OGH 6Ob22/09t

OGH6Ob22/09t26.3.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anita M*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lenneis, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Siemer - Siegl - Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 5.720 EUR sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 19. September 2008, GZ 18 R 146/08m-43, womit über Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 30. April 2008, GZ 14 C 1172/06i-32, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 373,68 EUR (davon 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Beklagte betreibt in einem Einkaufszentrum eine Filiale ihres Texilhandelsunternehmens. Die durch eine Glastür unterbrochene Front des Geschäftslokals ist vom Boden weg 2,5 m hoch verglast. Während der Geschäftszeiten ist die zweiflügelige Eingangstür, die nach innen aufgeht, durchgehend geöffnet.

Am 9. 10. 2006 blieb die 149 cm große Klägerin - von links kommend - vor dem zweiten Segment von links der Glasfront stehen. Sie bemerkte, dass sie vor einer Glasscheibe stand. Im Geschäft hoben zwei Damen Waren hoch, die auch der Klägerin gefielen. Sie entschloss sich deshalb, in das Geschäft zu gehen, um allenfalls einzukaufen. Sie schaute nur auf die Bekleidungsstücke, die die Kundinnen im Geschäft in der Hand hielten, machte zwei rasche Schritte in schräg linker Richtung und stieß gegen das äußerste Glassegment. Ihr Blick war geradeaus zu dem vermeintlichen Eingang gerichtet gewesen. Sie hatte gedacht, dass es sich bei diesem Glaselement um den Eingang handle, weil für sie dieser Bereich optisch frei war und sie den 8,5 cm hohen und 34,5 cm langen Aufkleber nicht wahrgenommen hatte, der in der Mitte dieses Glassegments auf Höhe von 159 cm bis 167,5 cm angebracht war. Von ihrer Position aus hätte sie den rechts gelegenen Eingang des Geschäfts nicht sehen können, weil die Sicht durch einen Rundständer mit Textilien verstellt war. Durch den Anprall wurde die Klägerin verletzt und ihre Brille irreparabel beschädigt.

Während das Erstgericht den Schaden im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten der Beklagten teilte, teilte ihn das Berufungsgericht auf Berufung der Beklagten hin im Verhältnis 1 : 1. Der Berufung der Klägerin gab es hingegen nicht Folge. Die Beklagte sei aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflichten verpflichtet gewesen, das Glaselement, gegen das die Klägerin gestoßen sei, auffallend(er) zu kennzeichnen, was keinen besonderen (finanziellen) Aufwand erfordert hätte. Der Klägerin hingegen hätte die doch geringe Durchgangsbreite von etwa 75 cm, die sie im Bereich des ersten, als solches nicht erkannten Glaselements nicht vermutet habe, dazu veranlassen müssen, zu überdenken, ob nicht (auch) andere Eingänge, insbesondere ein Haupteingang existierten, auch wenn aus ihrer Position eine Sicht auf den tatsächlichen Eingang durch den Rundständer ganz oder teilweise verdeckt gewesen sei. Ein geschlossenes Glaselement, insbesondere in der Herbst- oder Winterzeit, sei auch innerhalb des Einkaufszentrums nicht ungewöhnlich. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein geschlossenes Glaselement an dieser Stelle nicht zu vermuten gewesen wäre. Die Klägerin sei auch in einem gewissen Umfang dadurch abgelenkt gewesen, dass zwei Kundinnen im Geschäft Waren in Händen hielten und so ihre Aufmerksamkeit zunächst auf diese beiden Kunden fixiert gewesen sei. Die Klägerin sei auch schnell schräg links geschritten. Durch einen Blick, auch etwas nach oben, und bei großer Vorsicht wäre es ihr nicht unmöglich gewesen, den Aufkleber auf dem Glassegment wahrzunehmen und das Glassegment als solches zu erkennen. Der Klägerin sei eine erhebliche Unaufmerksamkeit anzulasten, weil die geschlossenen Glaselemente bei Annäherung an das Geschäft bei einiger Aufmerksamkeit hätten auffallen müssen. Immerhin seien die vertikalen Fugen der Glaselemente und auch die Aluleiste am Boden deutlich erkennbar. Dass die Wahrnehmbarkeit der Auslagenscheibe abnehme, je näher und frontaler man davor stehe, treffe zwar zu. Mit dem Vorhandensein von großen Auslagenscheiben sei aber in einem Einkaufszentrum zu rechnen. Die Nachlässigkeit der Beklagten wiege demgegenüber nicht schwerer. Der Umstand, dass es schon mehrmals ähnliche Vorfälle beim Geschäft der Beklagten gegeben habe, spreche nicht gegen ein Mitverschulden der Klägerin. Dass es auch andere unaufmerksame Personen gebe, entschuldige nämlich nicht die eigene Sorglosigkeit. Dieser Umstand zeige lediglich, dass die Auslagenscheiben der Beklagten eine gewisse Gefahrenquelle darstellten. Dass die Klägerin klein und kurzsichtig sei, könne bei der Beurteilung ihres Mitverschuldens nicht zu ihren Gunsten ausschlagen, weil sie diese Umstände einzukalkulieren habe. Nachträglich (§ 508 ZPO) ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision mit der Begründung zu, die Befassung des Obersten Gerichtshofs sei angebracht um klarzustellen, welches Maß an Eigenverantwortung von potentiellen Kunden beim Versuch, Geschäftslokale mit Glasportalen zu betreten, zu verlangen sei. Die Revision der Klägerin ist entgegen dem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu grundsätzlichen Fragen der Verkehrssicherungspflichten liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Die Verkehrssicherungspflicht darf nicht überspannt werden, soll sie keine in Wahrheit vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben. Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich dabei vor allem danach, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht kann immer nur von Fall zu Fall bestimmt werden. Ob eine Situation geschaffen wurde, die eine Schädigung wahrscheinlich macht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht aufgeworfen wird (4 Ob 289/07g; 10 Ob 22/06t mwN; RIS-Justiz RS0044088). Die Auffassung des Berufungsgerichts über den Inhalt der die Beklagte nach den Umständen des Falls treffenden Verkehrssicherungspflicht folgt der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (7 Ob 28/04z).

Auch die Beurteilung des Verhaltens des Geschädigten hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (6 Ob 55/04p). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Einzelfallentscheidung für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn dem Berufungsgericht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden muss (RIS-Justiz RS0021095; RS0044088). Dies ist hier nicht der Fall. Erkennbaren Gefahrenstellen muss grundsätzlich ausgewichen werden (RIS-Justiz RS0023704 [T3]). Ob die Ausmessung der Verschuldensanteile durch das Berufungsgericht angemessen erfolgte, stellt eine Ermessensentscheidung dar, bei der - abgesehen von einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage, die hier aber entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht vorliegt - eine erhebliche Rechtsfrage ebenfalls nicht zu beantworten ist (RIS-Justiz RS0087606; vgl auch RS0040088).

Da die Klägerin nach solchen Voraussetzungen mit keinem der von ihr ins Treffen geführten Rechtsgründe erfolgreich sein kann, hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ab.

Die Beklagten wiesen in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der von der Klägerin erhobenen Revision hin, weshalb ihnen gemäß §§ 41, 50 Abs 1 ZPO Kostenersatz gebührt.

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