Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Begründung
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert V***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 letzter Fall StGB (II) schuldig erkannt.
Danach hat er in Graz
„zwischen Anfang 2006 und dem 30.04.2007 Elvira V***** mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs bzw. einer dem Beischlaf gleichzusetzenden (geschlechtlichen) Handlung genötigt, und zwar
I. 1. zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt Anfang 2006 in der Landesnervenklinik Siegmund Freud, indem er einen bereits begonnenen Analverkehr gegen ihren Willen und mit Gewalt, indem er auf ihr lag und sie durch sein Körpergewicht fixierte, fortsetzte
2. in weiteren darauf folgenden vier Angriffen zum Analverkehr, indem er sie an den Hüften festhielt, teilweise zuvor fesselte, sie würgte von hinten in sie eindrang und den Geschlechtsverkehr in den After bis zum Erguss vollzog,
3. in mehreren Angriffen zum Vollzug des Oralverkehrs und zum Schlucken des Spermas, indem er seine Bereitschaft zur Gewaltausübung zu erkennen gab oder sie an den Händen gefesselt hielt;
II. am 09.02.2007 Elvira P***** (später V*****) mit Gewalt zur Unterlassung (Abstandnahme) genötigt, ihren Sachwalter Mag. Mario F***** zu informieren, dass sie Robert V***** am folgenden Tag nicht heiraten wolle, indem er die Telefonverbindung unterbrach, Elvira P***** eine Strumpfhose oder Stück Stoff als Knebel in den Mund steckte, sowie zur besonders wichtige Interessen der Genötigten verletzenden Handlung der Eheschließung am 10.02.2007".
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten nominell aus Z 1a, 3, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.
Entgegen der Beschwerdeargumentation begründet die Abwesenheit eines Verteidigers bei der kontradiktorischen Einvernahme von Zeugen im Vorverfahren keine Nichtigkeit nach der Z 1a des § 281 Abs 1 StPO und ist die Verlesung des Protokolls über eine solche kontradiktorische Vernehmung von Zeugen nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO in der Hauptverhandlung (Z 3) zulässig, wenn dem - wie hier zu diesem Zeitpunkt - unvertretenen Beschuldigten Gelegenheit zur Teilnahme an der gerichtlichen Beweisaufnahme geboten wurde (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 79 f).
Nach der diesbezüglich aufschlussreichen richterlichen Ladungsverfügung (AV-Bogen S 3 und 3a) wurde der Angeklagte entgegen weiterer Kritik nicht bloß am Tag der kontradiktorischen Vernehmung von der Untersuchungsrichterin vom Vernehmungstermin telefonisch verständigt (AV-Bogen S 3a verso und S 31; wobei er im Übrigen die schriftliche Ladung zum Termin bestätigte, erklärte, kein Interesse an seiner oder an der Teilnahme eines Verteidigers zu haben und sich neunzehn Minuten nach der kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin der Vernehmung als Beschuldigter durch die Untersuchungsrichterin unterzog; S 55), womit auch die in der Verfahrensrüge zitierte Rechtsprechung zur Angemessenheit der Vorbereitungszeit fallaktuell nicht relevant ist.
Insoweit aus der Z 3 Nichtigkeit der Aussage der Elvira V***** im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung im Vorverfahren reklamiert wird, weil die Wirksamkeit des Verzichts der unter Sachwalterschaft stehenden Belastungszeugin auf das Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO aF (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO) „in keiner Weise geklärt" worden sei, wird übersehen, dass die Z 3 des § 281 Abs 1 StPO ausschließlich auf Vorgänge in der Hauptverhandlung abstellt, die Zeugin in derselben aber nicht ausgesagt hat. Gegen die Vorführung der Ton- und Bildaufnahmen der Vernehmung im Vorverfahren hat sich der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung aber nicht verwahrt (S 207), womit die Verfahrensrüge auch unter dem Aspekt der Z 2 des § 281 Abs 1 StPO nicht berechtigt ist (vgl RIS-Justiz RS0121050; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 239).
Da das Tatopfer anlässlich der kontradiktorischen Einvernahme erklärte, in der Hauptverhandlung von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch zu machen (S 51), durfte der Vorsitzende auch formal einwandfrei vom Vorliegen der Verlesungsvoraussetzungen nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO ausgehen.
