OGH 6Ob169/08h

OGH6Ob169/08h7.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Unterbringungssache des Dr. Anton G*****, zuletzt 1145 Wien, Baumgartner Höhe 1 (Sozialmedizinisches Zentrum Otto Wagner Spital), zuletzt vertreten durch Mag. Armin Schlegel, Patientenanwalt, per Adresse Vertretungsnetz Patientenanwaltschaft, 1140 Wien, Baumgartner Höhe 1, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Patientenanwalts gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. April 2008, GZ 45 R 225/08h-10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 21. Februar 2008, GZ 32 Ub 117/08v-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Dr. Anton G***** wurde am 6. 2. 2008 aufgrund amtsärztlicher Bescheinigung gemäß § 8 UbG in das Sozialmedizinische Zentrum Otto Wagner Spital eingeliefert. Die Diagnose lautete „schizoaffektive Psychose/manisch". Im Befund war angeführt, dass der Patient „ursprünglich infantil, massiv denkgestört gewesen sei, auf Autos eingeschlagen habe, sexualisierend und distanzlos sei; nach Medikation sei er sturzgefährdet und es sei eine Beschränkung im PIB (Psychiatrischen Intensivbett) erforderlich. Formularmäßig war weiters angegeben, dass der diagnostizierte Krankheitszustand eine ernstliche und erhebliche Gefährdung von Leben und Gesundheit des Patienten und/oder von Leben und Gesundheit anderer bewirke; andere, weniger eingreifende Weisen der Behandlung und Betreuung reichten nicht aus.

Am 8. 2. 2008 fand die Anhörung des Kranken (§ 19 UbG) statt. Der Patient wurde im geöffneten Netzbett schlafend angetroffen. Daraufhin wurde die Anhörung über Antrag des Patientenanwalts auf den 12. 2. 2008 erstreckt. Am 11. 2. 2008 verstarb der Patient. Am 13. 2. 2008 beantragte der Patientenanwalt die nachträgliche Überprüfung der Zulässigkeit der Heilbehandlungen und der besonderen Beschränkungen im Zeitraum vom 6. bis 11. 2. 2008.

Das Erstgericht wies diesen Antrag zurück. Das Vertretungsrecht des Patientenanwalts erlösche mit dem Tod des Kranken (5 Ob 503/95). Der Patientenanwalt könne daher nach dem Tod des Patienten keine Vertretungshandlungen für den Patienten mehr setzen. Daraus ergebe sich, dass Maßnahmen, die vor dem Tod des Patienten gesetzt wurden, nach dessen Ableben nicht mehr im Wege des Unterbringungsgesetzes überprüfbar seien. Dies nehme der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung in Kauf, weil der Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschränkung des Kranken seit dessen Tod nur noch abstrakt-theoretische Bedeutung zukomme. Dabei sei besonders zu beachten, dass der Patientenanwalt keine zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen berufene Person sei, sondern der Vertreter des Untergebrachten kraft Gesetzes.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Patientenanwalt werde mit der Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken kraft Gesetzes dessen Vertreter für das in diesem Bundesgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren und zur Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 33 bis 39 UbG verankerten Rechte (§ 14 Abs 1 UbG). Mit dem Tod des Vertretenen endeten alle gesetzlichen Vertretungen. Dies folge daraus, dass die Vertretung eines nicht mehr bestehenden Rechtssubjekts schon begrifflich ausgeschlossen sei. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass ein Untergebrachter während der Unterbringung sterbe, zumal das Unterbringungsverfahren mit dem Tod des Untergebrachten ebenso beendet sei wie die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts erlösche.

