Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 16. 6. 1952 geborene Kläger hat nach den Feststellungen des Erstgerichts in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 12. 2003) „immer wieder" als Kellner gearbeitet. Er „weist jedoch nicht die erforderlichen fachlichen Kenntnisse des Kellnerberufes auf". Aufgrund des näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls sind dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch beispielsweise Wachdienste an Kassen und Eingängen von Supermärkten sowie Kontrolltätigkeiten in der Parkraumbewirtschaftung möglich.
Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 24. 11. 2004 den Antrag des Klägers vom 5. 11. 2003 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.
Das Erstgericht wies das vom Kläger dagegen erhobene und auf die Gewährung der beantragten Leistung ab dem Stichtag 1. 12. 2003 gerichtete Klagebegehren ab. Es traf im Wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die Berufsunfähigkeit des Klägers inhaltlich nach der Bestimmung des § 255 ASVG zu beurteilen sei. Ein Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und Abs 2 ASVG komme dem Kläger nicht zugute, weil er im maßgebenden Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag keinen erlernten oder angelernten Beruf überwiegend ausgeübt habe. Der Kläger sei auf die genannten Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und daher nicht invalide im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und erachtete auch die Tatsachen- und Beweisrüge für nicht berechtigt. Soweit der Kläger in seiner Rechtsrüge das Fehlen von entsprechenden Feststellungen über die von ihm tatsächlich verrichteten Kellnertätigkeiten als sekundären Feststellungsmangel geltend machte, räumte das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zwar ein, dass die strittige Frage, ob ein angelernter Beruf vorliege, eine Rechtsfrage darstelle, zu deren Beantwortung detaillierte Feststellungen darüber erforderlich seien, welche Anforderungen an ausgelernte Facharbeiter der Berufsgruppe Restaurantfachmann (vormals: Kellner) üblicherweise gestellt werden und welche qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten dieser Berufsgruppe der Kläger wann erworben habe. Es sei aber gerichtsnotorisch, dass Restaurantfachleute jedenfalls Gäste bei der Auswahl von Speisen und Getränken zu beraten und dabei die persönlichen Wünsche, Neigungen und Bedürfnisse der Gäste zu berücksichtigen hätten. Den Schwerpunkt der Aufgaben bilde in jedem Fall das Servieren von Speisen und Getränken. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen weise der Kläger nicht die notwendigen Kenntnisse eines Kellners auf. Aus dem sachverständig durchgeführten Qualifikationstest, der die Ermittlung einer allfälligen Anlernung des Klägers als Restaurantfachmann in tatsächlicher Hinsicht zum Ziel gehabt habe, und der diese Feststellung insbesondere trage, sei im Übrigen zu gewinnen, dass der Kläger nicht einmal in der Lage sei, die einfache allgemeine Technik des fach- und sachgerechten Servierens auszuüben, sodass im Hinblick auf die mangelnde Fähigkeit eines tragenden Aufgabengebiets eines Restaurantfachmanns (Kellner) schon deshalb ein Berufsschutz als angelernter Arbeiter zu verneinen sei. Ob der Kläger eine Gastgewerbekonzessionsprüfung abgelegt habe, sei in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich, weil hier ausschließlich die Frage zu prüfen sei, ob der Kläger den beruflichen Anforderungen eines gelernten Kellners gerecht werde und eine darüber hinausgehende Qualifikation fehlende erhebliche Teile des Anforderungsprofils eines Lehrberufs in diesem Fall nicht zu substituieren vermöge. Da der Kläger nicht über qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten eines erlernten Berufs, welche in Gastronomiebetrieben (Landgasthöfen und 1- bis 3 Sterne-Restaurants) von dort beschäftigten gelernten Restaurantfachleuten (Kellner) erbracht werden, besitze, könne von einem Erwerb der Anlernqualifikaion durch praktische Tätigkeit keine Rede sein. Insofern seien die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur Beurteilung dieser Rechtsfrage ausreichend. Da dem Kläger somit kein Berufsschutz im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG zukomme und auch eine Invalidität im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG nicht vorliege, sei das Klagebegehren nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.
Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen im Wesentlichen geltend, die Frage seines Berufsschutzes als angelernter Kellner sei von den Vorinstanzen nicht ausreichend erörtert worden. Er habe die Gastgewerbekonzessionprüfung erfolgreich abgelegt und verfüge über die für einen Restaurantfachmann (Kellner) in einem einfachen bis gut bürgerlichen gastgewerblichen Betrieb erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Er leide unter Depressionen, weshalb er den Berufsqualifikationstest nicht erfolgreich habe absolvieren können.
Diesen Ausführungen kommt im Sinne der beschlossenen Aufhebung Berechtigung zu.
Vom Kläger wird zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass die Frage seines Anspruchs auf Berufsunfähigkeitspension inhaltlich nach der Bestimmung des § 255 ASVG zu prüfen ist. Dabei hat das Gericht die Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz nach dieser Gesetzesstelle genießt, in allen Fällen, in denen ausgehend vom Bestehen eines Berufsschutzes die Verweisbarkeit in Frage gestellt ist, aufgrund der Bestimmung des § 87 Abs 1 ASGG von Amts wegen zu überprüfen, mit den Parteien zu erörtern und hierüber Feststellungen zu treffen (10 ObS 44/93 mwN). Wie das Berufungsgericht selbst unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausgeführt hat, ist die im vorliegenden Fall strittige Frage, ob ein angelernter Beruf im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG vorliegt, keine von einem (berufskundlichen) Sachverständigen zu lösende Tatfrage, sondern eine Rechtsfrage. Grundlage für die Lösung dieser Rechtsfrage bilden Tatsachenfeststellungen einerseits über die Anforderungen, die an einen gelernten Arbeiter in diesem Beruf in der Praxis üblicherweise gestellt werden und andererseits über die Kenntnisse und Fähigkeiten, über die der Versicherte im konkreten Fall verfügt (10 ObS 267/02s = SSV-NF 16/113 mwN ua).
Zutreffend macht der Kläger geltend, dass die Frage, ob er als Restaurantfachmann (Kellner) Berufsschutz erworben hat, mangels näherer Feststellungen über Art und Umfang der von ihm ausgeübten Tätigkeit und der von einem Facharbeiter in diesem Beruf in der Praxis üblicherweise verlangten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht beantwortet werden kann. Die vom Erstgericht getroffene „Feststellung", der Kläger „weise nicht die erforderlichen fachlichen Kenntnisse des Kellnerberufes auf", stellt eine vorweggenommene rechtliche Beurteilung dar, für die allerdings das notwendige Tatsachensubstrat fehlt. Auch die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zu dieser Frage können sich nicht auf entsprechende Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts stützen.
Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren zunächst eine ausdrückliche Feststellung darüber zu treffen haben, ob der Kläger aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kellner weiterhin ausüben kann, da sich in diesem Fall die Frage, ob die Voraussetzungen nach § 255 Abs 2 ASVG vorliegen, erübrigen würde (vgl RIS-Justiz RS0110071 [T6]). Die Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen in seinem Gutachten (ON 17 und 24), wonach dem Kläger eine Tätigkeit als Kellner aufgrund des damit verbundenen Zeitdrucks nicht mehr zumutbar sei, haben bisher noch keinen Eingang in die Feststellungen des Erstgerichts gefunden. Sollte eine weitere Tätigkeit des Klägers als Restaurantfachmann (Kellner) mit seinem medizinischen Leistungskalkül nicht vereinbar sein, wird im Sinne der in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten und vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen Grundsätze zu prüfen sein, ob dem Kläger Berufsschutz nach § 255 Abs 2 ASVG zukommt. Dazu sind, wie bereits erwähnt, genauere Feststellungen einerseits über die von ausgelernten Facharbeitern in diesem Beruf üblicherweise verlangten und andererseits über die beim Kläger auch unter Berücksichtigung seiner angeblich erfolgreichen Ablegung der Gastgewerbekonzessionsprüfung vorhandenen diesbezüglichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie über die Zeit, seit der er darüber verfügt und sie auch ausgeübt hat, erforderlich (vgl 10 ObS 358/88; 10 ObS 370/90 = SSV-NF 4/166 ua). Dabei wird auch auf die vom Kläger in der Tagsatzung am 22. 11. 2006 erwähnte Berufstätigkeit in Deutschland Bedacht zu nehmen sein (vgl dazu auch die im Pensionsakt unter OZ 63 ff erliegende Bescheinigung über den Versicherungsverlauf des Klägers in Deutschland), weil die in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Versicherungszeiten auch hinsichtlich der beruflichen Qualifikation für die Frage des Berufsschutzes so zu beurteilen sind, wie in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten (vgl 10 ObS 49/03h = SSV-NF 18/31). Im fortgesetzten Verfahren wird in Abhängigkeit von der Frage, ob der Kläger jemals im Beruf des Restaurantfachmanns (Kellners) angelernt wurde, auch die Frage, wann dieser Anlernvorgang abgeschlossen war und ob der Kläger schließlich im Beobachtungszeitraum in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate eine Berufstätigkeit ausübte, für die Kenntnisse und Fähigkeiten des angelernten Berufs erforderlich waren, zu klären sein. Ist der Berufsschutz des Klägers zu bejahen, wird auch noch die Frage allfälliger in Betracht kommender Verweisungstätigkeiten zu prüfen sein (vgl 10 ObS 130/99m).
Da die genannten Fragen bisher nicht erörtert und die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen wurden, kann noch nicht beurteilt werden, ob der Kläger Berufsschutz genießt und welche Verweisungstätigkeiten in diesem Fall für ihn in Frage kommen. Das Verfahren erweist sich daher als ergänzungsbedürftig. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war in Stattgebung der Revision des Klägers die Sache unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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