OGH 3Ob92/07m

OGH3Ob92/07m23.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei R***** AG, ***** vertreten durch Leon . Schopf . Zenz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die verpflichtete Partei Christiane-Maria B*****, vertreten durch Dr. Michael Günther, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.927,28 EUR s.A., infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 13. Februar 2007, GZ 17 R 314/06g-37, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 25. August 2006, GZ 12 E 84/05d-32, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Verwertungsantrag der betreibenden Partei nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht hatte mit seinem Beschluss vom 10. Jänner 2005 der betreibenden Partei zur Hereinbringung einer Teilforderung aus dem vor dem BGHS Wien abgeschlossenen Vergleich vom 6. September 1994 die Pfändung a) des der Verpflichteten gegenüber einer Wohnungsgenossenschaft zustehenden Finanzierungsbeitrags, mit dem untrennbar das Nutzungsrecht an einer Wohnung verbunden ist und b) des Anspruchs der Verpflichteten auf dasjenige, was ihr im Fall der Beendigung des Nutzungsvertrags bei der Auseinandersetzung mit der Wohnungsgenossenschaft zukommt, bewilligt. Die Entscheidung über den Verwertungsantrag der betreibenden Partei, sie zu ermächtigen, mit Wirksamkeit für die Verpflichtete u.a. die Einleitung des Auseinandersetzungsverfahrens zu begehren und die Kündigung (des Nutzungsvertrags) vorzunehmen, wurde vorbehalten.

Die Verpflichtete wandte gegen den Verwertungsantrag ein, dass sie und ihr Ehegatte über keine Wohnmöglichkeit verfügten und die Genossenschaftswohnung zur Befriedigung ihres dringenden Wohnungsbedürfnisses benötigt werde.

Das Erstgericht bewilligte im zweiten Rechtsgang den Verwertungsantrag. Es stellte fest, dass die Verpflichtete die 53 m² große Genossenschaftswohnung aufgrund eines Nutzungsvertrags vom 16. März 2004 seit dem 1. Jänner 2004 als Hauptwohnsitz mit ihrem Gatten bewohne. Ein dringendes Wohnbedürfnis bestehe. Die von der betreibenden Partei geführte Fahrnis- und Forderungsexekution sei bisher erfolglos geblieben. Der Zahlungsanspruch der Verpflichteten nach § 17 WGG betrage 3.292,37 EUR.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht trotz des festgestellten Wohnbedürfnisses der Verpflichteten das Vorliegen eines Exekutionshindernisses iSd § 42 Abs 4 MRG (iVm § 20 WGG). Diese Bestimmung stelle wie bei der Verwertung einer Genossenschaftswohnung im Konkursverfahren kein grundsätzliches Exekutionshindernis dar. Hier gehe es nicht um die Verwertung des Nutzungsrechts (Mietrechts), sondern um den exekutiven Zugriff auf die sich aus der Beendigung ergebenden Ansprüche. Eine analoge Anwendung des § 42 Abs 4 MRG auf diesen Fall scheitere an verfassungsrechtlichen Bedenken, weil der Verpflichtete sein Vermögen nicht in einem wohnungsgenossenschaftlichen Miet- und Nutzungsverhältnis vor dem Zugriff der Gläubiger schützen dürfe. Eine unterschiedliche Behandlung von Eigentums- und Genossenschaftswohnungen sei sachlich nicht gerechtfertigt.

Das Rekursgericht wies den Verwertungsantrag der betreibenden Partei ab und stellte die Exekution gemäß § 39 Abs 1 Z 2 EO ein. Es habe bereits in seinem Aufhebungsbeschluss vom 25. August 2005 in Übereinstimmung mit der oberstgerichtlichen Rsp die Rechtsauffassung überbunden, dass für den Fall der Feststellung eines dringenden Wohnbedürfnisses der Verwertungsantrag abzuweisen sein werde. An diese Ansicht sei das Rekursgericht selbst gebunden. Die zweite Instanz sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur entscheidungswesentlichen Rechtsfrage der analogen Anwendung des § 42 Abs 4 MRG im vorliegenden Verwertungsverfahren widersprüchliche Meinungen im Schrifttum vertreten würden. Insbesondere werde auch die Auffassung vertreten, dass Verpflichtete aus verfassungsrechtlichen Gründen ihr Vermögen nicht durch Veranlagung in einer Genossenschaftswohnung gegenüber den Gläubigern „immunisieren" dürften. Eine oberstgerichtliche Rsp zu dieser Frage liege noch nicht vor.

