OGH 1Ob137/08s

OGH1Ob137/08s11.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Anneliese H*****, und 2.) Lukas H*****, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und 2.) T***** AG, *****, vertreten durch Dr. Josef‑Michael Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Zahlung einer Rente (Streitwert 73.467,72 EUR und 46.529,64 EUR) sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. April 2008, GZ 1 R 37/08p‑50, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.) Die Frage, ob in einem bestimmten Bereich des Luftraums mit Flugverkehr zu rechnen ist und damit eine Kennzeichnung von Luftfahrthindernissen (hier: ein bestimmter Teil einer Hochspannungsleitung) erforderlich erscheint, ist stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, sodass insofern eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht zu beantworten ist.

Soweit die Revisionswerber darzulegen versuchen, dass im vorliegenden Fall eine Kennzeichnung des den Unfall auslösenden Teils der Hochspannungsleitung ‑ weniger als 40 m über Grund ‑ geboten gewesen wäre, erörtern sie konkret ausschließlich Flugmanöver im Zusammenhang mit dem Landeanflug. Selbst wenn es richtig sein sollte, dass bei Landeanflügen in einem Bereich außerhalb der Sicherheitszone des Flughafens eine derart niedrige Flughöhe erreicht werden kann, hätte sich der hier zu beurteilende Unfall außerhalb des Schutzzwecks der Norm ereignet (vgl dazu etwa 1 Ob 41/99g = SZ 72/75), hätte die Kennzeichnungspflicht dann ja lediglich dem Schutz landender Luftfahrzeuge gedient, wogegen es sich hier um einen Startvorgang handelte.

2.) Entgegen der Auffassung der Revisionswerber stellt sich auch die - von ihnen als erheblich angesehene ‑ Rechtsfrage nicht, inwieweit eine Behörde haftet, wenn sie sich „blind auf nach rechtlich unzutreffenden Kriterien erstellte Gutachten von Sachverständigen stützt". Dass in einem solchen Fall eine Schadenersatzpflicht des jeweiligen Rechtsträgers nach den Grundsätzen des AHG besteht, sofern es dem entscheidenden Organ als Verschulden vorzuwerfen ist, die Rechtsfrage unrichtig gelöst bzw dem Sachverständigen insoweit einen unrichtigen Gutachtensauftrag erteilt zu haben, kann an sich nicht zweifelhaft sein. Inwieweit im Zusammenhang mit der erteilten Ausnahmebewilligung bzw den dabei erteilten Auflagen eine unrichtige Rechtsansicht im Hinblick auf das von dem betreffenden Abschnitt der Hochspannungsleitung ausgehende Gefährdungspotenzial vertreten worden sein sollte, ist allerdings nicht erkennbar; dazu ist auch auf die Ausführungen unter 1.) zu verweisen.

3.) Bei dem Vorwurf, das Berufungsgericht habe die Meinung vertreten, es sei von Seiten der Luftfahrtbehörde vertretbar, dem Eigentümer der Anlage die Ausnahmebewilligung ohne Vorschreibung einer Kennzeichnung zu erteilen, wenn Amtssachverständige der Meinung waren, eine Kennzeichnung der betreffenden Hochspannungsleitungen sei nicht erforderlich, wurden die Ausführungen des Berufungsgerichts offenbar missverstanden. Dieses hat ausdrücklich ausgeführt, dass eine Haftung nach dem AHG grundsätzlich auch in Betracht kommen kann, wenn ein Amtssachverständiger schuldhaft ein Gutachten unrichtig erstattet oder wenn das Gutachten eines Amtssachverständigen für die Behörde erkennbar unrichtig ist. Eine für die Beurteilung des vorliegenden Falls maßgebliche Unrichtigkeit des Gutachtens wird jedoch in der Revision nicht dargelegt. Die bloße Ausführung, der Sachverständige habe sein Gutachten unrichtigerweise nach den Kriterien des § 85 Abs 3 LFG erstattet, obwohl für den Bereich im Umkreis von 10 km um den Flugplatzbezugspunkt nach § 85 Abs 2 lit b LFG andere Kriterien gelten, zeigt eine derartige maßgebliche Unrichtigkeit nicht auf. Auch in diesem Zusammenhang legen die Revisionswerber insbesondere nicht nachvollziehbar dar, unter welchen konkreten Umständen ihrer Ansicht nach auch bei einem Start vom Flughafen - außerhalb von Gebrechen oder sonstigen Notfällen - der Fall eintreten könnte, dass ein Flugzeug im fraglichen Bereich eine so niedrige Flughöhe erreicht, die eine Kollision mit der Hochspannungsleitung zulässt.

