OGH 14Os7/08y

OGH14Os7/08y19.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und Hon.-Prof. Dr. Schroll und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dragan J***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Dragan J***** und Emir D***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 12. November 2007, GZ 410 Hv 3/07h-108, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Dragan J***** und Emir D***** (richtig:) der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A.) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB (B.) schuldig erkannt.

Danach haben sie am 12. Juni 2006 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

A./ Goran S***** und Igor B***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1) absichtlich zugefügt, indem Dragan J***** dem Goran S***** wiederholt mit dem Knauf seiner Waffe auf den Kopf schlug und Emir D***** wiederholt massiv mit Stahlrohrsesseln und Teilen von diesen auf die Genannten einschlug, und beide ihnen wiederholt Faustschläge versetzten, sowie auf Zoran J***** einschlugen und ihn traten, sodass Goran S***** Rissquetschwunden über dem linken Auge, auf der rechten Stirnseite und der linken Schläfe, eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine Schädelprellung, eine Prellung und Hautabschürfungen der rechten Schulter, eine Schädeldachimpressionsfraktur stirnseitig rechts und einen Bruch des linken Oberkiefers, Igor B***** eine Fraktur des linken Jochbeins, eine Rissquetschwunde in der Ellenbeuge links, eine Prellung mit Hautabschürfung des Schädels, der linken Schulter und am linken Oberschenkel, sohin durch die ausgeübte Gewalt schwere Verletzungen und Zoran J***** Prellungen am rechten Arm, hinter dem rechten Ohr und am rechten Bein erlitten;

B./ Zoran J*****, Goran S***** und Igor B***** mit dem Tod und mit einer erheblichen Verstümmelung gefährlich bedroht, indem Dragan J***** sie mit einer Pistole bedrohte und Emir D***** damit drohte, ihnen mit einem Messer die Finger abzuschneiden.

Die dagegen von Dragan J***** aus dem Grunde der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO und von Emir D***** aus den Gründen der Z 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die inhaltlich jeweils ausschließlich gegen den Schuldspruch wegen § 87 Abs 1 StGB gerichtet sind, verfehlen ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dragan J*****:

Die Fragenrüge (Z 6) wendet sich gegen das Unterbleiben einer Eventualfrage in Richtung des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 1 StGB.

Gegenstand von Eventualfragen ist ein von jenem der Hauptfrage abweichendes Tatgeschehen, welches - rechtlich konsequent - die Subsumtion des Prozessgegenstandes unter eine oder mehrere andere als jene strafbaren Handlungen zur Folge hätte, auf die sich die Hauptfrage bezog. Prozessförmig vorgebrachte Kritik am Unterlassen von Eventualfragen muss sich demnach auf ein solches Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung berufen und jene strafbaren Handlungen nennen, nach denen eventualiter hätte gefragt werden sollen (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 43 f; 15 Os 115/04). An Stelle solcherart prozessordnungskonformer Argumentation zitiert die Fragenrüge - isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen - die Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach es am Tattag zwischen ihnen (den Angeklagten) und Zoran J*****, Goran S***** und Igor B***** zu einer Auseinandersetzung kam, wobei Tätlichkeiten von beiden Seiten ausgingen.

Weshalb diese Aussagepassage mit Blick auf die sonstige - eine zumindest bedingt vorsätzliche Verursachung der Verletzungen der Kontrahenten im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Emir D***** gar nicht in Abrede stellende (S 69 ff, insbes. S 71 f/Bd III) - Einlassung des Angeklagten Anlass für die vermisste Eventualfrage nach dem Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 1 StGB geben hätte sollen, der (als subsidiärer Auffangtatbestand) nur bei solchen Teilnehmern an einem Raufhandel zur Anwendung gelangt, die nicht - als unmittelbarer, Bestimmungs- oder Beitragstäter - an der Herbeiführung der Verletzungsfolge mitgewirkt haben und denen ein - allenfalls erst bei der Tat spontan entstandener (gemeinsamer) - Verletzungs- oder Misshandlungsvorsatz in Bezug auf das Opfer nicht angelastet werden kann (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 91 Rz 4; Hauptmann/Jerabek in WK² § 91 Rz 21; Fabrizy, StGB9 § 91 Rz 3a), lässt das Beschwerdevorbringen aber offen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Emir D*****:

Die Fragenrüge (Z 6) erblickt zunächst ebenfalls in der Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach dem Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 1 StGB eine Verletzung der Bestimmung des § 314 StPO und ist mit diesem Vorbringen auf oben Gesagtes zu verweisen. Denn auch dieser Beschwerdeführer orientiert sich nicht am Verfahrensrecht, indem er sich - sein eigenes Eingeständnis, mit einer Flasche, einem Aschenbecher oder vielleicht mit einem Sessel auf die gegnerische Gruppe eingeschlagen zu haben, um Dragan J***** zu helfen (S 87 f/Bd III), ignorierend - bloß auf jene Teile der Aussagen beider Angeklagten beruft, die seiner Ansicht nach darauf hindeuteten, dass „die Schlägerei" von „der Gegenseite" ausging und solcherart keine Indizien für ein unter den Tatbestand des § 91 Abs 1 StGB zu subsummierendes Tatgeschehen aufzeigt.

Mit seinem weiteren Beschwerdeeinwand (Z 6), der sich gegen die Unterlassung der Stellung einer Zusatzfrage (§ 313 StPO) nach „Notwehr(-überschreitung)" richtet, wird der Rechtsmittelwerber dem für eine Erörterung im Sinne der §§ 285c Abs 2, 286 ff, 344 StPO erforderlichen Aufzeigen eines entsprechenden Tatsachenvorbringens in der Hauptverhandlung gleichermaßen nicht gerecht. Indem er nämlich auf die Ausführungen „betreffend der Unterlassung einer Eventualfrage" verweist und solcherart bloß aus - ein weiteres Mal kontextentleert zitierten - Bekundungen beider Angeklagten, die Schlägerei sei vom „Italiener" bzw den anderen ausgegangen, aus seiner eigenen Einlassung, „mit seinen Handlungen jedenfalls zu weit gegangen zu sein" und aus der Behauptung des Dragan J***** gegenüber dem Sachverständigen, wonach der „Italiener" ihm mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen habe, den selbständigen Schluss zieht, aus seiner Verantwortung ergebe sich „die Möglichkeit der Anwendung des § 3 Abs 2 StGB", zeigt er keinerlei Tatsachenvorbringen auf, das die Annahme des Vorliegens einer objektiv bestehenden Notwehrsituation indizieren würde. Weshalb - entgegen herrschender Meinung (vgl Lewisch in WK² § 3 Rz 33; Leukauf/Steininger Komm3 § 3 Rz 84; Kienapfel/Höpfel AT12 Z 11 Rz 8; 10 Os 175/82; RIS-Justiz RS0088726) - alleine aus der (behaupteten) Einleitung der Tätlichkeiten durch die Widersacher eine einseitige unangemessene Eskalation der Auseinandersetzung, die allenfalls eine Notwehrsituation begründen würde, abzuleiten sein sollte, einzelne Tätlichkeiten im Zuge eines - nach den Angaben beider Angeklagten - von wechselseitigen Aggressionshandlungen gekennzeichneten Raufhandels isoliert zu betrachten und als Maßnahme der Verteidigung vor einem unmittelbar drohenden Angriff zu beurteilen sein sollten, lässt die Rüge nämlich offen.

Mangels Indizien für eine objektiv bestehende Notwehrsituation gehen Überlegungen zu einer Notwehrüberschreitung von vorneherein ins Leere.

Die Instruktionsrüge (Z 8) verkennt mit ihrer Forderung nach einer Belehrung der Geschworenen „über die Bestimmungen des § 91 StGB sowie § 3 StPO", dass die Rechtsbelehrung nur insofern angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen tatsächlich gestellt wurden (§ 321 Abs 2 StPO; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 20; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0101085). Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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