Spruch:
Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften über den vom Obersten Gerichtshof am 23. April 2008 in der Rechtssache 7 Ob 26/08m gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Revisionsverfahren von Amts wegen fortgesetzt werden.
Text
Begründung
Die im Bundesland Salzburg wohnhafte Klägerin ist bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung" (ARB 2000) zugrunde. Nach deren Art 6.7.3. ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung vorerst auf die außergerichtliche Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Versicherungsnehmer und die Führung notwendiger Musterprozesse durch von ihm ausgewählte Rechtsvertreter zu beschränken, wenn mehrere Versicherungsnehmer zur Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen Versicherungsschutz aus einem oder mehreren Versicherungsverträgen genießen und ihre Interessen aufgrund der gleichen oder einer gleichartigen Ursache gegen den/dieselben Gegner gerichtet sind. Darüber hinaus übernimmt der Versicherer - unter den dort (Art 6.7.3. Abs 2 erster Satzteil) genannten Voraussetzungen - die Kosten für Gemeinschaftsklagen oder sonstige gemeinschaftliche Formen außergerichtlicher und gerichtlicher Interessenswahrnehmungen durch von ihm ausgewählte Rechtsvertreter. Die Klägerin hatte bei zwei Wertpapierdienstleistungsunternehmen (Kurzbezeichnung „A*****") Geld veranlagt. Infolge Insolvenz beider Unternehmen wurde sie - wie viele andere Anleger auch - geschädigt. Sie beauftragte die in Salzburg ansässige Salpius Rechtsanwalts GmbH mit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung. Ihre Anwälte vertraten und vertreten ihre Interessen unter anderem in den über das Vermögen der insolventen A*****-Unternehmen eröffneten Konkursverfahren und in einem gegen die Organe dieser Unternehmen geführten Strafverfahren. Das Ersuchen der Klägerin, ihr für das erfolgte und künftige Einschreiten ihrer Anwälte Rechtsschutzdeckung zuzusagen, lehnte die Beklagte ab.
Die Klägerin begehrt die Feststellungen, a) dass die Beklagte der Klägerin für das Einschreiten ihrer Anwälte in der „Rechtssache A*****, insbesondere ..., Deckungszusage zu gewähren" habe, und b) dass Art 6.7.3. der ARB 2000 gegenüber der Klägerin unwirksam sei. Die Klausel schränke das in Art 4 der Rechtsschutzversicherungsrichtlinie 87/344/EWG postulierte und durch § 158k VersVG in Österreich umgesetzte freie Anwaltswahlrecht des Versicherungsnehmers unzulässig ein und sei daher unbeachtlich. Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Der Fall A***** sei ein klassischer Massenschaden, weil aufgrund gleichartiger Malversationen eine hohe Anzahl von Anlegern geschädigt worden sei und theoretisch auch eine gemeinsame Klageführung aller Geschädigten möglich wäre. Massenschäden seien bei Einführung der Richtlinie vom 22. 6. 1987 und des die Richtlinie umsetzenden § 158k VersVG größtenteils unbekannt gewesen, nicht bedacht und nicht mitgeregelt worden. Art 6.7.3. der ARB 2000 verstoße daher nicht gegen diese Normen, sondern ergänze sie. Er sei wegen der Kosteneinsparung im Interesse der Versicherungsnehmer geboten und bringe diesen überwiegend Vorteile. Das Erstgericht wies das Klagebegehren zu lit a) ab, stellte jedoch zu lit b) mit Wirkung zwischen den Parteien fest, dass Art 6.7.3. der ARB 2000 unwirksam sei, weil er eine unzulässige Einschränkung des Rechts auf freie Anwaltswahl, die in § 158k VersVG festgeschrieben sei, enthalte.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das gesamte Klagebegehren abwies. Sowohl in der Richtlinie (Art 5) als auch im österreichischen VersVG (§ 158k Abs 2) seien Ausnahmen von der freien Anwaltswahl enthalten. Dies zeige, dass sie nicht Selbstzweck sei, sondern nur ein Mittel, um das damit verfolgte Ziel, Interessenkollisionen zwischen Versicherten und Mehrspartenversicherern möglichst auszuschließen, zu erreichen. Die unterschiedliche Handhabung des freien Anwaltswahlrechts bei Individualschäden und Massenschäden sei sachgerecht und nicht nur im Interesse des Versicherers geboten; sie ermögliche nämlich eine ökonomische Vertretung mehrerer Versicherungsnehmer bei Massenschäden und gewährleiste damit am ehesten, dass „Kumulfälle" von der Rechtsschutzdeckung nicht überhaupt ausgenommen werden. Durch die in Art 6.7.3. der ARB 2000 getroffene Regelung würden die Vorschriften der Richtlinie und des § 158k Abs 1 VersVG zulässigerweise für die Behandlung von „Kumulschäden" ergänzt.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 12. 3. 2008, 7 Ob 26/08m, - im Deckungsprozess eines anderen durch „A*****" geschädigten Anlegers gegen seinen Rechtsschutzversicherer - dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Ist Art 4 (1) der Richtlinie 87/344/EWG des Rates zur Koordination der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung vom 22. Juni 1987 dahin auszulegen, dass ihm eine in Allgemeinen Versicherungsbedingungen eines Rechtsschutzversicherers enthaltene Klausel, die den Versicherer in Versicherungsfällen, in denen eine größere Anzahl von Versicherungsnehmern durch dasselbe Ereignis (etwa die Insolvenz eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens) geschädigt wird, zur Auswahl eines Rechtsvertreters berechtigt und damit das Recht des einzelnen Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl beschränkt (so genannte 'Massenschadenklausel'), widerspricht?
2. Im Fall der Verneinung von Frage 1.:
Unter welchen Voraussetzungen liegt ein 'Massenschaden' vor, der es im Sinn (beziehungsweise in Ergänzung) der genannten Richtlinie gestattet, dem Versicherer anstelle des Versicherungsnehmers das Recht der Auswahl des rechtsfreundlichen Vertreters einzuräumen?" und das dortige Verfahren bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Die zu 7 Ob 26/08m gestellte Vorlagefrage ist auch für den hier zu beurteilenden Fall maßgeblich, weshalb es zweckmäßig und geboten ist, mit der Entscheidung bis zu jener des Europäischen Gerichtshofs über das gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das Verfahren zu unterbrechen. Der Oberste Gerichtshof hat auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese daher auch auf andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden (RIS-Justiz RS0110583; 8 Ob 64/04a; 10 ObS 188/98i).
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