Spruch:
Den Revisionen beider Parteien wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger zu Handen seines Vertreters die mit 333,12 EUR (darin enthalten 55,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
2. den
Beschluss
gefasst:
Den Rekursen beider Parteien wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 19. 10. 2006 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 18. 8. 2006 auf Gewährung von Pflegegeld nach dem Wiener Pflegegeldgesetz (WPGG) ab.
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Gewährung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens, weil der durchschnittliche Pflegebedarf des Klägers nur 31 Stunden monatlich betrage.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 1. 2007 Pflegegeld der Stufe 1 in Höhe von 148,30 EUR monatlich und ab 1. 2. 2007 Pflegegeld der Stufe 2 in Höhe von 273,40 EUR monatlich zu bezahlen. Nach seinen Feststellungen leidet der am 27. 4. 2006 geborene Kläger an den Folgen einer viralen Meningoencephalitis (Herpes simplex Virus 2) im frühen Säuglingsalter. Die Folgen dieser entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems bestehen in einem schweren hirnorganischen Schaden mit ausgeprägtem globalem Entwicklungsrückstand, einer spastischen Tetraparese (Schwäche bzw Lähmung der vier Extremitäten), einer zentralen Sehstörung und einer fokalen Epilepsie.
Der Kläger erhält dreimal täglich Medikamente, wobei der Zeitaufwand für deren Verabreichung wegen der schlechten Akzeptanz oraler Zufuhr durchschnittlich 6 Stunden monatlich beträgt.
Er leidet an wiederkehrenden Schreiattacken, die mehrmals täglich auftreten und unter Umständen auch stundenlang anhalten. Während dieser Attacken muss er gehalten, getragen und beruhigt werden. Ähnliche Situationen ereignen sich auch während der Nachtstunden, da der Kläger über keinen Schlaf-Wach-Rhythmus verfügt. Diese Maßnahmen erfordern einen täglichen Zeitaufwand von durchschnittlich etwa zwei Stunden. Ausgehend von vergleichbaren Zuwendungen bei gesunden gleichaltrigen Kindern im Rahmen von ca eineinhalb Stunden täglich, verbleibt ein monatlicher Mehraufwand von 15 Stunden.
Der Kläger absolviert aufgrund seiner Behinderung regelmäßig zahlreiche - vom Erstgericht im Einzelnen näher festgestellte - Therapien und Behandlungen. Die - ebenfalls im Einzelnen festgestellte - Fahrzeit zu und von den Therapien bzw Behandlungen nach Hause und die Anwesenheit während der Therapien bzw Behandlungen beträgt nach den Feststellungen des Erstgerichts insgesamt durchschnittlich 38 Stunden monatlich. Darüber hinaus hat der Kläger im Zeitraum vom 3. bis 12. 1. 2007 auch insgesamt sieben Behandlungen im Rahmen eines Vojta-Kurses erhalten; vom 4. 10. 2006 bis 14. 12. 2006 war er stationär im Behandlungszentrum Vogtareuth aufgenommen. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger nach wie vor eine Vojta-Therapie absolviert. Weiters erhält er eine Bobath-Therapie.