Der Rekurssenat verkenne nicht die Problematik, dass verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte auch nach dem Tod eines Menschen einem Rechtsschutzbedürfnis unterliegen und richterlicher Kontrolle zuzuführen sein sollten. Zur Wahrnehmung solcher Rechte sowie zur richterlichen Überprüfung allfälliger Rechtsverletzungen sei jedoch nach dem Tod eines Untergebrachten nicht das Unterbringungsverfahren vorgesehen, solle dieses doch nach seiner Systematik dem untergebrachten Kranken während der Unterbringung ein Verfahren zu seinem Rechtsschutz bieten. Zur Überprüfung von Rechtsverletzungen stehe nach dem Tod eines Untergebrachten das Strafverfahren sowie das von Rechtsnachfolgern des Verstorbenen geltend zu machende Schadenersatzrecht zur Verfügung. Damit stünde der Wahrnehmung über den Tod hinauswirkender Menschenrechte und der richterlichen Überprüfung deren Einhaltung ausreichender Rechtsraum zur Verfügung.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Rechtsfrage der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts über den Tod des Untergebrachten hinaus über den Einzelfall hinausgehe und zu der Fallkonstellation, dass der Untergebrachte während aufrechter Unterbringung sterbe, noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der ordentliche Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht zutreffend angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

1.1. Gemäß § 14 Abs 1 UbG wird der Patientenanwalt mit der Aufnahme eines ohne Verlangen untergebrachten Kranken kraft Gesetzes dessen Vertreter für das im Unterbringungsgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahren und zur Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 30 bis 39 UbG verankerten Rechte, ohne dass dadurch die Geschäftsfähigkeit des Kranken und die Vertretungsbefugnis eines anderen Vertreters beschränkt würde. Daraus hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 5 Ob 503/95 abgeleitet, dass der Patientenanwalt nicht eine zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen, im konkreten Fall sohin der Einhaltung der Bestimmungen des Unterbringungsgesetzes, schlechthin bestellte Person sei, sondern der aus Zweckmäßigkeitsgründen vorgesehene - unter Umständen auch zusätzliche - Vertreter des Untergebrachten kraft Gesetzes mit einem durch das Unterbringungsgesetz umschriebenen Wirkungskreis. Rechtsmittel „des Patientenanwalts" könnten daher immer nur Rechtsmittel des von ihm Vertretenen sein, auch wenn sein Recht, den Rekurs zu erheben, vom (konkreten) Willen des Kranken unabhängig ist (vgl § 28 Abs 1 UbG, wo sich die Wendung „der Kranke und sein Vertreter" findet; vgl dazu Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz § 28 UbG Anm 1). Wenn daher davon gesprochen werde, dass der Patientenanwalt ein eigenes, vom Kranken unabhängiges Rekursrecht habe (Hopf/Aigner aaO 78), so dürfe dies nur in dem eingeschränkten Sinn verstanden werden, dass es sich nicht um ein Rechtsmittelrecht im eigenen Namen handle.

1.2. In der zitierten Entscheidung verwies der Oberste Gerichtshof auch darauf, dass nach § 249 ABGB eine Vormundschaft (als Fall allgemeiner und umfassender gesetzlicher Vertretung) mit dem Tod des Minderjährigen ende. Gleiches gelte auch für andere gesetzliche Vertretungen (Sachwalterschaft und Kuratel) gemäß § 283 Abs 1 ABGB iVm § 249 ABGB. Dies folge daraus, dass die Vertretung eines nicht mehr bestehenden Rechtssubjekts schon begrifflich ausgeschlossen sei. Das Vertretungsrecht des Patientenanwalts erlösche daher ebenfalls mit dem Tod des Kranken. Eine analoge Anwendung der für gewillkürte Vertretung bestehenden Bestimmungen des § 1022 Satz 2 ABGB oder des § 35 Abs 1 ZPO auf den Patientenanwalt sei nicht angebracht, weil es sich bei ihm um einen gesetzlichen Vertreter handle und daher für eine analoge Anwendung nur die Bestimmungen für Fälle anderer gesetzlicher Vertretungen, insbesondere die Bestimmungen für die artverwandte Sachwalterschaft, in Betracht kämen.

1.3. An dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof in der Folge für den Bereich der Sachwalterschaft (4 Ob 276/02w) und für das Vertretungsrecht des Bewohnervertreters gemäß § 8 HeimAufG (9 Ob 148/06i) festgehalten.

