OGH 10ObS193/89

OGH10ObS193/8924.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (AG) und Anton Korntheuer (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adolf P***, Angestellter, 4563 Micheldorf, Kremsdorf, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. März 1989, GZ 13 Rs 174/88-27, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. April 1989, GZ 13 Rs 174/88-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 30. September 1988, GZ 13 Cgs 1077/87-20, bestätigt und ergänzt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 3.087 S (darin 514,50 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. November 1986 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der am 1. Mai 1939 geborene Kläger besuchte sieben Klassen Volksschule. Er war von 1952 bis 1973 als Landarbeiter, Hilfsarbeiter und Schleifer beschäftigt. Von Juli 1973 bis Juli 1983 war er Versicherungsangestellter im Außendienst. Er hatte zunächst einen Kundenstock von etwa 1000 Personen zu betreuen, der in der Folge bis auf etwa die Hälfte zurückging. Dabei mußte er die Kundenkartei führen, in der die bestehenden Versicherungen und wichtige Daten, wie etwa das Ablaufdatum, eingetragen waren. Sonstige Verwaltungsarbeiten hatte er nicht durchzuführen. Nachdem er diese Tätigkeit, bei der er sämtliche Versicherungssparten zu bearbeiten hatte, wegen des von den eigenen Kollegen herrührenden zunehmenden Konkurrenzdrucks aufgegeben hatte, wurden ihm bei einem anderen Unternehmen Kundenadressen gegeben, die er zur Aquirierung von Versicherungsverträgen und zur Beratung der Kunden, mit denen er gemeinsam die Vertragsformulare ausfüllte, aufzusuchen hatte. Der Kundenstock betrug knapp 300 Personen. Sein Gehalt betrug zuletzt einschließlich des Kilometergeldes zwischen 10.000 S bis 12.000 S netto im Monat. Von Juli 1983 bis April 1984 arbeitete er als Hilfsmonteur auf einer Baustelle. Er hatte dabei Hilfsdienste für den Gesellen beim Verlegen von Leitungen und beim Installieren von Heizungen zu leisten. Zu Ostern 1984 beendete er diese Tätigkeit nach einem Schlaganfall und ist seither nicht mehr berufstätig. Der Kläger ist auf Grund seines - im einzelnen näher beschriebenen - körperlichen und geistigen Zustands imstande, leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen ohne Arbeitspausen, die über das physiologische Ausmaß hinausgehen, zu verrichten. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Arbeiten, bei denen er sich häufig bis zum Boden bücken oder Gegenstände über 15 kg tragen muß oder die eine besondere Fingerfertigkeit erfordern und schließlich Arbeiten unter Zeitdruck, Akkordarbeiten und Arbeiten mit intensivem Kundenverkehr sind ihm nicht mehr zuzumuten. Am Arbeitsplatz sollte die Möglichkeit der Einnahme einer mitgebrachten Diätmahlzeit gegeben sein. Ein öffentliches Verkehrsmittel kann er jederzeit benützen. Seine intellektuelle Leistungsfähigkeit liegt unter dem Durchschnitt (IQ 88). Er ist nicht umschulbar, jedoch anlernbar und unterweisbar. Die für Büroarbeiten notwendigen Routinefertigkeiten sind hochgradig eingeschränkt, insbesonders im schriftlichen Bereich, weshalb er hiezu nicht befähigt ist. Außerdem scheiden Tätigkeiten aus, die Durchsetzungsfähigkeit verlangen, die mit belastender Kommunikation einhergehen oder bei denen Erfolgszwang besteht. Die Tätigkeit eines Versicherungsangestellten im Außendienst kann er wegen der damit verbundenen starken psychischen Belastung, insbesondere wegen des notwendigen Zeitaufwandes, des Erfolgzwangs und des Konkurrenzdrucks, nicht mehr verrichten. Dasselbe gilt für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Hilfsmonteurs. Er könnte aber noch einfache Innendiensttätigkeiten, wie die eines Bürohausportiers, Bürodieners im Verwaltungsdienst oder ähnliche der Verwendungsgruppe 1 des Kollektivvertrags für Angestellte entsprechende Tätigkeiten ausführen.

