OGH 1Ob222/07i

OGH1Ob222/07i29.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Claudia B*****, vertreten durch Dr. Susanne Schwarzenbacher, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Alfred P*****, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 6. September 2007, GZ 12 Nc 26/07a-2, mit welchem der Antrag der beklagten Partei auf Ablehnung „sämtlicher Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien" zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Ablehnungswerber ist Richter an einem in Niederösterreich gelegenen Bezirksgericht. Beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist zu 7 C 103/06m ein Ehescheidungsverfahren anhängig, in welchem er Beklagter ist. In diesem Verfahren entschied das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Beschluss vom 4. April 2007 über einen Zwischenantrag auf Feststellung. Gegen diese Entscheidung erhob der Ablehnungswerber Rekurs und lehnte zugleich sämtliche Richter des als Rekursgericht zuständigen Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als befangen ab. Auf Grund gemeinsamer Ausbildung sei er mit einem Teil der bei diesem Gerichtshof tätigen Richter persönlich bekannt, weswegen auch bei den übrigen Richtern dieses Gerichts ein Verlust der erforderlichen Distanz zu erwarten wäre. Mit zwei namentlich genannten, am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien tätigen Richtern, Dr. Angelika S***** und Dr. Heinrich S*****, pflege er regelmäßige freundschaftliche Kontakte.

Der Rekurs fiel gemäß der Geschäftsverteilung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien der Senatsabteilung 34 zu. Für diese Senatsabteilung ist die (von der Geschäftsabteilung 34 getrennt eingerichtete) Geschäftsabteilung 48 zwecks Erledigung ua der Außerstreit- und Familienrechtssachen eingerichtet. Ein der Senatsabteilung 34 zugefallener familienrechtlicher Akt trägt daher die Geschäftszahl „48 R..", hier also 48 R 192/07a, wenngleich nach der Geschäftsverteilung ein eigener „Senat 48" bzw eine Senatsabteilung mit dieser Bezeichnung nicht existiert. Vorsitzende der Senatsabteilung 34 ist Dr. Sylvia Larcher; Dr. Christine Marka, Dr. Waltraud Berger und Mag. Sonja Thier sind als weitere Richter in dieser Senatsabteilung tätig. Dr. Larcher äußerte sich zum Ablehnungsantrag dahin, sich nicht für befangen zu erachten. Zwar sei ihr der Ablehnungswerber aus der gemeinsamen Ausbildungszeit bekannt; es bestünden aber keine Verbindungen zu ihm. Dr. Waltraud Berger äußerte sich dahin, dass sie als Richteramtsanwärterin dem Gerichtsvorsteher jenes Gerichts zur Ausbildung zugeteilt gewesen sei, an dem der Ablehnungswerber tätig war und ist. Der Ablehnungswerber selbst sei mit ihrer Ausbildung nicht befasst gewesen. Sie erachte sich nicht für befangen. Ebenso gab Mag. Thier an, sich nicht befangen zu fühlen, da sie den Ablehnungswerber gar nicht kenne. Die Mitwirkung von Dr. Marka an der Entscheidung sei nicht erforderlich.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Oberlandesgericht Wien den Ablehnungsantrag zurück. Es sei zur Entscheidung berufen, weil der Beklagte sämtliche Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien abgelehnt habe. Die Richter des „zuständigen Senats 48" des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien Dr. Sylvia Larcher, „Dr. Leopold Berger" und Mag. Sonja Thier hätten sich nicht für befangen erklärt. Es lägen weder ausreichende Gründe für eine Ablehnung der zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Beklagten berufenen Mitglieder „des zuständigen Senates 48" vor, noch seien ausreichende Gründe für eine Ablehnung sämtlicher anderer Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom Ablehnungswerber glaubhaft gemacht worden. Die Ablehnung eines ganzen Gerichts sei nur durch die Ablehnung eines jeden einzelnen Richters unter Angabe detaillierter, konkreter Ablehnungsgründe möglich. Diesen Erfordernissen entspräche der Ablehnungsantrag nicht, weil nicht dargelegt worden sei, inwiefern durch eine gemeinsame Ausbildung bzw eine persönliche Bekanntschaft mit bestimmten Richtern ein Verlust der erforderlichen Distanz auch bei den übrigen Richtern zu erwarten sei. Ob bei der Klägerin (der Gattin des Ablehnungswerbers) der Eindruck entstehen könnte, in dem von ihr angestrengten Ehescheidungsverfahren würde nicht objektiv entschieden, obliege der Geltendmachung durch diese.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung vom Ablehnungswerber erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.

In seinem Rekurs wendet sich der Ablehnungswerber nur mehr dagegen, dass seinem Ablehnungsantrag betreffend die Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien Dr. Larcher und „Dr. Berger" nicht stattgegeben wurde. Mit Dr. Larcher habe er während der Richteramtsanwärterausbildung persönlich Kontakt gehabt. Er könne sich noch sehr gut an ein während einer Richteramtsanwärterreise geführtes Gespräch mit ihr erinnern. „Dr. Berger" sei im Zuge seiner Ausbildung bei jenem Bezirksgericht zugeteilt gewesen, an dem er bereits als Richter ernannt gewesen sei. Wenngleich „Dr. Berger" nicht ihm, sondern dem damaligen Gerichtsvorsteher zur Ausbildung zugeteilt gewesen sei, habe trotzdem ein „entsprechender Kontakt" zu ihm bestanden; er sei ihm noch persönlich in Erinnerung. Es fehle daher an der notwendigen Distanz zwischen Richter und Partei. Auf Rückfrage gab der Ablehnungswerber bekannt, den Richter des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien mit dem Namen Dr. Leopold Berger ablehnen zu wollen. Dieser sei ihm von der Zuteilung als Richteramtsanwärter bei jenem Bezirksgericht bekannt, an dem er selbst tätig sei.