Mit ihrem Revisionsrekurs beantragt die betreibende Partei die Abänderung dahin, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Verpflichtete beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig. Das Rechtsmittel ist auch iS einer Aufhebung zur Verfahrensergänzung berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

I. Die Genossenschaftswohnung als Exekutionsobjekt:

Die vermögenswerten Rechte des Genossenschafters, der eine Wohnung in Bestand genommen hat, bestehen nicht nur aus den Miet- und Nutzungsrechten an der Wohnung, sondern u.a. auch aus dem Anspruch auf Geldleistungen nach Auflösung des Genossenschaftsverhältnisses. Hier hätte die Verpflichtete gemäß § 17 Abs 1 WGG Anspruch auf Rückzahlung des von ihr geleisteten Finanzierungsbeitrags und das nach dem Nutzungsvertrag und der Satzung der Genossenschaft zu errechnende Geschäftsguthaben (vgl dazu ON 8). Gemäß § 56 GenG kann der Privatgläubiger eines Genossenschafters das Auseinandersetzungsguthaben in Exekution ziehen. Nach erfolgter Pfändung (§ 331 EO) kommt als Verwertungsart die Ermächtigung des betreibenden Gläubigers gemäß § 333 EO zur Kündigung als Voraussetzung dafür in Betracht, um dann auf die bei Beendigung des Bestandverhältnisses des verpflichteten Genossenschafters zustehende Geldleistungen im Wege der Forderungsexekution greifen zu können (3 Ob 174/03i = EvBl 2004/182 = RPflgE 2004/65; 3 Ob 99/04m; ausführlich Oberhammer, Vermögensrechte nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz als Exekutionsobjekt in der Zwangsvollstreckung gegen den Bestandnehmer, WoBl 1997, 249; Oberhammer in Angst, EO, § 331 Rz 37).

II. Zum Parteivorbringen in den Rechtsmittelschriften:

1. Die Revisionsrekurswerberin steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, dass der exekutive Zugriff auf das Auseinandersetzungsguthaben des Genossenschafters eine Grundlage in den Kündigungsbestimmungen des GenG (§ 56, 59 und 77) habe. Dort seien keine Exekutionsbeschränkungen normiert. Das zufolge § 20 WGG auch auf Nutzungsverträge nach dem WGG anwendbare Exekutionshindernis des § 42 Abs 4 MRG gelte nur für den Zugriff auf das Nutzungs- bzw. Mietrecht, nicht aber für die Verwertung des im Regelfall hohen Anspruchs auf Rückersatz des Finanzierungsbeitrags nach Kündigung. Wegen des Gleichheitsgrundsatzes dürfte dieser Vermögenswert den Gläubigern nicht entzogen werden. Eine Genossenschaftswohnung sei einer Eigentumswohnung gleichzuhalten und nicht einem „klassischen" Mietverhältnis. Zur Stützung dieser Ansichten beruft sich die Rechtsmittelwerberin auf zwei noch zu erläuternde Entscheidungen des 8. Senats des Obersten Gerichtshofs und die Entscheidung 13 R 56/01k des LG Eisenstadt, regt eine Entscheidung eines verstärkten Senats oder „bzw" ein Gesetzesprüfungsverfahren betreffend die Verweisungsbestimmung des § 20 WGG vor dem VfGH an.

2. Die Verpflichtete räumt selbst verfassungsrechtliche Bedenken ein, wenn bei mit erheblichem Kapitaleinsatz erworbenen Genossenschaftswohnungen ein Exekutionshindernis wegen eines dringenden Wohnbedarfs des Genossenschafters bejaht werde; hier betrage aber der für die betreibende Partei lukrierbare Finanzierungsbeitrag lediglich 3.294,24 EUR bei jetzt schon entstandenen Kosten der betreibenden Partei von 2.334,60 EUR. Unter Berücksichtigung der noch zu erwartenden weiteren Verfahrenskosten bei Fortsetzung der Exekution lägen die Voraussetzungen für eine amtswegige Einstellung des Verfahrens nach § 39 Abs 1 Z 8 EO vor.