Nur der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass für die Untersuchungsrichterin keine Veranlassung bestand, allein auf Grund der Besachwalterung entsprechende intellektuelle Fähigkeiten der Zeugin - deren uneingeschränkte Aussagekompetenz im Übrigen ein psychologisches Gutachten bestätigt (ON 17, S 209 ff) - in Zweifel zu ziehen (vgl auch RIS-Justiz RS0097611 in Betreff unmündiger Zeugen). Bezüglich der Behauptung in der Mängelrüge (Z 5), die konkrete Feststellung der Tatzeit wäre zur Individualisierung der dem Schuldspruch I zugrunde liegenden Taten erforderlich gewesen, ist klarzustellen, dass einer hinreichenden Individualisierung der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Taten entgegenstehende Undeutlichkeiten aus der Z 3 anfechtbar sind, wohingegen die undeutliche Feststellung entscheidender Tatsachen aus der Z 5 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO zu reklamieren ist (RIS-Justiz RS0117435). Da fallbezogen das Anführen der konkreten Tatzeiten im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zur wirksamen Vorbeugung einer nochmaligen Verfolgung derselben Tat nicht von Bedeutung ist, bewirkt deren Unterlassen aber auch keine Nichtigkeit nach der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO.
Gegenstand einer Rechtsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt (RIS-Justiz RS0099810). Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal einen Ausnahmesatz (Z 9 lit a bis c) oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580). Es darf dabei kein konstatierter Umstand übergangen oder bestritten werden. Diese Kriterien prozessordnungsgemäßer Darstellung missachtet die gegen den Schuldspruch I gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a), die behauptet, es hätte im Hinblick auf die geistige Behinderung der Elvira V***** „zumindest überprüft werden müssen, ob bei der Zeugin überhaupt ein artikulierter Wille im Sinne sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit vorlag", und Feststellungen zur „sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit" sowie unsubstantiiert „zur inneren Tatseite" vermisst und im Sinne der Subsumtionsrüge (Z 10) mit der Hypothese, „sollte es der Zeugin Elvira V***** an der sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit gefehlt haben und wäre dies für den Angeklagten erkennbar gewesen" eine Subsumtion der Taten nach § 205 Abs 1 StGB fordert.
Denn abgesehen davon, dass nicht dargelegt wird, wodurch eine fehlende sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit indiziert gewesen sein soll, ignoriert die Rüge jene nachhaltigen tatrichterlichen Feststellungen, wonach das Opfer seinen den inkriminierten geschlechtlichen Handlungen entgegenstehenden (auch durch deutliche Schmerzreaktionen offenkundigen) Willen äußerte und der Angeklagte im Wissen um diesen Widerstand Gewalt oder Drohung einsetzte, um die Gegenwehr des Opfers auszuschalten (US 5 ff).
Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass auch das Fehlen von Diskretions- und Dispositionsfähigkeit eines Tatopfers die rechtliche Annahme einer Vergewaltigung nicht ausschließt und dieses Verbrechen mit jenem des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 StGB ideal konkurriert, womit die im Rechtsmittel angestrebten Konstatierungen für den Angeklagten nachteilig wären (Schick in WK2 § 205 [2007] Rz 27 mwN). Mit dem gegen den Schuldspruch II gerichteten Vorbringen, das festgestellte Tatsachensubstrat stelle „keine Nötigung zur Eheschließung dar" und im Rechtsmittel angeführte „Motive" würden eindeutig dagegen sprechen, dass der Angeklagte mit Gewalt oder gefährlicher Drohung die Eheschließung erzwungen hätte, legt die Subsumtionsrüge schließlich nicht dar, inwiefern diese Umstände bei der vorgenommenen rechtlichen Unterstellung des Täterverhaltens unter die Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 3 letzter Fall StGB (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidungswesentlich sein sollen, woran auch die missverständliche - jedoch ungerügt (Z 3) gebliebene - Formulierung des Urteilstenors (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nichts zu ändern vermag. Im Übrigen erklärt die Rüge nicht, inwiefern die begehrte Erörterung allenfalls möglicher weiterer Kontaktaufnahmen der Elvira V***** mit ihrem Sachwalter oder denkbarer anderer Motive, sich gegen die Eheschließung nicht weiter zu wehren, eine andere rechtliche Konsequenz nach sich ziehen hätte sollen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600), wiewohl die eindeutigen Urteilsannahmen (US 8, 13) einen rechtlich gleichwertigen (RIS-Justiz RS0122138) Deliktsversuch tragen (Schwaighofer in WK2 § 105 [2006] Rz 67).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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