OGH 10Ob50/07m

OGH10Ob50/07m26.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Armin O*****, Selbständiger, *****, vertreten durch Mag. Udo Hohensasser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei L*****-Betriebsgesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Klagenfurt, wegen EUR 15.000 und Feststellung (EUR 5.000), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2007, GZ 5 R 167/06b-56, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14. Juni 2006, GZ 26 Cg 126/02d-50, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der sportlich sehr aktive Kläger litt seit zwei Knochenbrüchen des rechten Beines in den Jahren 1982 und 1984 an belastungsabhängigen Schmerzen brennender Qualität an der Innenseite des rechten Kniegelenkes und an stechenden Schmerzen unter der Kniescheibe bei Extrembelastung. Da diese Schmerzen im Laufe der Zeit stärker wurden und vom Physiotherapeuten nicht abgeklärt werden konnten, suchte er im Februar 2001 die Ambulanz der Abteilung für Unfallchirurgie des Landeskrankenhauses K***** auf. Die durchgeführten Untersuchungen (Röntgen und MRT) ergaben als Diagnose eine posttraumatische Gonarthrose des rechten Kniegelenkes, weil aufgrund der belastungsabhängigen Beschwerden am ehesten eine Knorpelschädigung in den belasteten Gelenksarealen des Femurs oder der Tibia vermutet wurde. Auf eine Fehlstellung der Kniescheibe gab es weder klinische Hinweise noch solche durch das MRT, weshalb auch keine speziellen Röntgenaufnahmen vorgenommen wurden.

Der bei der beklagten Partei als Arzt beschäftigte Dr. S***** schlug eine Kniegelenksarthroskopie mit allfälliger Knorpelglättung vor. Alternativen zur vorgeschlagenen Operation, insbesondere alternative Behandlungsmethoden wurden besprochen, aber als nicht Erfolg versprechend verworfen. Der Kläger wurde zunächst über den Operationshergang und die möglichen Komplikationen in chirurgischer Hinsicht aufgeklärt und darüber belehrt, dass eine Garantie für den angestrebten Erfolg des Eingriffes nicht gegeben werden könne; anschließend erfolgte die anästhesiologische Aufklärung. Am 23. 2. 2001 wurde er unter Intubationsnarkose am rechten Knie arthroskopisch operiert. Dabei stellte sich heraus, dass es sich doch nicht um Knorpelveränderungen in den gewichtstragenden Zonen, sondern um einen retropatellaren Knorpelschaden handelte; es wurde ein pathologisches Gleitverhalten der Kniescheibe festgestellt. Um diese Verschiebung zu reduzieren bzw rückgängig zu machen, führte der Operateur Dr. S***** einen so genannten lateralen Release durch. Dabei wurde der die Kniescheibe am Außenrand fixierende Bandapparat durchtrennt. Es war notwendig, im lateralen oberen Bereich einen zusätzlichen Zugang zu legen, weil das entsprechende Areal von den gewählten Standardportalen her nicht oder nur erschwert erreicht werden konnte. Das Operationsgebiet des Kniegelenkes wurde dabei nicht verlassen. Die Operation wurde von Dr. S***** nicht abgebrochen, um mit dem Kläger die neue Situation zu besprechen; Dr. S***** führte den (von ihm) für notwendig erachteten Eingriff durch. Als Alternative zum operativen Eingriff wäre eine physiotherapeutische Behandlung denkbar, bei der ein bestimmter Muskel des Oberschenkels, der gegen die Fehlstellung der Kniescheibe wirkt, trainiert wird. Die Reduzierung der Druckbelastung setzt allerdings voraus, dass dieser Muskel ständig gestärkt wird; das Beschwerdebild tritt wieder auf, wenn die Übungen nicht durchgeführt werden.

