OGH 13Os181/08d

OGH13Os181/08d17.12.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan M***** und einen anderen Beschuldigten wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 35 HR 140/08b des Landesgerichts Eisenstadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Patrick L***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 25. November 2008, AZ 21 Bs 492/08v (ON 20), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Aus deren Anlass wird festgestellt, dass Patrick L***** in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Wien die vom Landesgericht Eisenstadt am 7. November 2008 über den am 19. Oktober 1988 geborenen, jungen Erwachsenen Patrick L***** verhängte (ON 13) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit b StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG bis zum 25. Jänner 2009 fort. Dabei ging es von einem „dringlichen Verdacht hinsichtlich ..." „... strafbarer Handlungen nach §§ 27 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 3, 28 Abs 1 und Abs 2, 28a Abs 1 und Abs 2 Z 3 SMG" (vgl BS 2 iVm BS 5) aus.

Zur Haftvoraussetzung hoch wahrscheinlicher Begehung zumindest einer Straftat führte das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus, der Beschuldigte sei dringend verdächtig, „über einen längeren Zeitraum den Anbau von Cannabispflanzen ... mittels Indoorplantagen betrieben zu haben" und referierte im Anschluss Ergebnisse des bisherigen Ermittlungsverfahrens, wie etwa die Sicherstellung von 108 Cannabispflanzen in den beiden Wohnungen des Beschwerdeführers, weiters von 180 zum Trocknen gelagerten Cannabispflanzen und „hiezu korrespondierenden 180 abgeernteten" Pflanzentöpfen in der Wohnung des Mitbeschuldigten Stefan M***** sowie von Erdresten mit abgeschnittenem Wurzelwerk, Grippsäckchen, einer Grammwaage und großen Vorräten von Blumenerde und Düngemitteln in allen drei Wohnungen der beiden Beschuldigten. Daraus sowie aus der - detailliert beschriebenen - hoch professionellen Ausstattung der Indoorplantagen, der zur Verringerung der Stromkosten in den - nicht zu Wohnzwecken genutzten - Wohnungen getroffenen Maßnahmen, des dafür nötigen „arbeitsmäßigen und wirtschaftlichen" Aufwands, ferner aus Angaben des Stefan M***** und des Heinz P***** und aus offenen Stromrechnungen des Patrick L***** in Höhe von 700 Euro schloss das Oberlandesgericht auf „professionelle Anpflanzung über einen längeren Zeitraum", weiters darauf, dass „es sich nicht um die erste Ernte gehandelt hat" und letztlich auf eine „mehrfache - über den behaupteten Eigenbedarf weit hinausgehende - Aufzucht". Die genannten Umstände sah das Beschwerdegericht als „zusätzliche Indikatoren" dafür, dass „nicht bloß für den Eigenbedarf, aber auch nicht für die kostenlose Weitergabe des Cannabis, sondern für gewinnbringenden Weiterverkauf produziert wurde", sodass „aufgrund der engen Verflechtungen und der damit indizierten Mittäterschaft zwischen M***** und L***** die gleiche dringliche Verdachtslage hinsichtlich der eingangs angeführten Suchtmitteldelikte auf beide Beschuldigte" zutreffe. Aufgrund der Angaben des Stefan M*****, wonach er gemeinsam mit dem Beschwerdeführer „oft Partys geschmissen habe, wo viele Leute gekommen sind, die auch konsumiert haben" verdichtete sich die Verdachtslage nach Ansicht des Oberlandesgerichts Wien noch mehr, weil es jeder Lebenserfahrung widerspreche, dass „diesen vielen Leuten kostenlos das mit hohem finanziellen Einsatz erzeugte Suchtgift abgegeben worden wäre" (BS 3-6).

Zwar ignoriert die dagegen erhobene Beschwerde des Patrick L***** mit ihrer Behauptung, es lägen keine konkreten Verfahrensergebnisse für den Verdacht entgeltlicher Weitergabe von Suchtmitteln „in welcher Form auch immer" vor, die diesbezüglichen Erwägungen des Oberlandesgerichts und orientiert sich damit nicht an den Anfechtungskriterien einer Grundrechtsbeschwerde (vgl dazu RIS-Justiz RS0120817, RS0114488, RS0112012, RS0110146).

Aus ihrem Anlass war jedoch zu Gunsten des Beschuldigten gemäß § 10 GRBG iVm §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 281 Abs 1 Z 10 StPO der in der Beschwerde nicht gerügte Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Sachverhaltsannahmen enthält, die den dringenden Verdacht gewerbsmäßiger Begehung und einer Tatbegehung in Bezug auf eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Suchtgiftquantität rechtfertigen und damit eine rechtliche Beurteilung ermöglichen würden, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen in der angefochtenen Entscheidung als verwirklicht angesehene Verbrechen nach §§ 28, 28a SMG oder die Qualifikation nach § 27 Abs 3 SMG begründet werden. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue - reformatorische - Entscheidung darzustellen hat (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421, RS0120817). Nach § 174 Abs 3 Z 4 StPO (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO) hat jede solche Entscheidung „die bestimmten Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht" für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten. Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher - in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet angesehenen strafbaren Handlungen (rechtlichen Kategorien, also Tatbeständen; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich entscheidend beurteilte - Sachverhalt angenommen wurde (Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; vgl EvBl 2006/132, 690; RIS-Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor. Insoweit unterscheidet sich die Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von der für ein Strafurteil (vgl statt aller: 13 Os 81/07x, EvBl 2007/137, 742, mwN).

