OGH 17Ob6/08v

OGH17Ob6/08v20.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Griss als Vorsitzende und durch die Hofrätin Dr. Schenk sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A***** Ltd, *****, 2. A***** GmbH, *****, beide vertreten durch Gassauer‑Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, unter Mitwirkung von Dr. Martin Müllner, Patentanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, unter Mitwirkung von Dr. Thomas Haffner, Patentanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Antragsrückziehung, Beseitigung, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 800.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. November 2007, GZ 3 R 100/07h‑13, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16. Juli 2007, GZ 10 Cg 62/07h‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0170OB00006.08V.0520.000

 

Spruch:

Dem Revisionskurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

 

Die Erstklägerin ist Inhaberin des Schutzzertifikats SZ 18/97, das auf dem Europäischen Patent EP100172B1 (in Österreich E28864) basiert und für die Erfindung neuer Amidderivate, insbesondere für Bicalutamid, erteilt worden ist. Die Zweitklägerin ist exklusive Lizenznehmerin der Erstklägerin. Sie vertreibt in Österreich Produkte unter der Marke „C*****", die den Wirkstoff Bicalutamid enthalten und der Behandlung von Prostatakrebs dienen.

Die Beklagte vertreibt in Österreich Bicalutamid‑Genericon 50 mg- und 150 mg‑Filmtabletten, für die sie am 15. 12. 2006 die arzneimittelrechtliche Zulassung (Zulassungsnummern 1‑26788 und 1‑26789) erwirkt hat. Aufgrund des Antrags der Beklagten, diese Arzneimittel in den grünen Bereich des Erstattungskodex des Hauptverbands der Österreichischen Sozialversicherungsträger aufzunehmen, sind sie vorerst von Amts wegen im roten Bereich verzeichnet worden.

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragen die Klägerinnen, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung ua aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils zu unterlassen, in Österreich betriebsmäßig näher beschriebene Verfahren zur Herstellung eines Acylanilids einer bestimmten Formel oder äquivalente Verfahren zu verwenden, insbesondere Verfahren, deren ausgetauschte Merkmale von einem mit dem allgemeinen Fachwissen unter Berücksichtigung des Standes der Technik ausgerüsteten Fachmann im Prioritätszeitpunkt ohne erfinderisches Bemühen als den Patentansprüchen funktionsgleiche Lösungsmittel entnommen werden können, mit der Maßgabe, dass mit diesen Verfahren Bicalutamid hergestellt wird, und/oder gemäß diesen Verfahren jeweils unmittelbar hergestellte Gegenstände, insbesondere Bicalutamid‑Genericon 50 mg‑Filmtabletten und Bicalutamid‑Genericon 150 mg‑Filmtabletten, insbesondere Zulassungsnummer 1‑26788 und 1‑26789, feilzuhalten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen. Sie brachten dazu vor, das in den Produkten der Beklagten enthaltene Bicalutamid werde nach jenem Verfahren produziert, welches durch das Patent der Erstklägerin geschützt sei. Ein Patenteingriff läge aber selbst dann vor, wenn die genannten Arzneimittel nach dem Synthon‑Verfahren hergestellt würden, das ein dem patentierten Verfahren äquivalentes Verfahren sei.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Das in den von ihr vertriebenen Produkten enthaltene Bicalutamid werde nach dem Synthon‑Verfahren hergestellt, das dem patentierten Verfahren nicht äquivalent sei.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es hielt für bescheinigt, dass das in den Produkten der Beklagten enthaltene Bicalutamid nach dem Synthon‑Verfahren hergestellt werde; da dieses Verfahren dem patentierten Verfahren nicht äquivalent sei, liege kein Patenteingriff vor.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Endprodukt werde im patentierten Verfahren der Erstklägerin durch Umsetzung eines 4‑Cyano‑Trifluormethylanilinderivats (zB eines Chlorids) mit einem Thiol, im Synthon‑Verfahren der Beklagten hingegen durch Umsetzung des genannten Anilinderivats mit einem Parafluorbenzolsulfinat umgesetzt. Während beim patentierten Verfahren ein Kopplungsschritt mit anschließender Oxidation des entstandenen Thioethers zum Sulfon erfolge, werde beim Synthon‑Verfahren zunächst ein Sulfonsäurechlorid zum Sulfinsäuresalz reduziert, worauf anschließend eine Kopplungsreaktion zum Endprodukt führe. Aufgrund der unterschiedlichen Reaktionsabläufe (Oxidation/Reduktion), der unterschiedlichen Reihenfolge der Verfahrensschritte (Kopplung‑Oxidation/Reduktion‑ Kopplung) und der unterschiedlichen Zwischenprodukte seien die beim Herstellungsverfahren der Beklagten verwendeten Mittel jenen im patentierten Verfahren weder objektiv gleichwirkend noch funktionsgleich. Die Beklagte verwende somit das patentierte Verfahren weder unverändert noch in äquivalenter Form.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der äquivalenten Benützung einer patentierten Erfindung zulässig; das Rechtsmittel ist auch berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrags.

Die Klägerin macht geltend, es fehlten Feststellungen zum Fachwissen einer Fachperson und zum Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt; es könne deshalb nicht beurteilt werden, ob der Lösungsweg des Synthon‑Verfahrens im Prioritätszeitpunkt für eine Fachperson aufgrund des Patents und des sonstigen Fachwissens nahegelegen sei und dieses Verfahren einen Patenteingriff durch äquivalente Benützung verwirkliche.

1.1. Die Lehre von der Äquivalenz dehnt den Schutzbereich eines Patents auf solche Benutzungshandlungen aus, die zwar im Anspruch nicht genannt sind, die aber von Sinn und Zweck der Erfindung (= Erfindungsgedanke) durch Verwendung gleichwirkender Austauschmittel Gebrauch machen (Kühnen in Schulte, dPatG7 § 14 Rz 47). In den Schutzbereich eines Patents fallen damit auch Ausführungsformen, deren Elemente ganz oder zum Teil von der patentgemäßen Ausführungsform abweichen, sofern die ausgetauschten den beschriebenen Elementen patentrechtlich äquivalent sind.

1.2. Die äquivalente Benützung einer patentierten Erfindung liegt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und des Obersten Patent- und Markensenats vor, wenn eine mit dem allgemeinen Fachwissen ausgerüstete Fachperson im Prioritätszeitpunkt unter Berücksichtigung des Stands der Technik ohne erfinderisches Bemühen den Patentansprüchen die ausgetauschten Merkmale als funktionsgleiche Lösungsmittel entnimmt (4 Ob 321/84 = SZ 57/68 - Befestigungsvorrichtung für Fassadenelemente; 4 Ob 1128/94; 4 Ob 178/03k = ÖBl 2005, 244 [Wolner/Nemec] - Amlodipin; 4 Ob 243/07z; RIS‑Justiz RS0118280, RS0071084; OPM Op 4/99 = PBl 2001, 100; Op 2/01 = PBl 2004, 26).

1.3. Ob eine Patentverletzung durch äquivalente Mittel vorliegt, ist demnach unter Zugrundelegung der Maßfigur einer mit allgemeinem Fachwissen ausgerüsteten Fachperson in einem dreistufigen Prüfungsverfahren anhand eines Vergleichs der patentgemäßen mit der in der angegriffenen Ausführungsform verwirklichten Problemlösung zu beurteilen. Folgende Bedingungen müssen kumulativ vorliegen:

a) Die abgewandelte Ausführungsform löst das der Erfindung zugrundeliegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln (Gleichwirkung);

b) die Fachperson kann die bei der Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe ihrer Fachkenntnisse zur Lösung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems als gleichwirkend auffinden (Naheliegen);

c) die Überlegungen der Fachperson sind derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert, dass die Fachperson die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der patentgemäßen Ausführung gleichwertige Lösungin Betracht zieht (Gleichwertigkeit; Mes, dPatG² § 14 Rz 72 ff; Keukennschrijver in Busse, dPatG6 § 14 Rz 91 mN zur Rsp des BGH in FN 309; Kühnen aaO Rz 48; Scharen in Benkard, EPÜ Art 69 Rz 62; vgl auch Friebel/Pulitzer, Österreichisches Patentrecht 205 f; in diesem Sinne auch OPM 12. 2. 2003, Op 2/01 = PBl 2004, 26).

1.4. Gleichwirkung im zuvor beschriebenen Sinn bedeutet, dass das Austauschmittel dieselbe technische Wirkung erzielen muss, die das im Patentanspruch beschriebene Lösungsmittel nach der Lehre des Klagepatents erreichen soll (Kühnen aaO Rz 48). Ist Gegenstand des Patents ein Verfahren, so genügt eine bloße Übereinstimmung im Verfahrensergebnis noch nicht. Gleichwirkend ist ein Ersatzmittel nur dann, wenn das angegriffene Verfahren außerdem von dem für die patentgeschützte Lehre maßgeblichen technischen Gedanken Gebrauch macht. Eine Gleichwirkung ist deshalb zu verneinen, wenn der mit dem angegriffenen Verfahren beschrittene Lösungsweg von dem patentgeschützten Lösungsweg so weit entfernt ist, dass er nicht mehr als dessen Verwirklichung anzusehen ist (Kühnen aaO Rz 50).

