OGH 15Os48/09m (15Os49/09h, 15Os82/09m)

OGH15Os48/09m (15Os49/09h, 15Os82/09m)24.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Ivo P***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Mehmet A***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 30. Jänner 2009, GZ 12 Hv 200/08w-37, sowie über dessen Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil ergangenen Beschluss gemäß § 494a StPO, weiters über die Beschwerde des Angeklagten Ivo P***** gegen den Beschluss gemäß §§ 285a Z 1, 285b Abs 1 StPO des Landesgerichts Wels vom 20. Februar 2009, GZ 12 Hv 200/08w-44, und dessen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil sowie die (neuerliche) Anmeldung dieser Rechtsmittel nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mehmet A***** wird das angefochtene Urteil - das im Übrigen unberührt bleibt - im Schuldspruch dieses Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./) sowie im Strafausspruch, weiters der diesen Angeklagten betreffende Beschluss gemäß § 494a StPO aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A***** zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird dieser Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Beschwerde und dem Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten Ivo P***** wird nicht Folge gegeben.

Die neuerliche Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und die Anmeldung der Berufung dieses Angeklagten werden zurückgewiesen. Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Ivo P***** und Mehmet A***** (zu A./) des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, Ivo P***** auch (zu B./) der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG, Mehmet A***** hinwieder auch (zu C./) des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG schuldig erkannt.

Danach haben sie in Schwanenstadt und anderen Orten A./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen, indem

1./ Ivo P*****

a) in der Zeit von Anfang November bis zum 2. Dezember 2008 insgesamt etwa 35 Gramm Kokain an namentlich nicht ausgeforschte Abnehmer verkaufte,

b) in der Zeit von 20. November bis 2. Dezember 2008 insgesamt ca 20 Gramm Heroin an namentlich nicht ausgeforschte Abnehmer verkaufte,

c) am 27. November 2008 0,5 Gramm Heroin brutto als Probe an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts verkaufte,

d) am 2. Dezember 2008 1.004 Gramm Heroin brutto an einen verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts verkaufte,

2./ Mehmet A***** in der Zeit von 20. November bis 28. November 2008 insgesamt ca 40 Gramm Heroin und am 2. Dezember 2008 1004 Gramm Heroin brutto jeweils an Ivo P***** zum Zwecke des kommissionsweisen Weiterverkaufs übergab,

B./ Ivo P***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich 21 Gramm Heroin brutto am 28. November 2008 erworben und bis zum 2. Dezember 2008 besessen,

C./ Mehmet A***** in der Zeit von etwa 2002 bis zum 4. Dezember 2008, wenn auch nur fahrlässig, einen Totschläger, sohin eine verbotene Waffe (§ 17 WaffG), unbefugt besessen.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte Mehmet A***** bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; diese ist teilweise im Recht.

Zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5) auf, dass das Schöffengericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen hat. Denn die Tatrichter haben sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der hinsichtlich der behaupteten Übergabe von Heroin zu A./2./ pauschal für glaubwürdig erachtete (US 6 ff) Angeklagte P***** als Ort für die Übergabe von 1004 Gramm Heroin brutto am 2. Dezember 2008 bei seiner Vernehmung vor der Kriminalpolizei die „Waschanlage im Industriegelände in Braunau" genannt hat (S 17 in ON 7), während er - im Widerspruch dazu - in der Hauptverhandlung behauptete, dies sei am „Marktplatz in Braunau" gewesen (S 7 in ON 36). Unerörtert blieb auch, dass dieser Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung behauptet hat, er habe mit dem Beschwerdeführer die in Rede stehende Suchtgiftübergabe im „Casino in Simbach" vereinbart (S 17 in ON 7), während er in der Hauptverhandlung angab, das Gespräch darüber habe im „Krankenhaus Braunau" stattgefunden (S 5 in ON 36). Diese durch die Unterlassung der Würdigung der aufgezeigten Widersprüche innerhalb der Aussagen der Person, auf deren Angaben sich das Schöffengericht in erster Linie stützte, gegebene Unvollständigkeit stellt für sich allein bereits einen Verfahrensmangel dar, der eine Kassation des ihn betreffenden Schuldspruchs A./2./ unumgänglich macht (§ 285e StPO).