Der Kläger wurde am Tag nach der Operation über den erweiterten Eingriff aufgeklärt. Er leidet seit der Operation an einem diskreten Druckschmerz lateral parapatellar etwa dem Gebiet der Durchführung des „lateralen Releases" entsprechend. Ein ausgeprägter vermehrter Patellaanpressschmerz war bei der Untersuchung im Jänner 2003 auslösbar. Darüber hinaus gab der Kläger auch einen Schmerzpunkt zwei Querfinger oberhalb des körpernahen Patellapols in Verlängerung des lateralen Randes der Patella nach kranial an. In diesem Areal war die Schnittführung und die Zusatzincision praktisch nicht mehr nachweisbar. Die Schmerzen in diesem Bereich können in Verwachsungen im Bereich der Incisionsstelle oder in einem Narbengebilde im Kapselbereich bzw subkutanen Gewebe liegen.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei die Zahlung eines Schmerzengeldes von EUR 15.000 sA und die Feststellung der Haftung für sämtliche Dauerfolgen und Dauerschäden aus dieser Operation. Der durchgeführte Sehnenschnitt stelle einen Operations- und damit Behandlungsfehler dar. Dr. S***** habe alternative physiotherapeutische Maßnahmen zur Behandlung der Kniebeschwerden als völlig unzureichend abqualifiziert; der Kläger hätte zu dem vorgenommenen Muskelschnitt keine Einwilligung gegeben und sei darüber sowie über mögliche Alternativen nicht aufgeklärt worden. Der Operateur hätte die Operation abbrechen und mit dem Kläger ein Beratungsgespräch über Diagnose, Operationsverlauf, Risken und alternative Therapiemöglichkeiten führen müssen. Durch das Vorgehen des Operateurs sei der Kläger in seinem Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt worden. Letztlich sei es auch zu einer Nervenverletzung gekommen, in deren Zuge sich ein ausgeprägtes Neurom gebildet habe, das schmerzhafte Beschwerden auslöse.

Die beklagte Partei wandte im Wesentlichen ein, dass der Kläger auf die jeweiligen Probleme und Risken vor der Operation entsprechend hingewiesen und aufgeklärt worden sei. Die Beschwerden seien nicht auf die Operation, sondern auf die Grundverletzungen bzw Grunderkrankungen zurückzuführen. Ein Diagnosefehler liege nicht vor, der Eingriff sei lege artis durchgeführt worden.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Bei der Operation sei der Bereich des Knies nicht verlassen worden sei; das Setzen eines dritten Portals sei durchaus üblich und auch bei einer Knorpelglättung oder Meniskusbehandlung möglich. Hätte Dr. S***** die Operation abgebrochen und den Kläger befragt, dann wäre eine weitere Narkose mit all ihren Risiken notwendig geworden. Das Abbrechen der Operation sei nicht notwendig gewesen, weil die zwar nicht besprochene, aber tatsächliche gesetzte Maßnahme von der Aufklärung umfasst gewesen sei; es liege daher weder ein Behandlungsfehler noch ein Aufklärungsfehler vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Eine Bewertung des Entscheidungsgegenstandes wurde nicht vorgenommen; der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht lehnte die Übernahme der vom Erstgericht getroffenen, vom Kläger bekämpften (Negativ-)Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger bei entsprechender Aufklärung die tatsächlich vorgenommene Maßnahme verweigert hätte, ab und hielt die von der beklagten Partei in der Berufungsbeantwortung begehrten zusätzlichen Feststellungen aus rechtlichen Gründen für nicht relevant. Seiner rechtlichen Beurteilung legte es zugrunde, dass der Arzt für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten selbst dann hafte, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen sei, es sei denn, er beweise, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Nach ständiger Judikatur reiche die ärztliche Aufklärungspflicht um so weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten sei. Ausgehend von diesen genannten Grundsätzen seien die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen mangelhaft und zur abschließenden rechtlichen Beurteilung nicht geeignet: Dem klägerischen Vorbringen und seiner Aussage als Partei lasse sich entnehmen, dass es ihm wichtig gewesen sei zu erfahren, ob nicht alternative Behandlungsmöglichkeiten wie etwa eine gezielte Physiotherapie zur Besserung seiner Beschwerden im Kniegelenk möglich gewesen wären. Das Erstgericht habe dazu lediglich unkonkret festgestellt, dass Alternativen zur vorgeschlagenen Operation (welche?) zwar besprochen, aber als nicht erfolgversprechend verworfen worden seien. Demgegenüber stehe allerdings fest, dass als Alternative zum operativen Eingriff eine physiotherapeutische Behandlung, bei der die Oberschenkelmuskulatur gestärkt werde, denkbar gewesen sei. Dass der Kläger über diese Möglichkeit aufgeklärt worden sei, ergebe sich aus den Feststellungen nicht; die Diagnose einer Fehlstellung der Kniescheibe habe sich nämlich erst intraoperativ gezeigt.

