OGH 7Ob258/07b

OGH7Ob258/07b7.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludwig K*****, vertreten durch Dr. Brigitte Forster-Ascher, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei W***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Grassner Lenz Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert: 61.600 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. Oktober 2007, GZ 6 R 166/07k-14, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Wird eine versicherte Sache veräußert, so tritt der Erwerber von Gesetzes wegen an Stelle des Veräußerers in das Versicherungsverhältnis ein (§ 69 VersVG). § 70 VersVG räumt sowohl dem Erwerber als auch dem Versicherer ein (jeweils befristetes [§ 70 Abs 1 und 2]) Kündigungsrecht ein, weil dem Versicherer der ihm aufgezwungene Versicherungsnehmer bedenklich erscheinen kann, während der Erwerber der versicherten Sache möglicherweise einen anderen Versicherer vorziehen will oder keinen Versicherungsschutz mehr wünscht (RIS-Justiz RS0080653). § 70 VersVG soll also die durch § 69 VersVG bewirkte Einschränkung der Vertragsfreiheit sowohl des Versicherers als auch des Erwerbers korrigieren; ein über diese „Sanierungsfunktion" hinausgehender Zweck kommt ihm nach herrschender Ansicht nicht zu (Grassl-Palten, Miteigentum und Veräußerung der versicherten Sache, JBl 1994, 375 ff [378 f]).

Beim Erwerb von Miteigentum an einer Liegenschaft ist dieses

Kündigungsrecht nach den Bestimmungen über die Willensbildung in der

Miteigentumsgemeinschaft zu beurteilen; daraus folgt, dass das

Kündigungsrecht gemäß § 70 VersVG beim [sukzessiven] Erwerb

derartiger Miteigentumsanteile erst dann entsteht, wenn ein mehr als

50 % betragender Anteil erworben wird, mit dem also die Möglichkeit

eingeräumt wird, im Rahmen der ordentlichen Verwaltung

Versicherungsverträge abzuschließen (Rsp seit SZ 73/16 = 7 Ob 297/99y

= RIS-Justiz RS0113297, an der mit SZ 73/115 = 7 Ob 148/00s

ausdrücklich festgehalten wurde).

Die Zulassungsbeschwerde der außerordentlichen Revision gesteht zunächst (Punkt 1) ausdrücklich zu, die Beurteilung des Gerichts zweiter Instanz könne sich auf die zitierte „ständige Judikatur" des Obersten Gerichtshofs (also die Entscheidungen 7 Ob 297/99y und 7 Ob 148/00s) sowie auf die Meinung von „Grassl-Palten, Miteigentum und Veräußerung der versicherten Sache, JBl 1994, 375 (389)" [= Fall 9 Variante 1] berufen, wonach dem Erwerber das Kündigungsrecht nach § 70 VersVG zustehe, sobald er das Recht auf ordentliche Verwaltung der Sache erlange, was regelmäßig bei einem Miteigentumsanteil von mehr als 50 % der Fall sei. Diese Fälle stellten jedoch nur „ähnliche Fallkonstellationen" dar, weil sie mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt in einem „wesentlichen Punkt" nicht übereinstimmten; der Kläger sei nämlich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags bereits Hälfteeigentümer der versicherten Liegenschaft gewesen, während der kündigende Erwerber in den bisher vom Obersten Gerichtshof behandelten Fällen entweder „überhaupt noch nicht" Miteigentümer oder aber Miteigentümer mit einem Anteil von „weniger als 50 %" gewesen sei. Es stelle sich daher die - vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortete - Frage, ob (auch) einem Hälfteeigentümer, der dem Abschluss des Versicherungsvertrags als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung „bereits zustimmte", im Fall des Erwerbs eines weiteren Miteigentumsanteils (womit er nunmehr berechtigt sei, die ordentliche Verwaltung alleine auszuüben) eine Kündigungsmöglichkeit nach § 70 VersVG „gegeben werden sollte". Außerdem sei fraglich, ob das Kündigungsrecht nach § 70 VersVG mit dem Zeitpunkt zu bejahen sei, zu dem die Miteigentumsquote des Erwerbers erstmals 50 % übersteige, oder darauf abgestellt werden sollte, ob bei Abschluss des Versicherungsvertrags der Erwerber bereits Beschlüsse der ordentlichen Verwaltung zu verhindern vermochte. Letzteres sei nach dem Regelungszweck der zitierten Bestimmung geboten, weil diese verhindern solle, dass sich letztlich zwei Vetragspartner, die einander „völlig fremd" seien, gegenüberstünden. Habe der Miteigentümer „durch Zustimmung" zu einer Maßnahme der ordentlichen Verwaltung den Abschluss des Versicherungsvertrags „genehmigt", sollte ihm „sachgerechterweise" auch der Kündigungsgrund des § 70 VersVG verwehrt bleiben. Diese Fragen habe der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht entschieden. Erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO werden damit nicht aufgezeigt:

Das Berufungsgericht hat sich mit den wiedergegebenen Argumenten bereits befasst und die angesprochenen Fragen - unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung und Lehre - beantwortet: Der Sachverhalt, den der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 297/99y beurteilt hat, und die Fallgestaltungen, die Grassl-Palten (Miteigentum und Veräußerung der versicherten Sache, JBl 1994, 389 [Fall 9 Variante 1] bzw Sacherwerb und Versicherungsschutz, 337) behandelt, sind mit dem vorliegenden Fall nämlich - entgegen den Rechtsmittelausführungen - nahezu ident. Wenn die Beklagte demgegenüber davon ausgeht, der Kläger habe dem Abschluss des Versicherungsvertrags „zugestimmt" oder diesen „genehmigt", entfernt sie sich von den im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren Feststellungen der Tatsacheninstanzen, weshalb sich auch die darauf beruhende, in der Zulassungbeschwerde erörterte Frage nicht stellt. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem (völlig) vergleichbaren Sachverhalt fehlt, bedeutet im Übrigen keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhinge, weil andernfalls die ordentliche Revision im Zulassungsbereich nahezu immer zulässig wäre (RIS-Justiz RS0102181; RS0110702 [T4]). Besonderheiten der Fallgestaltung schließen eine richtungsweisende, die Rechtsentwicklung vorantreibende und für zukünftige Entscheidungen nutzbringende Judikatur des Obersten Gerichtshofs vielmehr sogar eher aus (RIS-Justiz RS0102181; vgl auch RIS-Justiz RS0042405 und RS0110702). Die Frage nach der Vertretbarkeit einer anderen Lösung der Rechtsfrage (hier: der Beurteilung, dass - weil die Zulässigkeit der Besitzwechselkündigung für den Fall, dass der Kläger bereits Versicherungsnehmer oder Vertragspartner war, bereits bejaht worden sei - schon nach dem Zweck des § 70 VersVG um so mehr derjenige zur Kündigung berechtigt sein müsse, der als Hälfteeigentümer nicht Versicherungsnehmer gewesen sei und dem durch den Anteilserwerb somit ein Versicherer „aufgezwungen" werde) ist mangels Vorliegens einer gravierenden Fehlbeurteilung nämlich keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0116755).

Schließlich macht die Zulassungsbeschwerde (Punkt 2) auch noch einen Verstoß gegen § 405 ZPO geltend, weil das Berufungsgericht die Richtigstellung des Klagebegehrens durch das Erstgericht für zulässig erachtet habe, obwohl - angesichts der [angeblich] „einschränkenden Abänderung des ursprünglichen Klagebegehrens" - von einer bloßen, nicht sinnändernden Berichtigung keine Rede sein könne. Die Beklagte meint, selbst bei „spruchgemäßer Stattgabe" des Feststellungsbegehrens gegenüber dem Kläger hätte sein weiteres Klagebegehren des Inhalts, der Vertrag bestehe auch mit keinem anderen Vertragspartner, abgewiesen werden müssen.

Nach ständiger Rechtsprechung könnte dieser - bereits in der Berufung geltend gemachte - Verstoß aber lediglich einen Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens darstellen, der nur in der nächsthöheren Instanz, bei Verneinung durch das Berufungsgericht jedoch nicht mehr durch den Obersten Gerichtshof überprüft werden kann (RIS-Justiz RS0041089; RS0041117; RS0042963; Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 503 ZPO Rz 95; Kodek in Rechberger³ § 503 ZPO Rz 9). Die außerordentliche Revision vermag daher auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage darzustellen.

Da somit insgesamt kein tauglicher Grund für die Zulassung des außerordentlichen Rechtsmittels aufgezeigt wird, ist sie zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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