OGH 15Os45/07t

OGH15Os45/07t21.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ronald D***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Boris G***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 16. November 2006, GZ 424 Hv 2/06p-61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Boris G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Boris G***** zweier Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „in Wien in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben fremde bewegliche Sachen, nämlich Geld in nachstehender Höhe, mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Raube unter Verwendung einer Waffe verübt wurden, und zwar

1. am 5. Mai 2006 700 Euro, indem Ronald D***** Christian S***** unter Vorhalt eines gezückten Klappmessers aufforderte, ihm das Geld zu übergeben, während Boris G***** im Fluchtauto auf Ronald D***** wartete;

2. am 16. Mai 2006 100 Euro, indem Ronald D***** Judith H***** unter Vorhalt einer auf sie gerichteten Gaspistole aufforderte, hinter das Pult zu gehen, die Kassa zu öffnen und ihm Geld zu geben, während Boris G***** im Fluchtauto auf Ronald D***** wartete". Die Geschworenen haben hinsichtlich des Angeklagten Boris G***** die (anklagekonformen) Hauptfragen C. und D. bejaht und die dazu gestellten Eventualfragen III. und IV. nach Beitragstäterschaft folgerichtig unbeantwortet gelassen. Weitere Fragen wurden in Ansehung dieses Angeklagten nicht gestellt.

Betreffend den Angeklagten Ronald D***** haben die Geschworenen sowohl die Hauptfragen A. und B. nach dem Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB als auch die Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit (1. und 2.) und die zwei Eventualfragen nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (I. und II.) bejaht. Der Schwurgerichtshof hat den den Angeklagten D***** betreffenden Wahrspruch gemäß § 334 StPO ausgesetzt.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte Boris G***** erhebt eine auf Z 6 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt. Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert, dass auch betreffend Boris G***** Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit und für den Fall ihrer Bejahung Eventualfragen nach dem Vergehen nach § 287 Abs 1 StGB zu stellen gewesen wären. Sie verweist dazu auf die Verantwortung dieses Angeklagten in der Hauptverhandlung.

Dort gab Boris G***** auf die Frage nach dem Verhalten des Mitangeklagten Ronald D***** am 16. Mai 2006 (und nicht, wovon die Beschwerde ausgeht, am 5. Mai 2006), als dieser wieder zu ihm in den PKW stieg, an, „Was er gemacht hat, das weiß ich nicht. Wir haben Drogen konsumiert und waren dementsprechend in einer beeinträchtigten Verfassung und ich bin nach Hause gefahren. Ich habe das Auto geparkt und zu ihm gesagt, ob er nicht mit raufkommen möchte, er hat das abgeschlagen ..." (S 89-93/II). Am 16. Mai 2006 habe D***** „schon einen sehr beeinträchtigten Eindruck" auf ihn gemacht. Er habe „viele Schlaftabletten und Alkohol intus gehabt".

Bei einem Treffen etwa eine Woche vorher sei die Situation bei D***** „ziemlich ähnlich" gewesen. „Wir haben die gleichen Substanzen konsumiert. Das war Kokain, Morphium, Schlaftabletten und ich glaube er hat auch Alkohol getrunken", gab G***** an. Er selbst trinke keinen Alkohol (S 107/II).

Auf die Frage des Verteidigers nach seiner gesundheitlichen Situation sagte der Angeklagte aus, er habe Hepatitis C und er habe „ein Drogenproblem" (S 111/II).

Der Beschwerdeführer wendet weiters ein, dass seine Vernehmung Erinnerungslücken gezeigt habe und dass sich seine Drogenabhängigkeit auch in seinen Vorstrafen manifestiere.

Die Fragenrüge geht fehl.

Sind in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden, so ist eine entsprechende Frage nach dem Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund (Zusatzfrage) zu stellen (§ 313 StPO). Sind aber in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden, wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, so sind entsprechende Schuldfragen (Eventualfragen) an die Geschworenen zu stellen (§ 314 StPO).

Dabei kommt es nicht auf die Verfahrensergebnisse schlechthin, sondern ausschließlich darauf an, ob die betreffende Frage durch ein (substanziiertes) Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung indiziert ist (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 6).