1.4. Auch nach Kopetzki, Grundriß des Unterbringungsrechts² Rz 469, endet die Vertretungsmacht des Patientenanwalts mit dem Tod des Patienten. Im folgenden Absatz (Rz 470) behandelt Kopetzki nur das Fortbestehen der Vertretungsbefugnis nach Aufhebung der Unterbringung, soweit sich die Vertretungshandlungen auf Sachverhalte während der Unterbringung beziehen. Eine Einschränkung des Grundsatzes, dass die Vertretungsmacht des Patientenanwalts mit dem Tod des Patienten endet, ist daraus nicht abzuleiten.

2.1. Im Hinblick auf die im Revisionsrekurs erhobenen verfassungsrechtlichen Überlegungen hat der Oberste Gerichtshof die Rechtslage neuerlich geprüft:

2.2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht von der Legitimation der Hinterbliebenen des Getöteten zur Geltendmachung von behaupteten Verletzungen des Art 2 EMRK aus (vgl etwa EGMR 17/1994/464/545, McCann, ÖJZ 1996, 233; 86/1996/705/897, Andronicou und Constantinou, ÖJZ 1998, 34). Ausdrücklich wies er hierauf in seiner Entscheidung 33646/96, Çaçan, hin: „The Court notes that the term 'victim' in Article 34 of the Convention denotes the person directly affected by the act or omission which is at issue (cf. Eur. Court H.R., Eckle judgment of 15 July 1982, Series A no. 51, p. 30, § 66). The Court further notes that it has examined applications brought by applicants who claimed to be victims of violations of Article 2 of the Convention (cf. Yasa v. Turkey judgment of 2 September 1998, Reports 1998-VI, p. 2431, § 7; Kaya v. Turkey judgment of 19 February 1998, § 7; Çakici v. Turkey judgment of 8 July 1999, § 8). In those applications the applicants had indicated their intention of bringing their applications on their own behalf and on behalf of their deceased close relatives."

(„Der Gerichtshof bemerkt, daß der Ausdruck 'victim' in Artikel 34 der Konvention eine Person bezeichnet, welche durch die strittige Handlung oder Unterlassung unmittelbar betroffen wurde [vgl Urteil des EGMR vom 15. Juli 1982 im Fall Eckle, Serie A Nr. 51, Seite 30, RZ 66]. Der Gerichtshof bemerkt weiters, daß er Menschenrechtsbeschwerden geprüft hat, welche von Beschwerdeführern eingebracht wurden, die behauptet haben, Opfer von Verletzungen des Artikels 2 der MRK geworden zu sein [vgl Urteil vom 2. September 1998 im Fall Yasa gegen die Türkei, Berichte 1998-VI, Seite 2431, RZ 7;

Urteil vom 19. Februar 1998 im Fall Kaya gegen die Türkei, RZ 7;

Urteil vom 8. Juli 1999 im Fall Çakici gegen die Türkei, RZ 8]. In diesen Menschenrechtsbeschwerden hatten die Beschwerdeführer ihrer Absicht Ausdruck gegeben, ihre Beschwerde in ihrem eigenen Namen sowie im Namen ihrer verstorbenen engen Verwandten einzubringen."

[Übersetzung des Übersetzungsdienstes des Bundeskanzleramtes].)

2.3. Als nahe Angehörige, die zur Beschwerdeführung legitimiert sind, wurden in der Judikatur der EKMR und des EGMR jedenfalls der Ehepartner (zB EGMR 27602/95, Ekinci), die Eltern (zB EKMR 9833/82, DR 42, 53), die Kinder (zB EKMR 35981/97, Toluk; zuletzt EGMR 31725/96, Köksal, vom 19. 9. 2000) sowie die Geschwister (zB EGMR 27693/95, Çelikbilek) des Verstorbenen angesehen.

