OGH 1Ob10/07p

OGH1Ob10/07p5.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** OEG, *****, vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen EUR 552.900 s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 5.000,--), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. Oktober 2006, GZ 5 R 142/06a-14, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Eine unrichtige, jedoch vertretbare Rechtsauffassung vermag selbst dann keinen Amtshaftungsanspruch zu begründen, wenn die Rechtsansicht von der höheren Instanz nicht gebilligt wird. Die Frage, ob eine Rechtsansicht als vertretbar angesehen werden kann, ist in jedem Einzelfall konkret zu prüfen. Im Allgemeinen ist daher die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, es läge eine krasse Fehlbeurteilung im angefochtenen Urteil vor (RIS-Justiz RS0049955). Es soll nicht jede Rechtsansicht oder Beweiswürdigung, die von der höheren Instanz nicht gebilligt wurde, schon als rechtswidrig und schuldhaft gelten; die Rechtsanwendung soll vielmehr lebendig erhalten und daher der Rechtsauslegung nicht allzu strenge Fesseln angelegt werden. Sind Gesetzesbestimmungen nicht vollkommen eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite ihres Wortlauts und steht zudem keine höchstgerichtliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe zur Verfügung, kommt es allein darauf an, ob bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände die getroffene Entscheidung als vertretbar bezeichnet werden kann (Schragel, AGH3 Rz 159). Ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder der ständigen Rechtsprechung des zuständigen Höchstgerichts, das nicht erkennen lässt, dass es auf einer sorgfältigen und damit auch sachlich begründeten Überlegung beruht, wird in der Regel als schuldhaft anzusehen sein, was einen Amtshaftungsanspruch zur Folge haben kann (SZ 52/56 uva).

2. Der hier zu beurteilende Fall hat in rechtlicher Hinsicht die Abgrenzung zwischen behebbaren und unbehebbaren Missständen im Sinne des § 29 Abs 4 des Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetzes 1991 zum Gegenstand.

Der Verwaltungsgerichtshof erachtete mit Erkenntnis vom 14. September 2004, Zl. 2001/11/0158-6 - auf welches sich die vorliegende Klage stützt - nur solche Missstände im Sinne der oben angeführten Gesetzesstelle als unbehebbar, die ihrer Art nach unbehebbar sind. Zutreffend hat schon das Erstgericht darauf hingewiesen, dass diese Auslegung nicht die einzig mögliche ist. So wird etwa im Gewährleistungsrecht nur jener Mangel als behebbar qualifiziert, der sich mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln beheben lässt. Der nur mit unverhältnismäßigem Aufwand beseitigbare Mangel gilt als unbehebbar, ebenso wenn der Veräußerer nicht beheben will (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 932 Rz 1).

Der mit dem oben genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs aufgehobene Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 3. April 2001, Zl 9-48.1-40/2001-109, betreffend Widerruf der Bewilligung zum Betrieb einer Trainingswohngruppe nach dem Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetz 1991, enthält sorgfältig und sachlich begründete Ausführungen darüber, weshalb die festgestellten gravierenden Mängel als unbehebbar angesehen werden. Diese Ausführungen sind insbesondere auf Grund der ständigen Kontakte zwischen der klägerischen Einrichtung und der Behörde, der letztlich nicht realisierten Verbesserungszusagen der Klägerin und der dem Bescheid unmittelbar vorangehenden Häufung von strafrechtlichen Vergehen der Bewohner der klägerischen Einrichtung in hohem Maße nachvollziehbar. Die festgestellten Missstände sind im Übrigen nicht nur im letzten Gutachen des zugezogenen Sachverständigen dokumentiert.

Es liegt daher eine zwar rechtswidrige, jedoch bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung der Behörde vor, sodass kein Verschulden im Sinne des § 1 Abs 1 AHG gegeben ist (vgl RIS-Justiz RS0050216).

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, sodass es am Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO mangelt, welche die Zulassung der außerordentlichen Revision rechtfertigen könnte. Die außerordentliche Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

3. Da der Oberste Gerichtshof dem Revisionsgegner die Beantwortung der von der Klägerin erhobenen außerordentlichen Revision nicht freigestellt hat, war die dennoch erstattete Revisionsbeantwortung gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig (RIS-Justiz RS0043690, RS0113633). Ein Kostenersatz hat demnach nicht stattzufinden.

Stichworte