Eine allfällige Zurechnungsunfähigkeit des Täters ist im geschworenengerichtlichen Verfahren nur dann zum Gegenstand einer Zusatzfrage zu machen, wenn Verfahrensergebnisse Anlass zu Zweifeln an der biologischen Schuldfähigkeit des Angeklagten, seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit im konkreten Fall, geben, wenn also im Beweisverfahren für das Vorliegen eines im § 11 StGB beschriebenen, die Dispositionsfähigkeit oder Diskretionsfähigkeit des Angeklagten ausschließenden Ausnahmezustandes konkrete (objektive) Anhaltspunkte hervorgekommen sind (RIS-Justiz RS0100527, RS0100622).

Durch einen in § 11 StGB beschriebenen Zustand allein wird entgegen der aus der Beschwerde hervorgehenden, nicht aus der Verfahrensordnung abgeleiteten Auffassung eine Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit in Bezug auf ein Vorsatzdelikt noch nicht indiziert; dazu bedarf es auch eines Tatsachenvorbringens in der Hauptverhandlung dahin, dass hiedurch die Diskretionsfähigkeit oder Dispositionsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit in Ansehung des betreffenden Vorsatzdelikts ausgeschaltet war (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 34). Auf ein solches Tatsachenvorbringen beruft sich die Beschwerde aber nicht.

Der Sache nach hat sich übrigens der Angeklagte auch zu keinem Zeitpunkt damit verantwortet, unfähig gewesen zu sein, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Die Einlassung, rauschgiftabhängig zu sein, Drogen konsumiert zu haben und Erinnerungslücken aufzuweisen, beinhaltet nicht die Behauptung der Zurechnungsunfähigkeit.

Die Fragenrüge stützt sich demnach nicht auf ein allenfalls die Stellung einer Zusatzfrage indizierendes Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, womit es der Beschwerde zuwider auch deshalb an einer Grundlage für das Vermissen von Eventualfragen fehlt. Die Tatsachenrüge (Z 10a) trachtet Bedenken an den im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen geltend zu machen, indem sie unter Bezugnahme auf die Niederschrift zur Beantwortung der den Mitangeklagten Ronald D***** betreffenden Zusatzfragen 1. und 2. ausführt, dass sich die Geschworenen bei ihren Überlegungen zur Beantwortung der Schuldfragen C. und D. (betreffend den Angeklagten G*****) „ausschließlich auf die Angaben Ronald D*****s vor der Polizei stützten, der nach ihrer Überzeugung zu den beiden Tatzeiten wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung diskretions- und dispositionsunfähig war". Das „einzige belastende Beweismittel, nämlich die ursprüngliche nur vor der Polizei abgelegte, G***** der Beteiligung bezichtigende Aussage Ronald D*****s" müsse angesichts seiner Zurechnungsunfähigkeit zu den Tatzeiten auf erhebliche Bedenken stoßen.

Damit nimmt die Beschwerde mit dem Ziel, erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken, nicht im Sinn des 345 Abs 1 Z 10a StPO auf die „Akten" Bezug, worunter in erster Linie das in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismaterial und in bestimmten Fällen auch nicht in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismittel zu verstehen sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481), sondern essentiell auf den Wahrspruch der Geschworenen und die Niederschrift dazu. Die Erwägungen der Laienrichter gehören aber nicht zu jenen Aktenteilen, aus denen Bedenken im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes abgeleitet werden können (vgl WK-StPO § 345 Rz 16). Ableitung erheblicher Bedenken „aus den Akten" bedeutet die Bezugnahme auf konkrete Beweismittel (RIS-Justiz RS0117446).

Die unter Anknüpfung an die Niederschrift der Geschworenen gegen die Aussage des Ronald D***** im Vorverfahren, die Trafik habe in beiden Fällen der Angeklagte G***** ausgesucht (S 175 f/I), und damit letztlich gegen die konstatierte Täterschaft des Beschwerdeführers gerichtete Argumentation zeigt demnach keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken auf.

Mit dem Hinweis auf die Entscheidung 14 Os 115/00 ist für den Beschwerdestandpunkt nichts zu gewinnen. In jenem Verfahren erkannte der Oberste Gerichtshof eine Tatsachenrüge als berechtigt, weil die Überzeugung der Geschworenen von der Verwendung einer Waffe (§ 143 zweiter Fall StGB) mit Blick auf die in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismittel auf bloßer Spekulation beruhte. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Boris G***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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