeschrieben und mehrere solche Personen zugleich ausgenützt, indem sie den Nachgenannten den gesamten bzw einen Großteil des „Schandlohns" abnahmen bzw abnehmen ließen, ihnen die Bedingungen vorschrieben bzw vorschreiben ließen, unter welchen die Prostituierten der Prostitution nachzugehen hatten, so insbesondere hinsichtlich Zeit, Ort, Art der Ausübung der Prostitution und Anordnungen darüber, welche Kunden sie zu bedienen hatten sowie hinsichtlich des zu verlangenden Entgelts, es ihnen untersagten, außerhalb der jeweiligen Bordellbetriebe der Prostitution nachzugehen und sie teils (unten Punkt I./) durch massive Gewaltausübung bereits im Vorfeld in Bulgarien in einen psychischen Zustand versetzten, in welchem sich die Prostituierten aus Angst nicht mehr frei entscheiden konnten (mitverfolgte Gewalttätigkeiten gegen Dritte, Einsperren, Strafen bei nicht zufriedenstellenden Prostitutionsleistungen, Schilderungen von Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Prostituierten - insbesondere auch für den Fall der versuchten Flucht - durch die Angeklagten), einschüchterten, und zwar

I./ Miroslava T*****, Valentina D*****, Yulia Y*****, teils mit anderen Personen im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter, teils als Beitragstäter, teils als Bestimmungstäter

1./ im Herbst/Winter 2003 bis Ende 2004 Tania M*****;

2./ von Herbst/Winter 2003 bis Anfang 2004 eine nicht näher bekannte Person mit dem Spitznamen „Cveti";

3./ von Anfang 2004 bis Jänner/Februar 2006 Stanimira N*****;

4./ von Anfang 2004 bis Jänner/Februar 2006 Marina P*****;

5./ im Herbst/Winter 2003 bis Anfang 2004 Tsvetelina Ml*****;

6./ von 23. Februar 2004 bis zumindest 26. Juli 2004 Elka S***** II./ Miroslava T***** und Yulia Y*****, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter

1./ im Zeitraum von Anfang 2006 bis 22. Oktober 2007 Stanimira N*****;

2./ im Zeitraum von Anfang 2006 bis Ende 2007 Marina P*****;

C./ Miroslava T*****, Valentina D***** und Yulia Y***** seit zumindest Anfang 2004 durch die zumindest konkludente Vereinbarung, künftig gemeinsam mit weiteren nicht näher bekannten Personen Verbrechen nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB durch Verbringung von im Ausland lebenden Ausländerinnen in die Bordelle V*****, R*****, S***** zum Zweck der Prostitutionsausübung zu begehen, eine kriminelle Vereinigung gegründet sowie sich durch die unter A./I. geschilderten Tathandlungen an der kriminellen Vereinigung als Mitglied beteiligt;

D./ Miroslava T*****, Yulia Y***** und Valentina D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter Tania M***** im Zeitraum von August 2004 bis 15. November 2004 dazu bestimmt, eine Handlung zu begehen, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit herbeizuführen, indem sie Tania M***** durch die unter B./I. dargestellten Zuhältereihandlungen im Rahmen der kriminellen Vereinigung ungeachtet der Tatsache, dass Tania M***** an Hepatitis C, sohin an einer gemäß § 1 Abs 1 Z 1 Epidemiegesetz 1950 nach ihrer Art zumindest beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheit litt, dazu veranlassten, entgegen dem amtsärztlichen Verbot weiterhin der Prostitution nachzugehen; E./ Miroslava T***** und Yulia Y***** als unmittelbare Täter in bewusstem und gewollten Zusammenwirken mit Lyudmil V***** und einer weiteren Person sowie Valentina D***** als Bestimmungstäterin zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Dezember 2004 mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern Tania M***** und Alois M***** durch die unter dem Eindruck der unter B./I./ gesetzten Tathandlung getätigten Äußerungen, wenn sie nicht 5.000 Euro an „Strafe für ihre Flucht" bezahlen würden, würden sie Tania M***** finden, zusammenschlagen und umbringen sowie, dass sie um ihre Familie Angst haben müsse, wobei die Drohungen durch die Anwesenheit und Drohgebärden des abgesondert verfolgten Lyudmil V***** und einer weiteren nicht näher bekannten männlichen Person untermauert wurde, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod sowie zumindest einer Verletzung am Körper, zur Übergabe des genannten Geldbetrags, sohin zu einer Handlung, die Alois M***** am Vermögen schädigte, genötigt, wobei Valentina D***** gemeinsam mit Miroslava T***** und Yulia Y***** den Tatplan besprach und Lyudmil V***** sowie die weitere männliche Person gegen Bezahlung eines Entgelts für die dargestellte Tathandlung anheuerte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf die nachgenannten Nichtigkeitsgründe gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der drei Angeklagten; sie schlagen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Miroslava Tsvetanova T***** (§ 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO):

