OGH 3Ob188/07d

OGH3Ob188/07d30.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.‑Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georgios D*****, vertreten durch Dr. Alois Schneider, Rechtsanwalt in Rattenberg, wider die beklagte Partei Iris ***** D*****, vertreten durch Dr. Othmar Knödl, Rechtsanwalt in Rattenberg, als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Juni 2007, GZ 2 R 171/07x‑20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 11. Dezember 2006, GZ 2 C 23/06a‑16, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0030OB00188.07D.0130.000

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Begründung

Die Streitteile schlossen am 4. September 1993 die beiderseits erste Ehe. Aus dieser entstammen zwei Kinder; Ehepakte wurden nicht errichtet.

Am 9. Jänner 2006 verließ die Beklagte zusammen mit beiden Kindern die eheliche Wohnung und ist seither nicht mehr dorthin zurückgekehrt; dies ungeachtet der Bemühungen des Klägers, die Beklagte zur Rückkehr zu bewegen. Damit ist die eheliche Gemeinschaft seit 9. Jänner 2006 aufgehoben. Die Beklagte ist weder bereit, die Ehe mit dem Kläger fortzusetzen noch die Scheidung der Ehe zu betreiben, weil sie der Meinung ist, dass ihr Glaube ein solches Vorgehen verbiete.

Der Grund für den Auszug der Klägerin aus der ehelichen Wohnung war, dass sie sich vom Beklagten im Zuge eines heftigen Streits tags zuvor in ihrer körperlichen Integrität bedroht fühlte. Ähnliche Zwischenfälle gab es auch bereits vor fünf oder sechs Jahren. Anfang 2005 war ebenfalls ein heftiger Streit zwischen den Parteien, der einvernehmlich zu einer vorübergehenden Trennung der Eheleute führte, wobei der Kläger im Mai 2005 wieder in die eheliche Wohnung zurückkehrte. Zwischenzeitlich war es zu mehreren Aussprachen gekommen, auch unter Intervention von dritter Seite. Während nach früheren Auseinandersetzungen die Eheleute wieder zu einem gemeinsamen Zusammenleben fanden, dies auch mit Hilfe gemeinsamer Freunde immer wieder gelang, ist die Beklagte nunmehr nicht mehr bereit, die Ehe mit dem Kläger fortzusetzen.

Der Kläger leidet unter einer manisch‑depressiven Erkrankung, in welcher die Ursache der immer wieder vorkommenden lautstarken und von der Beklagten als gewalttätig empfundenen Verhaltensweisen des Klägers zu suchen ist. Diese Erkrankung bestand bereits vor der Eheschließung; die Beklagte hatte auch Kenntnis davon. Bereits damals war es zu lautstarken Auftritten des Klägers gekommen, einmal schlug der Kläger in diesem Zustand eine Tür aus den Angeln. Die Beklagte und deren Eltern versuchten sich auf die Krankheit des Klägers einzustellen, indem sie noch im Oktober 2005 bei der Gesellschaft für psychische Gesundheit einen Kurs besuchten, bei dem vorgetragen wurde, wie der Umgang mit Menschen, die an dieser Erkrankung leiden, erfolgen soll; die praktische Umsetzung der beim Kurs mitgeteilten Ratschläge gelang jedoch nicht.

Zu den gemeinsamen Kindern konnte der Kläger auch während der Trennungszeit von seiner Gattin einen guten Kontakt aufrechterhalten, was auch von der Beklagten gefördert wurde; lediglich dann, wenn seine depressive Phase mit lautstarkem Verhalten einherging, ließ die Beklagte den Kontakt zu den Kindern nicht zu, zumal sich auch die Kinder weigerten, in solchen Situationen zum Vater zu gehen.

Der Kläger ist wegen der manisch‑depressiven Zustände in ständiger ärztlicher Behandlung, die ihm vorgeschriebenen Medikamente nimmt er regelmäßig ein. Trotzdem war es in der Vergangenheit mindestens zweimal notwendig gewesen, den Kläger durch den Sprengelarzt in die Psychiatrie einzuweisen. Im Zusammenhang damit kam es zum Einschreiten der Polizei.

Die Beklagte selbst leidet an Depressionen, sie ist deswegen in ärztlicher Behandlung. Der Kläger ist der Auffassung, dass sich die Eltern der Beklagten zuviel in die Ehe „eingemischt hätten" und dass dies der Grund für die ehelichen Auseinandersetzungen sei; dass dies tatsächlich so ist, konnte nicht festgestellt werden. Ebensowenig steht fest, ob der Kläger gegen seine Schwiegereltern im Zusammenhang mit dem Auszug seiner Gattin aus der ehelichen Wohnung eine Morddrohung aussprach; eine diesbezügliche Anzeige wurde von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt.

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Während der Ehe sei es zu Problemen gekommen, die auch wiederholt zu aggressiven Auseinandersetzungen geführt hätten, weil sich die Eltern der Beklagten in die Ehe massiv eingemischt hätten. Die Beklagte habe durch das Verlassen der ehelichen Wohnung die Ehe aus ihrem alleinigen Verschulden so tiefgreifend zerrüttet, dass mit einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr gerechnet werden könne.