Zu diesen Rechtsmittelvorbringen ist Folgendes auszuführen:

III. Zum Thema des dringenden Wohnbedarfs des Genossenschafters als Exekutionshindernis liegt noch keine einschlägige oberstgerichtliche Rsp vor, wohl aber zur verwandten Frage, ob dem MRG unterliegende unentbehrliche Wohnräume des Gemeinschuldners überhaupt in die Konkursmasse fallen. Im Schrifttum ist die Anwendbarkeit des § 42 Abs 4 MRG auf die exekutive Verwertung des Auseinandersetzungsguthabens strittig:

1. In der E 8 Ob 120/03k = SZ 2004/29 = EvBl 2004/152 war über die Frage zu entscheiden, ob das von der Gemeinschuldnerin bewohnte Genossenschaftsreihenhaus, für das ein Finanzierungsbeitrag von 29.830,85 EUR und monatlich für Miete und Betriebskosten 460,16 EUR zu bezahlen waren, vom Masseverwalter zu verwerten oder der Gemeinschuldnerin gemäß § 5 Abs 4 KO zur freien Verfügung zu überlassen sei. In seinem Aufhebungsbeschluss führte der Oberste Gerichtshof aus, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs 4 KO (Unentbehrlichkeit des Wohnraums) der Gemeinschuldner „ebenso wie nach dem für den Bereich des Konkursverfahrens in engem Zusammenhang zu sehenden § 42 Abs 4 MRG einen Rechtsanspruch auf die Freigabe" habe. An die Unentbehrlichkeit sei ein strenger Maßstab anzulegen. Unter Gleichheitsgesichtspunkten wäre es nicht zu rechtfertigen, wenn durch die Rechtsform eines Bestandvertrags im Gegensatz zur Rechtslage bei Häusern oder Eigentumswohnungen erhebliche wirtschaftliche Werte dem Zugriff der Gläubiger auf Dauer entzogen werden könnten. Daher erfasse § 5 Abs 4 KO nicht den Fall, dass durch die Beendigung des entsprechenden Rechtsverhältnisses maßgebliche Beträge frei werden. Die rechtspolitische Rechtfertigung für § 5 Abs 4 KO und § 42 Abs 4 MRG liege darin, dass bei den möglichen Verwertungsformen der zu erzielende Ertrag typischerweise eher gering sei. Dies rechtfertige bei jenen Bestandverträgen, auf die das nicht zutreffe, die Interessenabwägung zugunsten des Masseverwalters ausfallen zu lassen. Sollte tatsächlich ein bedeutender Ablösewert der Masse zufließen, könne der Masseverwalter den Bestandvertrag aufkündigen und auf diese Weise den Finanzierungsbeitrag gemäß § 17 WGG für die Masse lukrieren. Der Gemeinschuldner habe aber nur Anspruch auf „bescheidene" Wohnräume (vgl. § 5 Abs 1 KO). Die allfälligen bei der Beschaffung einer Ersatzwohnung entstehenden Kosten für den Mietvertragsabschluss und die Übersiedlung müsse der Masseverwalter tragen.

2. Mit dieser Entscheidung folgte der 8. Senat seiner Vorentscheidung 8 Ob 136/03p = EvBl 2004/111 = MietSlg 56/5 = WoBl 2005, 59, in der darüber zu entscheiden war, ob der Masseverwalter im Schuldenregulierungsverfahren den Aufwandsersatzanspruch nach § 16 Kleingartengesetz (KlGG) von 90.000 EUR für die Masse trotz des Einwands der Gemeinschuldnerin über einen dringenden Wohnbedarf an dem 50 m² großen Kleingartenhaus lukrieren dürfe. Der Senat bejahte iSd Vorjudikatur (8 Ob 163/99z = SZ 72/212 mwN), dass auch unentbehrliche Wohnräume iSd § 42 Abs 4 MRG in die Konkursmasse fielen (also gemäß § 1 Abs 1 KO der Exekution unterworfenes Vermögen seien), dem Gemeinschuldner müsse aber nach dem in § 5 KO statuierten Grundprinzip „das Notwendigste zum Leben und Wohnen" überlassen werden. Der Masseverwalter müsse eine der Gemeinschuldnerin zumutbare alternative Wohnmöglichkeit („Kleinwohnung") bieten. Unter „Gleichheitsgesichtspunkten" dürften aber („wie der Blick auf die Zwangsvollstreckung zeigt") erhebliche wirtschaftliche Werte dem Zugriff der Gläubiger auf Dauer nicht entzogen werden.

3. In der von der Revisionsrekurswerberin zitierten Entscheidung des Landesgerichts Eisenstadt, AZ 13 R 56/01k, wurde ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 42 Abs 4 MRG lediglich dem exekutiven Zugriff auf das Nutzungs- bzw. Mietrecht (durch Eintritt eines Dritten in das Bestandverhältnis), nicht aber der Verwertung der Rechte nach Beendigung des Bestandverhältnisses durch Kündigung des dazu zu ermächtigenden Gläubigers entgegenstehe. Diese Entscheidung wurde mit den im Schrifttum angestellten Überlegungen begründet.

4. Oberhammer vertritt in seinem schon zitierten, in WoBl 1997, 249 veröffentlichten Aufsatz die Ansicht, dass die EO für die Verwertung des Nutzungsrechts (Bestandrechts) im § 334 EO die Zwangsverwaltung durch Untervermietung oder Zwangsuntervermietung vorsehe, eine Verwertung durch Überweisung des Bestandrechts zur Ausübung durch den Gläubiger sei unzulässig. Der Gläubiger könne aber nach der „Auffangbestimmung" des § 333 EO nach Ausübung des Gestaltungsrechts der Kündigung auf den Anspruch des Verpflichteten nach § 17 WGG Exekution führen. Wenn eine Verwertung dieses genossenschaftlichen Rechts in dieser Weise nicht möglich (zulässig) wäre, könnten Verpflichtete ihr Vermögen in genossenschaftlichen Nutzungsverhältnissen „exekutionsfest verstecken" (etwa durch Verkauf der Eigentumswohnung und nachfolgender Anschaffung einer Genossenschaftswohnung). Dem Schuldnerschutz gegenüber einer nach den §§ 331, 333 EO geführten Exekution auf das Auseinandersetzungsguthaben diene die analoge Anwendung des § 42 Abs 4 MRG.

5. Frauenberger (in Deixler/Hübner, EO, § 331 Rz 22) folgt offenkundig der Auffassung Oberhammers und hält bei der Exekution auf Bestandrechte nach dem WGG neben den für alle Miet- und Pachtrechte allein zulässigen Verwertungsarten durch Zwangsverwaltung oder Zwangsuntervermietung die Verwertung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben gemäß § 333 EO für zulässig. Es gelte aber auch die Exekutionsbeschränkung des § 42 Abs 4 MRG.

6. Mit der Thematik am ausführlichsten befasste sich G. Kodek, Die Genossenschaftswohnung in Exekution und Konkurs, WoBl 2005, 34, insbesondere mit den beiden zitierten Vorentscheidungen des 8. Senats. G. Kodek gelangt zum Ergebnis, dass Genossenschaftswohnungen, deren Erwerb mit erheblichem Kapitaleinsatz verbunden war, ungeachtet des Umstands, ob sie zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses dienen, in Konkurs- und Exekutionsverfahren verwertbar sind. Er begründet dies im Wesentlichen und zusammengefasst wie folgt:

Der infolge der Verweisung des § 20 Abs 1 WGG auch für Genossenschaftswohnungen geltende § 42 Abs 4 MRG sei auf den exekutiven Zugriff auf sich aus der Beendigung des Genossenschaftsverhältnisses ergebende Ansprüche nicht unmittelbar anzuwenden. In den Gesetzesmaterialien (325 BlgNR 3. GP 18 f) zur Einführung der inhaltlich gleichen Vorgängerbestimmung (§ 42 MG) sei auf den schon in § 105 EO (Zwangsverwaltung) und § 5 Abs 3 KO dargelegten Grundsatz verwiesen worden, dass dem Verpflichteten jedenfalls die unentbehrlichen Wohnräume zu belassen seien. Bei Häusern und Eigentumswohnungen bestehe jedoch die Möglichkeit, exekutiv auf die Substanz der Liegenschaft ohne Rücksicht auf soziale Erwägungen zu greifen. Sowohl im Konkurs als auch in der Zwangsverwaltung genieße der Schuldner nur jeweils für die Dauer des Verfahrens bis zur endgültigen Verwertung den Schutz vor Verlust des Wohnraums. Ein genereller Schutz nur der Miet- und Genossenschaftswohnung, nicht aber etwa auch der Eigentumswohnung wäre nicht zuletzt unter dem Gleichheitsgrundsatz bedenklich. Ein Schuldner dürfe nicht durch Anschaffung einer Genossenschaftswohnung sein Vermögen gegenüber dem Zugriff der Gläubiger auf Dauer „immunisieren". Der Fall, dass durch die Beendigung des entsprechenden Rechtsverhältnisses maßgebliche Beträge frei werden, sei von § 42 Abs 4 MRG nicht erfasst.

An den zitierten Entscheidungen des 8. Senats (8 Ob 120/03k und 8 Ob 136/03p), in denen die Verwertungsmöglichkeit der Genossenschaftswohnung (bzw. des vergleichbaren Kleingartenhauses) durch den Masseverwalter bejaht wurde, kritisiert G. Kodek nur den Begründungsteil zur Ersatzpflicht des Masseverwalters für die Kosten der Anschaffung einer Ersatzwohnung. Eine solche sei nur aus § 5 Abs 2 KO ableitbar. Das Existenzminimum des Gemeinschuldners diene auch der Finanzierung der Wohnung, aber nur der laufenden Kosten. Wenn der Gemeinschuldner nicht aus seinem pfändungsfreien Einkommen die Anschaffungskosten einer Ersatzwohnung bestreiten könne, müsse dies die Konkursmasse finanzieren. Der Gemeinschuldner müsse sich aber einschränken und gegebenenfalls in eine billigere Wohnung übersiedeln (G.Kodek aaO 39 FN 52). Schließlich verweist der Autor noch auf die Unterschiede zwischen den Fällen im Konkurs (Generalexekution) und der Einzelexekution. Im Konkurs sei der Schuldner zahlungsunfähig, in der Einzelexekution könne der Verpflichtete die Übersiedlungskosten (theoretisch) aus seinem sonstigen Einkommen oder Vermögen tragen. Für eine Ersatzpflicht des betreibenden Gläubigers bestehe keine § 5 KO vergleichbare Grundlage.

IV. Zum referierten Meinungsstand in der Rsp und im Schrifttum ist Folgendes auszuführen:

1. Die zu Fällen im Konkursverfahren ergangenen Entscheidungen des 8. Senats sind zwar wegen der Unterschiede zwischen der Generalexekution und der Einzelexekution nicht einschlägig, der sozialpolitische Zweck des § 5 Abs 4 KO ist aber mit dem Gesetzeszweck des § 42 Abs 4 MRG durchaus vergleichbar bzw. identisch. Da wie dort soll der Schuldner den unentbehrlichen Wohnraum behalten, auch wenn dies zu Lasten der Gläubiger geht.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmung des § 42 Abs 4 MRG in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich bestehen nicht. Nach dieser Bestimmung wird Vermögen des Schuldners (des Mieters) auf Dauer den Gläubigern entzogen, solange der unbedingte Wohnbedarf weiter besteht. Im unmittelbaren Anwendungsbereich, also soweit es um die Mietrechte des Schuldners geht, gilt dies auch für Genossenschaftswohnungen. Wenn daher G. Kodek zur Stützung seiner Meinung gegen eine analoge Anwendung des § 42 Abs 4 MRG auf den hier zu beurteilenden Fall der Verwertung des Auseinandersetzungsguthabens des Schuldners nach Kündigung des Rechtsverhältnisses unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Norm das Argument der Dauer ins Treffen führt (weil sowohl § 5 KO als auch § 105 EO dem Schuldner den Wohnraum nur für die Dauer des Verfahrens überlassen), liegt darin allein noch kein ausreichendes Argument gegen eine im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke, weil bei vermögenswerten Objekten, die dem MRG unterliegen, eine dauerhafte Entziehung vor den Gläubigern normiert ist, der Gläubiger also das Genossenschaftsverhältnis nicht beenden kann, ihm also nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, das Mietrecht durch Kündigung zur Beendigung zu bringen und die Mietrechte zu verkaufen oder selbst in den Mietvertrag einzutreten. Gegen die von Oberhammer bejahte und von

G. Kodek verneinte Analogie im Verwertungsverfahren betreffend eine Genossenschaftswohnung müssten daher andere Argumente gefunden werden.

3. Zu diesem Thema gehören zweifellos auch die von der Revisionsrekurswerberin relevierten und von Oberhammer und G. Kodek angesprochenen Fragen unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes. An folgenden Extrembeispielen sind die gesetzgeberische Absicht, der objektive Gesetzeszweck und die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit zu prüfen:

Soll ein Schuldner weiter über die Genossenschaftswohnung frei verfügen dürfen und so das möglicherweise hohe Auseinandersetzungsguthaben im Fall der Kündigung den Gläubigern auf Dauer entziehen können, obwohl der Schuldner sich jederzeit eine Ersatzwohnung beschaffen könnte? Soll andererseits ein Schuldner, der im Fall der Kündigung des Genossenschaftsverhältnisses nur Anspruch auf einen geringfügigen Finanzierungsbeitrag bzw. wie hier auf ein geringes Geschäftsguthaben hat, keinen Anspruch auf geschützten Wohnraum haben, obwohl seine wirtschaftliche Stellung über die eines Mieters nicht hinausgeht? Bei letzterem Sachverhalt versagt jedenfalls in hohem Maß das Argument der Gleichstellung der Genossenschaftswohnung mit einer Eigentumswohnung wegen der völlig unterschiedlichen Höhe der Vermögenswerte.

V. 1. Das Gesamtrechtsverhältnis des Genossenschafters zu seiner Wohnungsgenossenschaft ist ein Dauerschuldverhältnis eigener Art mit mietrechtlichen und kaufrechtlichen Elementen, wie dies beispielsweise auch auf Leasingverträge zutrifft (zu diesen Binder in Schwimann³, § 1090 ABGB Rz 71 ff). Am Beginn des Rechtsverhältnisses überwiegen - jedenfalls wenn nur ein geringer Finanzierungsbeitrag zu zahlen ist - die mietrechtlichen Elemente, später - wenn schon ein gewisses Vermögen „angespart" ist - die kaufvertraglichen. Da der genossenschaftsrechtliche Nutzungsvertrag weitgehend frei gestaltet werden kann und sich während seiner Laufzeit das Gewicht der einzelnen Vertragselemente verschiebt, kann das Rechtsverhältnis in der Frage des Exekutionshindernisses nicht eindeutig qualifiziert werden. Der Gesetzgeber selbst hat jedoch für Genossenschaftswohnungen durch die Verweisungsbestimmung des § 20 WGG eine Wertung in Richtung Mietrecht vorgenommen, die annehmen lässt, dass er den möglichen Zugriff des Gläubigers im Wege der Pfändung des Gestaltungsrechts der Kündigung und der Verwertung des Anspruchs auf das Auseinandersetzungsguthaben nicht bedacht hat. Im Bereich des Mietrechts besteht der Gesetzeszweck im sozialen Anliegen, Schuldner nicht obdachlos werden zu lassen. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn Gläubiger über eine Kündigung im Exekutionsweg das Rechtsverhältnis beenden können. Grundsätzlich ist also § 42 Abs 4 MRG im Verwertungsverfahren nach § 333 EO im Wege einer Rechtsanalogie anzuwenden. Wenn nämlich G. Kodek durchaus zutreffend gegen den generellen Schutz des Schuldners, der Nutzungsberechtigter einer Genossenschaftswohnung ist, mit verfassungsrechtlichen Bedenken und mit dem Vergleich zu einem Schuldner, der Wohnungseigentümer ist, argumentiert, sind aus denselben Gründen Bedenken angebracht, wenn bei einer Genossenschaftswohnung, bei der noch kein oder jedenfalls nur ein geringes Auseinandersetzungsguthaben (Geschäftsguthaben) besteht, der Schutz des Wohnbedürfnisses generell verweigert wird.