Der Kläger trinkt in kurzen Intervallen relativ geringe Mengen an der Brust, wobei nur mehr wenig Muttermilch vorhanden ist. Die Akzeptanz der Flaschenfütterung ist jedoch schlecht. Er saugt schlecht, spuckt Nahrung wieder aus und verweigert auch immer wieder die Fütterung mit dem Löffel. Der Kläger zeigt bei diesen Fütterungen keinerlei aktive Mithilfe, wie zum Beispiel ein selbstständiges Halten der Flasche, welches im Alter von zehn Monaten bei gesunden Kindern in der Regel zu beobachten ist. Der gesamte Zeitaufwand für die Fütterung beträgt pro Tag mindestens 150 Minuten. Ausgehend von einem durchschnittlichen Zeitaufwand für Fütterungen bei einem gleichaltrigen gesunden Kind von ca 60 bis 90 Minuten beträgt der behinderungsbedingte Mehraufwand mindestens 60 Minuten täglich, dass sind 30 Stunden monatlich. Normalerweise beginnt man spätestens im siebenten Lebensmonat mit einer Löffelfütterung. Im achten bis neunten Lebensmonat bekommen Kinder zwei bis drei Breimahlzeiten und spätestens ab diesem Zeitpunkt liegt beim Kläger dieser behinderungsbedingte Mehraufwand vor.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, dass bei der Ermittlung des notwendigen Pflegebedarfs nur der pflegebedingte Mehraufwand des Klägers gegenüber einem nichtbehinderten Kind zu berücksichtigen sei. Da bei der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn bei behinderten Kindern der bei Erwachsenen geltende Fixwert von zehn Stunden monatlich auch überschritten werden könne, sei der gesamte beim Kläger dafür erforderliche Zeitaufwand von 38 Stunden monatlich zu berücksichtigen. Dabei sei nämlich neben der Fahrzeit auch die gesamte Dauer der Arztbesuche einzubeziehen, weil der knapp einjährige Kläger von der Betreuungsperson nicht alleine im Krankenhaus oder in einer Ordination bzw Therapieanstalt zurückgelassen werden könne. Neben der notwendigen Betreuung bei der Einnahme von Medikamenten im Ausmaß von sechs Stunden monatlich sei auch ein weiterer Pflegebedarf von 15 Stunden monatlich für die Beruhigung des Klägers als „sonstige Pflegemaßnahme" zu berücksichtigen, sodass sich für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 1. 2007 ein durchschnittlicher Pflegebedarf von 59 Stunden monatlich ergebe. Für den Zeitraum ab 1. 2. 2007 sei ein weiterer Pflegeaufwand von 30 Stunden monatlich für die Einnahme von Mahlzeiten zu berücksichtigen, sodass der Pflegebedarf ab diesem Zeitpunkt durchschnittlich insgesamt 89 Stunden monatlich betrage. Dem Kläger stehe daher für den Zeitraum bis 31. 1. 2007 Pflegegeld der Stufe 1 und ab 1. 2. 2007 Pflegegeld der Stufe 2 zu.
Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung dahin Folge, dass es mit Teilurteil das Begehren des Klägers auf Gewährung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 1. 2007 abwies und dem Kläger ab 1. 2. 2007 ein Pflegegeld der Stufe 1 zuerkannte, das Ersturteil im Übrigen, soweit es das Begehren auf ein Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. 2. 2007 betrifft, aufhob und die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwies. Es vertrat in seiner ausführlichen Begründung im Wesentlichen die Rechtsansicht, dass bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigten sei, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinausgehe. Bei Kindern und Jugendlichen dürften die in den Einstufungsverordnungen für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn vorgesehenen „fixen" Zeitwerte von zehn Stunden monatlich über- oder auch unterschritten werden, wobei bei einer Überschreitung als gesetzliche Schranke nur zu berücksichtigen sei, dass der gesamte Zeitaufwand für alle in der Einstufungsverordnung genannten Hilfsverrichtungen 50 Stunden pro Monat nicht übersteigen dürfe. Bei der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn handle es sich um die Begleitung pflegebedürftiger Personen bei unbedingt erforderlichen Verrichtungen außer Haus. Darunter dürfe nicht nur die Hilfestellung für den Pflegebedürftigen bei den eigentlichen Ortsveränderungen außer Haus verstanden werden, sondern es sei davon auch eine notwendige Hilfestellung für (weitere) Ortsveränderungen in den jeweiligen Arztpraxen, Therapiestätten oder Krankenhäusern umfasst, weil sich die pflegebedürftige Person in bestimmte Räume oder auch nur in bestimmte Körperlagen begeben müsse und dazu Hilfe benötige. Da der Kläger aufgrund seines Alters auch für sämtliche Ortswechsel innerhalb der Arztpraxen und Therapieanstalten auf die Hilfe einer Pflegeperson angewiesen sei, seien auch die aus diesen Anlässen resultierenden Warte- und Behandlungszeiten außer Haus in die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn einzubeziehen.
