OGH 9Ob79/07v

OGH9Ob79/07v8.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der wiederaufnahmeklagenden Partei Allgemeines öffentliches Krankenhaus *****, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in Landeck, gegen die wiederaufnahmebeklagte Partei Dr. Gunnar S*****, Arzt, *****, vertreten durch Dr. Franz Lethmüller, Rechtsanwalt in Zams, wegen Wiederaufnahme (Streitwert 12.100 EUR), über den Rekurs der wiederaufnahmeklagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Oktober 2007, GZ 4 R 450/07s-2, womit die Wiederaufnahmeklage zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit seiner am 5. 3. 2001 beim Bezirksgericht Landeck zu 2 C 375/01k eingelangten Klage begehrte der dortige Kläger und nunmehrige Wiederaufnahmebeklagte von der dort Beklagten und jetzigen Wiederaufnahmeklägerin die Zahlung von 15.000 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes (Schmerzengeld) sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle künftigen kausalen Folgen und Schäden aus dem Behandlungsfehler anlässlich der Operation vom 5. 10. 1999 sowie der daraus resultierenden Folgeoperation vom 25. 1. 2000. Der Wiederaufnahmebeklagte habe sich im Krankenhaus der Wiederaufnahmeklägerin einer Hüftoperation unterzogen. Dabei sei es einerseits zu ärztlichen Kunstfehlern, anlässlich einer Folgeoperation auch zu Aufklärungspflichtverletzungen gekommen, ohne die sich der Wiederaufnahmebeklagte dieser zweiten Operation zumindest nicht im Spital der Wiederaufnahmeklägerin unterzogen hätte. Bei der ersten Operation sei die künstliche Hüftpfanne zu steil eingesetzt worden, sodass es unmittelbar nach der Operation bereits zu Subluxationen und Luxationen des künstlichen Hüftgelenks und dadurch in der Folge zu einer Lockerung des künstlichen Hüftgelenksschafts gekommen sei. Dies habe die Folgeoperation notwendig gemacht.

Die Wiederaufnahmeklägerin wendete im Vorprozess ein, dass schon beim Einsetzen der künstlichen Gelenkspfanne kein Kunstfehler passiert sei. Die Lockerung des Schafts sei auf einen schicksalhaften und unvermeidbaren schleichenden Infekt zurückzuführen gewesen, der zu einem Einsinken und dann zur Lockerung des Hüftgelenksschafts geführt habe. Nur diese schicksalhafte Lockerung sei für die Zweitoperation ursächlich gewesen. Der Wiederaufnahmebeklagte sei auch ausreichend aufgeklärt worden.

Das Erstgericht erklärte im Vorprozess die Beklagte für schuldig, dem Kläger 1.750 EUR sA an Schmerzengeld zu zahlen. Hingegen wies es das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 13.250 EUR sA und das Feststellungsbegehren ab. Es ging dabei von der Feststellung aus, dass zwar das fehlerhafte Einsetzen der künstlichen Pfanne in der Zukunft ebenfalls eine weitere Operation nach sich gezogen hätte, unmittelbarer Anlass für die Zweitoperation jedoch ein schicksalhafter, nicht mit der Operation zusammenhängender Infekt gewesen sei. Infolge der sachgemäß durchgeführten Zweitoperation seien Spät- oder Dauerfolgen auszuschließen. Rechtlich gelangte es daher zur Auffassung, dass der Kläger nur einen Teilschaden geltend machen könne, welcher mit 1.750 EUR auszumessen sei. Das Berufungsgericht hatte Bedenken an der Beweiswürdigung des Erstgerichts und gelangte aufgrund einer Beweiswiederholung zu abweichenden Feststellungen. Danach war die Zweitoperation nur durch die unsachgemäße Erstoperation verursacht, nämlich durch eine Fehlstellung des künstlichen Pfanneninlays. Dadurch sei es zu Subluxationen und Luxationen des künstlichen Hüftgelenks gekommen, dies habe zum Einsinken des künstlichen Schafts geführt. Es sei nicht feststellbar, dass ein schicksalhafter Infekt zum Einsinken des Schafts geführt habe. Darüber hinaus habe der zweite Eingriff eine dauernde Insuffizienz der hüftgelenksnahen Muskeln, verbunden mit einem gestörten Gangbild bewirkt, wobei insbesondere längere Gehstrecken nur durch Verwendung eines Gehstocks bzw von Armstützkrücken bewältigt werden können. Das Berufungsgericht erachtete ein Schmerzengeld von 10.000 EUR als angemessen, wobei 6.000 EUR für physische Schmerzen und weitere 4.000 EUR für psychische Schmerzen, insbesondere für das Bewusstsein von Dauerfolgen auszumessen gewesen seien. Im Hinblick auf die nicht auszuschließenden Spät- und Dauerfolgen sei auch dem Feststellungsbegehren stattzugeben.

Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten wurde mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen (9 Ob 3/05i).

Mit ihrer an das Berufungsgericht gerichteten Wiederaufnahmeklage vom 24. 9. 2007 begehrt die Beklagte und Wiederaufnahmeklägerin 1. die Wiederaufnahme durch Aufhebung des Urteils 4 R 272/07k des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht, 2. der Berufung des Klägers im wiederaufzunehmenden Verfahren keine Folge zu geben und das Urteil des Bezirksgerichts Landeck 2 C 375/01k zu bestätigen, 3. im wiederaufgenommenen Rechtsstreit dem Klagebegehren nur hinsichtlich eines Schadenersatzbetrags von 1.750 EUR sA stattzugeben, sodass insgesamt

a) die Beklagte des wiederaufzunehmenden Prozesses für schuldig erkannt werde, dem Kläger binnen vierzehn Tagen aa) den Betrag von

1.750 EUR samt 4 % Zinsen seit 8. 3. 2001 zu bezahlen und bb) die Beklagte für schuldig erkannt werde, die mit 1.339,70 EUR bestimmten Barauslagen des Verfahrens zu ersetzen und

b) die darüber hinausgehenden Mehrbegehren auf Zahlung weiterer

13.250 EUR sA und auf Feststellung der Haftung der Beklagten für operationskausale Folgen abgewiesen werden.

Die Wiederaufnahmeklägerin stützte ihr Begehren auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Am 10. 8. 2007 sei sie in die Kenntnis eines neuen Beweismittels, nämlich eines weiteren Gutachtens und damit in die Kenntnis weiterer Tatsachen gelangt. Der Wiederaufnahmebeklagte führe ein weiteres Verfahren gegen die Wiederaufnahmeklägerin, in welchem es um schadenskausalen Verdienstentgang gehe. Aus dem dort eingeholten Gutachten ergebe sich und wäre daher festzustellen, dass

A) der Wiederaufnahmebeklagte aufgrund einer Spätinfektion der

operierten Hüfte arbeitsunfähig geworden sei, ein Spätinfekt aber keinen Kunstfehler darstelle, B) auch im Falle einer ordnungsgemäß durchgeführten Hüftoperation eine Arbeitsunfähigkeit eingetreten wäre, welche bei normalem Verlauf mit drei Monaten anzunehmen sei, C) der Wiederaufnahmebeklagte ohnehin wegen der übrigen degenerativen Veränderungen seiner Kniegelenke, Sprunggelenke, Zehengelenke, Fingergelenke und der Wirbelsäule bei Erreichen des 60. Lebensjahres arbeitsunfähig geworden wäre und D) es durch den Zweiteingriff zu keiner merklichen Insuffizienz der hüftgelenksnahen Muskulatur gekommen sei, sodass zusätzliche Folgen und/oder neue Operationen aufgrund des Zustands nach der Zweitoperation ausgeschlossen werden können. Wäre die Wiederaufnahmeklägerin in der Lage gewesen, diese Tatsachen vorzubringen, wäre im Vorprozess mit einem für sie günstigeren Ergebnis zu rechnen gewesen.