Sei nun - wie hier - eine Maßnahme wie die des durchgeführten lateralen Releases nicht mit dem Patienten erörtert worden, könne darin eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten erblickt werden, wenn es diesem gerade darum gegangen sei, ob andere nicht operative Behandlungsmethoden zur Verfügung stünden. Sei für den Arzt erkennbar, dass es dem Patienten wichtig sei, vor einer Operation allenfalls zur Verfügung stehende andere (physiotherapeutische) Therapien zu versuchen, müsse das Verhalten des Operateurs, der - wenn auch lege artis - eine Durchtrennung des die Kniescheibe am Außenrand fixierenden Bandapparates vornehme, ohne dies vorher mit dem Patienten im Hinblick auf mögliche Alternativen erörtert zu haben, als eigenmächtig und somit als rechtswidrig angesehen werden.

Aufgrund der fehlenden Feststellungen über den konkreten Inhalt und den Umfang des ärztlichen Aufklärungsgespräches, insbesondere im Hinblick auf einen allenfalls festzustellenden Wunsch des Patienten, alternative Behandlungsmethoden anstelle der Operation in Erwägung zu ziehen, sei das Urteil mangelhaft und daher aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht konkret den Inhalt des Aufklärungsgespräches und die Vorstellungen des Klägers über die Möglichkeit allenfalls bestehender alternativer Behandlungsmethoden festzustellen haben. Erweise sich dann im Tatsachenbereich, dass der Operateur davon Kenntnis gehabt habe, dass es dem Kläger wichtig gewesen sei, anstelle der Operation vorher eine gezielte Physiotherapie zu absolvieren, werde die Haftung der beklagten Partei für die Folgen des eigenmächtig durchgeführten lateralen Releases gegeben sein; dasselbe werde auch gelten, wenn rechtlich davon ausgegangen werde, dass dem Operateur dieser Umstand bewusst sein habe müssen.

In einem solchen Fall werde das Erstgericht auch konkret die kausalen Schmerzempfindungen aufgrund des vorgenommenen lateralen Releases festzustellen haben; es werde sich in diesem Zusammenhang nicht damit begnügen können, im Rahmen der Feststellungen lediglich vom Kläger geäußerte Schmerzempfindungen wiederzugeben, sondern konkret diejenigen Schmerzen und Beeinträchtigungen festzustellen haben, die auf die eigenmächtig gesetzte operative Maßnahme zurückzuführen seien. Darüber hinaus seien auch Feststellungen über etwaige Spät- oder Dauerfolgen zu treffen.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil eine jüngere Judikatur zum Abbrechen einer Operation nach einem sich intraoperativ ergebenden Befund, der vor der Operation noch nicht möglich gewesen sei, fehle. Im Sinne einer weiteren Rechtsentwicklung zur ärztlichen Aufklärung in dieser speziellen Form erscheine die Zulassung des Rekurses geboten.

