Spruch:
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Aus deren Anlass wird festgestellt, dass Sven M***** durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 9. April 2009, AZ 6 Bs 197/09k, in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Innsbruck die vom Landesgericht Feldkirch am 6. März 2009 über Sven M***** verhängte (ON 41) und mit Beschluss vom 19. März 2003 (ON 50) fortgesetzte Untersuchungshaft seinerseits aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO bis zum 9. Juni 2009 fort (ON 66).
Zur Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts stellte das Oberlandesgericht fest, der Beschuldigte stehe in dringendem Verdacht, er habe ab dem Jahr 2008 als (zunächst eingetragener und seit 12. Dezember 2008 faktischer) Geschäftsführer der M***** GmbH mit „Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz, teilweise unter Angabe falscher Namen ... die im Rahmen des Callcenters der Firma telefonisch und in der Folge schriftlich angeworbenen Kunden zum Kauf von Diamanten und zu Kaufpreiszahlungen verleitet, jedoch die Diamanten dann nicht geliefert und auch Diamanten zu weit überhöhten Preisen angeboten und verkauft". Weiters „habe der Beschuldigte Kunden zum Abschluss von Vermittlungsgeschäften bezüglich der in ihrem Besitz befindlichen Diamanten verleitet, die entsprechenden Vermittlungsprovisionen vereinnahmt, jedoch keine Vermittlungstätigkeiten durchgeführt. In mehreren Fällen habe der Beschuldigten den Kunden vorgetäuscht, dass sich Diamanten bereits im Depot der Firma befinden würden und dass Diamanten auch doppelt verkauft worden seien. Seit dem Jahr 2008 haben zahlreiche Kunden die Firma ... geklagt, sodass zur Zeit zahlreiche Zivilprozesse anhängig sind. Mehrere Verfahren sind aber auch aufgrund von Klagen ehemaliger Angestellter wegen nicht geleisteter Lohnzahlungen anhängig". Zuletzt verwies das Oberlandesgericht auf in der Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft Feldkirch vom 18. Februar 2009 und „weiteren Anordnungen der Staatsanwaltschaft Feldkirch in den Monaten Februar und März" angeführte „Beispiele hinsichtlich geschädigter Kunden und Arbeitnehmer" (BS 2 f, 6).
Ausgehend davon erachtete das Oberlandesgericht dringenden Tatverdacht wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB für gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen von Sven M***** erhobenen Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Soweit die Beschwerde die Dringlichkeit des Tatverdachts kritisiert, scheitert sie an der Unterlassung einer entsprechenden Bekämpfung in der Beschwerde gegen den Beschluss des Einzelrichters im Ermittlungsverfahren und demgemäß an der Erschöpfung des Instanzenzugs (für viele: 11 Os 41/06y).
Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).
Der Beschwerdeführer zeigt jedoch keinerlei Willkür bei der Annahme der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO auf. Das Oberlandesgericht leitete den in Rede stehenden Haftgrund mängelfrei aus einer in Deutschland erlittenen einschlägigen Vorverurteilung des Beschuldigten vom 13. November 2002 (wegen in Zusammenhang mit Diamantenhandel begangenen Betrugs in 44 tateinheitlichen Fällen und 40 tatmehrheitlichen Fällen), aus der „Vielzahl der ihm nunmehr vorgeworfenen deliktischen Angriffe", der „mutmaßlich gewerbsmäßigen Begehungsweise", dem hohen Schaden und der finanziellen Notlage des Beschwerdeführers ab (BS 6 ff). Damit wurde die Annahme der Gefahr, Sven M***** werde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens weitere strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet sind, wie die ihm angelasteten wiederholt begangenen Handlungen, gesetzmäßig begründet.
Einzelne aus der Sicht des Beschwerdeführers erörterungsbedürftige Umstände bei dieser Prognose nicht erwähnt zu haben, kann der angefochtenen Entscheidung nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden (13 Os 118/03, 15 Os 86/06w).
Mit Blick auf das einschlägig getrübte Vorleben des Beschuldigten und die gegenständlich vorgeworfene erhebliche Delinquenz ging das Oberlandesgericht auch zu Recht von einer mangelnden Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel aus (BS 8). Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Aus ihrem Anlass war zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO der in der Beschwerde nicht (prozessordnungsgemäß) gerügte Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält, die eine rechtliche Beurteilung, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen das Verbrechen nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB begründet wird, ermöglichen würden, womit die Entscheidung in Betreff der Sachverhaltsannahmen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise undeutlich geblieben ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt klargestellt, dass der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue - reformatorische - Entscheidung darzustellen hat (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421, RS0120817). Nach § 174 Abs 3 Z 4 StPO (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat jede solche Entscheidung „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht" für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher - in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich entscheidend beurteilte - Sachverhalt angenommen wurde (Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; vgl EvBl 2006/132, 690; RIS-Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor. Insoweit unterscheidet sich die Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von der für ein Strafurteil (vgl statt aller: 13 Os 81/07x, EvBl 2007/137, 742, mwN). Vorliegend lässt sich dem angefochtenen Beschluss - trotz teilweise im Konjunktiv, teilweise sinnstörend und unvollständig erfolgter bloßer Wiedergabe der Sachverhaltsannahmen aus dem angefochtenen Beschluss des Einzelrichters im Ermittlungsverfahren - zwar deutlich genug entnehmen, dass das Oberlandesgericht zum Ausdruck bringen wollte, der Beschuldigte sei aus seiner Sicht dringend verdächtig, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Kunden des Unternehmens, dessen Geschäftsführer er war, durch die Vorgabe, Diamanten zu liefern und zu vermitteln, zu zur Zahlung von Kaufpreisen und Vermittlungsprovisionen verleitet zu haben, wodurch die solcherart Getäuschten am Vermögen geschädigt wurden (BS 2 f iVm 6).
Sachverhaltsannahmen zu einer höhergradigen Wahrscheinlichkeit eines durch konkrete Taten bewirkten 50.000 (oder auch nur 3.000) Euro übersteigenden Schadens fehlen aber ebenso wie solche zu einem diesbezüglichen Vorsatz des Beschuldigten und zu einer Tendenz, sich durch wiederkehrenden Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, womit sich bloß die Annahme dringenden Tatverdachts in Richtung des Vergehens nach § 146 StGB rechtfertigen lässt. Der - zudem ohnehin bloß in objektiver Hinsicht relevante - vage und unbestimmte Verweis auf in Anordnungen der Staatsanwaltschaft angeführte „Beispiele hinsichtlich geschädigter Kunden und Arbeitnehmer" entspricht dem Deutlichkeitsgebot schon deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, ob und welche der - ihrerseits undeutlich
gebliebenen (vgl ON 15: „... lässt einen strafrechtlichen Hintergrund
im Sinne eines Betrugsdelikts vermuten.", „die ... Diamantengeschäfte
sind zu einem Gutteil hinterfragenswert"; „ungewöhnlich ist schließlich, ...") und zahlreiche in der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht als vom dringenden Tatverdacht umfasst angesehene Tathandlungen enthaltenden - Argumente, auf die Bezug genommen wurde, sich das Oberlandesgericht zu Eigen gemacht, ob und mit welchen es sich also identifiziert hat (vgl zu Verweisen ausführlich: 13 Os 81/07x mwN).
Die aufgezeigten Defizite der Sachverhaltsannahmen erfordern - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung, mit Blick auf die eine dringende Verdachtslage nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB indizierenden Verfahrensergebnisse (vgl insbes ON 13, 14, 26, 38) aber nicht die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; vgl Reiter, ÖJZ 2007, 391 [403] und Ratz, ÖJZ 2005, 415 [419]).
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