OGH 3Ob158/07t

OGH3Ob158/07t23.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lydia T*****, vertreten durch Dr. Konrad Faulhaber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Werner T*****, vertreten durch Mag. Huberta Gheneff-Fürst, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. März 2007, GZ 42 R 653/06z-85, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. Juni 2006, GZ 9 C 158/03k-78, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden ausschließlich im Verschuldensausspruch dahin abgeändert, dass dieser zu lauten hat:

Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft überwiegend die beklagte Partei.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 399,73 EUR (darin 66,61 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 5. Juni 1976 geschlossenen Ehe der Parteien, beide österreichische Staatsbürger, entstammen fünf jetzt bereits volljährige Kinder. Die Klägerin begehrte mit ihrer am 10. Oktober 2003 beim Erstgericht eingelangten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Dieser habe die Familie lieblos behandelt und vernachlässigt. Er sei ein zu strenger Vater gewesen. Der Beklagte habe die Klägerin in eine unzumutbare Isolation gedrängt und so bei ihr eine mehrjährige Gastritis, ein Zwölffingerdarmgeschwür und eine Depression verursacht. Eine Mediation sei gescheitert.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und für den Fall der Scheidung den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe. Der Beklagte habe ein Handelsgeschäft übernommen und nur über wenig Freizeit verfügt. In der Kindererziehung sei es zu erheblichen Differenzen zwischen den Eheleuten gekommen. Die Klägerin habe den Beklagten in seinem Wunsch nach entsprechenden Leistungen der Kinder nicht unterstützt. Sie habe seit dem Jahr 2001 Zärtlichkeiten verweigert und strebe aus der Ehe. Am 11. September 2003 sei die Klägerin gegen den Willen des Beklagten aus der Ehewohnung ausgezogen. Ab Jänner 2003 habe die Klägerin ihre Unterhaltspflicht gegenüber dem Beklagten, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten sei, verletzt. Die Klägerin habe sich bereits „viele Jahre vor der Einbringung der Scheidungsklage geistig aus der Ehe verabschiedet". Die von ihr relevierten Eheverfehlungen des Beklagten seien verfristet.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Von dem auf den S 6 bis 14 seines Urteils festgestellten Sachverhalt ist zusammengefasst Folgendes hervorzuheben:

Die Klägerin sei für den Haushalt und die Betreuung der Kinder zuständig gewesen. Zwei Haushaltshilfen seien zur Verfügung gestanden. Der Beklagte sei in der Ehe mit seinem autoritären Führungsstil dominant gewesen und habe Meinungen der Klägerin nicht gelten lassen. Der Leitsatz des Beklagten für sein Unternehmen und seine Familie sei gewesen: „Man muss der Mannschaft das Kreuz brechen, um aus ihnen etwas machen zu können". Zur Durchsetzung dieses Leitspruchs seien die Kinder, nie aber die Klägerin, seit dem Jahr 1980 mit einem abgeschnittenen Gummischlauch geschlagen worden, etwa dann, wenn ein Kind nicht alles habe aufessen wollen. Mit Ausnahme des Sohnes seien alle Kinder geschlagen worden, vor allem die Tochter Elisabeth. Die Klägerin habe hilflos reagiert und die Kinder lediglich trösten können. Der Gummischlauch sei in der Familie „dauernd präsent gewesen". Die Klägerin und die Kinder hätten Angst gehabt. Zuletzt sei der Gummischlauch Mitte der 90er-Jahre zum Einsatz gekommen. In dieser Zeit habe die Klägerin eine Gastritis und ein Magengeschwür bekommen. Sie habe begonnen, die Probleme in ihrer Ehe zu realisieren. Für Gespräche sei der Beklagte aber nicht erreichbar gewesen. Ende der 90er-Jahre habe die Klägerin zwei Mediationen für sich und den Beklagten organisiert, die aber gescheitert seien. Der Beklagte habe eine Trennung verweigert. Der Trennungswunsch der Klägerin sei stärker geworden. Sie habe begonnen, ohne den Beklagten auszugehen, u.a. mit einem Cousin des Beklagten. Im Jahr 2001 habe die Klägerin wieder im Restaurantbetrieb ihrer Verwandten zu arbeiten begonnen und sei oft spät in der Nacht nach Hause gekommen. In dieser Zeit habe die Klägerin das gemeinsame Schlafzimmer verlassen. Seit Mitte der 90er-Jahre sei der Klägerin der Austausch von Zärtlichkeiten mit dem Beklagten nicht mehr „möglich" gewesen. Im Jahr 2003 habe die Klägerin mit dem Cousin des Beklagten Konzerte und Kinos besucht. Im Frühjahr 2003 habe sie eine Mediatorin der Caritas aufgesucht. Es sei zu Einzelgesprächen gekommen. Der Beklagte habe eine Trennung abgelehnt. Danach habe die Klägerin dem Beklagten mitgeteilt, dass sie ausziehen und die Scheidungsklage einbringen werde. Im Juli 2003 habe die Klägerin in einem PKW einen außerehelichen Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann gehabt. Nach dem Auszug des letzten Kindes aus der ehelichen Wohnung sei auch die Klägerin am 11. September 2003 ausgezogen. In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass der Beklagte seit 1980 in seiner Familie ein System der Gewalt etabliert und bis zum letzten Tag des Zusammenlebens der Eheleute aufrechterhalten habe, auch wenn der Gummischlauch (zur Züchtigung der Kinder) nicht mehr zum Einsatz gekommen sei. Mit der Unterdrückung (auch der Frau) als Dauerzustand habe der Beklagte ein partnerschaftliches Zusammenleben unmöglich gemacht und die Ehe zerrüttet. Die unheilbare Zerrüttung sei Mitte der 90er-Jahre eingetreten. Deshalb seien alle Handlungen der Klägerin nicht mehr als ehezerstörend anzunehmen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es erachtete die erstinstanzliche Beweiswürdigung für nachvollziehbar und teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts über den Zeitpunkt der Zerrüttung der Ehe schon Mitte der 90er-Jahre. Die Klägerin habe erst danach durch die Aufnahme außerehelicher Beziehungen und den festgestellten außerehelichen Geschlechtsverkehr ein grundsätzlich ehewidriges Verhalten gesetzt, das ihr aber wegen der schon zuvor eingetretenen Zerrüttung der Ehe nicht mehr zum Vorwurf gemacht werden könne. Die Eheverfehlungen der Klägerin seien auch nicht verfristet (§ 57 EheG), weil der Beklagte sein „etabliertes System der Gewalt in der Familie" aufrechterhalten habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, dass die Scheidungsklage abgewiesen werde, hilfsweise die Abänderung, dass die Ehe aus dem alleinigen bzw. überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden werde. Hilfsweise wird ferner ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung (erkennbar auch) die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw. dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig und teilweise auch berechtigt.