Das Berufungsgericht wies die Wiederaufnahmeklage gemäß § 538 Abs 1 ZPO als zur Bestimmung einer Tagsatzung über die mündliche Verhandlung ungeeignet zurück. Es bejahte zwar seine Zuständigkeit, doch liege kein gesetzlicher Wiederaufnahmegrund vor; die Wiederaufnahmeklägerin könne sich weder auf neue Tatsachen noch auf neue Beweismittel berufen, zu deren Benützung sie im Vorprozess nicht im Stande gewesen sei. Soweit sie sich auf eine Spätinfektion (Punkt A des Klagevorbringens), eine auch bei ordnungsgemäßer Operation eintretende vorübergehende Arbeitsunfähigkeit (Punkt B des Klagevorbringens) sowie auf das Fehlen einer Muskelinsuffizienz als Operationsfolge (Punkt D des Klagevorbringens) berufe, wäre ein solches Vorbringen bereits im Vorprozess nicht nur möglich, sondern sogar ausdrücklich Verhandlungsgegenstand gewesen. Das Berufungsgericht sei jedoch unter Würdigung des dort eingeholten Gutachtens zu gegenteiligen Feststellungen gekommen. Weder habe das Gutachten im Hauptprozess auf einer unzulänglichen Grundlage beruht, noch habe die Wiederaufnahmeklägerin den Beweis angetreten, dass das jüngere Sachverständigengutachten auf einer neueren wissenschaftlichen Methode beruhe, die zum Zeitpunkt der Begutachtung im Hauptverfahren noch nicht bekannt gewesen sei. Insoweit stelle das spätere Gutachten daher weder ein neues Beweismittel dar, noch könnten daraus neue Tatsachen abgeleitet werden.

Selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit des Klägers und Wiederaufnahmebeklagten auch aufgrund operationsfremder Ursachen eingetreten wäre (Punkt C des Klagevorbringens), wäre eine solche Tatsache nicht geeignet gewesen, zu einem anderen Ergebnis zu führen. Der Berechtigung des Feststellungsbegehrens liege nicht nur eine operationskausale Arbeitsunfähigkeit, sondern auch die auf die Operation zurückzuführende Muskelinsuffizienz zu Grunde, welche als Dauerfolge zu qualifizieren sei. Die vom Berufungsgericht angenommene Arbeitsunfähigkeit sei hier nur ein zusätzliches Kriterium, keineswegs aber allein entscheidend gewesen. Auch hinsichtlich des Schmerzengeldes wäre es zu keiner Änderung gekommen, weil für die vom Wiederaufnahmebeklagten erlittenen physischen Schmerzen und die psychischen Schmerzen (das durch die Operation verursachte Bewusstsein von Dauerfolgen) ein Betrag von 10.000 EUR selbst dann angemessen sei, wenn eine Arbeitsunfähigkeit später - wie von der Wiederaufnahmeklägerin behauptet - aufgrund anderer Ursachen eingetreten wäre.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Wiederaufnahmeklägerin aus den Gründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem aufzutragen, das Verfahren über die Wiederaufnahmeklage fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist infolge § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (RIS-Justiz RS0043868), er ist aber nicht berechtigt. Das Rekursgericht hat die Frage, ob die Wiederaufnahmeklage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe gestützt wird, zutreffend verneint. Es kann daher insoweit auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung des angefochtenen Urteils verwiesen werden (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Lediglich ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Das Berufungsgericht geht richtig von der Judikatur aus, nach der 1.) ein nachträglich beigebrachtes ärztliches Gutachten keine neue Tatsache ist, wenn das Thema des Gutachtens bereits im Hauptprozess bekannt gewesen ist, und 2.) ein neues Gutachten ohne Hinzutreten weiterer Umstände auch kein neues Beweismittel abgibt (RIS-Justiz RS0044834). Auch später hervorgekommene Tatumstände, die allenfalls die Unrichtigkeit eines eingeholten Gutachtens indizieren, sind für sich allein kein tauglicher Wiederaufnahmegrund (RIS-Justiz RS0044555). Die gegenteilige Ansicht hätte zur Folge, dass Prozesse, in denen ein Sachverständigenbeweis beantragt hätte werden können, wiederaufgenommen werden müssten, wenn die unterlegene Partei nachträglich ein ihrem Standpunkt günstiges Gutachten vorlegen kann, aber auch Prozesse, in welchen ein Sachverständigenbeweis bereits durchgeführt wurde, wiederaufgenommen werden müssten, wenn die unterlegene Partei ein Gutachten vorlegt, dass von dem des bestellten Sachverständigen abweicht (9 Ob 7/05b; 10 ObS 169/03f). Auch ist im vorliegenden Fall der Ausnahmetatbestand einer unrichtigen oder unvollständigen Entscheidungsgrundlage (10 ObS 169/03f ua) nicht gegeben. Das Vorbringen, dass die Zweitoperation und deren für den Wiederaufnahmebeklagten nachteilige Folgen nicht auf einen Kunstfehler bei der ersten Operation, sondern auf einen Infekt zurückzuführen seien, ist daher genauso wenig als Wiederaufnahmegrund im Sinn des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geeignet wie das Vorbringen, dass durch die Folgeoperation keine Muskelinsuffizienz eingetreten sei. Die letztgenannte Dauerfolge rechtfertigt auch die Auffassung, dass das Feststellungsbegehren selbst im Fall des Wegfalls einer operationskausalen Arbeitsunfähigkeit unverändert aufrecht bliebe, sodass auch diesbezüglich kein Wiederaufnahmegrund vorliegt. Die Wiederaufnahmeklägerin vermeint nun auch, dass die Tatsache einer auf andere Ursachen zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeit geeignet gewesen wäre, das zuerkannte Schmerzengeld zu verringern. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung auch für die mit den physischen Schmerzen zusammenhängenden psychischen Beeinträchtigungen ein Schmerzengeld zuerkannt, wobei die psychischen Beeinträchtigungen im Rahmen einer Globalbeurteilung Berücksichtigung fanden (RIS-Justiz RS0122794; RS0031405; RS0031191 uva). Die Rekurswerberin übersieht überdies, dass sie selbst davon ausgeht, dass der Kläger aufgrund der behaupteten anderen Abnützungserscheinungen erst mit 60 Jahren arbeitsunfähig geworden wäre. Demgegenüber geht das Berufungsgericht ausdrücklich davon aus, dass eine seelische Schmerzenskomponente - neben dem Dauerschaden der Muskelinsuffizienz - auch darin zu ersehen ist, dass der im Operationszeitpunkt erst 58-jährige und damals noch arbeitsfähige Kläger plötzlich seiner vorzeitigen Dienstunfähigkeit gewahr wurde. Das Berufungsgericht unterstellte aber nicht, dass der Kläger und Wiederaufnahmebeklagte ohne den Schadensfall jedenfalls bis zum Erreichen des 65. Lebensjahres gearbeitet hätte. Damit ist auch der behaupteten Tatsache einer später aus anderen Ursachen eintretenden, vom Wiederaufnahmebeklagten aber gar nicht vorhergesehenen Arbeitsunfähigkeit die abstrakte Eignung zur Herbeiführung einer anderslautenden Entscheidung des Berufungsgerichts abzusprechen.

Zu Recht hat es daher die Wiederaufnahmeklage gemäß § 538 ZPO zurückgewiesen.

Gemäß § 40 iVm § 50 Abs 1 ZPO hat die Rekurswerberin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

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