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und das klagsabweisende Ersturteil zu bestätigen, hilfsweise dem Berufungsgericht oder dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu treffende Entscheidung aufzutragen. Die klagende Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, der Oberste Gerichtshof möge dem Rekurs nicht Folge geben und den bekämpften Aufhebungsbeschluss bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; er ist jedoch im Hinblick auf die Ergänzungsbedürftigkeit des Verfahrens nicht berechtigt.

In ihrem Rekurs spricht die beklagte Partei vorwiegend Fragen der mutmaßlichen Einwilligung des Klägers in den vorgenommenen Eingriff an: „Aufgrund der Tatsache, dass der Operateur weder das Operationsgebiet (= Knie) verlassen hat noch dass es zu einer wesentlichen Erweiterung des Operationsverlaufes gekommen ist", sei jedenfalls davon auszugehen, „dass der Kläger, wäre er zuvor aufgeklärt worden, auch seine Einwilligung zu diesem Eingriff gegeben hätte" (zumindest sei dies als sehr wahrscheinlich anzusehen, hätte er zuvor von der Diagnose einer Kniefehlstellung erfahren); dazu werden noch weitere Indizien genannt. Abgesehen davon sei der durchgeführte Eingriff von der vom Kläger zuvor erteilten Einwilligung in die Operation erfasst, weil es sich bei dem lateralen Release um einen gleichartigen, mit dem ursprünglich geplanten Eingriff vergleichbaren Eingriff im selben Operationsgebiet bei Anwendung einer ähnlichen Operationsmethode handle. Die vom Berufungsgericht angesprochene Physiotherapie stelle mangels Erfolgsaussichten keine adäquate Alternative zu der vorgenommenen diagnostischen und daran anschließenden therapeutischen Maßnahme dar; die Vornahme der tatsächlich ausgeführten Maßnahme entspreche dem medizinischen Ist-Standard. Angesichts dieser Umstände wäre bei Abwägung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten mit dem therapeutischen Privileg des Arztes der Abbruch der Operation eine unverhältnismäßige Maßnahme, weil der Patient zur Durchführung eines gleichartigen geringfügigen Eingriffs nochmals narkotisiert werden müsste. Der Arzt könne in einem solchen Fall auf den mutmaßlichen Willen des Patienten abstellen, der wohl der tatsächlich vorgenommenen operativen Maßnahme zugestimmt hätte, weshalb der operative Eingriff nicht abzubrechen gewesen sei. Ein Umschwenken in der ursprünglich geplanten Methode sei nicht völlig außerhalb des Erwartbaren gelegen. Schließlich sei die Ansicht des Berufungsgerichtes verfehlt, dass die Feststellungen des Erstgerichtes betreffend die Aufklärung unzureichend seien, weil die Aufklärung über die mögliche Alternative in Form einer physiotherapeutischen Behandlung die Diagnose der (damals weder erkannten noch erkennbaren) Kniefehlstellung vorausgesetzt hätte. Mit diesem Rekursvorbringen wendet sich die beklagte Partei letztlich nicht gegen die Notwendigkeit der Verfahrensergänzung, sondern beantwortet bereits im Rekurs die im fortgesetzten Verfahren zu klärenden Fragen aus ihrer eigenen Sicht.

Auszugehen ist davon, dass der Kläger - nach entsprechender Aufklärung - (nur) in eine Kniegelenksarthroskopie mit allfälliger Knorpelglättung eingewilligt hat. Bei der arthroskopischen Operation am 23. 2. 2001 führte der Operateur, nachdem er ein pathologisches Gleitverhalten der Kniescheibe festgestellt hatte, einen lateralen Release durch, bei dem der die Kniescheibe am Außenrand fixierende Bandapparat durchtrennt wurde. Auch wenn das Operationsgebiet des Kniegelenkes nicht verlassen wurde, ist der vorgenommene Eingriff ein gegenüber dem geplanten erweiterter.