2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat im Fall Omofuma ausgesprochen, dass die Verlassenschaft nicht zur Bekämpfung eines Akts behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt legitimiert sei (B 158/00). Die Verlassenschaft setze nur vermögenswerte Rechte des Verstorbenen fort. Allerdings bejahte der Verfassungsgerichtshof die Beschwerdelegitimation der Tochter des Verstorbenen (B 159/00; dazu Kneihs, Maßnahmenbeschwerde und Art 2 MRK; VfGH-Erkenntnisse vom 6. 3. 2001, B 158/00 und 6. 3. 2001, B 159/00 = ZfVB 2002/3/1124 und 2002/3/1125, ZfV 2002, 338). Das durch Art 129a B-VG eingerichtete Verfahren könne konventionskonform nur dahin gedeutet werden, dass nahen Angehörigen im Hinblick auf Art 2 MRK ein Beschwerderecht zukomme, wenn der unmittelbar Betroffene anlässlich der Amtshandlung verstorben sei. Dies begründet der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen damit, dass die Organe der MRK solche Beschwerden von Hinterbliebenen stets zugelassen hätten. Die Beschwerdelegitimation der Hinterbliebenen ergebe sich aus dem spezifischen Charakter des durch Art 2 MRK garantierten Rechtes, das andernfalls gar nicht releviert werden könne. Daher könne dem Verfassungsgesetzgeber, der gerade darauf bedacht war, ein konventionskonformes Beschwerdeinstrumentarium einzurichten, nicht zugesonnen werden, dass er die Geltendmachung des Rechts auf Leben von diesem Rechtsweg ausschließen habe wollen. Inzwischen hat der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsprechung bekräftigt (B 158/00).

2.5. Diese Lösung stieß im Schrifttum (Kneihs aaO) auf Zustimmung. In seiner Kommentierung zu Art 2 EMRK (in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht III, Art 2 EMRK Rz 83) führt Kopetzki aus, der Verfassungsgerichtshof gehe erkennbar von einer eigenen Legitimation der leiblichen Kinder aus, anstelle des verstorbenen Vaters - wenngleich im eigenen Namen - Beschwerde zu erheben. Die Begründung der Betroffenheit in eigenen Rechten der Angehörigen lasse sich aus dem postmortalen Persönlichkeitsschutz des § 16 ABGB (Aicher in Rummel, ABGB³ § 16 Rz 28 f) sowie aus Art 8 EMRK gewinnen. Auch die Verneinung der Legitimation der Verlassenschaft zur Geltendmachung nicht vermögensrechtlicher Ansprüche (und daher auch von Verletzungen des Art 2 EMRK) wird von Kopetzki gebilligt (aaO; ebenso Kneihs in Rill/Schäffer, Bundesverfassungsrecht III Art 2 MRK Rz 29).

3.1. Nach Art 2 Abs 1 EMRK ist das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Diese Bestimmung enthält nach der Rechtsprechung der Straßburger Instanzen einen der Grundwerte der demokratischen Gesellschaften, die den Europarat bilden (EGMR vom 9. 10. 1997, Andromicou und Constantinou, ÖJZ 1998, 674; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz 1389). Aus dieser Bestimmung wird auch eine Verpflichtung der Staaten abgeleitet, darauf hinzuwirken, dass Krankenhäuser Regelungen zum Schutz des Lebens der Kranken aufstellen, um sicherzustellen, dass ein im Krankenhaus eingetretener Todesfall im Verdachtsfall juristisch untersucht und eventuell die Verantwortlichkeit des behandelnden Arztes festgestellt wird (EKMR 22. 5. 1995, Isiltan, DR 81-A, 35 [40]; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 20 Rz 18 aE).

