OGH 10ObS186/06k

OGH10ObS186/06k11.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tierarzt Andreas Krösen (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Manuela Z*****, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Herbert Fink, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. September 2006, GZ 23 Rs 61/06a-89, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. März 2006, GZ 44 Cgs 123/01x-85, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 24. 3. 1973 geborene Klägerin hat den Beruf einer Einzelhandelskauffrau erlernt und war als Verkäuferin im Lebensmittelhandel berufstätig.

Der Klägerin sind ganztägig leichte und mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen bzw im unregelmäßigen Wechsel dieser Körperhaltungen möglich. Sie kann bei Schutz vor Kälte und Nässe im Freien sowie in Innenräumen arbeiten. Wegen der bei ihr wiederkehrenden Gastritis soll die Möglichkeit zu einem warmen Mittagessen bestehen. Zu vermeiden sind das Heben und Tragen schwerer Lasten, ständiges Treppensteigen, ständige bückende Tätigkeiten sowie Nachtschichtarbeiten.

Verkäuferinnen bzw Einzelhandelskauffrauen werden in einer dreijährigen Lehrzeit nach dem Berufsausbildungsgesetz ausgebildet, wobei vielfach im Verkauf ungelernte Arbeitnehmer angelernt und eingesetzt werden. Die Anlernzeit für derartige ungelernte Arbeitskräfte beträgt je nach Einsatzbereich zwischen mehreren Wochen bis zu sechs Monaten.

Die Aufgaben der Einzelhandelskauffrau umfassen hauptsächlich die Präsentation und den Verkauf von Produkten, Waren und Dienstleistungen des einzelnen Fachbereiches. Zusätzlich haben Einzelhandelskauffrauen die Kunden über Eigenschaften, Nutzen, Funktion, Pflege sowie An- und Verwendung der Produkte zu beraten. In den Aufgabenbereich der Einzelhandelskauffrau fällt auch das Kassieren und Abrechnen, das Zusammenstellen der Warensortimente und die Warennachbestellung. Einzelhandelskauffrauen haben zudem die sorgfältige Lagerung der Waren zu überprüfen und durchzuführen. Sie wirken auch bei Werbe- und Marketingmaßnahmen mit und führen Verkaufsförderungsmaßnahmen durch. Teilweise gehört zu ihrem Aufgabenbereich auch die Preiskalkulation, die Kostenberechnung sowie das Führen von statistischen Aufzeichnungen.

Die Tätigkeit der Einzelhandelskauffrau erfolgt in temperierbaren Räumen, überwiegend im Stehen und Gehen, wobei bei Verwaltungsarbeiten und beim Kassieren auch im Sitzen gearbeitet wird. Im Verkauf sind Zwangshaltungen wie Bücken, Hocken, Knien und Überkopfarbeiten beim Sortieren und bei der Warenausgabe erforderlich. Mit der Tätigkeit einer Einzelhandelskauffrau ist eine leichte und zeitweise mittelschwere bis schwere muskuläre Beanspruchung durch die Erbringung von Hebe- und Tragearbeiten verbunden. Zeitweise ist das Arbeiten auf Leitern notwendig, um Waren zu lagern, zu sortieren und herauszugeben. Mit einem durchschnittlichen Hör- und Sehvermögen wird das Auslangen gefunden. Kontaktfähigkeit, mündliches Ausdrucksvermögen, gute Umgangsformen und sicheres Auftreten sind für die Erfüllung der Berufsaufgaben notwendig. Bei starker Kundenfrequenz kann ein forciertes Arbeitstempo notwendig sein, um Warteschlangen rasch zu verkürzen und Sortierarbeiten schnell beenden zu können. Die Einhaltung eines forcierten Arbeitstempos ist dabei erforderlich, um für die Beratung und Bedienung der Kunden wieder frei zu sein. An Tagen mit starker Kundenfrequenz ist durchschnittlich mit einem forcierten Arbeitstempo bis zu einem Drittel der täglichen Arbeitszeit zu rechnen. Bei der Tätigkeit als Einzelhandelskauffrau, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel, können schwere Hebe- und Trageleistungen nicht ausgeschlossen werden.

Aufgrund der insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel nicht auszuschließenden schweren Hebe- und Tragebelastungen ist der Klägerin die Ausübung einer Verkäuferinnentätigkeit im Lebensmitteleinzelhandel nicht mehr möglich. Mit ihrem Leistungskalkül vereinbar sind die Tätigkeiten einer Kassierin oder einer Informationsangestellten im Verkauf.

Die Tätigkeit einer Kassierin stellt ebenso wie die einer Informationsangestellten im Verkauf eine Teiltätigkeit des Verkaufs dar. So wie die Tätigkeit einer Kassierin eine an sich leichte körperliche Tätigkeit darstellt, die einen Körperhaltungswechsel zwischen Stehen und Gehen ermöglicht, stellt auch die Tätigkeit einer Informationsangestellten eine körperlich leichte Tätigkeit dar; das Heben von mittelschweren oder schweren Lasten ist nicht notwendig. Allerdings ist zeitweise besonderer bzw überdurchschnittlicher Zeitdruck zu bewältigen. Österreichweit existieren mehr als 100 Arbeitsstellen, bei denen von Kassierinnen keine Regalbetreuung verlangt wird und damit auch keine schweren Lasten zu manipulieren sind und bei denen auch die Möglichkeit der Einnahme eines warmen Mittagessens besteht. Ebenso bestehen mehr als 100 Arbeitsstellen für Informationsangestellte im Verkauf.

Bei der Tätigkeit einer Verkäuferin als Kassierin im Handel sind neben dem Kassiervorgang auch die einschlägigen Kenntnisse einer Verkäuferin über das Warensortiment erforderlich. Zudem werden Sichtkontrollen hinsichtlich der Beschädigung von Produkten oder Verpackungen durchgeführt, sodass als wesentliche Elemente aus dem Berufsbild der Verkäuferin die Kenntnisse einer Verkäuferin über Warensortimentlagerung und Preisgestaltung inklusive Sonderaktionen und Preisnachlässe vonnöten sind. Die Kassierin ist auch verantwortlich dafür, dass die Kassa stimmt, weshalb sie in der Lage sein muss, einen Kassasturz durchzuführen. Im Verhältnis zur Gesamttätigkeit stellt zB die Tätigkeit der Kassierin betreffend die Erkennung von Fehlverpackungen bzw Ablaufdaten eine Tätigkeit von unter 10 % dar. Auch für eine ungelernte Mitarbeiterin als Kassierin ist von einer Einschulungszeit von ein bis sechs Monaten auszugehen. Die Aufgabenbereiche Präsentation und Verkauf von Produkten, Waren und Dienstleistungen des einzelnen Fachbereiches werden hier nicht verlangt; auch das Fachwissen eines Fachberaters ist nicht erforderlich. Ebenso wenig fällt in den Aufgabenbereich der Kassierin die Warennachbestellung sowie die Überprüfung der sorgfältigen Warenlagerung. In Ausnahmefällen ist es allerdings notwendig, bei Werbe- und Marketingmaßnahmen mit Verkaufsförderungsmaßnahmen mitzuwirken, während Preiskalkulation und Kostenrechnung sowie die Führung von statistischen Aufzeichnungen nicht zum Aufgabenbereich der Kassierin zählen.

Informationsangestellte im Verkauf müssen das Warensortiment kennen und den Kunden den Platz nennen, an welchem das Produkt zu finden ist; sie führen in einzelnen Warenbereichen Kundenberatungen durch, rufen Mitarbeiter für Produktberatungen aus, kopieren zB Produktbeschreibungen, wickeln Reklamationen und Warenrückgaben ab und werden teilweise auch als Kassiere eingesetzt. Dementsprechend sind die qualifizierten beruflichen Kenntnisse einer Verkäuferin über Warensortiment und Lagerung notwendig; außerdem wird auch die Teiltätigkeit des Kassierens ausgeführt. Auch in dieser Sparte werden sowohl ungelernte als auch gelernte und einzuschulende Mitarbeiter aufgenommen, wobei die Einschulung zwischen ein und sechs Monaten dauert. Körperlich müssen weder mittelschwere noch schwere Tätigkeiten verrichtet werden.

Mit Bescheid vom 29. 3. 2001 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag der Klägerin vom 5. 7. 2000 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage auch im zweiten Rechtsgang ab (zum ersten Rechtsgang siehe die Entscheidung 10 ObS 56/05s vom 9. 8. 2005).

Unter Berücksichtigung der zuletzt ausgeübten Verkäuferinnentätigkeit sei es der Klägerin zumutbar, als Kassierin im Einzelhandel oder als Informationsangestellte im Verkauf zu arbeiten. Dabei handle es sich um Verweisungstätigkeiten, welche sowohl von der Ausbildung als auch von den für die Ausbildung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten her betrachtet mit der Tätigkeit einer Einzelhandelsverkäuferin vergleichbar und dementsprechend der gleichen Berufsgruppe zuzuordnen seien. Sowohl als Kassierin als auch als Informationsangestellte könne die Klägerin unter den auf dem Arbeitsmarkt herrschenden Verhältnissen das von ihr erworbene qualifizierte berufliche Wissen verwerten. Da die berufsschutzerhaltenden Tätigkeiten insgesamt in nicht nur untergeordneter Funktion einzusetzen seien, sei die Klägerin nicht berufsunfähig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und führte zur Rechtsrüge aus, dass die Tätigkeit einer Kassierin oder Informationsangestellten im Verkauf eine Teiltätigkeit des Verkaufs darstelle. Wenngleich bei einer Kassierin die eigentliche Kassiertätigkeit, nämlich das Eintippen bzw Einscannen an der Kassa den weit überwiegenden Teil der Tätigkeit einer Kassierin ausmache, erfordere die Tätigkeit einer Kassierin darüber hinaus auch weitere einschlägige Kenntnisse einer Verkäuferin über das Warensortiment; zudem habe sie Sichtkontrollen hinsichtlich der Beschädigung von Produkten oder Verpackungen durchzuführen, was der Kontrolle einer Einzelhandelskauffrau im Lager und bei der Durchsicht der Waren in Regalen, Kühltheken usw entspreche. Wie der Beruf einer Einzelhandelskauffrau erfordere auch der Beruf der Kassierin darüber hinaus Kenntnisse über die Preisgestaltung inklusive Sonderaktionen und Preisnachlässe. Auch die Tätigkeit einer Informationsangestellten im Verkauf umfasse qualifizierte berufliche Kenntnisse eines Verkäufers über Warensortiment und Lagerung wie auch die Teiltätigkeit des Kassierens. Das Berufungsgericht trete daher der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, dass es sich bei den in Frage kommenden Verweisungsberufen einer Kassierin oder Informationsangestellten im Verkauf nicht bloß um untergeordnete Hilfstätigkeiten, sondern um berufsschutzerhaltende Teiltätigkeiten des von der Klägerin erlernten Berufs einer Einzelhandelsverkäuferin handle, weshalb eine Verweisung auf diese Tätigkeiten möglich und der Klägerin zumutbar sei.

Die Revision sei nicht zulässig, da sich das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung an den vom Obersten Gerichtshof im Aufhebungsbeschluss vom 9. 8. 2005, 10 ObS 56/05s, angeführten Grundsätzen orientiert habe, sodass eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, da eine Klärung geboten ist, ob die in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten derselben Berufsgruppe angehören wie die von der Klägerin erlernte und zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Einzelhandelskauffrau. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in dem im ersten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss 10 ObS 56/05s (DRdA 2006, 54 = infas 2006, S 5 = ARD 5659/10/2006) ausgeführt, dass ein Versicherter nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, durch deren Ausübung er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde (10 ObS 111/91 = SZ 64/44 = SSV-NF 5/45 mwN; 10 ObS 79/01t = ARD 277/8/2002 uva; RIS-Justiz RS0083742, RS0084837). Verlangen nämlich die möglichen Verweisungstätigkeiten keine ähnliche Ausbildung und keine gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, seien sie schon nicht derselben Berufsgruppe zuzurechnen. Wie sich aus den im zweiten Rechtsgang ergänzten Feststellungen ergibt, ist jedenfalls die Tätigkeit einer Informationsangestellten im Verkauf derselben Berufsgruppe zuzurechnen wie der Beruf einer Einzelhandelskauffrau. Informationsangestellte im Verkauf müssen das Warensortiment kennen und den Kunden den Platz nennen, an welchem das Produkt zu finden ist; sie führen in einzelnen Warenbereichen Kundenberatungen durch, rufen Mitarbeiter für Produktberatungen aus, kopieren zB Produktbeschreibungen, wickeln Reklamationen und Warenrückgaben ab und werden teilweise auch als Kassiere eingesetzt. Eine Berufsgruppe ist nach der Rechtsprechung dadurch charakterisiert, dass die darin enthaltenen Berufe eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen. Das Abstellen auf eine „ähnliche Ausbildung" und „gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten" impliziert, dass für die Beurteilung möglicher Verweisungsberufe keineswegs eine gleiche Ausbildung und gleiche Kenntnisse und Fähigkeiten maßgeblich sind (10 ObS 402/02v = SSV-NF 17/9). In die Berufsgruppe einer der kollektivvertraglichen Beschäftigungsgruppe 3 zugehörigen Einzelhandelskauffrau wären beispielsweise auch einfache Ein- und Verkaufstätigkeiten einzureihen, die ihrer Wertigkeit nach der Beschäftigungsgruppe 2 angehören. Ausgeschlossen wäre lediglich eine - hier nicht relevante - Verweisung auf Tätigkeiten, bei denen es sich um (Hilfs-)Arbeitertätigkeiten handelt (10 ObS 193/89 = SSV-NF 3/123; 10 ObS 101/95 = SSV-NF 9/53; RIS-Justiz RS0084837). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof auch schon in der bisherigen Judikatur die Verweisbarkeit einer kaufmännischen Angestellten, die eine kaufmännische Lehre absolviert hatte und zuletzt als Lebensmittelverkäuferin in einem Lagerhaus tätig war, auf die Tätigkeit einer Informationskraft im Handel bejaht und auch ausgesprochen, dass mit einer solchen Verweisung kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist (10 ObS 78/02x = ZAS-Judikatur 2003/18, 36).

Da die Klägerin somit auf die Tätigkeit einer Informationsangestellten im Handel verweisbar ist (weshalb sie schon aus diesem Grund nicht als berufsunfähig anzusehen ist), bedarf es keines näheren Eingehens auf die von den Vorinstanzen weiters genannte Verweisungstätigkeit einer Kassierin.

Der Revision der Klägerin ist daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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