Rechtlich war das Erstgericht der Meinung, daß bei dem hier anzuwendenden § 273 Abs 1 ASVG in der Regel von der zuletzt ausgeübten frei gewählten Tätigkeit auszugehen sei. Dies sei hier zwar die Tätigkeit als Hilfsmonteur, weil der Kläger seinen Beruf als Versicherungsvertreter nicht wegen gesundheitlicher Probleme, sondern wegen der mit der Aquisition von Versicherungsverträgen verbundenen Schwierigkeiten aufgegeben habe. Der Schlaganfall zeige aber, daß er die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf Kosten der Gesundheit ausgeübt habe, weshalb von der Tätigkeit als Versicherungsvertreter im Außendienst auszugehen sei. Diese Tätigkeit sei ihm nicht mehr zuzumuten. Auf die einfachen Angestelltentätigkeiten der Verwendungsgruppe 1 des Kollektivvertrages für Angestellte dürfe er nicht verwiesen werden, weil damit ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden wäre. Die Tätigkeit eines Vertreters sei nämlich in die Verwendungsgruppe 3 des Kollektivvertrages einzustufen. Überdies werde die Tätigkeit eines einfachen Bürohausportiers in den Augen der Bevölkerung wesentlich geringer bewertet als die eines Versicherungsvertreters. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß es das Klagebegehren als dem Grund nach zu Recht bestehend erkannte und die beklagte Partei eine vorläufige Zahlung von 5.400 S monatlich auftrug. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs SSV-NF 2/57, komme hier nicht zum Tragen, weil das darin bezogene Verwendungsgruppenschema des Kollektivvertrags für Angestellte der Industrie für Versicherungsvertreter nicht anzuwenden sei. Für Versicherungsangestellte gebe es nur einen Kollektivvertrag für Angestellte des Außendienstes und einen für Angestellte des Innendienstes. Auf Grund seines Leistungskalküls könne der Kläger im Innendienst nur eine Tätigkeit in der Gruppe der Kanzleigehilfen verrichten. Mit der Verweisung des Klägers von seiner früheren Tätigkeit als Versicherungsvertreter im Außendienst auf die ihm noch mögliche Tätigkeit eines Bürohausportiers oder eines Bürodieners wäre aber ein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden, zumal diese Tätigkeiten auf der untersten Stufe der Berufstätigkeiten stünden, während ein Versicherungsvertreter im Außendienst allgemein ungleich höher eingeschätzt werde. Überdies seien diese Tätigkeiten als Arbeitertätigkeiten zu qualifizieren, auf die der Kläger nicht verwiesen werden dürfe.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Lösung der Frage, ob der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit eingetreten ist, richtet sich beim Kläger nach § 273 Abs 1 ASVG, weil er gemäß § 245 ASVG zur Pensionsversicherung der Angestellten leistungszugehörig ist und während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht überwiegend oder zumindest in gleichem Ausmaß Versicherungsmonate auf Grund einer Beschäftigung als Arbeiter erworben hat; nur in diesem Fall käme aber die sinngemäße Anwendung des § 255 ASVG in Betracht (10 Ob S 330/88 = SSV-NF 3/2 - in Druck).

Ist § 273 Abs 1 ASVG anzuwenden, so ist bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes, also der Summe der Berufe, die der Berufsgruppe des Versicherten zuzurechnen sind und auf die er verwiesen werden darf, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen, im allgemeinen von der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit auszugehen (SSV-NF 1/68, 2/73); dies jedoch nur, wenn sie eine Tätigkeit war, die ihrem Inhalt nach (vgl. SSV-NF 3/2) gemäß § 14 Abs 1 ASVG die Versicherungszugehörigkeit und damit gemäß § 245 ASVG die Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten begründet. Der Versicherte darf nämlich nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden, durch deren Ausübung er den Berufsschutz nach § 273 ASVG verlieren würde. Diese Ansicht hat der Oberste Gerichtshof schon für einen Versicherten vertreten, bei dem § 255 Abs 1 ASVG anzuwenden war (10 Ob S 35/89 = SSV-NF 3/29 - in Druck; 10 Ob S 299/89); dasselbe muß auch hier gelten. Eine Tätigkeit als Arbeiter hat daher bei der Bestimmung des Verweisungsfeldes nach § 273 ASVG außer Betracht zu bleiben (vgl. SSV-NF 2/73).