Vorerst ist Folgendes klarzustellen:

Offenbar irrtümlich ist in der Begründung des angefochtenen Beschlusses der zur Entscheidung berufene Senat mit „Senat 48" (statt richtig mit „Senat 34") benannt. Außerdem ist in der Begründung des angefochtenen Beschlusses offensichtlich eine Namenverwechslung unterlaufen. Wie sich aus der Geschäftsverteilung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ergibt, sind dort zwei Richter mit dem Familiennamen „Berger" ernannt, nämlich Dr. Waltraud Berger sowie Mag. Leopold Berger. Letzterer, im angefochtenen Beschluss als „Dr."

Leopold Berger (richtigerweise „Mag.") angesprochene Richter ist für die Bearbeitung der vorliegenden - bereits der Senatsabteilung 34 zugefallenen - Rechtssache aber nicht zuständig, da er nicht Mitglied der Senatsabteilung 34 ist, sondern mit 50 % seiner Arbeitskraft die Gerichtsabteilung 27 leitet, zu weiteren 50 % ist er als Mitglied der Senatsabteilung 37 tätig. Die Mitwirkung an der Entscheidung über den Rekurs obliegt nach der Geschäftsverteilung vielmehr der Richterin Dr. Waltraud Berger in deren Eigenschaft als Mitglied der Senatsabteilung 34.

Im Hinblick darauf, dass sich der Ablehnungsantrag (auch) gegen Mag. Leopold Berger richtet und von diesem noch keine Äußerung vorlag, wurde nunmehr vom Obersten Gerichtshof deren Einholung veranlasst. Mag. Leopold Berger gab an, weder mit dem Ablehnungswerber, noch mit dessen Gattin persönlich bekannt zu sein. Er sei auch niemals bei jenem Bezirksgericht als Rechtspraktikant, Richteramtsanwärter oder Richter im Einsatz gewesen, bei dem der Ablehnungswerber tätig war und ist. Zwar habe er im Rahmen seiner Ausbildung bei anderen in Niederösterreich gelegenen Gerichten wiederholt von der richterlichen Tätigkeit des Ablehnungswerbers gehört, es habe jedoch wissentlich nie irgendwelche Kontakte oder Berührungspunkte gegeben, sodass nur eine Verwechslung vorliegen könne. Er erachte sich in keiner Weise befangen.

Gemäß § 23 JN entscheidet über die Ablehnung, falls der abgelehnte Richter einem Gerichtshof angehört und dieser durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters beschlussunfähig werden sollte, der zunächst übergeordnete Gerichtshof. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wurde durch die Ablehnung sämtlicher Richter dieses Gerichtshofs beschlussunfähig. Zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag war daher das Oberlandesgericht Wien als übergeordneter Gerichtshof berufen (vgl 2 Ob 560/93 uva).

Nach § 19 JN kann ein Richter in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Bei einer nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Prüfung ist entscheidend, ob feststellbare Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründen, wobei - wenn dies der Fall ist - auch der Anschein ausreichen kann. Entscheidend ist, ob diese Befürchtung als objektiv gerechtfertigt anzusehen ist. Die Vermutung spricht aber für die Unparteilichkeit der Richter, solange nicht das Gegenteil erwiesen ist. Das Bestehen eines kollegialen Verhältnisses „des zur Entscheidung berufene Gerichtshofs" zu einem abgelehnten Richterkollegen allein vermag weder dessen Befangenheit noch auch etwa die Zweckmäßigkeit einer Delegierung zu begründen, weil § 23 JN die Entscheidungspflicht des Gerichtshofs, welchem der abgelehnte Richter angehört, normiert und damit das Vorliegen eines kollegialen Verhältnisses nicht als entscheidungshindernd ansieht (RIS-Justiz RS0108696). Deshalb reicht beispielsweise bei größeren Gerichten der Umstand, dass ein nicht demselben Senat angehörender Kollege durch ein anhängiges Verfahren involviert sein könnte, für sich allein nicht aus, die Befangenheit aller anderen Mitglieder dieses Gerichts auch dann anzunehmen, wenn sie darlegen, mangels weiterer als beruflicher Kontakte mit diesem Kollegen nicht befangen zu sein (EvBl 1990/145; RIS-Justiz RS0046129).

Dass - was die Ablehnung der Richter Dr. Larcher und Mag. Leopold Berger, aber auch Dr. Waltraud Berger betrifft - engere als bloß entfernte kollegiale Beziehungen fehlen, lässt sich in eindeutiger Weise aus deren Stellungnahmen ableiten. Mag. Leopold Berger wird zudem laut Geschäftsverteilung mit der zu treffenden Entscheidung in keiner Weise befasst sein, sodass sich selbst eine allfällige Befangenheit auf den Rechtsstreit nicht auswirken könnte. Der Ablehnungswerber macht auch keine besonderen weiteren Gründe geltend, aus denen im Einzelfall dennoch eine Befangenheit der genannten Richter ableitbar wäre, sodass es ihm nicht gelungen ist, die von ihm behaupteten Ablehnungsgründe glaubhaft zu machen.

Da sich auch bei objektiver Prüfung keine Umstände ergeben, die den Anschein einer Voreingenommenheit der abgelehnten Richter erwecken könnten, ist dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

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