Soweit die Beschwerde hingegen die Aufhebung des gesamten Urteils, somit auch im Schuldspruch wegen § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (C./) begehrt, war sie mangels jeglicher Ausführungen dazu als nicht der Prozessordnung entsprechend zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO). Der Angeklagte Ivo P***** verzichtete nach Verkündung des Urteils und ihm erteilter Rechtsmittelbelehrung auf Rechtsmittel (S 14 in ON 36). Ungeachtet dessen meldete er mit Eingabe vom 1. Februar 2009 Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil an (ON 38). Mit Beschluss des Vorsitzenden vom 20. Februar 2009 (ON 44) wurde die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß §§ 285a Z 1, 285b Abs 1 StPO zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des genannten Angeklagten, verbunden mit einem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung sowie einer neuerlichen Anmeldung dieser Rechtsmittel. Darin wird sinngemäß vorgebracht, der Angeklagte habe unmittelbar nach Urteilsverkündung geäußert „in Berufung gehen zu wollen" und nach einer Rücksprache mit seinem Verteidiger sodann mit einer Handbewegung zum Ausdruck bringen wollen, dass er „keine Erklärung" abgebe. Der Verzicht habe nicht dem tatsächlichen Wunsch des Angeklagten entsprochen, dem ein Missverständnis darüber unterlaufen sei, welche Erklärung er abgegeben habe.

Der Beschwerde kommt - in Übereinstimmung mit der von der Generalprokuratur vertretenen Ansicht, jedoch entgegen derjenigen in der Äußerung der Verteidigung - keine Berechtigung zu. Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls, dessen Berichtigung im fraglichen Punkt vom Beschwerdeführer nicht beantragt worden ist (§ 271 Abs 7 StPO) und das dem Obersten Gerichtshof diesbezüglich keinen Anlass zu einer weitergehenden Aufklärung gab (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 312), hat der Angeklagte P***** dem Gericht gegenüber einen Rechtsmittelverzicht erklärt (S 14 in ON 36). Dem Beschwerdevorbringen, er habe bloß mit einer Handbewegung zum Ausdruck bringen wollen, keine Erklärung abzugeben, mangelt es somit schon vom objektiven Sachverhalt her an einer entsprechenden Verfahrensgrundlage. Im Übrigen ist ein Rechtsmittelverzicht unwiderruflich, dessen Motiv (zB ein „Missverständnis") ohne Bedeutung (Ratz, WK-StPO § 284 Rz 8; RIS-Justiz RS0116751). Auch ein Fall des § 364 Abs 1 StPO liegt nicht vor. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nur gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung, Ausführung oder Erhebung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs bewilligt werden. Die dreitägige Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1 StPO) wurde im konkreten Fall nicht versäumt; die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde erfolgte nicht wegen verspäteter Anmeldung (§ 285a Z 1 erster Fall StPO), sondern wegen Verzichts auf diese (§ 285a Z 1 dritter Fall StPO). Die Wiedereinsetzung ist ein Instrument zur Beseitigung der Folgen einer Versäumung einer Prozesshandlung, nicht zu deren Beseitigung und/oder Korrektur. Deshalb kann mit der Wiedereinsetzung ein Rechtsmittelverzicht nicht korrigiert werden (Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 9; RIS-Justiz RS0101182).

Bezieht sich ein Wiedereinsetzungsantrag - wie hier - auch auf eine Nichtigkeitsbeschwerde, kommt dem Obersten Gerichtshof die Entscheidung darüber auch hinsichtlich der Berufung zu, weil § 364 Abs 2 Z 3 StPO auf die Kompetenz zu meritorischer Erledigung des Rechtsmittels in abstracto abstellt (Ratz, WK-StPO § 285a Rz 2; 14 Os 106/91, 13 Os 165/08a).

Demgemäß waren die neuerliche Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und die wiederholte Anmeldung der Berufung zurückzuweisen (vgl 15 Os 117/08g).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte