OGH 11Os54/07m (11Os55/07h)

OGH11Os54/07m (11Os55/07h)19.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin, in den Strafsachen des Bezirksgerichtes Zistersdorf gegen Mischa Z***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, AZ 6 U 55/05f, und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, AZ 6 U 6/06a, über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 17. August 2005, GZ 6 U 55/05f-8, und vom 17. Mai 2006, AZ 6 U 6/06a, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren vor dem Bezirksgericht Zistersdorf gegen Mischa Z***** verletzen das Gesetz:

1) der Protokollsvermerk gemäß § 458 Abs 2 StPO vom 17. August 2005, GZ 6 U 55/05f-8, in der Bestimmung des § 32 Abs 2 JGG;

2) das Urteil vom 17. Mai 2006, AZ 6 U 6/06a, und zwar

a) soweit die Strafe für das von Mischa Z***** als Jugendlicher begangene Vergehen der Sachbeschädigung ohne Bedachtnahme auf die Strafrahmenreduktion des § 5 Z 5 JGG nach § 125 StGB ausgemessen wurde, in der Bestimmung des § 5 Z 5 JGG;

b) mit der Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen in der Bestimmung des § 19 Abs 3 StGB;

c) soweit Mischa Z***** in Betreff ein- und derselben tatbestandlichen Handlungseinheit hinsichtlich eines Teiles der Beschädigungen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig und eines anderen Teiles nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen wurde, in den Bestimmungen der §§ 28 Abs 1, 125 StGB, § 259 StPO;

3) die Beschlüsse vom 17. Mai 2007

a) über den Zuspruch eines Geldbetrages an den Privatbeteiligten in den Bestimmungen der §§ 260 Abs 1 Z 5, 369 Abs 1 StPO

b) über einen nachträglichen Strafausspruch zum Urteil des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 17. August 2005, GZ 6 U 55/05f-8, in den Bestimmungen des § 16 Abs 1 JGG sowie des § 494a Abs 1 Z 3, Abs 3 StPO und des § 28 Abs 1 StGB7)

4) der Beschluss vom 31. Juli 2006, GZ 6 U 6/07a-8, auf Berichtigung der (gemäß § 260 Abs 1 Z 3 StPO bei sonstiger Nichtigkeit im Urteilsspruch festzusetzenden) Strafe in der Bestimmung des § 270 Abs 3 erster Satz StPO.

Es werden diese Beschlüsse zur Gänze und das Urteil des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 17. Mai 2006, das im Schuldspruch und im Freispruch unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Durchführung einer Verhandlung zur Festsetzung der Strafe für das Vergehen der Sachbeschädigung und zur Entscheidung über die Ansprüche des Privatbeteiligten aufgetragen.

Text

Gründe:

Der am 4. Februar 1988 geborene, zur Tatzeit Jugendliche Mischa Z***** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 17. August 2005, GZ 6 U 55/05f-8, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 „Abs 1" StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 (Abs 1) JGG wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von zwei Jahren vorbehalten. Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde durch einen Protokollsvermerk (§ 458 Abs 2 StPO) ersetzt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 17. Mai 2006, AZ 6 U 6/06a (S 45), erfolgte sodann ein Schuldspruch des Mischa Z***** wegen einer am 18. November 2005, sohin während der Probezeit, begangenen Sachbeschädigung (Zerbrechen von vier Eternitplatten des Ludwig S*****) nach § 125 StGB. Der Bezirksrichter verhängte nach der genannten Gesetzesstelle für diese Jugendstraftat (unter Außerachtlassung der Strafrahmenreduktion nach § 5 Z 5 JGG) eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen á 2 EUR, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen. Darüber hinaus erkannte er in einem - als Beschluss bezeichneten - gesonderten Strafausspruch nachträglich zum Urteil des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 17. August 2005, GZ 6 U 55/05f-8, gemäß § 15 JGG auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen á 2 EUR. Eine Ersatzfreiheitsstrafe wurde nicht festgesetzt. Unter einem sprach es mit diesem Beschluss dem Privatbeteiligten Ludwig S***** gemäß § 369 Abs 1 StPO einen Betrag von 149,06 EUR zu. Von dem weiters erhobenen Anklagevorwurf, am 18. November 2005 auch die Dachrinne des Ludwig S***** eingebeult zu haben, wurde Mischa Z***** „gemäß § 259 Z 3 StPO" freigesprochen.

Der zugrundeliegende Bestrafungsantrag wurde dem Gericht am 18. Jänner 2006 von der Bezirksanwältin mit einem „Antrag auf (1) Fortsetzung und Einbeziehung des Verfahrens AZ 6 U 55/05f zum nachträglichen Strafausspruch gemäß § 15 JGG" übermittelt (S 1 oben). Am 8. Februar 2006 teilte die Bezirksanwältin dem Gericht jedoch mit, dass der Punkt 1) „irrtümlich als Antrag statt als Hinweis auf den bevorstehenden Antrag in 6 U 55/05f verfasst wurde" (S 1 unten). In der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2006 wurde weder von der Bezirksanwältin ein Antrag auf nachträgliche Straffestsetzung gestellt noch der Beschuldigte hiezu gehört (siehe S 43 f). Gegen dieses Urteil meldete die Staatsanwaltschaft am 19. Mai 2006 Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe an (siehe ON 1, 3. Blatt). Das Urteil wurde (vorerst) nicht ausgefertigt, sondern lediglich ein unter ON 8 journalisierter, nicht unterfertigter „Entwurf" erstellt. Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 31. Juli 2006 „berichtigte" der Bezirksrichter das Hauptverhandlungsprotokoll dahingehend, dass der Spruch des verkündeten Urteils zu lauten habe, Mischa Z***** werde „unter Anwendung des § 15 JGG unter Einbeziehung des Aktes 6 U 55/05f des Bezirksgerichtes Zistersdorf zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen á 2 EUR, sohin zu einer Gesamtstrafe von 160 EUR und für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen" verurteilt (ON 8). In der Begründung führte der Bezirksrichter aus, er habe übersehen, dass gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO bei der nachträglichen Straffestsetzung die Strafe im einbezogenen Akt gemeinsam mit dem neu zu bestrafenden Delikt zu verhängen und die Teilung „der Gesamtstrafe von 80 Tagessätzen" auf 50 und 30 Tagessätze somit nicht zulässig ist (S 51). Im Protokoll wurde diese Berichtigung nicht vermerkt (siehe S 45). Nach Einsicht in den Berichtigungsbeschluss zog die Staatsanwaltschaft am 18. August 2006 die angemeldete Berufung zurück (S 55). Am 13. September 2006 wurde die Endverfügung erlassen (ON 10). Mit Note vom 13. Dezember 2006 ersuchte das Landesgericht Korneuburg das Bezirksgericht Zistersdorf zum AZ 521 Hv 78/06t um Übersendung beider erwähnten Akten (ON 11) und übermittelte diese der Staatsanwaltschaft Korneuburg mit dem Ersuchen um Anregung einer Wahrungsbeschwerde, wobei es weiters darauf hinwies, dass im Akt 6 U 6/06a keine Urteilsausfertigung enthalten ist und zum Verfahren AZ 6 U 55/05f die nachträgliche Straffestsetzung in der Strafregisterauskunft nicht vermerkt wurde (ON 12). In einem Aktenvermerk vom 1. Februar 2006 wurde festgehalten, die Ausfertigung des Urteils sei „augenscheinlich irrtümlich unterblieben" (ON 13). Dann wurde das mittlerweile rechtskräftige Urteil im Sinne des berichtigten Protokolls - bei inhaltlicher Abänderung des als ON 8 einliegenden „Entwurfes" - ausgefertigt (ON 14).

Rechtliche Beurteilung

In beiden Verfahren stehen einzelne Maßnahmen des Bezirksgerichtes Zistersdorf, die der Generalprokurator in der im Gerichtstag ausgedehnten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Im Verfahren AZ 6 U 55/05f verletzt die Beschränkung der Protokollierung der Hauptverhandlung auf einen Vermerk gemäß § 458 Abs 2 StPO die Bestimmung des § 32 Abs 2 JGG, wonach ein derartiger Protokollsvermerk im Falle eines (im Anlassverfahren aktuellen) Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe nicht zulässig ist. Im Verfahren AZ 6 U 6/06a wurde missachtet, dass gemäß § 16 Abs 1 erster Satz JGG eine nachträgliche Straffestsetzung eines darauf abzielenden Antrages der Staatsanwaltschaft bedarf, im konkreten Fall ein solcher jedoch nicht gestellt wurde. In Ermangelung eines diesbezüglichen Antrages überschritt das Gericht durch den auf § 15 Abs 1 JGG gestützten Strafausspruch seine Strafbefugnis zum Nachteil des Beschuldigten (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO; vgl Jerabek in WK-StPO § 494a Rz 3). Darüber hinaus unterblieb auch entgegen dem ausdrücklichen Gebot des § 494a Abs 3 erster Satz StPO die Anhörung des Beschuldigten.

Davon abgesehen, erweist sich der unter Außerachtlassung des Absorptionsprinzips des § 28 StGB ergangene Beschluss auf Straffestsetzung als unzulässig (vgl Jerabek aaO Rz 3; Schroll in WK² § 16 JGG Rz 10); vielmehr wäre gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO die Strafe in einem Ausspruch so zu bemessen gewesen, wie wenn die Verurteilung wegen beider strafbarer Handlungen gemeinsam erfolgt wäre. Darüber hinaus wurde durch die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe von vierzig Tagen für den Fall der Uneinbringlichkeit der mit fünfzig Tagessätzen bemessenen Geldstrafe die Umrechnungsregel des § 19 Abs 3 StGB missachtet, der zufolge die Ersatzfreiheitsstrafe mit fünfundzwanzig Tagen zu bestimmen gewesen wäre. Im Übrigen wurde auch der - wenn auch bloß deklarativ wirkende - Ausspruch unterlassen, dass im Verfahren AZ 6 U 55/05f dieses Gerichtes ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt (§ 494a Abs 1 Z 3 letzter Halbsatz).

Der Zuspruch eines Entschädigungsbetrages an den Privatbeteiligten Ludwig S***** durch Beschluss widerspricht der Bestimmung des § 260 Abs 1 Z 5 StPO iVm § 369 Abs 1 StPO, wonach die Entscheidung über die geltend gemachten Entschädigungsansprüche mit dem Strafurteil zu erfolgen hat.

Die nachträgliche (beschlussmäßige) „Berichtigung" der (gemäß § 260 Abs 1 Z 3 StPO bei sonstiger Nichtigkeit im Urteilsspruch festzusetzenden) Unrechtsfolge liegt außerhalb des Rahmens des § 270 Abs 3 erster Satz StPO.

Nach § 271 Abs 7 StPO, worauf sich der Bezirksrichter in seinem Berichtigungsbeschluss stützt, kann das Verhandlungsprotokoll außer in Bezug auf Schreib- und Rechenfehler (über Antrag oder von Amts wegen) nur insoweit berichtigt werden, als erhebliche Umstände oder Vorgänge im Protokoll zu Unrecht nicht erwähnt oder unrichtig wiedergegeben wurden. Ein fehlerhafter, tatsächlich aber verkündeter Urteilsspruch ist daher von vornherein nicht Gegenstand einer Protokollberichtigung, weshalb es auch ohne Bedeutung ist, dass die Anhörungsrechte der Parteien (§ 271 Abs 7 vierter Satz StPO) nicht beachtet wurden.

Aber auch eine Urteilsberichtigung nach § 270 Abs 3 StPO kommt vorliegend nicht in Betracht, weil nach dieser Bestimmung nur Schreib- und Rechenfehler sowie solche Formgebrechen oder Auslassungen, die nicht die in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffen, berichtigt werden können. Der antragslos und darüber hinaus am hier nicht anwendbaren Kumulationsprinzip orientierte Ausspruch einer gesonderten Strafe zum Schuldspruch vom 17. August 2005 erweist sich als verfehlt und wirkt sich auch zum Nachteil des Angeklagten aus.

Eine weitere, Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO bewirkende Gesetzesverletzung unterlief dem Bezirksgericht bei der Festsetzung der Strafe für das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, weil es hiebei angesichts dessen, dass diese Tat vom Beschuldigten noch vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahres begangen wurde, die demnach anzuwendende Regelung des § 5 Z 5 JGG unberücksichtigt ließ. Danach wird das nach Tagessätzen bestimmte Höchstmaß von Geldstrafen auf die Hälfte herabgesetzt, weshalb für die Geldstrafe vorliegend im Hinblick auf die Strafdrohung des § 125 StGB (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis 360 Tagessätze) ein Strafrahmen bis zu 180 Tagessätzen heranzuziehen gewesen wäre.

Auch der (Teil-)Freispruch lässt Grundsätze der (hier infolge eines beschädigenden Angriffs gegen ein Objekt, nämlich das Haus des Ludwig S***** aktuellen) tatbestandlichen Handlungseinheit (Ratz in WK² Vor §§ 28-31, Rz 104) außer Acht. Da Tatobjekte des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB unter dem Begriff „einer" fremden Sache zusammengefasst werden, die Begriffe Schuld- und Freispruch sich jedoch auf je eine Tat im materiellen Sinn beziehen (dazu 13 Os 122/06z mwN), hätte in Hinblick auf einzelne Aspekte der Beschädigung kein Freispruch zu ergehen gehabt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 523). Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren daher festzustellen; soweit sie dem Beschuldigten zum Nachteil gereichen, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Feststellung zudem materielle Wirkung zu verleihen.

Bei der neben der Entscheidung über die geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüche demnach vorzunehmenden Strafneubemessung für das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB wird im Hinblick auf die im ersten Rechtsgang dafür ausgemessene Geldstrafe von fünfzig Tagessätzen das Verschlechterungsgebot zu beachten sein.

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