Soweit der Kläger in seiner Berufungsbeantwortung das Ausmaß des für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn festgestellten Pflegeaufwands von insgesamt 38 Stunden bekämpfe, weil er aufgrund seiner notwendigen Begleitung zu einer Bobath-Therapie, Vojta-Therapie und Musiktherapie einen weiteren Aufwand von jeweils 1 bis 1,5 Stunden monatlich, insgesamt somit durchschnittlich 3,5 Stunden monatlich, sowie einen weiteren Aufwand von mindestens 15 Stunden monatlich für die Begleitung zur Therapie in Vogtareuth habe, sei ihm entgegen zu halten, dass kein Beweisergebnis dafür vorliege, dass er einer Musiktherapie (außer Haus) bedürfe oder diese tatsächlich in Anspruch nehme. Die Begleitung des Klägers zu einem Vojta-Kurs im Ausmaß von sieben Behandlungen im Zeitraum vom 3. 1. 2007 bis 12. 1. 2007 und der stationäre Aufenthalt der Betreuungsperson mit dem Kläger im Behandlungszentrum Vogtareuth vom 4. 10. 2006 bis 14. 12. 2006 könnten schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil es sich dabei um keine über einen längeren Zeitraum regelmäßig notwendige Hilfestellungen gehandelt habe. Hinsichtlich der Frage, ob eine Begleitung des Klägers zur Bobath-Therapie zu berücksichtigen sei, sei das Verfahren ergänzungsbedürftig, weil bisher nicht festgestellt worden sei, ob und in welchem Zeitraum eine solche Therapie beim Kläger außer Haus durchgeführt werden müsse und welcher Zeitaufwand für die einzelnen Behandlungen erforderlich sei.
Die Maßnahmen zur Beruhigung des Klägers bei den regelmäßig auftretenden Schreiattacken stellten keinen Betreuungs- oder Hilfsaufwand im Sinne des WPGG dar, weshalb der dafür festgesetzte Zeitwert von 15 Stunden monatlich entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts bei der Ermittlung des Pflegebedarfs nicht zu berücksichtigen sei. Daraus folge, dass der Pflegebedarf des Klägers für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 1. 2007 insgesamt 44 Stunden monatlich (= 6 Stunden für die Einnahme von Medikamenten und 38 Stunden für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn) betrage. Da der Kläger in seiner Berufungsbeantwortung den noch zu klärenden Pflegeaufwand im Zusammenhang mit der Bobath-Therapie mit zwei Stunden monatlich begrenzt habe, erfülle er für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 1. 2007 selbst unter Berücksichtigung eines solchen zusätzlichen Pflegeaufwands nicht die Voraussetzungen für die Gewährung des Pflegegelds. Für den Zeitraum ab 1. 2. 2007 betrage der Pflegebedarf unter Berücksichtigung der notwendigen Hilfe bei der Einnahme von Mahlzeiten im Ausmaß von 30 Stunden monatlich jedenfalls insgesamt 74 Stunden monatlich, sodass dem Kläger für diesen Zeitraum jedenfalls ein Pflegegeld der Stufe 1 zustehe. Ob der Pflegebedarf für diesen Zeitraum auch den für die Gewährung der Pflegegeldstufe 2 festgelegten Schwellenwert von mehr als 75 Stunden monatlich erreiche, sei von der noch zu klärenden Frage abhängig, ob im Zusammenhang mit der Bobath-Therapie ein zusätzlicher Bedarf für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn bestehe.