Beim Kläger ist also die Tätigkeit als Versicherungsvertreter im Außendienst zur Bestimmung des Verweisungsfeldes heranzuziehen. Seine Tätigkeit als Hilfsmonteur und damit als Arbeiter ist hierauf hingegen unabhängig davon ohne Einfluß, ob damit die vom Erstgericht ins Treffen geführte, im übrigen gar nicht festgestellte Gefährdung der Gesundheit verbunden war. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes kann der Kläger auf Grund seines medizinischen Leistungskalküls nur mehr einfache Innendiensttätigkeiten, wie etwa die eines Bürohausportiers, Bürodieners im Verwaltungsdienst oder ähnliche der "Verwendungsgruppe 1 des Kollektivvertrages für Angestellte" entsprechende Tätigkeiten, verrichten. Die Beschäftigung als Bürohausportier oder Bürodiener begründet aber auf Grund ihres Inhalts die Versicherungszugehörigkeit und damit auch die Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten nicht, weil dabei keine der im § 14 Abs 1 ASVG angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Im besonderen gilt für ein Dienstverhältnis, dem eine solche Tätigkeit zugrunde liegt, § 1 Abs 1 AngG nicht, weil keine der dort angeführten und hievon wieder insbesondere keine Kanzleiarbeiten geleistet werden (vgl. Martinek-Schwarz, AngG6 68). Daß Büroportiere und Bürodiener Angestelle ex contractu sein können, ändert daran nichts, weil es auch im Rahmen der Verweisungsmöglichkeiten nur auf die Qualifikation der Tätigkeit nach ihrem Inhalt und nicht auf die arbeitsvertragliche Bewertung ankommt.

Die beklagte Partei beruft sich in der Revision auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs SSV-NF 2/57 und 2/59. In der zuletzt genannten Entscheidung wurde die Versicherte auf die Tätigkeit einer Bürohilfskraft verwiesen. Diese Tätigkeit kann aber eine Angestelltentätigkeit sein, und zwar dann, wenn dabei Kanzleiarbeiten auszuführen sind. In der Entscheidung SSV-NF 2/57 wurden zwar für einen zur Pensionsversicherung der Angestellten leistungszugehörigen Versicherten nicht nur die Tätigkeit einer Bürohilfskraft, sondern auch die eines Büroboten als zumutbar angesehen. In diesem Punkt vermag sich ihr der erkennende Senat nicht anzuschließen. Insgesamt ist aber auch aus dieser Entscheidung für die beklagte Partei nichts zu gewinnen, weil der Versicherte damals auch die Tätigkeit einer Bürohilfskraft verrichten konnte. Dies trifft aber auf den Kläger nicht zu, weil er nach den Feststellungen des Erstgerichtes für "Büroarbeiten" nicht befähigt ist.

Da dem Kläger somit auf Grund seines Leistungskalküls eine Berufstätigkeit, die nach ihrem Inhalt die Versicherungszugehörigkeit und damit die Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Angestellten begründen würde, nicht mehr zugemutet werden kann, trifft die Ansicht der Vorinstanzen zu, daß er gemäß § 273 Abs 1 ASVG berufsunfähig ist.

Die beklagte Partei wendet sich in ihrer Revision nicht dagegen, daß ihr eine vorläufige Zahlung aufgetragen wurde. Auf diesen Teil des Berufungsurteils, mit dem das Ersturteil - entgegen der Fassung des Spruches - nicht bestätigt, sondern ergänzt wurde, ist daher nicht einzugehen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte