OGH 10ObS402/02v

OGH10ObS402/02v14.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Thomas Albrecht (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine R*****, Fleisch- und Wurstverkäuferin, *****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer, Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. August 2002, GZ 12 Rs 116/02v-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Februar 2002, GZ 9 Cgs 408/00s-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 21. 12. 1949 geborene Klägerin weist nach Absolvierung der Volksschule folgenden Berufsverlauf auf:

1964 - 1966 kaufm. "Anlehre" (kein Lehrverhältnis)

1966 - 1970 Hilfsarbeiterin in der Bettwarenerzeugung

1970 - 1971 Verkäuferin in der Lebensmittelbranche

1973 - 1979 Hilfsarbeiterin in einer Baumschule

1980 - lfd Fleisch- und Wurstverkäuferin

Die Klägerin war - bei wechselndem Inhaber - im selben Handelsbetrieb

tätig.

Als Verkäuferin hat die Klägerin in der Feinkostabteilung gearbeitet. Sie hatte dabei Fleisch zu verkaufen, teils auch zuzubereiten, ua 10 kg schwere Stücke zu zerteilen, Filets zuzuschneiden, Koteletts zu hacken und alle Verkaufsarbeiten im Bereich Feinkost und Gebäck sowie Feingebäck zu verrichten. Fallweise waren auch schwere Arbeiten zu leisten, zB Fleischteile und Würste in großen Behältern vom Kühlraum in den Verkaufsraum zu tragen.

Der dieser Tätigkeit vergleichbare Lehrberuf ist der des neuen dreijährigen Lehrberufs Fleischverkauf. Nach dessen Berufsprofil soll der Ausgebildete in der Lage sein, folgende Tätigkeiten selbstständig, eigenverantwortlich und fachgerecht durchzuführen:

1. Einschlägige Werkzeuge, Maschinen und Arbeitsbehelfe warten, instandhalten, desinfizieren und handhaben,

2. Fleischteile und Nebenprodukte nach ihrer Verwendungs- und Verarbeitungsmöglichkeit beurteilen,

  1. 3. Fertige Fleischwaren nach ihrer Art und Qualität beurteilen,
  2. 4. Fleisch und Fleischwaren haltbar machen,
  3. 5. Fleisch und Fleischwaren kühlen, einfrieren und lagern,
  4. 6. Fleisch und Fleischwaren ladenfertig herrichten,
  5. 7. Fleisch und Fleischwaren auspacken, kundenansprechend präsentieren und auszeichnen,
  6. 8. Kunden bedienen und beraten, Reklamationen annehmen und kassieren,
  7. 9. Fleisch und Fleischwaren aufschneiden, Platten legen und Garnierungsarbeiten,
  8. 10. Kalte und warme Imbisse herstellen,
  9. 11. Bei Maßnahmen in der Lebensmittelhygiene mitwirken. Die Klägerin hat wesentliche Tätigkeiten dieses Lehrberufes ausgeübt, nämlich Fleisch- und Fleischwaren kühlen, einfrieren, lagern, ladenfertig herrichten, auspacken, präsentieren, auszeichnen, Kunden bedienen und beraten, Fleisch- und Fleischwaren aufschneiden sowie Wurst- und Käsesemmeln herrichten.

    Die Klägerin kann nur mehr leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten, ohne über das physiologische Ausmaß hinausgehende Arbeitspausen. Bei vorwiegend sitzender Tätigkeit sollte diese ca alle 60 bis maximal 90 Minuten durch kurzdauerndes Aufstehen und Herumgehen unterbrochen werden können. Arbeiten im Gehen oder Stehen sind in ununterbrochener Folge ca 45 bis maximal 60 Minuten möglich. Arbeiten, die vorwiegend oder langdauernd in gebückter Körperhaltung, die mit dem rechten Arm länger dauernd über Schulterhöhe oder die mit der rechten Hand im kalten Milieu zu verrichten sind, scheiden aus. Bei Einhaltung des Leistungskalküls ist nicht mit großer Wahrscheinlichkeit mit jährlich 7 Wochen erreichenden Krankenständen zu rechnen.

    Die Klägerin ist nicht umschulbar, nur für einfachere Anlernberufe anlernbar sowie unterweisbar. Berufe, die schriftliche Fertigkeiten voraussetzen oder Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit bei schriftlichen Aufgaben stellen, scheiden ebenso aus wie Arbeiten mit hochgradigen psychischen Belastungen, wie häufiger oder ständiger Zeitdruck und Überstundenleistung, weiters Tätigkeiten, die höhere Anforderungen an die persönliche Kompetenz hinsichtlich Eigeninitiative, Entscheidungsfähigkeit und Regulationsaufwand stellen.

    Mit Bescheid vom 9. 10. 2000 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag der Klägerin vom 8. 6. 2000 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension abgelehnt.

    Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin - entsprechend ihrem eingeschränkten Klagebegehren - ab 1. 1. 2002 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen. Die von der Klägerin seit 1980 ausgeübte Tätigkeit entspreche dem Beruf einer Fleischverkäuferin, weshalb sich auch das Verweisungsfeld nur auf Feinkost- sowie Fleisch- und Wurstverkauf erstrecke. Dabei fielen fallweise auch schwere Arbeiten und solche im kalten Milieu an, die das Leistungskalkül der Klägerin überschritten. Da es in der Berufsgruppe des Fleischverkäufers keine Verweisungsberufe gebe, sei die Klägerin als berufsunfähig zu werten.

    Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass die Klägerin Tätigkeiten ausübe, die weitgehend dem Berufsprofil des mit der Fleischverkauf-Ausbildungsordnung BGBl II 2000/189 geregelten Lehrberufes Fleischverkauf entsprechen. Wie dieses - eingangs schon dargestellte - Berufsprofil zeige, umfasse dieser Beruf in weitem Umfang Tätigkeiten, die sich gleichsam als produktbezogene Spezialisierung der Verkaufstätigkeit eines Einzelhandelskaufmannes darstellten. Auch nach dem in den Ausbildungsvorschriften für den letztgenannten Lehrberuf (zuletzt BGBl II 2001/429) festgelegten Berufsbild seien während der Berufsausbildung für den allgemeinen Einzelhandel Fertigkeiten und Kenntnisse im Bereich der Warenbeschaffung und Durchführung der Warenbestellungen, der Überwachung und administrativen Bearbeitung von Warenlieferungen, der Übernahme, Kontrolle, Lagerung und Pflege von Waren, der Vorbereitung, Bereitstellung und verkaufsgerechten Präsentation des betrieblichen Warensortiments sowie der Beratung der Kunden bei der Produktauswahl, des Anbietens von Serviceleistungen, des Führens von Verkaufsgesprächen und des Entgegennehmens von Bestellungen und Kundenaufträgen zu vermitteln. Die Nähe zwischen den beiden Lehrberufen werde auch dadurch deutlich, dass § 1 der Einzelhandel-Ausbildungsordnung BGBl II 2001/429 einen Lehrbetrieb vorsehe, der neben dem Allgemeinen Teil (Basismodul) zumindest einen Schwerpunkt (Schwerpunktmodul) vermittle, wobei als einer dieser Schwerpunkte der Fleischfachhandel vorgesehen sei. Schließlich bestimme § 12 der Fleischverkauf-Ausbildungsordnung, dass Lehrzeiten, die (ua) in einem Fleischerbetrieb im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann zurückgelegt worden seien, auf die Lehrzeit im Lehrberuf Fleischverkauf im vollen Ausmaß anzurechnen seien. Alle diese Regelungen über die jeweiligen Anforderungen im Lehrberuf Fleischverkauf bzw Einzelhandelskaufmann machten deutlich, dass die in diesen verwandten Berufen tätigen Angestellten über eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten und daher zu einer Berufsgruppe der kaufmännischen Angestellten gehörten. Aus diesen Erwägungen komme für die Verweisbarkeit der Klägerin nicht nur die "Berufsgruppe des Fleischverkäufers", sondern auch die Verweisung auf Tätigkeiten in Betracht, die der Beschäftigungsgruppe 2 (KV Handelsangestellte) entsprächen. Im Fall der Klägerin seien das etwa einfache Tätigkeiten im Ein- und Verkauf. Dass solchen einfachen Ein- und Verkaufstätigkeiten die Einschränkungen ihres Leistungskalküls nicht entgegen stünden sei genauso offenkundig wie der Umstand, dass für diese Tätigkeiten ein ausreichend großer Arbeitsmarkt vorhanden sei. Mit der Verweisung auf solche einfachen Ein- und Verkaufstätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 sei für die Klägerin selbst dann kein unzumutbarer sozialen Abstieg verbunden, wenn ihre derzeitige Tätigkeit der Beschäftigungsgruppe 3 zuzurechnen wäre. Da der Klägerin noch die Ausübung anderer Berufstätigkeiten, nämlich einfache Ein- und Verkaufstätigkeiten zugemutet werden könne, sei sie nicht berufsunfähig iSd § 273 Abs 1 ASVG.

    Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

    Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF der 59. ASVGNov BGBl I 2002/1).

Die Revisionswerberin steht zusammengefasst auf dem Standpunkt, dass sie, würde sie auf einfache Tätigkeiten im Ein- und Verkauf der Beschäftigungsgruppe II des Kollektivvertrags für Handelsangestellte verwiesen werden, "zwangsläufig ihren Berufsschutz als Fleischverkäuferin verlieren" würde, was nach der Rechtsprechung unzulässig sei. Ausgehend vom Berufsbild des Fleischverkäufers sei das Verweisungsfeld mangels Ähnlichkeit mit der Tätigkeit eines "Einzelhandelsverkäufers" auf die Branche Feinkost/Fleischhauerei zu beschränken. In dieser Branche sei die Klägerin aufgrund ihres Leistungskalküls nicht mehr einsetzbar und demnach berufsunfähig. Abgesehen davon wäre mit einer Verweisung auf einfache Verkaufstätigkeiten ein nicht zumutbarer sozialer Abstieg von der qualifizierten Tätigkeit verbunden, die die Klägerin als Fleischverkäuferin ausgeübt habe.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden, weil sie den in der Revision mehrfach angefochtenen Berufsschutz zu eng interpretieren. Die Pensionsversicherung der Angestellten stellt eine Berufs-(gruppen-)versicherung dar, deren Leistungen einsetzen, wenn ein Versicherter infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann; dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, also die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 2/73 mwN, 2/92 uva; RIS-Justiz RS0084904).

Die Klägerin war zuletzt als Verkäuferin in einer Feinkostabteilung tätig, wobei der Fleisch- und Wurstverkauf im Vordergrund stand. Das Abstellen auf eine "ähnliche Ausbildung" und "gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten" impliziert, dass für die Beurteilung möglicher Verweisungsberufe keineswegs eine gleiche Ausbildung und gleiche Kenntnisse und Fähigkeiten maßgeblich sind, wie offenbar die Klägerin meint. In die Berufsgruppe, der die Klägerin angehört, sind jedenfalls alle vergleichbaren Verkaufsberufe einzuordnen, darunter auch einfache Ein- und Verkaufstätigkeiten. Da diese einfachen Ein- und Verkaufstätigkeiten in die kollektivvertragliche Beschäftigungsgruppe 2 einzureihen sind, ist mit einer Verweisung auf solche Angestelltentätigkeiten iSd ständigen Rechtsprechung keinesfalls ein unzumutbarer sozialen Abstieg verbunden, wird doch eine Verweisung auf Angestelltentätigkeiten der unmittelbar nachgeordneten Beschäftigungsgruppe nicht als unzumutbar angesehen (SSV-NF 4/97, 5/34, 7/25, 9/53 uva; RIS-Justiz RS0085599). Da das Berufungsgericht aufgrund der Verweisbarkeit der Klägerin zu Recht die Voraussetzungen für die Erlangung einer Berufsunfähigkeitspension verneint hat, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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