Da zur Frage, ob Warte- und Behandlungszeiten bei Arztbesuchen und Therapien in das zeitliche Ausmaß der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn einzubeziehen seien, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle, sei die Revision gegen den meritorischen Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts und der Rekurs gegen den aufhebenden Teil dieser Entscheidung zulässig.
Diese Entscheidung wird von beiden Parteien mit Revision und Rekurs bekämpft. Der Kläger macht als Rechtsmittelgründe unrichtige rechtliche Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, das Teilurteil bzw den Aufhebungsbeschluss im klageabweisenden Sinn abzuändern.
Der Kläger hat eine Revisions- und Rekursbeantwortung erstattet, in welcher er den Antrag stellt, dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Rechtsmittel sind aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zu den Rechtsmitteln der Beklagten:
Die Beklagte macht geltend, ein Anspruch des Klägers auf Pflegegeld bestehe schon deshalb nicht, weil gemäß § 2 Abs 3 EinstV zum WPGG für jede Hilfsverrichtung - darunter falle auch die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn - ein auf einen Monat bezogener fixer Zeitwert von zehn Stunden anzunehmen sei. Gemäß § 4 Abs 3 WPGG sei bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern und Jugendlichen hinaus gehe. Es könne daher § 4 Abs 3 WPGG im Zusammenhalt mit § 2 Abs 3 EinstV nur so verstanden werden, dass bei pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (wie auch bei den anderen in der EinstV genannten Hilfsverrichtungen) ein Zeitwert von zehn Stunden monatlich nicht überschritten werden dürfe. Dieser Zeitwert von zehn Stunden monatlich für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (wie auch für andere Hilfsverrichtungen) könne aber dann unterschritten werden, wenn der Mehrbedarf an Mobilitätshilfe im weiteren Sinn pro Monat gegenüber einem nicht pflegebedürftigen Kind oder Jugendlichen im gleichen Alter unter zehn Stunden liege. Der gesamte Pflegebedarf des Klägers erreiche daher auch ab 1. 2. 2007 nur 46 Stunden monatlich.
Diesen Ausführungen hat bereits das Berufungsgericht zutreffend entgegen gehalten, dass nach § 4 Abs 3 WPGG bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern und Jugendlichen nur jenes Ausmaß an Pflege zu berücksichtigen ist, das über das erforderliche Ausmaß von gleichaltrigen nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen hinaus geht. Da § 4 Abs 3 WPGG auf den Betreuung und Hilfe umfassenden „Pflegebedarf" insgesamt und nicht bloß auf den Betreuungsaufwand Bezug nimmt, wird auch für Hilfsverrichtungen bei Kindern eine konkret-individuelle Prüfung des zeitlichen Ausmaßes des Hilfsbedarfs angeordnet. Aus diesem Grund kommt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine verpflichtende Übernahme der in § 1 Abs 4 EinstV zum WPGG (im Folgenden: EinstV) vorgesehenen zeitlichen Mindestwerte und auch der in § 2 EinstV genannten Fixwerte für Hilfsverrichtungen nicht in Betracht (10 ObS 68/05f = SSV-NF 19/63 mwN zur gleichlautenden Bestimmung des § 2 Abs 3 OÖEinstV; Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld Rz 384). Die bei Kindern erforderliche konkret-individuelle Prüfung des Pflegebedarfs auch für Hilfsverrichtungen hat aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur dann stattzufinden, wenn der Pflegebedarf für eine Hilfsverrichtung den dafür vorgesehenen fixen Zeitwert von zehn Stunden monatlich unterschreitet, sondern muss in gleicher Weise auch für den umgekehrten Fall gelten, dass der tatsächliche Pflegebedarf diesen Zeitwert überschreitet. Dies kann, wie der vorliegende Fall zeigt, gerade bei behinderungsbedingt wesentlich häufiger notwendiger Begleitung zu Arzt und Therapie von Bedeutung sein (Greifeneder/Liebhart aaO Rz 384). Der erkennende Senat hat ebenfalls bereits ausgesprochen, dass es sich hiebei um eine sachlich durchaus gerechtfertigte Differenzierung zwischen der auf allgemein geltenden Richt-, Mindest- und Fixwerten beruhenden (funktionsbezogenen) Ermittlung des Pflegebedarfs bei Erwachsenen und der konkret-individuellen Prüfung des behinderungsbedingten Mehraufwands bei Kindern und Jugendlichen handelt und für beide Gruppen anspruchsberechtigter Personen die gesetzliche Schranke (vgl § 4 Abs 4 Z 3 WPGG) Anwendung zu finden hat, wonach der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden darf und daher die in der EinstV angeführten Hilfsverrichtungen für sich allein keinen Anspruch auf Pflegegeld zu begründen vermögen (vgl SSV-NF 19/63 mwN).
Die Beklagte macht weiters geltend, unter Mobilitätshilfe im weiteren Sinn könne nur - neben anderen erforderlichen Verrichtungen außer Haus - die Begleitung auf dem Weg zum Arzt, zur Therapie und zum Krankenhaus verstanden werden. Die Anwesenheit der Pflegeperson während der Behandlung falle schon begrifflich nicht unter Mobilitätshilfe im weiteren Sinn, weil während der Dauer der Behandlung - unabhängig von ihrer konkreten Dauer - dem Pflegebedürftigen keine Hilfe zur Mobilität im weiteren Sinn geleistet werde. Im Übrigen seien nach ständiger Rechtsprechung Therapien an Behinderten, die Familienangehörige selbstständig nach einer erfolgten Einschulung durch Fachkräfte durchführten, weder der Betreuung noch der Hilfe zuzurechnen und somit bei der Bemessung des Pflegeaufwands nicht zu berücksichtigen. Es lasse sich nicht nachvollziehbar begründen, dass eine von der Pflegeperson selbst durchgeführte Therapie bei der Bemessung des Pflegeaufwands nicht zu berücksichtigen sei, die Anwesenheit einer Pflegeperson bei einer durch eine Fachkraft durchgeführten Therapie aber bei der Bemessung des Pflegeaufwands berücksichtigt werden solle. Der Zeitaufwand für die Beaufsichtigung des Klägers während der Dauer einer medizinischen Behandlung oder Therapie sei daher bei der Prüfung des Anspruchs auf Pflegegeld nicht in Anschlag zu bringen.
Es trifft zu, dass Verrichtungen medizinischer Art wie Krankenbehandlung, Therapie oder medizinische Hauskrankenpflege keinen Pflegebedarf im Sinne der einschlägigen Pflegegeldgesetze darstellen. Es sind daher nach ständiger Rechtsprechung therapeutische Maßnahmen an Behinderten, die der Erhaltung oder Verbesserung des Gesundheitszustands dienen, auch dann nicht der Betreuung oder Hilfe zuzurechnen, wenn sie von Familienangehörigen oder sonstigen Pflegepersonen selbstständig nach einer erfolgten Einschulung durch Fachkräfte durchgeführt werden. Derartige therapeutische Maßnahmen (zB nach Bobath oder Vojta) sind daher bei der Bemessung des Pflegeaufwands nicht zu berücksichtigen (Greifeneder/Liebhart aaO Rz 4 und 8 mwN). Im vorliegenden Fall ist jedoch, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht die Frage zu klären, ob die Durchführung von Therapien selbst oder die Zeit einer damit verbundenen Beaufsichtigung eines minderjährigen Pflegebedürftigen als Pflegeaufwand zu berücksichtigen ist, sondern nur die Frage, ob und in welchem Umfang die notwendige Begleitung des Klägers aus Anlass dieser Behandlungen und Therapien außer Haus eine Mobilitätshilfe im weiteren Sinn rechtfertigt.
