Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 665,66 EUR (darin enthalten 110,94 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ließ sich in Versicherungsangelegenheiten durch die V***** GmbH vertreten. Sie war bevollmächtigt, Versicherungsverträge für den Kläger abzuschließen. Eine Mitarbeiterin füllte am 6. 6. 2003 auf einem Formular der Beklagten einen Versicherungsantrag auf Abschluss einer Unfallversicherung aus. In diesem Antrag ist der Kläger Antragsteller, versicherte Personen sind Wolfgang und Florian N*****. Hinsichtlich Wolfgang N***** ist bei der Rubrik „Vorerkrankungen" vermerkt: „Vorfall vom 1. 1. 2003 Mittelhandknochenbruch re". Tatsächlich hatte Wolfgang N***** noch weitere Verletzungen erlitten, die hier nicht angeführt sind, nämlich einen Beckenbruch, Fersenbeinbrüche beidseits (rechts Trümmerbruch, links Fersenbeinbruch ohne Verschiebung), eine Bandverletzung am rechten oberen Sprunggelenk und einen Zehenbruch.
Der Kläger wurde nicht darauf hingewiesen, dass der Versicherungsvertrag erst mit gesonderter Annahmeerklärung des Versicherers zustandekommt und vor diesem Zeitpunkt keine Deckung besteht.
Am 13. 6. 2003 stürzte Wolfgang N***** auf einer Treppe und zog sich eine Teilverrenkung im linken oberen Sprunggelenk, eine Einblutung in das linke obere Sprunggelenk sowie eine Teilruptur der peripheren Bandhaft zwischen Schien- und Wadenbein zu. Dadurch ist eine dauernde Invalidität von 10 % vom gesamten Beinwert eingetreten. Die Schadensmeldung wurde am 1. 7. 2003 an die Beklagte erstattet.
Nachdem der Versicherungsantrag des Klägers am 5. 7. 2003 bei der Beklagten eingegangen war, erklärte sie mit Schreiben vom 8. 7. 2003, dass sie aufgrund der bestehenden Vorschäden bei den Versicherten den Versicherungsantrag nicht annehme. Diese Ablehnung ging bei dem für den Kläger tätigen Versicherungsbüro ein. Bei Vorschäden nimmt die Beklagte grundsätzlich keine Versicherungsanträge an. Nicht festgestellt werden kann, dass dem Kläger oder Wolfgang N***** die AUB 2001 zugegangen sind.
Als die Beklagte im Zuge dieses Verfahrens von den bisher verschwiegenen Vorschäden erfuhr, erklärte sie sogleich „den Rücktritt vom Vertrag".
Der Kläger begehrt die Versicherungsleistung aufgrund der gesetzlich gemäß § 1a Abs 2 VersVG bestehenden vorläufigen Deckung. Der Versicherungsfall sei innerhalb der Bindungsfrist an das Anbot des Klägers und vor Ablehnung des Vertragsabschlusses durch die Beklagte eingetreten. Mangels ausdrücklicher Rechtswahl sei österreichisches Recht anzuwenden. Der Kläger habe alle Fragen richtig beantwortet und sämtliche Obliegenheiten eingehalten.
Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren - soweit dies noch relevant ist - damit, der Kläger habe sowohl in der Schadensmeldung als auch im Versicherungsantrag unvollständige und widersprüchliche Angaben hinsichtlich des Unfallhergangs und der Vorschäden gemacht, was dem Kläger als Obliegenheitsverletzung anzulasten sei, sodass die Beklagte zum Rücktritt vom Vertrag gemäß §§ 16 ff VersVG berechtigt sei. Es sei auf den vorliegenden Fall österreichisches Recht anzuwenden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bis zur Ablehnung vom 8. 7. 2003 sei die Beklagte gemäß § 1a Abs 2 VersVG zur vorläufigen Deckung verpflichtet gewesen. Der Beklagten komme jedoch Leistungsfreiheit aufgrund der Anzeigepflichtverletzung des Klägers im Sinn des § 16 VersVG zu, weil nicht sämtliche Vorerkrankungen des Versicherten angeführt worden seien. Ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt habe, gelte im Zweifel als erheblich. Die Beklagte sei, als sie erstmals von den Obliegenheitsverletzungen des Klägers Kenntnis erlangt habe, fristgerecht zurückgetreten, sodass sie sich auf die Vertragsfreiheit berufen könne.
Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil. Die Beklagte habe ihre Hinweispflicht nach § 1a Abs 2 VersVG nicht erfüllt, sodass sie den beantragten Versicherungsschutz nach Art einer gesetzlich angeordneten vorläufigen Deckung zu gewähren habe. Selbst wenn der Vertrag aber nicht zustandekomme, erscheine eine analoge Anwendung der §§ 16 ff VersVG geboten, worin eine Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit gefahrenerhöhenden Umständen festgelegt werde. Andernfalls wäre der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit der gesetzlich angeordneten vorläufigen Deckung besser als beim tatsächlichen Vertragsabschluss gestellt. Nach § 16 Abs 1 VersVG habe der Versicherungsnehmer beim Abschluss des Vertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich seien, dem Versicherer anzuzeigen. Sei die Anzeige unterblieben, so könne der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Der Kläger habe Vorerkrankungen des Versicherten, nach denen gefragt worden sei, verschwiegen. Dabei handle es sich um erhebliche Vorschäden, die das Unfallrisiko, die Gefahr von Folgeverletzungen und damit auch das Invaliditätsrisiko erheblich erhöhen könnten. Die Beklagte könne sich, wenn sie erst nach dem Versicherungsfall von der Obliegenheitsverletzung erfahre, auf Leistungsfreiheit berufen. Den Entlastungsbeweis nach § 21 VersVG habe der Kläger gar nicht angetreten.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zu der zu behandelnden Rechtsfrage bislang keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe und die Auslegung des § 1a Abs 2 VersVG erhebliche Bedeutung habe.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise sie abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Revision macht geltend, dass die §§ 16 ff VersVG nicht auf die vorläufige Deckung nach § 1a VersVG anzuwenden seien, § 16 VersVG nur den Rücktritt vom Vertrag, aber kein Leistungsverweigerungsrecht einräume und dem Kläger keine Obliegenheitsverletzungen anzulasten seien, weil ihm die Versicherungsbedingungen nicht zugekommen seien.
Nach § 1a Abs 2 VersVG ist der Versicherungsnehmer unter der Voraussetzung, dass er den Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrags auf einem vom Versicherer verwendeten Formblatt stellt, vom Versicherer darauf hinzuweisen, dass der Versicherungsvertrag erst mit Zugang des Versicherungsscheins oder einer gesonderten Annahmeerklärung zustandekommt und vor diesem Zeitpunkt kein Versicherungsschutz besteht. Erfüllt der Versicherer diese Hinweispflicht (genauer: Hinweisobliegenheit - 1553 BlgNR 18. GP 12; vgl 7 Ob 62/06b; Fenyves in Fenyves/Kronsteiner/Schauer, VersVG-Novellen § 1a Rz 9) nicht oder kann er ihre Erfüllung nicht beweisen, hat er den beantragten Versicherungsschutz „nach Art einer gesetzlich angeordneten vorläufigen Deckung" (1553 BlgNR 18. GP 12) zu gewähren. Motiv für die Bestimmung war nach den EB zur Novelle (auch abgedruckt in Heiss/Lorenz, Versicherungsvertragsgesetz², § 1a Rz 4), dass dem in Versicherungsfragen Unerfahrenen meist nicht bewusst ist, dass bis zur Annahme des Versicherungsvertrags kein Versicherungsschutz bestehe. Oftmals vertraue der Kunde darauf, dass er „jetzt versichert ist", sobald sich der Versicherungsvertreter mit dem unterschriebenen Antragsformular in der Tasche verabschiede. Aus diesem im Regelfall unberechtigten Vertrauen könnten dem Versicherungsnehmer naturgemäß erhebliche Nachteile erwachsen.
Das durch die vorläufige Deckung geschaffene Rechtsverhältnis und der spätere Versicherungsvertrag sind grundsätzlich zwei selbständige Rechtsverhältnisse (Prölss in Prölss/Martin27, Zusatz zu § 1 Rn 2, Römer in Römer/Langheid², Vor § 1 Rn 26, Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht³, 155). Wird vorläufige Deckung vereinbart und gewährt sie der Versicherer nach der Vereinbarung, ohne zuvor den Antrag zu prüfen und auch ohne für die vorläufige Deckung im Einzelfall nach besonderen Gefahrumständen zu fragen, dann kann dies nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht im Sinn des § 16 VersVG so aufgefasst werden, dass für die Gewährung der vorläufigen Deckung allfällige Anzeigeverletzungen keinen Einfluss haben, der Versicherer sich also in diesem Fall auf die §§ 16 ff VersVG bei Falschangaben nicht berufen kann (Prölss aaO Rn 3, Jabornegg, Die vorläufige Deckung, 80). Wenn allerdings die vorläufige Deckung bei Antragstellung für den endgültigen Vertrag gewährt und im Antragsformular auch nach besonderen Gefahrenumständen gefragt wird, sind die darauf gegebenen Antworten sowohl auf die vorläufige als auch die endgültige Deckung zu beziehen (Jabornegg aaO).
Im vorliegenden Fall wurde eine vorläufige Deckung zwischen den Parteien nicht vereinbart. Andernfalls wäre zu prüfen, ob nicht schon der vorgedruckte Antrag so zu verstehen ist, dass auch im Hinblick auf die Zusage vorläufiger Deckung nach gefahrerhöhenden Umständen gefragt wurde. Hier kommt allerdings mangels Hinweises durch den Versicherer die gesetzliche vorläufige Deckung nach § 1a Abs 2 VersVG zum Tragen. Die zu beantwortende Frage ist daher, ob der Versicherer sich bei der gesetzlichen vorläufigen Deckung auf die Verletzung der Anzeigeobliegenheiten nach § 16 VersVG berufen kann.
Geht man von den Zielsetzungen des Gesetzgebers, wie sie sich aus den oben zitierten Erläuternden Bemerkungen ergeben, aus, so soll der Versicherungsnehmer durch die gesetzliche vorläufige Deckung davor geschützt werden, unerwarteterweise trotz Antragstellung noch nicht in den Genuss des beantragten Versicherungsschutzes zu kommen. Daraus ist abzuleiten, dass sich der Umfang der Deckung am beantragten Versicherungsschutz zu orientieren hat. Das heißt, der Umfang der gesetzlichen vorläufigen Deckungspflicht entspricht jenem des beantragten Vertrags. Es liegt kein Umstand vor, der einen Willen des Gesetzgebers erkennen ließe, dem Versicherer solle im Rahmen der vorläufigen Deckung eine - vom Versicherungsnehmer gar nicht zu erwartende - weiter gehende Deckungspflicht aufgebürdet werden als sie sich dann bei einem späteren Vertragsabschluss ergeben würde. Der Versicherungsnehmer soll im Rahmen der gesetzlichen vorläufigen Deckung nur so gestellt werden, wie wenn der erst abzuschließende Vertrag bereits vor Vertragsabschluss vorläufig Geltung hätte. Bei Vertragsabschluss gelten die §§ 16 ff VersVG kraft Gesetzes. Diese Bestimmungen sind analog auch für die gleiche Interessenlage bei der gesetzlichen vorläufigen Deckung anzuwenden. Der Versicherer kann sich also bei Verletzung der Anzeigeobliegenheit nach § 16 VersVG auf Leistungsfreiheit berufen.
Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt, gilt im Zweifel als erheblich (7 Ob 57/05s, 7 Ob 54/07b je mwN; RIS-Justiz RS0080628). Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen reicht es aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen Entschluss des Versicherers, den Antrag abzulehnen, zu motivieren (RIS-Justiz RS0080637). Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Anzeige eines erheblichen Umstands unterblieben, so kann der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Versicherer aber auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Obliegenheit (Anzeigepflicht) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat (7 Ob 54/07b, RIS-Justiz RS0080523). Die Leistungsfreiheit ergibt sich aus dem Gesetz, sodass es auf die Vereinbarung von Bedingungen nicht ankommt.
Diese Grundsätze sind hier analog auf die gesetzliche vorläufige Deckung anzuwenden. Der Kläger hat hinsichtlich des Versicherten die Vorschäden nur zum Teil angeführt. Die verschwiegenen Vorschäden sind - vom Kläger nicht bestritten - erheblich, also geeignet, auf den fiktiven Entschluss eines Versicherers zu einem Vertragsabschluss Einfluss auszuüben. Die Beklagte kann sich daher im Sinn der dargelegten Rechtslage auf Leistungsfreiheit berufen. Dies haben auch die Vorinstanzen zutreffend erkannt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)