Im erstinstanzlichen Verfahren hat sich die beklagte Partei zu dieser Thematik auf den Standpunkt gestellt, das eine „wesentliche Erweiterung des Operationsverlaufes und Operationsgebietes" nicht vorliege; es sei lediglich eine weitere therapeutische Maßnahme gesetzt worden (AS 121 f = Seiten 3 - 4 im Schriftsatz ON 23). Weiters wurde vorgebracht, dass die Sanierung der Fehlstellung im Zuge der bereits durchgeführten Arthroskopie Stand der medizinischen Technik und „durch den Eingriff als solchen gedeckt" sei (AS 248 = Seite 16 des Protokolls ON 49). In der Berufungsbeantwortung spricht die beklagte Partei von einer „nur geringfügigen Ausweitung des vorgehabten und aufgeklärten Eingriffes" und verweist auf einen gewissen Ermessensspielraum des behandelnden Arztes. Auch unter Einbeziehung dieses Vorbringens der beklagten Partei ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zu teilen, dass es sich bei dem vorgenommenen Eingriff um eine Operationserweiterung gehandelt hat, die nicht von einer vorherigen Einwilligung des Patienten gedeckt war. Ausgehend von dieser Prämisse hat das Berufungsgericht (im Zusammenhang mit möglichen alternativen Methoden) zutreffenderweise die Klärung der Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilligung für erforderlich gehalten. Allerdings bedürfen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes und sein Auftrag an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung noch einer Präzisierung. Im Fall einer „Operationserweiterung" ist der Patient grundsätzlich schon vor dem Eingriff prophylaktisch über diese Möglichkeit aufzuklären, falls typischerweise deutliche Anzeichen in diese Richtung bestehen (1 Ob 532/94 = SZ 67/9 = JBl 1995, 245; Juen, Arzthaftungsrecht2 [2005] 133; Ehlers in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht3 [2005] Rz 896); in diesem Fall bleibt für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung kein Raum.

Ergibt sich im Verlauf der Operation am voll narkotisierten Patienten eine nicht vorhersehbare Änderung der Operation, kann der Eingriff ausnahmsweise auf der Grundlage einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten durchgeführt werden, die darauf beruht, wie sich ein Patient bei objektiver Bewertung der Situation entschieden hätte (Ehlers in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht3 Rz 898). Dabei ist vom Arzt eine Abwägung zwischen Lebens- und Gesundheitsgefährdung (bei Abbruch des Eingriffs) und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten vorzunehmen: Die wesentlichen Eckpunkte für die ärztliche Entscheidung werden von der Dringlichkeit der Eingriffsindikation und von der Bedeutung der Folgen einer Unterlassung des weiteren Eingriffs einschließlich der Zumutbarkeit einer Unterbrechung der Anästhesie gebildet (vgl Prutsch, Die ärztliche Aufklärung² [2004] 101). Kann ein Eingriff ohne besondere Probleme abgebrochen und der weitergehende Eingriff auch später ohne erhöhtes Risiko vorgenommen werden, ist die Operation abzubrechen, um die Aufklärung nachzuholen (anstatt vieler Ehlers in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht3 Rz 897; einschränkend Harrer in Schwimann, ABGB3 VI § 1300 Rz 52 unter Hinweis auf ältere Judikatur; kritisch Wachsmuth, Die chirurgische Indikation - Rechtsnorm und Realität, FS Bockelmann [1979] 473 [476 ff]). Je dringlicher der Erweiterungseingriff ist und je mehr der Operationsabbruch medizinisch kontraindiziert ist, desto unbedenklicher ist demgegenüber die Einwilligungsvermutung (vgl 6 Ob 212/59 = KRSlg 630 = RIS-Justiz RS0026511 [T1]; BGH VI ZR 134/75 = NJW 1977, 337; Engljähringer, Ärztliche Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen [1996] 164), die zur Erweiterung der Operation berechtigt. Demgegenüber wiegt die freie Selbstbestimmung des Patienten wiederum um so schwerer, je größer die zusätzlichen Risiken des eigenmächtigen Erweiterungseingriffs und je gravierender die Auswirkungen auf den Patienten sind (Prutsch, Die ärztliche Aufklärung² 102; Engljähringer, Ärztliche Aufklärungspflicht 164 f). In diesem Sinn sieht § 8 Abs 3 KAKuG vor, dass die Einwilligung oder Zustimmung des Patienten nicht erforderlich ist, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung oder mit der Bestellung eines gesetzlichen Vertreters verbundene Aufschub das Leben gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre (ebenso § 37 UbG). Parallel dazu entlässt § 110 Abs 2 StGB den Arzt aus seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit, wenn durch die Behandlungsverzögerung eine Lebens- bzw ernstliche Gesundheitsgefährdung des Patienten zu besorgen war (siehe Engljähringer, Ärztliche Aufklärungspflicht 162).

