VfGH B158/00

VfGHB158/006.3.2001

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Beschwerde der leiblichen Tochter gegen die Abschiebung ihres infolge Knebelung und Fesselung verstorbenen Vaters seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates; Beschwerdelegitimation der Hinterbliebenen zur Geltendmachung des Rechts auf Leben; örtliche Zuständigkeit des UVS Wien; Vorliegen eines anfechtbaren Aktes der Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Vollziehung des Sicherheitspolizeigesetzes

Normen

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a
B-VG Art129a Abs1 Z2
EMRK Art2
EMRK Art3
AVG §67a
SicherheitspolizeiG §88
ABGB §531
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a
B-VG Art129a Abs1 Z2
EMRK Art2
EMRK Art3
AVG §67a
SicherheitspolizeiG §88
ABGB §531

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Verlassenschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Verlassenschaft nach M. O. ist vertreten durch mj. F. M. sowie S. O. und F. O. Erstere ist die leibliche Tochter und gesetzliche Erbin, letztere sind die Eltern und gesetzlichen Erben von M. O.

Nach dem Beschwerdevorbringen reiste der nigerianische Staatsangehörige M. O. aus Deutschland am 16. September 1998 nach Österreich ein und brachte am selben Tag beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein. Der Asylantrag sei mit Bescheid vom 11. Februar 1999 rechtskräftig abgewiesen worden. Bereits am 15. Dezember 1998 sei M. O. in Schubhaft genommen worden.

Am 31. März 1999 sei ein Antrag auf Abschiebungsaufschub gemäß §56 FremdenG mit der Begründung gestellt worden, daß gegen den abweisenden Asylbescheid eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht werde.

Am 21. April 1999 wurde laut Beschwerdevorbringen Parteiengehör im Hinblick auf die beabsichtigte Ablehnung des Abschiebungsaufschubantrages gewährt und dazu zur Abgabe einer Stellungnahme eine Frist bis 6. Mai 1999 gewährt.

Ungeachtet des Umstandes, daß M. O. bis zum 1. Mai 1999 von der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme noch nicht Gebrauch gemacht hatte, sei bereits am 1. Mai 1999 die Abschiebung des M. O. vorgenommen worden. Die Abschiebung sei mit Zwangsgewalt durchgesetzt worden. Nach der Landung des Flugzeuges, mit dem die Abschiebung erfolgte, in Sofia, wurde der Tod des M. O. festgestellt.

2. Die beschwerdeführende Verlassenschaft wandte sich in der Folge mit einer Beschwerde nach Art129a Abs1 Z2 B-VG und §67c AVG an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im folgenden: UVS) und stellte den Antrag,

"der Unabhängige Verwaltungssenat Wien möge feststellen, daß durch die Knebelung und Fesselung von M. O. (...) bzw. aufgrund der mangelhaften Planung und Durchführung der gesamten Abschiebung M. O. in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2, 3 und 8 EMRK sowie die BF in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art8 EMRK verletzt worden ist und diese Amtshandlungen in Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklären".

3. Der UVS wies die Beschwerde mit Bescheid vom 22. Oktober 1999 als unzulässig zurück, weil die Verlassenschaft nach M. O. nicht beschwerdelegitimiert sei, weiters aber auch, weil der UVS Wien örtlich unzuständig sei und letztlich auch, weil (an Bord des Flugzeuges) keine unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt worden sei.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte u.a. auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG, Art13 EMRK) sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) bzw. "ein Verstoß" gegen die M. O. verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Leben (Art2 EMRK) und gem. Art3 EMRK keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bzw. Folter unterzogen zu werden, in eventu die Verletzung in diesen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten "wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich §67a Abs1 Z2 AVG," behauptet und die Zuerkennung der Verfahrenshilfe sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Die belangte Behörde hat ihre Beschwerdezurückweisung zum ersten damit begründet, daß die beschwerdeführende Verlassenschaft nicht beschwerdelegitimiert sei, zumal sie nicht "an Stelle des tragisch verstorbenen M. O. die gegenständliche Beschwerde gegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt einzubringen" berechtigt sei. Auch komme es darauf, ob die gegen M. O. gerichteten Maßnahmen möglicherweise auch Auswirkungen auf die beschwerdeführende Verlassenschaft haben, nicht an. Das Gesetz legitimiere nur den, den die Maßnahme unmittelbar betroffen hat, zur Erhebung einer Beschwerde; wenn der unmittelbar Betroffene stirbt, könne daher niemand anderer statt ihm die Beschwerde einbringen, selbst wenn diese andere Person behauptet, die Maßnahme hätte auch bei ihr Auswirkungen. Die belangte Behörde begründet dies im Kern damit, daß die angefochtenen Verwaltungsakte die höchstpersönliche Rechtssphäre des M. O. betrafen und daher ausschließlich in die ihm gewährleisteten Rechte eingriffen. Eine Rechtsnachfolge durch die Verlassenschaft käme somit nicht in Betracht.

Da die in Beschwerde gezogenen Maßnahmen ausschließlich gegen die Person M. O. gerichtet waren, sei die Beschwerde mangels Beschwerdelegitimation der beschwerdeführenden Verlassenschaft zurückzuweisen gewesen.

2. Eine Verlassenschaft ist gemäß §531 ABGB der "Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen, insofern sie nicht in bloß persönlichen Verhältnissen gegründet sind", somit also das Vermögen des Verstorbenen. Die von der beschwerdeführenden Verlassenschaft im Verfahren vor dem UVS behaupteten Rechtsverletzungen betreffen jedoch höchstpersönliche Rechte des Verstorbenen und nicht vermögensrechtliche Ansprüche, zu deren Geltendmachung die Verlassenschaft legitimiert wäre.

Daß die Verlassenschaft im vorliegenden Fall auch von der Tochter des Verstorbenen vertreten wird, der - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. März 2001, B159/00, dargetan hat - der UVS eine Sachentscheidung nicht verweigern darf, legitimiert die Verlassenschaft nicht, eine behauptete Verletzung der durch Art2 und Art3 EMRK garantierten Rechte geltend zu machen.

Die beschwerdeführende Verlassenschaft war daher nicht berechtigt, anstelle des verstorbenen M. O. an den UVS wegen Verletzung der genannten Rechte Beschwerde gemäß Art129a B-VG zu erheben.

3. Da die belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde zu Recht zurückgewiesen hat, ist es ausgeschlossen, daß die beschwerdeführende Verlassenschaft durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter oder in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist (vgl. etwa VfSlg. 15.315/1998, 12.192/1989).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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