Die Verfahrensrüge nach Z 4 kritisiert die Abweisung der Anträge auf „Einholung der Krankengeschichte" der Zeugin Stanimira N***** „bzw. Überprüfung jener dem Gericht bereits in der Hauptverhandlung vorgelegten Unterlagen" zum Beweis „ihrer psychischen Erkrankung" sowie auf „Einholung der gesamten Krankengeschichte" der Zeugin Nevelina Po***** zum Beweis ihrer „Erkrankung an Schizophrenie" (ON 483, S 81; ON 489, S 13). Die Tatrichter durften diese Begehren jedoch schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen, weil nicht dargelegt wurde, inwieweit die genannten Beweisthemen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung seien (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 ff [332]). Mit ihren zu letzterem Thema erstatteten Ausführungen verstößt die Beschwerde gegen das Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618). Im Übrigen wurden die die letztgenannte Zeugin betreffenden Anklagevorwürfe infolge Verfahrensausscheidung (ON 489, S 16) nicht zum Urteilsgegenstand. Auch der Antrag auf „Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass allfällige widersprüchliche Angaben der Erstangeklagten im Beweisverfahren und bei ihren Ersteinvernahmen vor der Polizei durch die Auswirkungen der verabreichten Medikamente entstanden und auf diese zurückzuführen sind" (ON 489, S 14), verfiel zu Recht der Ablehnung, mangelt es ihm doch an einem - schon in Hinblick auf das Fehlen von Anhaltspunkten aus den bisherigen Verfahrenergebnissen - notwendigen Vorbringen dahingehend, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, sodass in Wahrheit ein Erkundungsbeweis begehrt wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 ff [330, 346]).

Soweit die Beschwerde die Abweisung des Antrags auf neuerliche Vernehmung der - im Vorverfahren kontradiktorisch vernommenen - Zeuginnen Stanimira N***** und Marina P***** (ON 489, S 13) rügt, steht dem entgegen, dass diese von ihrem Entschlagungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO vor der Hauptverhandlung wirksam (RIS-Justiz RS0111315) Gebrauch gemacht haben und im Antrag keine Umstände dargetan wurden, denen zufolge der damit dokumentierte Wille der Zeuginnen nicht mehr aktuell sei.

Indem die Beschwerde die Zurückweisung vorgelegter ärztlicher Stellungnahmen (ON 489, S 14, 17) rügt, bezieht sie sich nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag oder nach Art von Anträgen substantiierten Widerspruch, der allein Gegenstand einer Verfahrensrüge nach Z 4 sein kann (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302). Der Antrag auf Zeugenvernehmung des Univ.-Prof. Dr. Helmut Poc***** zum Beweis dafür, dass „die Reaktions- und Kommunikationsfähigkeit der Erstangeklagten sowie ihre Wahrnehmung der Umgebung und ihre Detailgedächtnisleistung im Zeitraum von 23. 6. bis 7. 7. 2008 beeinträchtigt war" (ON 489, S 17), scheiterte schon daran, dass weder die Relevanz dieses Beweisthemas für die Schuldfrage dargetan wurde, noch Tatsachenwahrnehmungen des angeführten Zeugen behauptet wurden, die allein Gegenstand eines Zeugenbeweises sein könnten, während die von einem privaten Experten geäußerten Schlussfolgerungen prozessual unbeachtlich sind (RIS-Justiz RS0097573; Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 24 ff).