1.5. Äquivalenz bei mehrstufigen chemischen Reaktionsabläufen ist nach dem Gesagten somit trotz Unterschieden in einzelnen Verfahrensschritten gegenüber den Patentansprüchen noch nicht ausgeschlossen, sofern nur mit den unterschiedlichen Verfahrensschritten dieselbe technische Wirkung erzielt wird, der angegriffene Lösungsweg für die Fachperson naheliegt und die Fachperson die beiden Lösungswege als gleichwertig empfindet. Entscheidend ist auch hier, was eine Fachperson aufgrund ihres Fachwissens dem Patent im Prioritätszeitpunkt entnimmt und welche Lösungswege sich daraus für sie ergeben. Es greift deshalb zu kurz, mehrstufige chemische Reaktionsabläufe nur dann als äquivalent zu beurteilen, wenn sie die gleiche Anzahl von Verfahrensschritten aufweisen und in allen ihren Verfahrensschritten entweder direkt oder in äquivalenter Form übereinstimmen, ohne dabei zu berücksichtigen, ob der angegriffene Lösungsweg der Fachperson als naheliegend erscheinen musste (s OPM 12. 2. 2003, Op 2/01 = PBl 2004, 26).

1.6. Ob Äquivalenz vorliegt, ist zwar in erster Linie eine Rechtsfrage. Welches Verständnis eine Fachperson im maßgebenden Zeitpunkt hatte, ist allerdings ein objektivierendes, dem Beweis zugängliches Element. Hat der Beklagte das alternative Verfahren offengelegt, trifft die Behauptungs- und Beweislast für äquivalenzbegründende Umstände den Kläger (4 Ob 178/03k = ÖBl 2005, 244 [Wolner/Nemec] - Amlodipin; 4 Ob 243/07z).

2.1. Das Rekursgericht hat als bescheinigt erachtet, dass das Endprodukt im patentierten Verfahren der Erstklägerin durch Umsetzung eines 4‑Cyano‑Trifluormethylanilinderivats (zB eines Chlorids) mit einem Thiol, im Synthon‑Verfahren der Beklagten hingegen durch Umsetzung des genannten Anilinderivats mit einem Parafluorbenzolsulfinat hergestellt wird. Während beim patentierten Verfahren ein Kopplungsschritt mit anschließender Oxydation des entstandenen Thioethers zum Sulfon erfolgt, wird beim Synthon‑Verfahren zunächst ein Sulfonsäurechlorid zum Sulfinsäuresalz reduziert, worauf anschließend eine Kopplungsreaktion zum Endprodukt führt. Das Rekursgericht hat aufgrund der unterschiedlichen Reaktionsabläufe (Oxidation/Reduktion), der unterschiedlichen Reihenfolge der notwendigen Verfahrensschritte (Kopplung‑Oxidation/Reduktion‑Kopplung) und der unterschiedlichen Zwischenprodukte den - rechtlichen ‑ Schluss gezogen, dass die beim Herstellungsverfahren der Beklagten verwendeten Mittel jenen im patentierten Verfahren weder objektiv gleichwirkend noch funktionsgleich seien, und einen Patenteingriff der Beklagten verneint.

2.2. Diese Entscheidung berücksichtigt nicht, dass eine Beurteilung äquivalenter Benutzung Feststellungen darüber voraussetzt, welches Fachwissen eine Fachperson im Prioritätszeitpunkt besaß, ob die Austauschmittel dieselbe technische Wirkung erzielen wie die im Patent beschriebenen Lösungsmittel (das angegriffene Verfahren also von den für die patentgeschützte Lehre maßgeblichen technischen Gedanken Gebrauch macht) und ob der alternative Herstellungsweg für die Fachperson im Hinblick auf den damaligen Stand der Technik naheliegend war.

2.3. Dem Verfahren 4 Ob 243/07z - auf das sich die Revisionsrekursbeantwortung mehrfach beruft - lag zwar eine vergleichbare Problemstellung zugrunde, doch hat dort das Rekursgericht das bei Prüfung der Äquivalenz heranzuziehende Fachwissen der Maßperson festgestellt. Es hat nämlich aufgrund von Gutachten als bescheinigt angenommen, dass der alternative Lösungsweg - der sich im Ablauf der chemischen Reaktionen und in der Anzahl der Reaktionsschritte vom patentierten Verfahren unterscheidet - im Prioritätszeitpunkt für eine Fachperson aufgrund des Patents und des (sonstigen) Fachwissens insgesamt nicht nahegelegen sei, sondern einen erfinderischen Schritt erfordert habe; im Hinblick auf dieses Bescheinigungsergebnis wurde die Äquivalenz verneint.

3. Vergleichbare Feststellungen fehlen im Anlassfall. Es kann deshalb noch nicht abschließend beurteilt werden, ob das den Produkten der Beklagten zugrunde liegende chemische Verfahren als äquivalente Benutzung in das Patent der Klägerin eingreift. Dieser Feststellungsmangel führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Das Erstgericht wird nach Ergänzung des festgestellten Sachverhalts im aufgezeigten Umfang (vgl zuvor Punkt 2.2.) erneut zu entscheiden haben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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