Den zitierten Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts ist - neben im Vagen gebliebenen Rückschlüssen auf zumindest eine frühere „Ernte" und hinsichtlich Menge und Abnehmern nicht individualisierte entgeltliche Suchtgiftweitergaben - konkret nur zu entnehmen, dass der Beschuldigte dringend verdächtig sei, seit mehreren Jahren Cannabispflanzen für den Eigenkonsum sowie „für den gewinnbringenden Weiterverkauf" angebaut zu haben, wobei Überlegungen zum Reinheitsgehalt der tatverfangenen Suchgiftquanten gänzlich fehlen. Gleichermaßen bleibt völlig im Dunkeln, ob (und aus welchen Gründen) das Oberlandesgericht von gewerbsmäßiger Begehung sowie davon ausging, dass der Vorsatz des Beschuldigten überhaupt auf die Inverkehrsetzung oder die Erzeugung einer die (oder gar das Fünfzehnfache der) Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Suchtgiftmenge gerichtet war und die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste, womit sich insgesamt bloß die Annahme dringenden Tatverdachts in Richtung von Vergehen nach dem § 27 Abs 1 Z 1 zweiter, dritter und achter Fall und Z 2 SMG rechtfertigen lässt (vgl zur Zusammenrechnung für sich alleine die Grenzmenge nicht erreichender Suchtgiftquanten zu einer großen Menge:

RIS-Justiz RS0112225, RS0088096 sowie den Einführungserlass des BMJ zur SMG-Novelle 2007, AZ BMJ-L703.040/0001-II 2/2008, Punkt B/2/e vorletzter Absatz; Schroll, RZ 2008, 92).

Das Beschwerdegericht kann sich zwar darauf beschränken, Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht nur insoweit zu treffen, als dies für die Haftvoraussetzung des § 173 Abs 1 StPO erforderlich ist. Die solcherart für dringend wahrscheinlich gehaltenen Straftaten müssen jedoch stets den Anforderungen des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO entsprechen. Die damit angesprochene Verhältnismäßigkeit kann aber im konkreten Fall bei Bejahung höherer Wahrscheinlichkeit der Begehung bloß mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedrohter Vergehen des verbotenen Umgangs mit Suchtgiften (konkret mit Cannabis) durch einen bislang gerichtlich unbescholtenen jungen Erwachsenen nach Maßgabe auch der weiteren Kriterien des § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG (§ 46a Abs 2 JGG) nicht bejaht werden.

Im Übrigen zeigt die Grundrechtsbeschwerde zutreffend auf, dass der angefochtenen Entscheidung keine bestimmten Tatsachen zu entnehmen sind, die die Annahme gerechtfertigt hätten, der Beschwerdeführer werde auf freiem Fuß noch nicht ausgeforschte und vernommene Suchtgiftabnehmer in einer die Ermittlung der Wahrheit erschwerenden Weise beeinflussen. Dass er bislang von seinem Recht, sich nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu verantworten, Gebrauch gemacht hat, die Erhebungen sich deshalb „entsprechend langwierig gestalten" und die „Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone und die Untersuchung der Cannabispflanzen" noch ausstehen (BS 6 f), vermag die Befürchtung von Verdunkelungshandlungen für sich alleine in keiner Weise zu rechtfertigen.

Der - im Wesentlichen aus der bisherigen Verdachtslage und der „nicht nachvollziehbaren Einkommens- und Vermögenslage" des Beschwerdeführers abgeleiteten - Annahme drohender Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen (§ 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO) aber ist aufgrund der aufgezeigten Feststellungsdefizite zum dringenden Tatverdacht der Boden entzogen. Insoweit beschränkt sich die Grundrechtsbeschwerde bloß auf vom Oberlandesgericht gar nicht in Anschlag gebrachte Tatumstände. Da sich die Grundrechtsbeschwerde bloß hinsichtlich eines von zwei angenommenen Haftgründen als erfolgreich erweist, war sie ohne Kostenausspruch (vgl § 8 GRBG) abzuweisen (RIS-Justiz RS 0061196). Der Oberste Gerichtshof sieht sich bei der beschriebenen Ausgangslage veranlasst, den angefochtenen Beschluss aufzuheben (§ 7 Abs 1 GRBG). Das Landesgericht Eisenstadt ist somit verpflichtet, unverzüglich den der Anschauung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 7 Abs 2 GRBG).

Stichworte