Der für die Gewährung von Pflegegeld bzw die Einstufung des Pflegebedürftigen maßgebende Pflegebedarf setzt sich aus Betreuung (§ 1 EinstV) und Hilfe (§ 2 EinstV) zusammen. Nach § 2 Abs 1 EinstV sind unter Hilfe aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind. Dazu zählt unter anderem die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (§ 2 Abs 2 EinstV). Darunter ist die Begleitung des Pflegebedürftigen bei unbedingt erforderlichen Verrichtungen außer Haus zu verstehen. Dazu zählt insbesondere die Begleitung zu krankheits- oder therapiebedingten Untersuchungen, Behandlungen und Kontrollen bei Ärzten oder Therapeuten sowie die Begleitung von behinderten Kindern oder Jugendlichen zur Schule. Mobilitätshilfe im weiteren Sinn wird daher immer dann benötigt werden, wenn der Pflegebedürftige die Verrichtungen außer Haus nur in Begleitung der Pflegeperson erledigen kann (Greifeneder/Liebhart aaO Rz 295 mwN). Nach § 14 Abs 1 der Richtlinien des Hauptverbands für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes 2005 umfasst die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn Hilfeleistungen außerhalb des Wohnbereichs bei allen Abläufen, die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens erforderlich sind. Sie umfasst insbesondere die Begleitung zum Arzt, zur Therapie, zu Behörden oder Banken sowie zu kulturellen Veranstaltungen. Bei der Auslegung des Begriffs „Mobilitätshilfe im weiteren Sinn" ist daher ein eher großzügiges Verständnis geboten (Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich 191).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger behinderungsbedingt zu seiner Existenzsicherung Arzt- und Therapiebesuche wahrzunehmen, wobei schon im Hinblick auf sein Alter eine Anwesenheit der ihm vertrauten Pflegeperson auch während der Behandlung bzw Therapie unbedingt erforderlich ist. Es wäre mit dem Zweck des Pflegegelds (vgl § 1 WPGG), dem Pflegebedürftigen die Führung eines selbstbestimmten, bedürfnisorientierten Lebens zu ermöglichen, keinesfalls vereinbar, den schwerstbehinderten Kläger im Kleinkindalter nach Übergabe in der Ordination bzw Therapieeinrichtung seinem Schicksal zu überlassen. Das Berufungsgericht hat mit Recht auch darauf hingewiesen, dass oftmals auch weitere Ortsveränderungen in den jeweiligen Arztpraxen, Therapiestätten oder Krankenhäusern erforderlich sind, um letztlich die Therapie selbst zu ermöglichen, da sich die pflegebedürftige Person im Falle des Klägers selbst nicht in die dafür notwendigen Räume begeben kann, sondern dafür Hilfe benötigt. Es sind daher im vorliegendem Fall bei der Ermittlung des zeitlichen Ausmaßes der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen auch die mit den Behandlungen und Therapien regelmäßig verbundenen kurzfristigen Wartezeiten sowie die Behandlungs- und Therapiezeiten zu berücksichtigen.
Die Rechtsmittel der Beklagten erweisen sich daher als nicht berechtigt.
2. Zu den Rechtsmitteln des Klägers:
Der Kläger bekämpft im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach er in seiner Berufungsbeantwortung die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn betreffend die Begleitung zur Bobath-Therapie mit zwei Stunden monatlich „begrenzt" habe. Er habe in seiner Berufungsbeantwortung ausgeführt, dass für die Begleitung zur Bobath-Therapie ebenfalls Mobilitätshilfe im weiteren Sinn von „zumindest zwei Stunden monatlich" zuzuerkennen gewesen wäre.