3.2. Aus Art 2 Abs 1 Satz 1 MRK folgt die Verpflichtung, alle „tötungsverdächtigen" Todesfälle einer ordnungsgemäßen, von Amts wegen in Gang gesetzten (EGMR vom 4. 5. 2001, Jordan, Nr. 24.746/94, Z 105), zügigen, unvoreingenommenen und hinreichend unabhängigen Untersuchung zu unterziehen (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 20 Rz 18 mwN). Insbesondere der Tod von Personen, die sich im staatlichen Gewahrsam befanden, muss von Amts wegen untersucht werden, weil gerade in diesen Fällen, in denen sich die relevanten Geschehnisse typischerweise zumindest teilweise in ausschließlicher Kenntnis der staatlichen Behörden abspielen, eine starke Tatsachenvermutung für eine Verantwortung des Staates spricht (EGMR 31. 5. 2001, Akdeniz, Nr 23954/94, Z 85; EGMR 27. 6. 2000, Salman, RJD 2000-VII, Z 97 ff; EGMR 1. 6. 2006, Tais, Nr 39922/03, Z 85, 103 f; EGMR 27. 7. 2006, Bazorkina, Nr 69481/01, Z 105 f; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 20 Rz 18).

4.1. Vor diesem Hintergrund ist bei verfassungskonformer Auslegung eine Antragslegitimation des Patientenanwalts jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Untergebrachte während der Unterbringung stirbt und der Patientenanwalt - wie im vorliegenden Fall - einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und der Unterbringung behauptet, wird doch dadurch sichergestellt, dass die nach Art 2 MRK erforderliche Überprüfung des Todes - zusätzlich zu einer allenfalls in der Krankenanstalt nach sanitätspolizeilichen Vorschriften vorgenommenen Obduktion - auf Antrag einer öffentlichen Stelle in einem zivilen Gerichtsverfahren erfolgt.

4.2. Aus der zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs kann nicht abgeleitet werden, dass zur Geltendmachung einer Verletzung des Art 2 MRK nach dem Tod des Betroffenen ausschließlich dessen Verwandte legitimiert sind, weil - anders als im Bereich des Unterbringungsrechts - in dem vom Verfassungsgerichtshof zu beurteilenden Fall kein in seinen Befugnissen dem Patientenanwalt vergleichbarer gesetzlicher Vertreter vorhanden war.

4.3. Der Verweis auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen ist nicht stichhaltig. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die Geltendmachung staatshaftlicher Ansprüche keine Voraussetzung der Rechtswegerschöpfung, wenn das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers über das hinausgeht, was eine Entschädigung oder ein Schadenersatz zu leisten vermag (EGMR vom 19. 3. 1997, Hornsby, RJD 1997-II Z 37; EGMR vom 25. 3. 1999, Iadridis, RJD 1999-II Z 47; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 13 Rz 28). Auch in Fällen schwerster Menschenrechtsverstöße (Art 2 und 3 EMRK) gehören Schadenersatzklagen nicht zu den zu ergreifenden Rechtsbehelfen (EGMR vom 19. 2. 1998, Kaya, RJD 1998-VI Z 74; EGMR vom 20. 5. 1999, Ogur, RJD 1999-III Z 66; EGMR vom 27. 6. 2000, Ilhan, RJD 2000-VII Z 61; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 13 Rz 28).

4.4. Gerade im Zusammenhang mit Beschwerden zur Freiheit der Person hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass in Fällen, in denen es um die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung geht, eine Schadenersatzklage gegen den Staat nicht zu den nach Art 35 Abs 1 EMRK einzulegenden Rechtsmitteln gehöre, da das Recht auf Untersuchung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung und das Recht auf Entschädigung für einen gegen Art 5 MRK verstoßenden Freiheitsentzug zwei unterschiedliche Rechte seien (EGMR vom 19. 10. 2000, Wloch, RJD 2000-XI Z 90). Das Ziel einer Schadenersatzklage sei der Ausgleich des durch rechtswidrige Haft erlittenen Schadens, nicht die Durchsetzung des Anspruchs auf eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung innerhalb kurzer Frist (EGMR vom 27. 8. 1992, Tomasi, Serie A 241-A Z 79; EGMR vom 23. 11. 1993, Navarra, Serie A 273-B Z 24; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³ § 13 Rz 28).

5. Daraus ergibt sich aber, dass die Vorinstanzen den Antrag des Patientenanwalts zu Unrecht zurückgewiesen haben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht daher den Antrag des Patientenanwalts inhaltlich zu prüfen haben.

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