Im Zweifel wiegt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten höher (Ehlers in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht3 Rz 897; siehe auch Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts3 [2002] § 68 Rz 21 und Ulsenheimer, ebendort § 139 Rz 47a und 48; stärker zugunsten der Fortsetzung der Operation gewichtend Harrer in Schwimann, ABGB3 VI § 1300 Rz 52): Bringen sowohl der Abbruch als auch die Fortsetzung der Operation Gefahren mit sich, die gleich schwer wiegen, muss die Einwilligung nachgeholt werden. Dies gilt genauso, wenn zur Operationserweiterung alternativ die Möglichkeit besteht, den Therapieerfolg auf andere Weise zu erreichen (Ehlers in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht3 Rz 897).

Bei einem präoperativ nicht vorhersehbaren Eingriff ist demnach der mutmaßliche Wille des Patienten (nur) dann maßgeblich, wenn unter Bedachtnahme auf die erwähnte, vom Arzt in der Operationssituation vorzunehmende Abwägung zwischen Lebens- und Gesundheitsgefährdung des Patienten einerseits und seinem Selbstbestimmungsrecht andererseits seine Einwilligung (nach Abbruch der Operation) nicht eingeholt werden musste. Die Überprüfung der vom Arzt getroffenen Entscheidung hat naturgemäß aus einer ex ante-Perspektive zu erfolgen. Zur Beurteilung der vom Kläger behaupteten Notwendigkeit einer vorherigen Einwilligung bedarf es noch näherer Feststellungen dazu, in welcher Intensität der Abbruch der Operation und die Verschiebung des Eingriffs den Kläger - im Vergleich zur eigenmächtigen Erweiterung - objektiv tangiert hätte. Dabei sind neben den schon genannten Kriterien der Dringlichkeit einer Erweiterung und der Gefährlichkeit einer Nichterweiterung beispielsweise der Umfang der eigenmächtigen Erweiterung und die damit verbundenen Risiken, die Folgen der ersten (abgebrochenen) Operation für den Patienten, die Risiken einer neuerlichen Vollnarkose, die mit der Verzögerung verbundenen Schmerzen, aber auch die möglichen Behandlungsalternativen zur eigenmächtigen Operationserweiterung zu klären. Auf die vom Kläger - etwa im Rahmen des Aufklärungsgespräches - geäußerten und dem Operateur bekannten Interessen, etwa auch über die primäre Inanspruchnahme alternativer Behandlungsmöglichkeiten, ist (nur) insoweit Bedacht zu nehmen, als sie mit dem erweiterten Eingriff in einen eindeutigen Zusammenhang gebracht werden können. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist die oben erwähnte Abwägung vorzunehmen, ob die Eingriffserweiterung bei objektiver Betrachtung vom mutmaßlichen Willen des Patienten gedeckt war oder nicht.

Demnach ist im fortgesetzten Verfahren die Sachverhaltsgrundlage im Sinne der obigen Ausführungen insbesondere zu folgenden Themenbereichen zu verbreitern:

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