Schließlich erfolgte auch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines „entsprechenden Sachverständigengutachtens" betreffend die Zeugin Stanimira N*****, weil „laut vorgelegten ärztlichen Unterlagen und den Informationen der Erstangeklagten eine entsprechende Beeinflussung" des Aussageverhaltens der Zeugin infolge Schizophrenie gegeben sei, zu Recht, wurde doch wiederum die Relevanz des behaupteten Umstands für die Schuldfrage nicht dargetan. Die Mängelrüge (Z 5) behauptet eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen über körperliche Misshandlungen, Schläge und Ausbeutungen der Prostituierten (B./), bekämpft aber der Sache nach mit ihrer Kritik an einzelnen im Konjunktiv abgefassten, aber die Überzeugung der Tatrichter hinreichend deutlich wiedergebenden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) Urteilsformulierungen im Ergebnis nur in unzulässiger Form nach Art einer Schuldberufung die Beweiswürdigung. Kein Begründungsmangel wird mit der Kritik an den Schlussfolgerungen vom objektiven Geschehen auf die subjektive Tatseite aufgezeigt. Der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ist rechtsstaatlich vertretbar (14 Os 132/98) und bei leugnenden Angeklagten in aller Regel gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu D./ blieben - der Beschwerde zuwider - nicht unbegründet (s US 31). Die angenommenen Diskreditierungsversuche betreffend die Zeugin M***** wurden vom Schöffengericht konkret beschrieben (US 28), sodass diesbezüglich keine „Scheinbegründung" vorliegt. Mit der Formulierung „mehr oder weniger übereinstimmend" wird sprachlich unzweideutig eine weitgehende, aber nicht vollständige Übereinstimmung dargetan. Allgemeine Erwägungen der Tatrichter über Usancen im „Rotlichtmilieu" stellen eine zulässige Verwertung der Gerichtserfahrung dar. Schließlich war das Erstgericht berechtigt, den Angaben der Beschwerdeführerin im Ermittlungsverfahren Glauben zu schenken, ihren späteren Einlassungen aber nicht. Eine „geteilte" Beweiswürdigung in der Form, dass einzelnen Angaben einer Person geglaubt wird, anderen aber nicht, ist nicht nur zulässig, sondern in vielen Fällen realitätsnah (Danek, WK-StPO § 270 Rz 39). Die Gründe dafür wurden im Urteil hinreichend dargelegt (US 23 f, 25 f, 28, 32). Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet das Fehlen von ausreichenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu B./ und D./, legt aber nicht dar, welche Konstatierungen über die - von der Beschwerde als „Rechtsfloskeln" bezeichneten, jedoch zum Wissen und Wollen der Angeklagten zureichend - getroffenen (US 15 f, 20) hinaus aus ihrer Sicht konkret erforderlich gewesen wären (vgl 11 Os 26/98, 15 Os 100/99, 15 Os 155/00).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Yulia Tsvetanova Y***** (§ 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO):

Soweit die Beschwerde die Abweisung des Antrags der Erstangeklagten auf „Einholung der Krankengeschichte" der Zeugin Stanimira N*****, dem sich der Verteidiger der Zweitangeklagten angeschlossen hat (ON 483, S 81), rügt (Z 4), wird sie auf die Erledigung der Verfahrensrüge der Angeklagten T***** verwiesen.

Die Abweisung des Antrags auf „Beischaffung der Protokolle zur Genehmigung der grünen Prostitutionskarte bei der PI Wien, 1. Bezirk, zum Beweis dafür, dass sämtliche Zeuginnen freiwillig den Beruf der Prostitution ausgeübt haben" (ON 489, S 18), erfolgte ohne Verletzung von Verteidigungsrechten, legte er doch nicht dar, warum die begehrte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, sodass ein Erkundungsbeweis begehrt wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 ff [330, 346]).