2. Verfassungsrechtlichen Bedenken ist die gebotene restriktive Auslegung des Exekutionshindernisses (§ 42 Abs 4 MRG) entgegenzuhalten:

Wenn die Gesetzesauslegung zur Folge hat, dass ein Genossenschafter einer luxuriösen, großen Genossenschaftswohnung (bei einem bereits bestehenden hohen Geschäftsguthaben) für den Fall der Kündigung des Rechtsverhältnisses aus dem Grund eines dringenden Wohnbedürfnisses die Genossenschaftswohnung nicht behalten darf und sich mit einer kleinen Ersatzwohnung begnügen muss, wäre die danach immer noch gegebene soziale Besserstellung gegenüber einem Wohnungseigentümer, der keinen Schutz seines Wohnbedürfnisses genießt, nicht so gravierend, dass von einer unsachlichen Differenzierung gesprochen werden müsste. Die Exekutionsfreiheit von Miet- und Nutzungsrechten an Genossenschaftswohnungen und der sich aus der Auflösung des genossenschaftsrechtlichen Vertragsverhältnisses sich ergebenden Ansprüche des Schuldners hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist die Auslegung des vom Gesetzgeber ohnehin sehr eng formulierten Exekutionshindernisses, dass nämlich der Schuldner Exekutionsschutz nur für „unentbehrliche" Wohnräume (§ 42 Abs 4 MRG) bzw. „unentbehrliche" Miet- und sonstige Nutzungsrechte an Wohnungen (§ 5 Abs 4 KO) genießt:

Dazu ist zu den Erwägungen in den Entscheidungen des 8. Senats zurückzukehren, die für den dort zu entscheidenden Extremfall, dass schon ein überaus beträchtlicher Finanzierungsbeitrag des Gemeinschuldners vom Masseverwalter verwertet werden könnte, die Meinung G. Kodeks (aaO und ferner G. Kodek, Privatkonkurs, Rz 216 und 217) vertreten, dass der Begriff „Unentbehrlichkeit" iS einer Mindestabsicherung zu verstehen ist, dass darunter aber nicht Wohnräume fielen, hinter denen erheblicher Kapitaleinsatz steht. Diese im Zusammenhang mit § 5 Abs 2 KO zu lesende Wertung des Begriffs „unentbehrlich" bedeutet aber auch, dass der Schuldner grundsätzlich in eine billigere Wohnung übersiedeln muss. Wenn diese Möglichkeit besteht, ist die Genossenschaftswohnung nicht unentbehrlich.

3. Ob der Schuldner imstande ist, sich eine Ersatzwohnung zu beschaffen, hängt in der Einzelexekution von seinen Einkommensverhältnissen und seinem übrigen Vermögen ab. Dies ist der wesentliche Unterschied zur Generalexekution des Konkurses, in dem das gesamte der Exekution unterworfene Vermögen - also auch die Genossenschaftswohnung - der freien Verfügung des Gemeinschuldners entzogen ist. Ein Zahlungsunfähiger verfügt nur über das pfändungsfreie Existenzminimum. Damit kann er iSd zitierten Ansichten zwar die laufenden Wohnungskosten tragen, nicht aber die Kosten der Anschaffung einer Ersatzwohnung (übliche Mietkautionen, Vertragskosten, Verwaltungsgebühren) und der Übersiedlung. Wenn ihm diese Kosten vom Masseverwalter ersetzt werden, ist die zu verwertende bisherige Wohnung für den Gemeinschuldner nicht mehr unentbehrlich.

4. In der Einzelexekution muss der Verpflichtete den ihm obliegenden Beweis antreten und erbringen, dass er über kein Vermögen und kein über das Existenzminimum hinausgehendes frei verfügbares Einkommen verfügt (de facto also ebenfalls zahlungsunfähig ist). Nur dann ist die Genossenschaftswohnung gleichermaßen unentbehrlich. Eine Pflicht des betreibenden Gläubigers zur Tragung der Anschaffungskosten für eine neue Wohnung und die Kosten der Übersiedlung besteht mangels einer § 5 KO vergleichbaren Bestimmung nicht, der betreibende Gläubiger könnte aber auch hier dem Verpflichteten rechtsverbindlich eine Kostentragung anbieten, womit dieser in die Lage versetzt wird, eine Ersatzwohnung zu nehmen, wodurch - wie ausgeführt - die Unentbehrlichkeit der Genossenschaftswohnung wegfiele. Nur dann, wenn der Gläubiger dazu nicht bereit ist, könnte sich der Schuldner im Exekutionsverfahren wirksam auf das Exekutionshindernis infolge dringenden Wohnbedarfs berufen. Es hätte dann der betreibende Gläubiger sich selbst zuzuschreiben, nicht auf das Auseinandersetzungsguthaben greifen zu können.

5. Die Rechtsmeinung, der Einwand unentbehrlichen Wohnraums sei im Verwertungsverfahren auf das Auseinandersetzungsguthaben des Genossenschafters jedenfalls dann unzulässig, wenn schon ein erhebliches Guthaben (angespartes Kapital) existiert, führte - abgesehen von den rechtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten - in den Fällen zu unbilligen Ergebnissen, wenn der Schuldner nach Überweisung des Guthabens an den betreibenden Gläubiger über kein frei verfügbares Einkommen oder Vermögen verfügt und sich deswegen keine Ersatzwohnung verschaffen kann. Dem Einwand, dies sei bei einer versteigerten Eigentumswohnung auch der Fall, sind nicht nur die schon angesprochenen mietrechtlichen Elemente des Genossenschaftsvertrags entgegenzuhalten, sondern auch die Erwägung, dass schon eine restriktive Auslegung des Begriffs „unentbehrlicher Wohnraum" ausreicht, die Gläubigerinteressen verfassungskonform zu wahren. Die Ersatzwohnung muss im Interesse der Gläubiger keineswegs den Standard der Genossenschaftswohnung erreichen. Die Zumutbarkeitsgrenze ist auch in der Einzelexekution am Gedanken des § 5 Abs 2 KO zu messen („bescheidene Lebensführung").

VI. Der Senat gelangt aus den dargelegten Gründen zu folgendem Rechtssatz:

Beim exekutiven Zugriff auf eine Genossenschaftswohnung kann der Privatgläubiger des Genossenschafters der Wohnungsgenossenschaft dessen Bestandrecht pfänden und sich zur Ausübung der Kündigung des Rechtsverhältnisses gemäß § 333 EO ermächtigen lassen, um dann im Wege der Forderungsexekution auf das Auseinandersetzungsguthaben des Genossenschafters greifen zu können (RIS-Justiz RS0118768). Gegen den auf die Ermächtigung zur Kündigung des Genossenschaftsverhältnisses gerichteten Verwertungsantrag der betreibenden Partei kann der Verpflichtete allerdings auch in diesem Fall das Vorliegen eines Exekutionshindernisses (§ 42 Abs 4 MRG iVm § 20 WGG analog) einwenden, die Genossenschaftswohnung sei unentbehrlicher Wohnraum. Dieser Einwand ist aber nur dann berechtigt, wenn der Verpflichtete behauptet und nachweist, dass ihm die erforderlichen Mittel für die Anschaffung einer zumutbaren Ersatzwohnung und für die Übersiedlung fehlen. Die zumutbare Ersatzwohnung muss nicht dem Standard der Genossenschaftswohnung entsprechen, sondern nur bescheidenen Ansprüchen gerecht werden.

VII. Zur Vermeidung einer unzulässigen „Überraschungsentscheidung" (dazu SZ 70/199; RIS-Justiz RS0037300) ist die Entscheidung über den vorliegenden Verwertungsantrag noch nicht spruchreif. Den Parteien kann ein fehlendes Vorbringen zu den hier vom Obersten Gerichtshof erstmalig dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht angelastet werden. Den Parteien wird Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen zu geben sein. Im fortgesetzten Verfahren wird auch auf das Vorbringen in der Revisionsrekursbeantwortung zum Vorliegen der Voraussetzungen einer amtswegigen Verfahrenseinstellung gemäß § 39 Abs 1 Z 8 EO Bedacht zu nehmen sein.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO.

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