4.) Zur Frage der Verantwortlichkeit der Zweitbeklagten, also der Eigentümerin und Betreiberin der Hochspannungsleitung, erscheinen die Revisionsausführungen widersprüchlich. Einerseits vertreten die Kläger den Standpunkt, die Zweitbeklagte wäre unter allen Umständen zur Kennzeichnung der - unstrittig als „Luftfahrthindernis" im Sinne des § 85 Abs 2 lit b LFG zu qualifizierenden ‑ Hochspannungsleitung verpflichtet gewesen, andererseits machen sie sich die Kommentarmeinung von Halbmayer/Wiesenwasser (Das österreichische Luftfahrtrecht, § 95 LFG Anm 3) zu eigen, wonach im Zuge der Beurteilung der „Notwendigkeit und der Art der Kennzeichnung" insbesondere auch die Bestimmungen über Mindestflughöhen, über Sichtflugwetterbedingungen und dergleichen heranzuziehen seien.

Zutreffend hat schon das Berufungsgericht dargelegt, dass eine Gesetzesauslegung, nach der eine Einrichtung jedenfalls zu kennzeichnen wäre, sofern sie bloß die formalen Kriterien eines Luftfahrthindernisses erfüllt, nicht in Betracht kommt. Dies ergibt sich eindeutig schon aus der Formulierung von § 95 Abs 1 LFG aF, in welcher Bestimmung ausdrücklich darauf abgestellt wurde, ob die Kennzeichnung eines Luftfahrthindernisses „erforderlich" ist. Schon dadurch wurde unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass keinesfalls alle Luftfahrthindernisse im Sinne der Definitionen des § 85 LFG notwendigerweise einer Kennzeichnung bedürfen. Nur auf die unter den konkreten Umständen zu kennzeichnenden Hindernisse bezieht sich ersichtlich auch die Formulierung in § 95 Abs 2 Satz 1 LFG aF, die von Luftfahrthindernissen „gemäß Abs 1" spricht. Diese Formulierung wurde auch anlässlich der Novellierung des LFG nicht geändert, auch wenn der seinerzeitige Bezugspunkt in Abs 1 („ist die Kennzeichnung ... erforderlich ...") nunmehr weggefallen ist. Dass die neue Formulierung des Abs 1 aber so zu verstehen wäre, dass nunmehr jedes Luftfahrthindernis - ohne Rücksicht auf ein Gefährdungspotenzial und ungeachtet des Fehlens von Auflagen im Bewilligungsbescheid - jedenfalls vom Eigentümer zu kennzeichnen wäre, hat schon das Berufungsgericht mit zutreffenden Argumenten verneint. Auch die Revisionswerber sind nicht in der Lage, inhaltliche Erwägungen für ihre Auffassung ins Treffen zu führen.

Da somit im Auslegungsweg ein eindeutiges Ergebnis zu erzielen ist, liegt auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, ungeachtet dessen, dass oberstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Norm des Verwaltungsrechts fehlt (vgl nur RIS‑Justiz RS0042656).

5.) Ist nun nach dem bisher Gesagten die Auffassung des Berufungsgerichts unbedenklich, dass sowohl die Behörde als auch die Zweitbeklagte als Betreiberin der Hochspannungsleitung zu Recht davon ausgegangen sind, dass eine Kennzeichnung des fraglichen Bereichs der Leitung nach den Bestimmungen des LFG nicht erforderlich war, ist nicht erkennbar, inwieweit sich für die Kläger durch eine Berufung auf das „Ingerenzprinzip" etwas Günstigeres ergeben sollte. Zutreffend führen diese aus, dass eine deliktische Haftung nach allgemeinen Grundsätzen nur für ein solches Verhalten in Betracht kommt, dessen Gefährdungspotenzial „voraussehbar" ist. Bestand nun aber für die Zweitbeklagte kein begründeter Anlass zur Annahme, aufsteigende Flugzeuge könnten eine so geringe Flughöhe erreichen, dass eine Kollision mit dem fraglichen Teil der Hochspannungsleitung zu befürchten wäre, kann von einer voraussehbaren Gefahr keine Rede sein.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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