Indem der in der Hauptverhandlung (ON 489/S 13 f) wiederholte schriftliche Antrag auf Vernehmung der Zeugin Diana Pr***** (ON 467) bloß substanzlos darauf abzielte, zu erweisen, dass die Zweitangeklagte „insbesondere die zu A./I./, B./I./, B./III./ und C./I./ der Anklageschrift inkriminierten Handlungen nicht begangen" habe, war er erneut auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet.

Auch der Antrag auf Beischaffung der Rechnungen über die Krankenbehandlungen der Tania M***** zum Beweis dafür, dass die Behandlungskosten höher waren, als von der Zeugin angeführt (ON 489, S 18), durfte abgewiesen werden, weil nicht dargelegt wurde, inwieweit das genannte Beweisthema für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sei (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 ff [332]). Mit ihren das fehlende Substrat nachholenden Ausführungen verstößt die Beschwerde gegen das Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0099618).

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet eine Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe, weil sich das Schöffengericht mit verschiedenen Zeugenaussagen nicht auseinander gesetzt habe, aus denen sich ergebe, dass die Angeklagten die Prostituierten nicht ausgebeutet hätten. Dem zuwider hat das Erstgericht - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - diese Verfahrensergebnisse hinreichend erörtert und ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen dargelegt, warum es ihnen nicht gefolgt ist (US 24 f, 29 f).

Wann die drei Angeklagten einander kennen gelernt haben und welche Kontakte sie vor dem gegenständlichen Tatzeitraum zueinander pflogen (US 14), betrifft keine entscheidende Tatsache im Sinn der Z 5. Die Feststellungen zu C./ blieben - der Beschwerde zuwider - nicht unbegründet (s US 30).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit der Wiederholung von Ausführungen zur Mängelrüge und dem Verweis auf Details der Aussagen der Zeuginnen M***** und N***** keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der entscheidenden Urteilsfeststellungen zu wecken.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet das Fehlen ausreichender Feststellungen zur subjektiven Tatseite zu D./ infolge „substanzlosen Gebrauchs der verba legalia", legt aber nicht dar, welche Konstatierungen über die zureichend getroffenen (US 15 f, 20) hinaus aus ihrer Sicht konkret erforderlich gewesen wären (vgl 11 Os 26/98, 15 Os 100/99, 15 Os 155/00).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Valentina D***** (§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO):

Wie schon zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Y***** ausgeführt wurde, betreffen die Feststellungen darüber, wann die drei Angeklagten einander kennen gelernt haben und welche Kontakte sie vor dem gegenständlichen Tatzeitraum zueinander pflogen (US 14), keine entscheidenden Tatsachen im Sinn der Z 5.

Die Feststellungen zu B./ über die Abnahme des Lohns der Prostituierten auch durch die Drittangeklagte blieben ebenso wenig unbegründet (s US 18 f, 29) wie jene zu A./ und C./ über die vereinbarten Ziele der Angeklagten im Rahmen der von ihnen gegründeten kriminellen Organisation (s US 25 ff). Im Übrigen betrifft die Frage, wer von den drei - nach den Urteilskonstatierungen im bewussten und gewollten Zusammenwirken handelnden - Angeklagten den Prostituierten Geld abgenommen hat, keinen entscheidenden Umstand.

Mit der Behauptung, den Prostituierten sei nicht der gesamte Lohn, sondern nur ein Teil von 30 % abgenommen worden, und mit dem Verweis dazu auf namentlich nicht näher bezeichnete Zeugen zeigt die Beschwerde keinen „inneren Widerspruch" der Feststellungen und Beweiswürdigung zur Gewerbsmäßigkeit zu B./ (US 15, 26) auf. Die Aussage des Zeugen St***** (ON 473, S 14 ff) bedurfte keiner gesonderten Erörterung im Urteil, weil seine Depositionen über das Fehlen von Wahrnehmungen seinerseits über strafbare Handlungen im Zuge seiner Amtshandlungen solche naturgemäß nicht ausschließen. Verfahrensergebnisse betreffend Telefonkosten und Konsumationen N*****s bedurften schon deshalb keiner detaillierten Erörterung, als das Schöffengericht den Angaben der in diesem Sinn für die Angeklagten günstig aussagenden Zeugen generell keine Glaubwürdigkeit zuerkannt hat (US 24).