Die Beklagte wendete ein, der Kläger sei am 8. Jänner 2006 aus nichtigem Anlass äußerst aggressiv geworden und tätlich gegen sie vorgegangen. Er habe sie mit Gewalt gegen den Boden und in weiterer Folge gegen die Wand gedrückt. Sie habe in dieser Situation panische Angst gehabt und geglaubt, der Kläger werde ihr Verletzungen zufügen. Nur deshalb habe sie die Ehewohnung verlassen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Sie wäre verpflichtet gewesen, nach Abklingen der akuten manisch‑depressiven Phase des Klägers in die eheliche Wohnung zurückzukehren, lediglich eine vorübergehende abgesonderte Wohnsitznahme wäre angezeigt gewesen. Ein Ausspruch über ein allfälliges Mitverschulden des Klägers habe zu unterbleiben, weil die Beklagte keinen Mitverschuldensantrag gestellt habe.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der Beklagten die Scheidungsklage ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt sei. Da der Scheidungskläger nach § 49 EheG das Vorliegen schwerer Eheverfehlungen zu beweisen habe, wäre es Sache des Klägers gewesen, zu behaupten und zu beweisen, dass das Verlassen der Ehewohnung durch die Beklagte ohne triftige Gründe erfolgt sei. Dieser Beweispflicht sei der Kläger nicht nachgekommen, stehe doch fest, dass sich die Beklagte nach dem heftigen Streit am 8. Jänner 2006 in ihrer körperlichen Integrität bedroht gefühlt habe. Dem Kläger sei es auch nicht gelungen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass die Rückkehrverweigerung der Beklagten schuldhaft und daher eine Eheverfehlung gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Scheidungsurteils anstrebt, ist im Hinblick auf die unrichtige Anwendung der Beweislastregeln durch das Berufungsgericht zulässig und auch berechtigt.

Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen; die Behauptungs‑ und Beweislast trifft denjenigen, der aus dem betreffenden Tatumstand für seinen Standpunkt etwas abzuleiten gedenkt (stRsp, RIS‑Justiz RS0037797). Der Kläger hat jene Tatumstände zu behaupten und zu beweisen, aus denen nach dem materiellen Recht sein Anspruch entstanden ist; umgekehrt hat derjenige, der einen Anspruch negiert, die rechtsvernichtenden Tatsachen zu beweisen (RIS‑Justiz RS0039936). Der ein Recht Behauptende hat die rechtsbegründenden und der ein Recht Leugnende die rechtsverhindernden, rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen (3 Ob 120/01w = RdW 2002, 536 = ZIK 2002, 85 ua; RIS‑Justiz RS0039936 [T5]). Wer behauptet, dass eine Ausnahme von einer allgemeinen Regel vorliegt, den trifft dafür die Beweislast (3 Ob 313/97v zu einem Scheidungsverfahren ua; RIS‑Justiz RS0040188).

Auszugehen ist zunächst von der Regel des § 90 ABGB. Ehegatten sind einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Ausnahmen von dieser Regelung enthalten § 92 Abs 2 ABGB und Vorschriften der Exekutionsordnung (3 Ob 313/97v mwN). Dies bedeutet, dass in einem Scheidungsverfahren nach § 49 EheG der verlassene Partner nicht behaupten und beweisen muss, die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei ohne rechtfertigenden Grund erfolgt. Die Unaufklärbarkeit der Gründe, aus denen die Beklagte aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen ist, geht daher zu ihren Lasten. Nach einhelliger Rechtsprechung rechtfertigen nur besonders schwere Eheverfehlungen die Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft durch den anderen Teil (RIS‑Justiz RS0009503).

Der Kläger musste im Hinblick auf die Eheleute treffende Pflicht zu gemeinsamem Wohnen nur das Verlassen der Ehewohnung und die Rückkehrablehnung der Beklagten beweisen. Sie hätte hingegen den Beweis für jene Tatsachen zu erbringen, aus denen sie die Unzumutbarkeit eines Verbleibs in der gemeinsamen Wohnung oder der Rückkehr dorthin auf Ersuchen des Klägers ableiten will. Die Negativfeststellung in diesem Zusammenhang (sie fühlte sich bedroht, Tätlichkeiten konnten nicht festgestellt werden, ein Strafverfahren wegen Morddrohung wurde eingestellt) ließe es nicht zu, die Rechtfertigung einer Ausnahme von der Pflicht zum gemeinsamen Wohnen anzunehmen. Dies müsste zur Klagestattgebung (Scheidung aus dem Verschulden der Beklagten) führen. Auf ein allenfalls den Kläger treffendes Mitverschulden konnte mangels entsprechender Einwendung der Beklagten nicht Rücksicht genommen werden.

Da die zweite Instanz jedoch die Beweis- und Tatsachenrüge der Berufung der Beklagten in dem wesentlichen Punkt, ob der Kläger die ihm vorgeworfenen Handlungen, die zum Auszug der Beklagten aus der Wohnung geführt haben, begangen hat, nicht abschließend erledigte (S 9 2. Absatz des Berufungsurteils), muss das Berufungsurteil aufgehoben werden.

Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 Abs 1 ZPO.

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