Der Revisionswerber wirft grundsätzlich richtig folgende Rechtsfragen auf:

1. Die Verneinung der Verfristung kollidiere mit der angenommenen unheilbaren Zerrüttung schon acht Jahre vor der Klageführung; 2. bei einem späteren Zerrüttungszeitpunkt müsste sich die Klägerin ein Mitverschulden anlasten lassen und 3. wenn schon der frühere Zerrüttungszeitpunkt feststehe, könnte dem Beklagten kein fortgesetztes ehewidriges Verhalten vorgeworfen werden, weil dieses für die Zerrüttung der Ehe nicht mehr ursächlich sein könnte. Ab der unheilbaren Zerrüttung der Ehe beginne die Frist des § 57 EheG zu laufen.

Zu diesem Revisionsvorbringen ist Folgendes auszuführen:

I. Zum Zeitpunkt des Eintritts der völligen Zerrüttung der Ehe der Streitteile:

1. Ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist auch nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Insofern betrifft die Frage der unheilbaren Zerrüttung der Ehe keine tatsächliche Feststellung, sondern gehört in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung (stRsp, zuletzt 9 Ob 21/07i, RIS-Justiz RS0043423).

2. Zu fragen ist, ob eine schon bestehende Zerrüttung einer Ehe durch eine neue Eheverfehlung noch weiter vertieft werden kann. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, liegt eine unheilbare Zerrüttung vor, bei der es am Kausalzusammenhang zwischen der neuen Verfehlung und der Zerrüttung fehlt (stRsp, RIS-Justiz RS0056921).

3. Unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben, wobei es genügt, dass der Kläger die eheliche Gesinnung verloren hat (stRsp, RIS-Justiz RS0056832).

4. Die Vorinstanzen haben im Lichte der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung den festgestellten Sachverhalt rechtlich unrichtig dahin beurteilt, dass die unheilbare Zerrüttung der Ehe schon Mitte der 90er-Jahre eingetreten sei:

Dieser Beurteilung steht die Feststellung entgegen, dass die Klägerin im genannten Zeitraum erst begonnen hat, „ihre Probleme in der Ehebeziehung zu ihrem Gatten zu realisieren" (Erstgericht S 9), weiters, dass die Klägerin Ende der 90er-Jahre zwei Mediationen organisiert hatte und ihr Trennungswunsch bloß stärker wurde (Erstgericht S 10). Dies allein bedeutet noch nicht den vollständigen Verlust der ehelichen Gesinnung der Klägerin, die noch im Frühjahr 2003 eine Mediation bei der Caritas veranlasste. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt kann die unheilbare Zerrüttung der Ehe angenommen werden, für einen früheren Zeitpunkt fehlt es an einer Sachverhaltsgrundlage. Nach den getroffenen Feststellungen, aber auch nach dem zu diesem Punkt nicht näher ausgeführten Parteivorbringen der Klägerin ergibt sich für den Zeitraum bis zum Jahr 2003 nur das Bild, dass die Klägerin, die in der ehelichen Wohnung verblieb, zwar ihr Leben weitgehend ohne ihren Gatten gestaltete und einen Trennungswunsch hatte, nicht aber, dass dieser irreversibel gewesen wäre. Der gänzliche Verlust der ehelichen Gesinnung der Klägerin ist daher mit Frühjahr 2003 zu datieren.

II. Zur Verfristung der Eheverfehlungen des Beklagten:

Gemäß § 57 Abs 1 EheG erlischt das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens, wenn der Ehegatte nicht binnen sechs Monaten die Klage erhebt. Ob diese materiellrechtliche Ausschlussfrist (RIS-Justiz RS0057228) hier gewahrt wurde, steht zwar nicht eindeutig fest (unheilbare Zerrüttung der Ehe im Frühjahr 2003; Einbringung der Scheidungsklage am 10. Oktober 2003). Diese Unklarheit geht aber zu Lasten des Beklagten, weil die Klägerin die Einhaltung der Frist des § 57 Abs 1 EheG nicht zu beweisen hatte (RIS-Justiz RS0057279). Im Übrigen wurde aber auch schon ausgesprochen, dass der an der Zerrüttung der Ehe allein schuldige Teil, der danach weitere Eheverfehlungen setzt, sich nicht auf die Verwirkung des Scheidungsrechts durch den an der Zerrüttung schuldlosen Teil mit der Begründung berufen kann, dieser habe nicht binnen sechs Monaten nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung die Ehescheidungsklage eingebracht (RIS-Justiz RS0107286). Schließlich trifft aber auch die Begründung der Vorinstanzen zu, dass eine Verfristung der Eheverfehlungen des Beklagten deshalb nicht vorliegt, weil dieser sein partnerschaftswidriges Verhalten bis zuletzt fortgesetzt hat. Fortgesetztes ehewidriges Verhalten ist aber als Einheit aufzufassen, sodass der Fristablauf auf die letzte Handlung abzustellen ist (RIS-Justiz RS0057240). Insoweit der Revisionswerber diesen Sachverhalt bestreitet und dazu auf die festgestellte Tatsache verweist, dass die Gewaltanwendung mittels Gummischlauchs zur Züchtigung der Kinder nur bis Mitte der 90er-Jahre stattfand, ist er auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanzen zu verweisen.

III. Zur Verschuldensabwägung:

Eheverfehlungen, die in den Zeitraum nach dem Eintritt der völligen Zerrüttung der Ehe fallen, spielen bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle (stRsp, zuletzt 8 Ob 53/07p; RIS-Justiz RS0057338), dies gilt auch für den Ehebruch (8 Ob 635/87). Der festgestellte Ehebruch im Juli 2003 ist daher der Klägerin nicht mehr anzulasten, wohl aber eine Verletzung der Pflicht zur ehelichen Treue, die grundsätzlich während der gesamten Dauer der Ehe besteht (RIS-Justiz RS0056332), also auch nach vom anderen Ehegatten gesetzten Eheverfehlungen, auch wenn diese zu einer Zerrüttung, aber eben noch nicht zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe führten. Demgemäß sind hier der Klägerin nur die festgestellten häufigen Kontakte zum Cousin des Beklagten im Zusammenhalt mit den weiteren Feststellungen über die von der Klägerin angestrebte räumliche Trennung (in der Ehewohnung) und das Unterbleiben von Zärtlichkeiten zwischen den Eheleuten als ehewidriges Verhalten anzulasten, das allerdings in seinem Gewicht hinter das die Zerrüttung der Ehe einleitende, gegen die Partnerschaft und die gemeinsamen Kinder gerichtete Fehlverhalten des Beklagten weit zurücktritt. Der Verschuldensausspruch der Vorinstanzen ist daher aus den dargelegten Gründen dahin abzuändern, dass die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden wird.

Der geringe Grad des Mitverschuldens der Klägerin an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe durch Vertiefung einer schon zuvor vom Beklagten schuldhaft herbeigeführten Zerrüttung rechtfertigt eine gänzliche Kostenersatzpflicht des Beklagten in allen Instanzen (§§ 43 Abs 2 und 50 Abs 1 ZPO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte mit seinem Antrag auf Abweisung der Scheidungsklage zur Gänze und in der Verschuldensfrage überwiegend unterlegen ist.

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