Das Schöffengericht durfte ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen aus den näheren Umständen der Einreise der Zeugin M***** nach Österreich (US 26 f) Schlussfolgerungen auf die folgenden Einreisen weiterer Prostituierter ziehen. Warum es den für die dazu ergangenen Feststellungen sprechenden Aussagen Glaubwürdigkeit zuerkannt, gegenteilige aber als unglaubwürdig verworfen hat, musste es nicht weiter begründen (RIS-Justiz RS0098603).

Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz und mit Spekulationen über Motive für eine mögliche Falschaussage der Zeugin M***** macht die Beschwerde keinen Begründungsmangel iSd Z 5 geltend. Soweit die Mängelrüge zu E./ behauptet, das Schöffengericht habe die - ihre die Drittangeklagte belastenden polizeilichen Angaben widerrufende - Aussage der Erstangeklagten in der Hauptverhandlung unberücksichtigt gelassen, vernachlässigt sie US 23, 25, 31 f. Eine ärztliche Stellungnahme aus Sofia fand mangels Verlesung in der Hauptverhandlung im Urteil zu Recht keine Berücksichtigung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 422). Mit der Kritik an der Wertung der Aussage des Zeugen V***** (US 32) bekämpft die Beschwerde in unzulässiger Form die Beweiswürdigung.

Auch die Behauptung einer offenbar unzureichenden Begründung der Feststellungen zu A./1./ und 5./ sowie B./2./ und 5./ schlägt fehl, durften die Tatrichter sie doch auf die Angaben der Zeugin M***** und jene der Erstangeklagten vor der Polizei stützen (US 25). Mit der Kritik, dass die Tatopfer „Cveti" und Tsvetelina Ml***** nicht niederschriftlich vernommen wurden, wird kein Begründungsmangel dargetan.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag weder mit der Wiederholung ihres Vorbringens zur Mängelrüge, noch mit weitwendigen Verweisen auf Details des abgeführten Beweisverfahrens erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der entscheidenden Urteilsfeststellungen zu wecken.

Anzumerken bleibt, dass den Angeklagten zu B./2./ und 5./ die verfehlte Subsumtion unter § 216 Abs 1, 2 und 3 StGB idF BGBl I 2004/15 statt idF BGBl I 2002/134 (§ 61 zweiter Satz StGB) nicht zum Nachteil gereicht, weil die rechtsirrige Erfassung nicht zur Verurteilung wegen eines strafbaren Verhaltens qualitativ höheren Unrechtsgehalts als bei rechtsrichtiger Subsumtion geführt hat. Sieht sich der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklichem Hinweis auf eine verfehlte Subsumtion mangels eines darüber hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst, so besteht bei der Entscheidung über die Berufung, bei der das Berufungsgericht an die in der Rechtsmittelschrift vorgetragenen Berufungsgründe nicht gebunden ist, insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870). Allfällige Auswirkungen eines Subsumtionsirrtums wiederum bloß auf den Bestand von Strafzumessungsgründen, die gegebenenfalls in Erledigung der Berufung korrigierbar sind, müssen bei der amtswegigen Wahrnehmung einer Beschwer im Nichtigkeitsverfahren außer Betracht bleiben. Zu einem Vorgehen nach § 290 Abs 1 StPO besteht daher kein Anlass. Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher - in Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Verteidigers der Angeklagten D***** - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO). Das Berufungsgericht wird hinsichtlich der Erstangeklagten auf das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. August 2009, AZ 13 Hv 122/08x, Bedacht zu nehmen haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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