Diese Ausführung lässt jedoch außer Acht, dass der Kläger in seiner Berufungsbeantwortung ausdrücklich die ergänzende Feststellung begehrt hat, er benötige weiters Mobilitätshilfe im weiteren Sinn zur Begleitung zur Bobath-Therapie, Vojta-Therapie sowie zur Musiktherapie, wobei der konkrete Begleitungsaufwand jeweils mit 1 bis 1,5 Stunden monatlich, insgesamt somit mit durchschnittlich 3,5 Stunden monatlich, zu veranschlagen sei. Der Kläger geht somit in seiner Berufungsbeantwortung selbst davon aus, dass der konkrete Aufwand zur Begleitung zur Bobath-Therapie lediglich 1 bis 1,5 Stunden monatlich betrage, sodass die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe in seiner Berufungsbeantwortung das zeitliche Ausmaß der notwendigen Begleitung zu dieser Therapie mit zwei Stunden pro Monat begrenzt, keine unrichtige Beurteilung des Vorbringens des Klägers zu seinen Lasten darstellt. Die Frage der Begleitung zur Vojta-Therapie sowie zur Musiktherapie wird vom Kläger nicht mehr releviert.
Weiters wendet sich der Kläger gegen die Nichtberücksichtigung der Maßnahmen zur Beruhigung bei den regelmäßig auftretenden Schreiattacken durch das Berufungsgericht. Es sei zwar richtig, dass therapeutische Maßnahmen selbst weder der Betreuung noch der Hilfe im Sinne der einschlägigen Pflegegeldgesetze zuzuordnen seien. Inhaltlich sei die gegenständliche Betreuungsleistung aber keiner Therapie, sondern vielmehr einem „sonstigen Pflegeaufwand" gleichzuhalten, welche entweder unter § 4 Abs 1 EinstV zu subsumieren oder im Zweifel als Mobilitätshilfe im engeren Sinn zuzuerkennen sei. Es sei eine Bewegung und Mobilisierung des Klägers zu dessen Beruhigung erforderlich, zu welcher er selbst nicht in der Lage sei. Es sei daher entsprechend der Rechtsansicht des Erstgerichts ein weiterer Pflegebedarf von 15 Stunden monatlich an Tragemaßnahmen zur Beruhigung des Klägers zu berücksichtigen.
Nach den Feststellungen leidet der Kläger an wiederkehrenden Schreiattacken, während derer er gehalten, getragen und beruhigt werden muss. Insgesamt erfordern diese Maßnahmen eine entsprechende Zuwendung der Pflegeperson im Ausmaß von durchschnittlich etwa zwei Stunden täglich. Ausgehend von vergleichbaren Zuwendungen bei gesunden gleichaltrigen Kindern im Ausmaß von ca eineinhalb Stunden täglich, verbleibt ein täglicher Mehraufwand von ca 30 Minuten, das sind 15 Stunden monatlich. Dieser Sachverhalt ist durchaus vergleichbar mit jenem Sachverhalt, der der Entscheidung 10 ObS 216/00p (= SSV-NF 14/102) zugrunde lag. Auch der damalige minderjährige Kläger musste für den zur Vermeidung einer seelischen Verkümmerung notwendigen Körperkontakt täglich mindestens zweieinhalb bis drei Stunden getragen werden, ansonsten er nach kürzester Zeit zu weinen begann. Der erkennende Senat hat damals die Auffassung vertreten, dass der notwendige „Körperkontaktaufwand" keine pflegegeldrelevante Leistung darstelle, weil es sich dabei um eine einer therapeutischen Maßnahme vergleichbare psychosoziale Betreuungsmaßnahme handle und das Ausmaß einer für die Entwicklung eines Kindes notwendigen körperlichen und geistigen Zuwendung durch die jeweilige Bezugsperson dabei nicht bloß allgemein nach der jeweiligen Altersgruppe, sondern in erster Linie wohl personen- und situationsbezogen beurteilt werden müsse. An dieser Rechtsprechung hat der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 269/03m (= SSV-NF 18/6) ausdrücklich festgehalten (vgl auch Greifeneder/Liebhart aaO Rz 302).
Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass für ein Abgehen von dieser Rechtsprechung. Die körperliche Zuwendung stellt keine „Hilfe" im sachlichen Lebensbereich (§ 2 EinstV) dar. Der Hinweis auf § 4 Abs 1 EinstV ist ebenfalls nicht berechtigt, weil diese Bestimmung die Anleitung und Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen zum Gegenstand hat. Auch aus der Entscheidung 10 ObS 142/04m (= SSV-NF 18/97), nach der bei der Berechnung des Pflegebedarfs der Zeitaufwand für das vor dem Anlegen der orthopädischen Schuhe notwendige Dehnen und Bewegen der Knie und Knöchelgelenke eines behinderten Kindes als mit dem Anlegen der orthopädischen Schuhe (Mobilitätshilfe im engeren Sinn) in unmittelbarem Zusammenhang stehender Zeitaufwand zu berücksichtigen ist, lässt sich für den vorliegenden Fall nichts gewinnen, da bei der hier strittigen Betreuungsmaßnahme nicht der Ortswechsel im häuslichen Bereich bzw der Lagewechsel (= Mobilitätshilfe im engeren Sinn) sondern die psychosoziale Betreuung (Zuwendung) im Vordergrund steht.
Daraus folgt, dass dem Kläger nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts für den Zeitraum vom 1. 9. 2006 bis 31. 1. 2007 kein Anspruch auf Pflegegeld zusteht, weil er selbst unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Hilfsbedarfs für die Begleitung zur Bobath-Therapie im Ausmaß von zwei Stunden monatlich den für die Gewährung eines Pflegegelds erforderlichen Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich (§ 4 Abs 2 WPGG) nicht erreicht. Für den Zeitraum ab 1. 2. 2007 besteht jedenfalls ein Pflegebedarf von 74 Stunden monatlich und somit ein Anspruch des Klägers auf Pflegegeld der Stufe 1. Unter Berücksichtigung eines im fortzusetzenden Verfahren noch zu klärenden zusätzlichen Hilfsbedarfs für die Begleitung zur Bobath-Therapie könnte auch der für die Pflegegeldstufe 2 maßgebende Schwellenwert von mehr als 75 Stunden monatlich erreicht werden. Soweit den Ausführungen des Berufungsgerichts zu dieser noch zu klärenden Frage die Ansicht entnommen werden kann, dass ein Hilfsbedarf für die Begleitung zur Bobath-Therapie nur dann berücksichtigt werden könnte, wenn es sich dabei um eine mindestens sechs Monate dauernde Therapie iSd § 4 Abs 1 WPGG handle, kann diesen Ausführungen jedoch nicht gefolgt werden. Es trifft zwar zu, dass nach § 4 Abs 1 WPGG beim Pflegebedürftigen ein ständiger Pflegebedarf für voraussichtlich mindestens sechs Monate gegeben sein muss. Dieses zeitliche Mindesterfordernis bezieht sich jedoch nur auf das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der Stufe 1. Für höhere Einstufungen ist diese Mindestdauer nicht erforderlich. Pflegegeld der Stufen 2 bis 7 gebührt daher auch dann, wenn die jeweiligen Voraussetzungen für einen Zeitraum von weniger als sechs Monate gegeben sind (SSV-NF 9/14; Greifeneder/Liebhart aaO Rz 122 mwN; Pfeil, BPGG 84).
Aus diesen Erwägungen war auch den Rechtsmitteln des Klägers ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht, was die Revisionsbeantwortung des Klägers betrifft, auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Ein Kostenersatzanspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG für die erfolglos gebliebene Revision des Klägers kam nicht in Betracht, weil berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des minderjährigen Klägers bzw seiner unterhaltspflichtigen Eltern, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach dieser Gesetzesstelle rechtfertigen könnten, nicht geltend gemacht wurden und auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich sind (vgl 10 ObS 55/04t). Hinsichtlich des Vorbehalts der Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht die Kostenentscheidung auf § 52 Abs 1 ZPO.
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